The Project Gutenberg EBook of Der Todesgruss der Legionen, Dritter Band
by Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow

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Title: Der Todesgruss der Legionen, Dritter Band

Author: Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow

Release Date: October 6, 2004 [EBook #13659]

Language: German

Character set encoding: ASCII

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TODESGRUss DER LEGIONEN, ***




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Der Todesgruss der Legionen



Zeit-Roman

von

Gregor Samarow.



Dritter Band.




Berlin, 1874.

Druck und Verlag von Otto Janke.




Erstes Capitel.


Der Kaiser Napoleon ging in heftiger Bewegung in seinem Cabinet auf
und nieder; die krankhafte Abgespanntheit, welche sonst auf seinem
Gesicht zu liegen pflegte, war verschwunden, an deren Stelle war eine
lebhafte Aufregung getreten, seine Lippen zuckten, seine Augen blickten
unruhig hin und her, und sein sonst so wohl geordneter Bart war durch
das Spiel seiner zitternden Finger aus der Ordnung gebracht.

Auf seinem Schreibtisch lag eine grosse Anzahl von Telegrammen ueber
einander geworfen. Er hielt eine Photographie in Cabinetformat in der
Hand, die er, von Zeit zu Zeit stehen bleibend, aufmerksam betrachtete.

"Welch eine Anhaeufung von Unruhe und Aufregung," sagte er mit einem
tiefem Athemzug, "die Erwartung wegen des Ausfalls des Plebiscits waere
allein genuegend, um mich in Spannung und in diese so schmerzvolle
Nervenerregung zu versetzen,--da muss noch dieses Complott hinzutreten,
das mir vor zehn Jahren gleichgueltig gewesen waere, das mir auch heute
gleichgueltig ist, so weit es sich dabei um die Gefahr fuer mein Leben
handelt,--diesem Complott aber liegt eine groessere Gefahr zu Grunde. Mein
Tod ist nur ein Theil des Plans, den man hier verfolgt, und so
abenteuerlich und thoericht diese Absicht der Zerstoerung der Tuilerien
und der oeffentlichen Gebaeude im ersten Augenblick erscheinen mag, so
liegt darin doch eine tiefe Kenntniss der so scharf concentrirten
Zustaende. Wuerde der Streich gelungen sein, so gehoerte ganz Frankreich
dem Aufstande. Und," sprach er dumpf, vor sich hin starrend, "bin ich
denn schon sicher, dass er nicht gelingen wird, bin ich sicher, dass was
heute verhindert ist, sich nicht morgen wiederholen kann."

Er blickte lange auf die Photographie, welche er in seiner Hand hielt
und pruefte genau mit scharfem forschendem Blick die Zuege des Bildes.

"Dieser Mensch," sagte er dann, "ist kein Fanatiker,--das ist kein
exaltirter Kopf, der aus ueberspannten Theorien in dem Gedanken sich fuer
eine grosse Idee zu opfern, zum Moerder wird,--dies Gesicht ist gemein und
gleichgueltig. Dieser Mensch ist einfach ein Werkzeug--und wenn er
unschaedlich gemacht wird, kann man Werkzeuge wie ihn ueberall
wiederfinden,--und man wird sie wiederfinden, wenn dieser Zustand
dumpfer Gaehrung weiter besteht, wenn die allgemeine Unzufriedenheit,
wenn das allgemeine Gefuehl der Erniedrigung Frankreichs, das in der That
in diesem Augenblick die oeffentliche Stimmung beherrscht, den tollkuehnen
Unternehmungen der Verschwoerer zu Huelfe kommt. Haben nicht vielleicht
Diejenigen doch Recht," sagte er in tiefem Gedanken, "welche mir rathen,
durch eine militairische Aktion das Gefuehl der Nation wieder mit dem
Kaiserthum zu verbinden."

Er warf die Photographie auf den Tisch und ging die Haende auf den Ruecken
gelegt, den Kopf tief auf die Brust gesenkt mehrere Male langsam im
Zimmer auf und nieder.

"Eine glaenzende Action," sagte er dann--"ja--aber wenn sie nicht
glaenzend waere--wenn das launenhafte Glueck _nicht_ ueber meinen Fahnen
schwebte--was dann? Dann wuerde all das Unheil, welches jetzt unter der
Oberflaeche glimmt, in hellen Flammen emporlodern, und diese Flammen
wuerden ueber den Truemmern meines Gebaeudes zusammenschlagen--warum aber
soll das Glueck sich von mir wenden?" rief er dann stehen bleibend und
den aufleuchtenden Blick seines grossen geoeffneten Auges auf eine
Marmorbueste Caesars richtend, welche auf schwarzem Fuss in der Naehe seines
Schreibtisches stand. "War es mir doch bisher guenstig wie jenem Roemer,
dem Vorbild meines Hauses, der zwar unter den Dolchen der Verschwoerer
fiel, auf dessen Thaten aber sich der glaenzende Thron des Augustus
erbaute,--warum vermag ich nicht mehr an mein Glueck zu glauben--wenn
dieses Plebiscit guenstig ausfaellt, so steht ja wieder der Wille der
ganzen Nation hinter mir, und auf diese neue Kraft gestuetzt, sollte ich
es wohl wagen koennen, dem Glueck zu gebieten, denn das Glueck beugt sich
dem kuehnen Muth und dem festen Entschluss,--aber wenn das Plebiscit
unguenstig ausfaellt," sprach er, wieder in sich zusammensinkend, mit
dumpfem traurigem Ton. "Doch nein," rief er dann, "nein, das ist
unmoeglich, Alles ist gut vorbereitet, und die ersten Nachrichten ueber
den Erfolg der Abstimmungen lauten ueberraschend guenstig."

Er trat an den Tisch und durchblaetterte die auf demselben liegenden
Telegramme. Dann nahm er einen Bleistift, schrieb einige Zahlen ab und
addirte dieselben.

"Paris," sagte er, "Marseille, Toulouse, Bordeaux, die schlimmsten
Staedte haben abgestimmt, und dennoch ergiebt sich nach den vorliegenden
Nachrichten bereits eine Summe von einer Million 400,000 Stimmen fuer
"Ja" und nur 200,000 fuer "Nein." Wenn es so weiter geht, so ist der Sieg
gewiss."

Der Dienst thuende Kammerdiener meldete den Gross-Siegelbewahrer.

"Er ist willkommen," rief der Kaiser lebhaft und ging rasch nach der
Thuer hin, durch welche Herr Ollivier laechelnd und freudig bewegt
eintrat. Er ergriff mit tiefer Verneigung die dargebotene Hand des
Kaisers, zog dann einige Telegramme aus seiner Tasche und rief, ohne die
Anrede seines Souverains abzuwarten:

"Alles geht vortrefflich, Sire, bis heute morgen war das Resultat von
hundertundsechzig Wahlbezirken bekannt. Die Zahl der eingetriebenen
Waehler betrug 3,671,400 davon haben 2,614,000 mit Ja gestimmt und
432,000 mit Nein. So eben," fuhr er fort, "habe ich dieses zweite
Telegramm erhalten, nach welchem nunmehr bis auf sechsundzwanzig
Wahlbezirke die Resultate saemmtlich bekannt sind. Fuer Ja stimmten
hiernach 6,399,000, mit Nein 1,349,000. Die Stimmen der Armee und der
Marine und der Bevoelkerung von Algier sind hierbei noch nicht
mitgerechnet; da die Gesammtzahl der Stimmenden ungefaehr auf acht bis
zehn Millionen anzuschlagen ist, so ist eine colossale Majoritaet bereits
gesichert."

Der Kaiser athmete tief auf und drueckte noch einmal herzlich die Hand
seines Ministers.

"Das Glueck steht mir noch zur Seite," sagte er halblaut, mehr seinem
fruehern Gedankengang folgend, als zu Herrn Ollivier sprechend. "Dies
glaenzende Resultat," sagte er dann mit unendlich liebenswuerdiger
Verbindlichkeit, "habe ich zum grossen Theil meinen Ministern und Ihnen
ins Besondere, mein lieber Herr Ollivier, zu verdanken, da Sie es
verstanden haben, die Sympathien des ganzen Volkes um die kaiserliche
Regierung zu vereinigen, und vielleicht war dieses unglueckliche traurige
Complott, das man entdeckt hat, ebenfalls eine glueckliche Fuegung, da
gerade dadurch dem ganzen Lande klar geworden ist, von welchen Gefahren
die Ordnung des Staats und der Gesellschaft bedroht wird, von Gefahren,
gegen welche nur ein freisinniges und kraftvolles kaiserliches Regiment
Schutz und Rettung bieten kann. Seien Sie ueberzeugt, dass ich die
Dienste, welche Sie dem Lande, mir und meinem Hause geleistet haben,
niemals vergessen werde."

Herr Ollivier verneigte sich mit zufriedenem Laecheln.

"Eure Majestaet haben ganz mit Recht bemerkt," sagte er dann, "dass das
verbrecherische Complott, welches die Wachsamkeit der Polizei vor
einigen Tagen entdeckt, sehr guenstig auf die Theilnahme der gut
gesinnten Bevoelkerung auf die Abstimmungen gewirkt hat,--dessen
ungeachtet" fuhr er fort, "bleibt die Sache sehr zu beklagen, denn
Alles, was man bis jetzt ermittelt hat, zeigt deutlich, dass man es hier
mit einem tief angelegten Plan unversoehnlicher Verschwoerer zu thun hat,
und ich bitte Eure Majestaet zu genehmigen, dass nicht wie in fruehern
aehnlichen Faellen die Angelegenheit mit der Ihnen persoenlich so nahe
liegenden Milde behandelt, sondern dass hier mit der aeussersten Strenge
vorgegangen werde, um ein fuer allemal ernstlich und nachdruecklich von
aehnlichen Unternehmungen abzuschrecken.

"Es widerstrebt mir," sagte der Kaiser mit einem sanften weichen
Ausdruck, "Unternehmungen, welche gegen meine Person und mein Leben
gerichtet sind, mit aeusserster Strenge zu verfolgen. Nach meinem Gefuehl
moechte ich Wahnsinnige, die derartiges versuchen, am liebsten voellig
ungestraft lassen, und das um so mehr in einem Augenblick, in welchem
mir das ganze Volk auf eine so glaenzende Weise sein Vertrauen bezeigt.
Doch," fuhr er ernster fort, "es handelt sich hier nicht allein um mich,
man hat nicht nur mich bedroht, sondern zugleich die Sicherheit des
ganzen Staatsgebaeudes, wie ich dasselbe unter Mitwirkung der besten
Kraefte des Landes und der Acclamation des ganzen Volkes errichtet habe;
hier darf keine Milde walten! Was hat man weiter entdeckt," fuhr er
fort. "Ich bin sehr gespannt auf die Ermittelung des Zusammenhangs der
Verschwoerung."

"Der Polizeipraefect befindet sich in Eurer Majestaet Vorzimmer,"
erwiderte Herr Ollivier, "und wenn Sie es erlauben, kann er hier
sogleich seinen Bericht erstatten, und Eure Majestaet koennen die
Massregeln genehmigen, welche ich zur gerichtlichen Verfolgung der
Verbrecher und zum Schutz der oeffentlichen Sicherheit vorschlagen
moechte."

Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf.

Herr Ollivier ging hinaus und kehrte nach wenigen Augenblicken mit dem
Polizeipraefecten Pietri zurueck, dessen bleiches, scharfes Gesicht
unbeweglich und kalt wie immer war und dessen scharfe Augen fast noch
stechender als gewoehnlich unter dem tiefen Schatten der vorspringenden
Stirn hervorblickten.

Auf den Wink des Kaisers nahmen der Justizminister und der
Polizeipraefect neben dem Schreibtisch Platz, waehrend Napoleon sich in
seinen Lehnstuhl niedersinken liess,--den Ellenbogen auf das Knie
gestuetzt blickte er Herrn Pietri fragend und erwartungsvoll an.

"Eurer Majestaet," begann dieser, indem er eine kleine Mappe oeffnete und
mehrere Papiere aus derselben hervorzog, "erlaube ich mir mitzutheilen,
dass der fruehere Corporal Beaury in seiner Wohnung in der Rue St. Maur,
die er nach seiner Ankunft aus London bezogen hatte, verhaftet wurde.
Man hat bei ihm einen Dolch und einen Revolver, eine Summe von etwas
ueber dreihundert Francs gefunden, zugleich aber auch vor allen Dingen
Briefe von Gustav Flourens aus London, welche zweifellos beweisen, dass
Beaury den Auftrag erhalten und angenommen hatte, Eure Majestaet durch
die Bomben zu toedten, von denen ich Ihnen bereits eine Probe zu
ueberreichen die Ehre gehabt habe."

"Die Sprengbomben sind vortrefflich construirt," sagte der Kaiser--"ich
wuerde ihrer Wirkung nicht entgangen sein," fuegte er laechelnd hinzu.

"Die Briefe von Flourens," fuhr Pietri fort, "welche ich Eurer Majestaet
hier vorzulegen die Ehre habe"--er legte mehrere beschmutzte Papiere auf
den Tisch vor dem Kaiser nieder, beweisen aber zugleich, dass es sich
nicht nur um ein Attentat gegen Allerhoechst Ihre Person handelte,
sondern dass zu gleicher Zeit die Tuilerien und die saemmtlichen
oeffentlichen Gebaeude, in welchen die leitenden Organe der oeffentlichen
Regierung ihren Sitz haben, zerstoert werden sollten. Man hat auf die
Aussage Beaury's gestuetzt, welcher sogleich nach seiner Verhaftung
umfassende Gestaendnisse ablegte, Nachforschungen gehalten und bei einem
Kunsttischler Roussel, dessen die Agenten leider bis jetzt noch nicht
habhaft geworden sind, eine weitere groessere Anzahl von Bomben, Massen
von Nitroglycerin, so wie bedeutende Quantitaeten Petroleum gefunden;
auch steht nach den Aussagen Beaury's die Theilnahme der Internationale
an der ganzen Verschwoerung ausser Zweifel, was zugleich beweist, dass
diese Verbindung, welche sich nur mit der Eroerterung socialer Fragen und
mit der Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes zu beschaeftigen
vorgiebt, die eigentliche Triebfeder aller Attentate gegen die
bestehende Staatsordnung ist."

"Haben Sie alle diese Beweisstuecke da," fragte der Kaiser.

"Zu Befehl, Majestaet," erwiderte Pietri, indem er mehrere Briefe und
Protokolle dem Kaiser ueberreichte.

Dieser legte sie auf seinen Tisch.

"Ich werde das Alles spaeter pruefen," sagte er. "Es ist eine schmerzliche
Erfahrung fuer mich," fuhr er fort, "dass gerade diese internationale
Arbeiterassociation, welcher ich, so weit sie sich mit dem Interesse
der Arbeiter beschaeftigte, stets wo das mit den Gesetzen vereinbar war,
mein Wohlwollen bewiesen, und meinen Schutz gewaehrt habe, sich jetzt zu
solchen Zwecken missbrauchen laesst."

"Ich habe Eure Majestaet stets darauf aufmerksam gemacht," sagte Pietri,
"dass diese Organisation selbst unter ihren frueheren gemaessigten, so zu
sagen philosophischen Fuehrern eine grosse Gefahr fuer den Staat und die
Gesellschaft in sich schloss, und dass es nothwendig sei, mit der
aeussersten Strenge gegen dieselbe vorzugehen, um sie und ihren weit
verzweigten Einfluss zu zerstoeren. Nachdem nun ihre gefaehrlichen und
verbrecherischen Ziele so klar an's Tageslicht getreten sind, moechte ich
Eure Majestaet um die Erlaubniss bitten, die ganze Internationale mit
einem Schlage zu zertruemmern, und in allen Staedten Frankreichs ihre
Fuehrer, die mir sehr wohl bekannt sind, verhaften zu lassen."

Der Kaiser dachte einen Augenblick nach.

"Ich erkenne die Nothwendigkeit energischer Massregeln vollkommen an,"
sagte er, "doch weiss ich nicht, ob die Verhaftung der Fuehrer von einigem
Nutzen sein wird. So weit mir aus frueheren Berichten die Organisation
jener Gesellschaft bekannt ist, hat jeder Fuehrer einen Substitut, und
die Verhaftung der ersten Leiter wuerde also fuer die Unterdrueckung der
Sache selbst nicht viel nuetzen, ausserdem gehoert dieser Internationale
eine Menge von Arbeitern an, die im Grunde gut gesinnt sind und die
verbrecherischen Absichten der Haeupter weder kennen, noch billigen. Ich
glaube deshalb, dass es klug waere, den Massregeln, welche gegen die
Internationale getroffen werden muessen, jeden polizeilichen Character zu
nehmen und sie lediglich als die Folgen richterlichen Verfahrens
erscheinen zu lassen."

Er richtete den Blick fragend auf Herrn Ollivier.

"Ich theile vollkommen die Ansicht Eurer Majestaet," sagte dieser. "Und
es sind in diesem Sinne alle Einleitungen getroffen, der
Generalprocurator Grandperret soll einen Bericht an mich erstatten,
welcher das Complott in seinem ganzen Zusammenhange darstellt und die
Einberufung des hohen Gerichtshofes beantragt. Ich werde diesen Bericht
des Generalprocurators, der bereits morgen in meinen Haenden sein soll,
Eurer Majestaet ueberreichen und zugleich den Entwurf eines Decrets
beilegen, welcher die Einberufung des hohen Gerichtshofes anordnet.
Sobald das geschehen, werden alle Verhaftungen, welche auf Grund der von
dem Generalprocurator Grandperret anzustellenden Anklageacte
vorgenommen werden muessen, gerichtliche und nicht mehr polizeiliche
Massregeln sein."

"Sehr gut," sagte der Kaiser, "ich erwarte Ihren Bericht, mein lieber
Herr Ollivier, und ich hoffe," fuegte er sich zu Pietri wendend hinzu,
"dass Ihre Agenten geschickt genug sein werden, um keinen der Schuldigen
entwischen zu lassen."

"Eure Majestaet koennen ueberzeugt sein," erwiderte der Polizeipraefect,
"dass in meinem Ressort geschehen wird, was nur irgend zu thun moeglich
ist, dennoch aber moechte ich bitten, einige Personen welche ich dem
Herrn Generalprocurator bezeichnen werde, von der Verhaftung
auszuschliessen. Es sind die Personen welche wir genau zu ueberwachen in
der Lage sind, und durch welche wir in Folge dieser Ueberwachung
fortwaehrend Kunde von den Faeden erhalten, durch welche die revolutionaere
Bewegung im ganzen Lande geleitet wird. Wuerden diese Personen verhaftet
werden, so wuerde uns sich eine Quelle sehr wichtiger Nachrichten
verschliessen, und wir wuerden gezwungen sein, viele Zeit aufzuwenden, um
neue Netze zu knuepfen."

Der Kaiser laechelte.

"Ich verstehe," sagte er--"nicht wahr, mein lieber Herr Ollivier, Sie
finden den Wunsch des Herrn Pietri gerechtfertigt--"

"So fern dadurch," sagte der Justizminister, "der gerichtlichen
Verfolgung keine Beweise entzogen werden."

"Sie koennen sicher sein," sagte Herr Pietri, "dass diejenigen Personen,
um welche es sich handelt,--und zu denen in erster Linie der eitle
Schwaetzer Raoul Rigault gehoert, so vollstaendig umstellt sind, dass keine
ihrer Bewegungen, keines ihrer Worte uns entgeht, und dass ihre
Verhaftung, wenn sie jemals nothwendig werden sollte, jeden Augenblick
stattfinden kann. Es ist aber eine alte Regel der polizeilichen Praxis,"
fuegte er hinzu, "in grossen und besonders bedeutungsvollen Faellen immer
einige der betreffenden Personen in scheinbarer Freiheit zu lassen, um,
wenn es noethig ist, durch sie das herstellen zu koennen, was man mit dem
technischen Ausdruck eine "Mausefalle" nennt. Hat man einmal alle
Personen, von denen man irgend etwas weiss, im Gefaengniss eingeschlossen,
so ist es kaum moeglich, irgend etwas Weiteres und Neues zu erfahren."

"Ich bitte Sie also," sagte Herr Ollivier, "sich mit dem
Generalprocurator Grandperret ueber diesen Punkt zu verstaendigen."

"Der Herr Marschall Kriegsminister," meldete der Kammerdiener.

"Ich bitte den Marschall einzutreten," erwiderte der Kaiser.

Der Marschall Leboeuf trat in das Cabinet, die militairische Haltung
seiner grossen vollen Gestalt, der martialische Ausdruck seines starken
Gesichts mit dem grossen, dichten Schnurrbart liessen in ihm trotz des
Civilueberrocks, den er trug, den Soldaten erkennen.

"Nun, mein lieber Marschall," rief ihm der Kaiser entgegen. "Sie bringen
das Resultat der Abstimmungen der Armee."

"Zu Befehl, Majestaet," erwiderte der Marschall. "Leider aber habe ich
Eurer Majestaet mitzutheilen, dass nach den Mittheilungen, welche nunmehr
beinahe abgeschlossen sind dreissigtausend Ihrer Soldaten mit "Nein"
gestimmt haben."

Der Kaiser liess einen Augenblick das Haupt auf die Brust sinken, ein
trueber, trauriger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.

"So grossen Einfluss," sagte er, "haben die Feinde meiner Regierung also
auch in den Reihen meiner Armee gewonnen, dass dreissigtausend kaiserliche
Soldaten es wagen, ein Misstrauensvotum gegen mich auszusprechen."

"Ich habe Eure Majestaet," sagte Herr Pietri, "bereits seit lange darauf
aufmerksam gemacht, dass es vom polizeilichen Gesichtspunkt aus nicht
zweckmaessig sei, die Soldaten so lange, wie das jetzt geschehen ist, oft
ueber drei Jahre lang in denselben Garnisonen zu lassen, sie
fraternisiren dadurch zu sehr mit der Bevoelkerung, und es sind gerade
die revolutionaeren Elemente, welche in kluger Berechnung und mit grossem
Geschick stets danach streben, in den Reihen der Armee Propaganda zu
machen,--wenn Eure Majestaet Ihre Regimenter oefter die Garnisonen
wechseln liessen, so wuerde so etwas nicht vorkommen."

"Wir wollen darueber nachdenken," sagte der Kaiser, sich zum Marschall
Leboeuf wendend. "Wo sind denn besonders Stimmen mit Nein abgegeben
worden," fragte er, augenscheinlich noch immer sehr peinlich durch die
Mittheilung des Marschalls beruehrt.

"Vor allen Dingen hier in Paris," erwiderte der Marschall Leboeuf,
"bei dem siebenzehnten Jaegerbataillon und dem siebenzehnten
Linienregiment.--In der Kaserne Prinz Eugene," fuhr er fort, "hatte
sich, wie man mir meldete, die Garnison bei der Abstimmung in zwei, fast
ganz gleiche Theile gespalten. Ich bin selbst dorthin gegangen, habe die
Truppen antreten lassen und eine Ansprache an sie gehalten, in welcher
ich ihnen auseinandersetzte, dass gerade in diesem Augenblick, in
welchem die Revolution es versucht habe, die bestehende Staatsordnung
umzustuerzen, die feste Treue der Armee gegen den Kaiser eine hohe
patriotische Pflicht sei."

"Und," fragte der Kaiser.

"Ein einstimmiges, laut schallendes Vive l'Empereur war die Antwort,"
erwiderte der Marschall. "Ich glaube," fuhr er fort, "dass bei dem
negativen Votum der einzelnen Soldaten mehr der Reiz massgebend gewesen
ist, einmal ungestraft und unbeengt durch Disciplinarvorschriften ein
wenig Opposition machen koennen. Ich glaube aber nicht, dass diese
Opposition gefaehrlich ist, und dass irgend ein Theil der Armee es an
Energie in der Bekaempfung der Revolution fehlen lassen wuerde, wenn es
jemals dazu kaeme."

Der Kaiser dachte einen Augenblick nach.

"Der Faubourg du Temple ist unruhig, wie Sie mir heute gemeldet haben,"
sagte er zu Pietri gewendet.

"Zu Befehl, Majestaet," erwiderte dieser. "Es finden dort
Zusammenrottungen statt. Bis jetzt ist noch nichts Ernstes geschehen,
als dass einige Laternen umgeworfen wurden, indessen ist zu besorgen, dass
mit dem Eintritt der Dunkelheit dort ernstere Unruhen stattfinden
moechten, und meine Agenten haben mir bereits berichtet, dass
Vorbereitungen zum Barrikadenbau getroffen wurden."

"Commandiren Sie, mein lieber Marschall, das siebenzehnte Jaegerbataillon
und das siebente Linienregiment heute Abend nach dem Faubourg du Temple,
um gegen die Ruhestoerungen, welche man dort versuchen moechte,
einzuschreiten. Ich will den Truppen zeigen, dass ich ihr Recht des
freien Votums achte, und das mein Vertrauen in die Erfuellung ihrer
Dienstpflicht durch den Gebrauch ihres Stimmrechts auch gegen mich nicht
erschuettert werden kann. Nun aber," fuhr er fort, indem er sich in einer
kraeftigeren Bewegung als sonst erhob und den Blick stolz und frei ueber
die in seinem Cabinet befindlichen Personen gleiten liess, "ist es
nothwendig, zu der Verfolgung der Verschwoerer durch die Gerichte
Massregeln zu treffen, um den Staat gegen alle Attentate zu schuetzen,
welche vielleicht dennoch von denen versucht werden koennten, die sich
bisher der Wachsamkeit der Behoerden zu entziehen wussten. Lassen Sie,
mein lieber Marschall," sprach er im festen Ton des Befehls, der keine
Eroerterung und keinen Widerspruch duldet, "die Truppen saemmtlich in den
Kasernen consigniren, die Truppen sollen scharfe Patronen erhalten und
jeden Augenblick marschbereit sein. Commandiren Sie ferner nach allen
oeffentlichen Gebaeuden wenigstens zwei Bataillone, welche vor Allem den
Befehl erhalten muessen, jeden Eintritt unbekannter Personen
zurueckzuweisen und die Keller und Souterrainraeume zu ueberwachen.
Sodann," fuhr er fort, "sollen die Voltigeurs der Garde saemmtlich in die
Gallerien commandirt werden, welche den Pavillon des kaiserlichen
Prinzen mit dem Neubau vereinigen. Ich werde dem General Frossard den
Befehl schicken, dass der Prinz seine Wohnung nicht verlaesst, man koennte
seinen Wagen fuer den Meinigen halten, und er koennte das Opfer eines
gegen mich gerichteten Attentats werden. Das darf nicht geschehen, denn
auf seinem Leben beruht die Zukunft Frankreichs. Jeder Unruhe," fuhr er
immer in demselben festen Ton fort, "welche heute Abend in den Strassen
von Paris stattfinden koennte, soll sofort mit scharfer Waffe und ohne
jede Schonung entgegen getreten werden. Die Corpsfuehrer sind mir
verantwortlich dafuer, dass keine Barricade laenger als eine halbe Stunde
stehen bleibt,--vor Allem," fuegte er noch hinzu, "sollen starke Posten
in das Erdgeschoss des Pavillons des kaiserlichen Prinzen gelegt werden
und Niemand dort zugelassen werden, der sich nicht durch seinen Dienst
oder durch einen besonderen Erlaubnissschein legitimiren kann. Ausserdem
werden Sie, mein lieber Pietri," sagte er, sich an den Polizeipraefecten
wendend, "den Pavillon des Prinzen ringsum mit Ihren zuverlaessigen
Agenten umgeben lassen, mit dem bestimmten Befehl, Niemand die
Annaeherung an denselben zu gestatten."

Herr Ollivier sah ganz erstaunt den Kaiser an, der Ton desselben,
welcher an die Zeit des unumschraenkten persoenlichen Regiments erinnerte,
schien ihn zu befremden.

"Und welche Sicherheitsmassregeln befehlen Eure Majestaet," sagte Herr
Pietri, "fuer den Pavillon de l'Horloge,--fuer Eurer Majestaet eigene
Wohnung?"

"Keine," sagte der Kaiser stolz laechelnd, "ich habe die Pflicht, fuer die
Sicherheit des Staates und des Erben meines Thrones zu sorgen. Was mich
betrifft,--ich vertraue meinem Stern!--Gehen Sie, meine Herren," sagte
er mit freundlicher Wuerde und Hoheit, "und sorgen Sie fuer die puenktliche
Ausfuehrung meiner Befehle. Sie, mein lieber Ollivier, bitte ich, noch zu
bleiben, ich habe noch weiter mit Ihnen zu sprechen."

Der Marschall Leboeuf und Herr Pietri zogen sich zurueck.

"Sie wissen," sagte der Kaiser, als er mit dem Grosssiegelbewahrer
allein war, "dass die Kaiserin nach der Verfassung des Reichs zur
Regentin bestimmt ist, fuer den Fall meiner Abwesenheit oder meines Todes
waehrend der Minderjaehrigkeit des Prinzen. Dieser Beaury ist gefangen,"
fuhr er fort, "aber man koennte einen Zweiten und einen Dritten absenden,
und irgend ein ploetzliches Ereigniss koennte meinem Leben ein Ende
machen."

"Sire," rief Ollivier, die Hand auf die Brust legend, "die Vorsehung
wird verhueten--"

"Ich hoffe das," sagte der Kaiser kalt und ruhig, "indessen muss ich fuer
den Fall eines verhaengnissvollen Ereignisses meine Bestimmung treffen,
als ob es sich um eine dritte Person handelte. Sollte ich," fuhr er
fort, "das Opfer eines Dolches, eines Revolvers oder einer Bombe werden,
so werden Sie unverzueglich die ganze Garnison von Paris unter die Waffen
treten lassen, meinen Sohn zum Kaiser proclamiren und die Truppen ihm
und der Regentin den Eid der Treue schwoeren lassen. Sie werden jeden
Versuch einer Bewegung in der Hauptstadt mit ruecksichtsloser Strenge
niederwerfen und die Regierung genau so fortfuehren, als ob sich Nichts
geaendert habe--Nichts," fuegte er mit einem Anklang leiser Wehmuth hinzu,
"als dass neben dem Namen des Kaisers eine IV statt einer III steht.
Besprechen Sie mir das, geben Sie mir Ihr Wort darauf."

Er streckte Ollivier mit einer Bewegung voll Hoheit und liebenswuerdiger
Herzlichkeit zugleich die Hand hin.

"Ich schwoere es Eurer Majestaet," rief Ollivier mit einer von innerer
Bewegung erstickten Stimme, indem er seine Hand in die des Kaisers
legte.

"So haben wir Vorsorge getroffen," sprach Napoleon im ruhigen, heiteren
Ton weiter, "fuer den Fall eines ungluecklichen Verhaengnisses, jetzt
lassen Sie uns an die Gegenwart und ihre Forderungen herantreten.
Nachdem das Plebiscit dem Kaiserreich von Neuem die feste Grundlage des
Nationalwillens gesichert hat, muessen wir darauf denken, die Regierung,
selbst wenn sie sich in einem provisorischen Stadium befindet, wieder zu
consolidiren. Das Ministerium der auswaertigen Angelegenheiten vor allen
Dingen, welches Sie seit dem Ruecktritt des Grafen Daru mit so grosser
Opferbereitwilligkeit neben der Last aller Ihrer uebrigen Arbeiten
gefuehrt haben, muss, wie es mir scheint, definitiv besetzt werden."

Herr Ollivier schien durch diese Bemerkung des Kaisers nicht besonders
angenehm beruehrt zu werden.

"Es ist mir eine Freude gewesen, meine Arbeitskraft auch in diesem
erhoehten Masse dem Dienste Eurer Majestaet zu widmen. Und bis zu diesem
Augenblick," fuegte er mit einem gewissen selbstbewussten Laecheln hinzu,
"ist mir diese Last nicht zu schwer geworden. Nicht, um mich den
vermehrten Arbeiten zu entziehen, moechte ich Eure Majestaet zur Besetzung
des auswaertigen Portefeuille draengen."

"Ich weiss, mein lieber Minister," sagte der Kaiser verbindlich, "dass Sie
keine Muehe scheuen, und dass Ihre eminente Kraft auch die schwerste Last
leicht zu ertragen im Stande ist. Indessen wird die gesammte politische
Leitung der Regierung Sie in der naechsten Zeit, in welcher alles jetzt
Geschaffene befestigt werden muss, so sehr in Anspruch nehmen, dass ich
nicht die Detailarbeiten Ihnen auch noch aufbuerden moechte. Es kommt
darauf an," fuhr er fort, "einen Minister der auswaertigen
Angelegenheiten zu finden, welcher die fuer den internationalen Verkehr
erforderliche Geschmeidigkeit mit dem festen Willen und der Kraft
vereint, die Wuerde und die Interessen Frankreichs nach aussen hin
energisch zu vertreten, und welcher zugleich mit den Grundsaetzen, nach
welchen Sie zu meiner grossen Freude meine Regierung fuehren, voellig
uebereinstimmt. Ich habe geglaubt, dass Drouyn de L'huys, welcher bereits
mehrere Male die auswaertige Politik Frankreichs gefuehrt hat, im
wesentlichen die erforderlichen Eigenschaften besitzt, es wuerde nur
darauf ankommen, ob Sie glauben, mit demselben in inniger und
aufrichtiger Uebereinstimmung zusammen arbeiten zu koennen."

Herr Ollivier schien noch immer unter dem Eindruck einer gewissen
Verstimmung sich zu befinden.

"Ich achte Herrn Drouyn de L'huys hoch," sagte er mit einiger
Zurueckhaltung, "er ist ein Mann von grosser und ausgedehnter Erfahrung,
von tiefen Kenntnissen und grosser Charakterfestigkeit. Freilich," fuhr
er fort, "sagt man, dass diese Charakterfestigkeit zuweilen ein wenig die
Grenzen des Eigensinns streifen soll,--"

"Man hat nicht ganz Unrecht," fiel Napoleon, leicht das Haupt neigend,
ein. "Indess glaube ich, dass es Ihnen bei Ihrer Gewandtheit, Andere zu
ueberzeugen, nicht schwer werden wuerde"--

Die Fluegel der Thuer des kaiserlichen Cabinets wurden geoeffnet. Der
Huissier meldete die Kaiserin.

Unmittelbar darauf trat Ihre Majestaet schnell ein, ihre Hand leicht auf
den Arm des kaiserlichen Prinzen gelegt. Das schoene Gesicht der Kaiserin
leuchtete vor freudiger, innerer Erregung, ihre Augen strahlten, ein
triumphirendes Laecheln lag auf ihren Lippen, hoch und stolz trug sie das
Haupt auf dem wunderbar schoenen, schlanken Halse.

Der kaiserliche Prinz war damals vierzehn Jahre alt, seine Gestalt war
schlank und schmaechtig, seine Haltung elegant und sicher, sein bleiches
Gesicht mit dem dichten, dunkel glaenzenden Haar, schien aelter als seine
Jahre, fruehzeitige koerperliche Leiden hatten ihm einen gewissen Ausdruck
von fast melancholischer Weichheit gegeben. Seine Stirn zeigte eine
auffallende Aehnlichkeit mit derjenigen des Kaisers, waehrend der untere
Theil des Gesichts, die Nase und der Mund lebhaft an seine Mutter
erinnerten. Seine dunklen, sinnigen Augen blickten aufmerksam forschend,
es lag in denselben neben einer gewissen, kindlichen, wohlwollenden
Offenheit, doch auch ein gewisses pruefendes Misstrauen.

Der Prinz trug einen einfachen schwarzen Civilanzug und kuesste, nachdem
die Kaiserin den Kaiser begruesst, mit liebevoller Ehrerbietung die Hand
seines Vaters.

"Ich komme mit unserm Louis," rief die Kaiserin, "um die Erste zu sein,
welche Ihnen zu dem so glaenzenden Ausfall des Plebiscits von ganzem
Herzen Glueck wuenscht, und zugleich," sagte sie, mit anmuthiger Bewegung
sich zu Ollivier wendend, "dem geistvollen und treuen Rathgeber, dessen
eifriger Thaetigkeit wir vor allen Dingen dieses glueckliche Resultat zu
verdanken haben, auch meinen herzlichsten und aufrichtigsten Dank zu
sagen."

Sie reichte Ollivier ihre Hand, auf welche dieser seine Lippen drueckte.

"Es scheint," sagte der Kaiser, "als ob gerade in diesem Augenblick, in
welchem das Glueck uns laechelt, die finsteren Daemonen der Revolution von
Neuem ihr Haupt erheben, hoffentlich zum letzten Mal. Ich habe," fuhr er
fort, "soeben, obgleich mir das gerade in diesem Augenblick mehr als je
widerstrebt, die Befehle zur energischen Verfolgung der Schuldigen
gegeben und zugleich zum Schutz des Staats und der Dynastie die
Voltigeurs der Garde in den Pavillon des Prinzen gelegt. Und Du, mein
lieber Louis," sagte er, leicht mit der Hand ueber das Haar seines Sohnes
streichend, "wirst in den naechsten Tagen Dir gefallen lassen muessen, die
Tuilerien nicht zu verlassen, so lange wenigstens, bis das Complott in
allen seinen Verzweigungen entdeckt und unschaedlich gemacht sein wird."

"Oh, Papa," rief der junge Prinz mit blitzenden Augen, "ich fuerchte mich
nicht, moegen sie nur kommen, ich werde mich zu vertheidigen wissen,
und" fuegte er hinzu, den glaenzenden Blick aufwaerts gerichtet, "Gott wird
nicht erlauben, dass die ruchlosen Plaene dieser Verschwoerer gelingen."

"Ich bin ueberzeugt, dass Du Dich nicht fuerchtest, mein Sohn," sagte der
Kaiser, indem er seinen Blick voll stolzer Freude auf dem Prinzen ruhen
liess--"Du wuerdest sonst nicht im Stande sein, Frankreich zu beherrschen,
aber Dein Leben gehoert der Zukunft Deines Landes, Du darfst es wohl in
der Schlacht fuer die Ehre und den Ruhm Frankreichs einsetzen, aber es
soll nicht die Beute heimtueckischer Meuchelmoerder werden. Wo ist der
General Frossard?" fragte er.

"Der General hat den Prinzen hierher begleitet," erwiderte die Kaiserin,
"er befindet sich im Vorzimmer."

Napoleon oeffnete selbst die Thuer seines Cabinets und rief den General.
Dieser, ein Mann von etwa fuenfzig Jahren mit einem laenglichen, ernst und
streng blickenden Gesicht trat ein und erwartete schweigend die Befehle
des Kaisers.

"Mein lieber General," sagte Napoleon, "ich bitte Sie, dafuer Sorge zu
tragen, dass der Prinz bis auf weitere Befehle sein Zimmer nicht verlaesst,
und dass er keine Audienzen ertheilt, welche ich nicht vorher genehmigt
habe. Gehe mit dem General, mein Sohn," fuhr er fort, dem Prinzen
freundlich auf die Schulter klopfend, "und beschaeftige Dich ein wenig
mit Deinen Studien, ich werde spaeter zu Dir kommen und ein wenig sehen,
was Du treibst."

Der Prinz zoegerte einen Augenblick, ein leichter Anflug von Unmuth
erschien auf seinem Gesicht, er kuesste die Hand seines Vaters, umarmte
zaertlich die Kaiserin und verliess, vom General Frossard gefolgt, das
Cabinet.

"Ich habe soeben einen Brief von Gramont erhalten," sagte die
Kaiserin--"er sendet uns seine aufrichtigsten Wuensche fuer den
gluecklichen Ausfall des Plebiscits und ist entzueckt ueber die ersten
Nachrichten, welche der Telegraph nach Wien gebracht hat, und welche
bereits erwarten lassen, was sich inzwischen vollzogen hat. Ich wuerde
Dir den Brief vorlesen," sagte sie mit einem laechelnden Seitenblick auf
Ollivier, "wenn ich nicht fuerchten muesste, den Herrn Grosssiegelbewahrer
in Verlegenheit zu setzen. Der Herzog ist in der That einer seiner
gluehendsten Bewunderer, er preist Frankreich und das Kaiserreich
gluecklich, einen solchen Mann zu den ihrigen zu zaehlen.

Es ist nur zu bedauern," fuegte sie mit einem leichten Seufzer hinzu,
"dass der Herzog so fern von hier auf entlegenem Posten in Wien sich
befindet, er waere ein vortrefflicher Bundesgenosse des Herrn Ollivier,
er wuerde keinen anderen Ehrgeiz haben, als dessen Leitung zu folgen und
mit seinem Eifer und seiner Energie die Ideen auszufuehren, an denen
dieser so reich und so fruchtbar ist," sagte sie, mit einem reizenden
Laecheln sich gegen den Justizminister verbeugend, der einen schnellen,
forschenden Blick auf den Kaiser richtete.

Napoleon hatte den Kopf ein wenig niedergesenkt, sein verschleierter
Blick richtete sich ausdruckslos zu Boden.

"Euer Majestaet hatten so eben die Gnade," sagte Ollivier, indem er sich
halb zur Kaisern wendete, "mit mir ueber die Besetzung des auswaertigen
Ministeriums zu sprechen und den Namen des Herrn Drouyn de L'huys zu
nennen"--ein finsterer Schatten flog einen Augenblick ueber die Zuege der
Kaiserin, aber unmittelbar nahmen dieselben wieder ihren ruhig
laechelnden, fast gleichgueltigen Ausdruck an.

"Drouyn de L'huys," sagte sie, "wuerde reiche Erfahrungen fuer diesen
Posten mitbringen,--er ist ja auch, so weit ich davon gehoert habe, im
Ganzen vollkommen einverstanden mit der gegenwaertigen Richtung der
Regierung. Ich bedaure nur Herrn Ollivier," fuegte sie in heiterem Tone
hinzu, "er wird ein wenig Muehe haben, mit Herrn Drouyn de L'huys fertig
zu werden, derselbe haelt viel auf seinen eigenen Willen. Aber," sagte
sie, "es wird ja am Ende nicht schwer sein, sich ihm zu accommodiren, er
ist ein Mann von vielem Geist und so viel aelter als Herr Ollivier--"

Sie schwieg abbrechend.

Der Justizminister schien einen Augenblick mit seinen Gedanken
beschaeftigt, dann wandte er sich, wie einem schnellen Entschluss folgend,
zum Kaiser und sagte:

"Ich habe Eure Majestaet, vorhin die Meinung ausgesprochen, welche ich
ueber Herrn Drouyn de L'huys hege. Ich kann indess eine Bemerkung nicht
unterdruecken, welche ein wenig gegen die Uebertragung des auswaertigen
Ministeriums an ihn sprechen moechte. Herr Drouyn de L'huys gilt in Folge
der Verhaeltnisse, unter denen er das Portefeuille im Jahre 1866
abgegeben, fuer einen grossen Gegner Preussens und fuer einen Fuersprecher
kriegerischer Unternehmungen."

"Drouyn de L'huys will durchaus den Frieden aufrecht erhalten wissen,"
sagte der Kaiser schnell.

Der Blick der Kaiserin flammte auf, sie machte eine leichte Wendung und
fuehrte einen Augenblick ihr Taschentuch an die Lippen.

"Ich glaube, dass Herr Drouyn de L'huys den Frieden will," erwiderte
Ollivier, "indessen die Welt und namentlich das Ausland glaubt einmal
das Gegentheil von ihm, es waere vielleicht zu befuerchten, dass seine
Ernennung von den fremden Maechten, in's Besondere von dem Berliner
Cabinet mit Misstrauen aufgenommen werden moechte, und in diesem
Augenblick, in welchem wir so sehr mit den inneren Fragen beschaeftigt
sind, wuerde eine Truebung der auswaertigen Beziehungen die Erfuellung der
Aufgaben, welche wir dem Willen Eurer Majestaet gemaess uns gesteckt haben,
sehr erschweren. Es waere vielleicht gut, das auswaertige Ministerium
einem Manne zu uebertragen, welcher seit laengerer Zeit dem Mittelpunkt
der Politik fern gestanden hat, und aus dessen Vergangenheit man keine
beunruhigenden Schluesse zu ziehen im Stande ist. Ihre Majestaet die
Kaiserin," fuhr er fort, "hatten so eben die Guete gehabt, mitzutheilen,
dass der Herzog von Gramont sehr freundliche Gesinnungen fuer meine
geringe Person hegt. Ich bin gewiss, Eure Majestaet wissen, dass ich weit
davon entfernt bin, mich durch persoenliche Eindruecke leiten zu lassen,
um so mehr als ich in diesem Falle glaube, dass die Sympathie des
Herzogs von Gramont vor allen Dingen den Prinzipien gilt, welche ich in
Uebereinstimmung mit Eurer Majestaet auszufuehren unternommen habe, und in
dieser Beziehung wuerde ich allerdings ein Zusammenwirken mit einem
Manne, der vollstaendig von denselben Grundsaetzen durchdrungen ist, nur
fuer sehr nuetzlich halten koennen."

"Wuerden Sie nicht," fragte die Kaiserin laechelnd,--"Sie, der buergerliche
Stoiker, Scheu haben, durch den Herzog von Gramont sich dem Faubourg St.
Germain zu sehr zu naehern?"

"Ich achte alle Klassen der Gesellschaft," sagte Ollivier in
pathetischem Ton, "wenn sie sich den Ideen, welche den Staat in unseren
Tagen leiten muessen, unterwerfen, und wenn der alte historische Adel
Frankreichs sich entschliessen koennte, den Wegen des Kaisers und seiner
Regierung zu folgen, so wuerde die ganze Nation dabei gewinnen."

"Sie nehmen die Sache ernst", sagte die Kaiserin leicht hin--"ich habe
gar keine Ansicht aussprechen und am wenigsten den Erwaegungen vorgreifen
wollen."

"Die Andeutungen Eurer Majestaet," sagte Ollivier, waehrend der Kaiser
fortwaehrend unbeweglich schwieg, "verdienen indess die hoechste Beachtung
und vielleicht hat--Euer Majestaet verzeihen mir," fuegte er, sich leicht
verneigend hinzu, "hier der weibliche Instinct schneller das Richtige
getroffen, als es die ernsthaftesten und tiefsten Erwaegungen haetten
finden koennen. Je mehr ich darueber nachdenke, um so mehr will es mir
scheinen, als ob der Herzog von Gramont in der That eine sehr geeignete
Persoenlichkeit fuer das auswaertige Ministerium waere."

Der Kaiser stand auf.

"Wir wollen darueber nachdenken," sagte er in einem Tone, der jede
weitere Unterredung darueber abschnitt, "sobald das Plebiscit beendet
sein wird. Fuer jetzt bitte ich Sie," fuhr er zu Ollivier gewendet fort,
"mich zu begleiten, wenn Ihre Zeit es erlaubt, ich will einen Augenblick
auf der Terrasse des Tuileriengartens spazieren gehen."

"Um Gottes Willen," rief die Kaiserin erschrocken, "ganz Paris ist in
unruhiger Bewegung, noch hat man nicht die Tiefe der Beschwoerung
ergruendet, noch sind nicht alle Mitschuldige ermittelt und gefangen--ich
bitte Sie, Louis, setzen Sie Sich einer solchen Gefahr nicht aus! Wie
leicht koennte eine jener entsetzlichen Bomben Sie treffen, bleiben Sie
im reservirten Garten."

Der Kaiser laechelte.

"Sie koennen Sich ueberzeugen, Eugenie," sagte er, "dass ich fuer die
Sicherheit des Prinzen gesorgt habe,--ich selbst will meinen Feinden und
allen Franzosen zeigen, dass wenn es ihnen vielleicht gelingen kann, mich
zu toedten, sie doch nicht dahin kommen werden, mich einzuschuechtern."

Er bewegte schnell die Glocke auf seinem Schreibtisch und nahm seinen
Hut und sein spanisches Rohr. Der Huissier oeffnete die Thuerfluegel. Der
Kaiser gab seiner Gemahlin den Arm und fuehrte sie durch das Vorzimmer,
in welchem der Dienst thuende Adjutant und der Kammerherr der Kaiserin,
wartete, bis zum Eingang zu ihren Appartements.

Dann stuetzte er seinen Arm auf den des Herrn Ollivier, stieg mit ihm die
Treppe herab und schritt langsam nach der reservirten Terrasse des
Tuileriengartens, indem er dem Adjutanten befahl, zurueckzubleiben.

Langsam schritt er unmittelbar an der Rampe dieser Terrasse nach der
Place de la Concorde hin auf und nieder, indem er sich stets so wandte,
dass er an der dem Platze zugekehrten Seite ging.

Bald hatte man ihn erkannt, eine ziemlich dichte Menge sammelte sich
unterhalb der Terrasse an und laute Rufe begruessten den Kaiser.

Napoleon dankte mit der Hand, trat dicht an den Rand der Terrasse und
blickte lange auf die immer mehr anwachsende Menge herab.

"Sie sehen," sagte er laechelnd, sich zu Ollivier wendend, "dass das
Schicksal noch nicht mit mir enden will. Es gehoert wahrlich wenig dazu,
um mich von dort unten her zu treffen."

"Je naeher Euer Majestaet Ihrem Volke treten," sagte Ollivier, "um so
sicherer werden Sie vor allen Angriffen sein--auch ich gehoerte einst zu
Ihren Gegnern; es hat nichts weiter bedurft, als dass Euer Majestaet mir
erlaubten, in Ihre Naehe zu treten, um mich zu Ihrem treuesten und
ergebenden Diener zu machen."

Der Kaiser dankte mit einer leichten Neigung des Hauptes fuer diese in
etwas rhetorischem Tone ausgesprochene Schmeichelei, legte wieder seinen
Arm in den des Ministers und setzte noch eine halbe Stunde lang seinen
Spaziergang fort, indem er mit der ihm eigentuemlichen bezaubernden
Liebenswuerdigkeit von allen moeglichen Dingen plauderte, aber trotz aller
Anspielungen Olliviers es vermied, das Thema der Besetzung des
auswaertigen Ministeriums wieder zu beruehren.




Zweites Capitel.


Es war ungefaehr um die neunte Abendstunde desselben Tages, als der
Geheimsecretair Pietri durch den besonderen Eingang aus seinem Bureau in
das Cabinet des Kaisers trat.

Napoleon sass ernst und gedankenvoll in seinem Lehnstuhl, er trug den
Campagneueberrock der Generalsuniform und rauchte eine jener kleinen
Cigarretten von tuerkischem Taback, welche er sich selbst bereitete,
traeumerisch den kleinen Rauchwolken nachblickend, welche durch das von
einer grossen, auf dem Schreibtisch stehenden Lampe nur matt erleuchtete
Zimmer dahinzogen.

Er richtete sich beim Eintritt Pietris leicht empor und sagte, indem er
seinen Vertrauten mit freundlichem Laecheln gruesste.

"Haben Sie nach der Rue de Bondy gesendet?"

"Zu Befehl, Majestaet," erwiderte Herr Pietri, "die Dame ist hier und
wartet in meinem Zimmer."

Der Kaiser stand auf.

"Es waere doch wohl besser gewesen, unerkannt dort hinzugehen. Ich
erleichtere ihr Metier zu sehr, wenn sie weiss, mit wem sie es zu thun
hat."

"Aber, Sire," sagte Pietri, "in diesen Tagen in jene Gegenden sich zu
begeben, das waere nicht mehr Verachtung der Gefahr, das waere
Tollkuehnheit, und wenn Euer Majestaet dort erkannt worden waeren, wenn
irgend ein Unglueck sich ereignet haette, so wuerde man mit Recht ein
solches Unternehmen als verbrecherisch verurtheilen."

"Sie haben vielleicht Recht," sagte der Kaiser--

--"auch kann man ja hier die Allwissenheit der Priesterin des Pietismus
pruefen, lassen Sie die Dame kommen--Mademoiselle--?" versetzte er
fragend.

"Mademoiselle Lesueur," erwiderte Pietri.

Der Kaiser nickte mit dem Kopfe.

Pietri ging hinaus und fuehrte nach wenigen Augenblicken durch die
Portiere eine junge Dame von achtzehn bis neunzehn Jahren in das
Cabinet, waehrend er selbst einen ganz einfachen Tisch von leichtem
unpolirten Holz in der Hand trug und in die Mitte des Zimmers
niedersetzte.

Der Kaiser gruesste die junge Dame mit verbindlicher Artigkeit und
betrachtete sie mit forschendem Blick.

Mademoiselle Lesueur war eine aeusserst elegante und sympathische
Erscheinung, sie trug ein dunkles, einfaches Seidenkleid um den Hals mit
einer kleinen Spitzenkrause geschlossen. Ihr dunkelbraunes Haar war in
leichten Flechten um den Kopf gewunden, ihr zartes Gesicht dessen
durchsichtige Blaesse von einer feinen Roethe auf den Wangen belebt wurde,
war von klassischer Schoenheit, ihre dunklen Augen mit den auffallend
langen Wimpern waren voll Geist, Lebendigkeit und Sanftmuth zugleich,
und um ihren zierlichen und frischen Mund lag ein Zug von fast
kindlicher Harmlosigkeit und Naivitaet.

Sie verneigte sich ohne alle Befangenheit mit den Manieren der besten
Gesellschaft vor dem Kaiser, welcher ganz erstaunt schien, die beruehmte
Sybille in der Gestalt eines so anmuthigen, jungen Maedchens zu
erblicken.

"Man hat mir viel erzaehlt," sagte der Kaiser, "von der besonderen,
eigentuemlichen Kraft, welche Sie besitzen, das Reich der Geister zu
oeffnen. Und da ich mich fuer alle solche Dinge interessire, durch welche
man versucht, den Schleier der Geheimnisse zu lueften, welche unser Leben
umgeben, so habe ich gewuenscht, eine Probe Ihrer Kunst zu sehen."

"Es macht mich gluecklich," erwiderte Fraeulein Lesueur mit einer ungemein
wohltoenenden, etwas tiefen Stimme, "Euer Majestaet Wunsch zu erfuellen. Es
ist keine geheimnissvolle Kunst dabei," fuhr sie fort, "meine Mutter
hatte die Kraft, durch das Medium dieses kleinen Tisches eine Verbindung
mit dem unsichtbaren Reich der Geister herzustellen. Diese ihre Kraft
ist auf mich uebergegangen, und nach ihrem Tode habe ich es versucht, wie
sie die Geister sprechen zu lassen,--es ist mir in vielen Faellen
gelungen, und ich hoffe, dass es mir auch Euer Majestaet gegenueber
gelingen wird."

"So beginnen wir," sagte der Kaiser.

Pietri stellte zwei Stuehle einander gegenueber an den kleinen Tisch.

Mademoiselle Lesueur setzte sich auf den einen, zog ihre Handschuhe
aus,--legte die Spitzen ihrer zierlichen Finger leicht auf die
Tischplatte und sagte:

"Wollen Euer Majestaet die Gnade haben, mir gegenueber Platz zu nehmen."

Der Kaiser setzte sich mit einem fast unwillkuerlichen Laecheln an die
andere Seite des Tisches.

"Ich bitte Euer Majestaet," sagte Fraeulein Lesueur, "Ihre Haende ebenso
wie ich auf die Platte legen zu wollen."

Der Kaiser that es.

Fraeulein Lesueur schwieg einen Augenblick. Dann schlug sie ihre dunklen
Augen mit schwaermerischem Ausdruck empor und sprach mit halb lauter
Stimme:

"Allmaechtiger, dreieiniger Gott, der Du herrschest auf der Erde, wie in
den Hoehen des Himmels und in den Tiefen der Hoelle, ich bitte Dich den
Geistern, die ich in Deinem Namen rufe, zu erlauben, dass sie aus ihren
Wohnungen herabsteigen und auf meine Fragen antworten, zu verkuendigen,
was sie wissen und was Du ihnen erlaubst, zu sagen."

Der Kaiser hoerte ganz erstaunt diesen im Ton des inbruenstigen Gebets
gesprochenen Worten zu.

"Befehlen Euer Majestaet," sagte die junge Dame sodann, "dass ich einen
bestimmten Geist rufen soll, oder wollen Sie den mir persoenlich
befreundeten Geist hoeren."

Abermals konnte der Kaiser ein leichtes Laecheln nicht unterdruecken.

"Ich bitte Sie zunaechst Ihren Geist kommen zu lassen, Mademoiselle,"
sagte er.

"Es ist der Geist meiner Mutter," erwiderte Mademoiselle Lesueur, "und
er wird sogleich erscheinen."

Sie beugte sich ein wenig nieder und fluesterte eine unverstaendliche
Formel leise vor sich hin.

Wenige Augenblicke darauf begann der Tisch leise zu zittern.

Der Kaiser drueckte die Haende staerker auf die Platte, allein die
unruhige, beinahe wellenfoermige Bewegung des Holzes vermehrte sich immer
mehr und mehr. Nach kurzer Zeit hob sich der Tisch auf der Seite des
Kaisers ein wenig in die Hoehe und blieb in dieser schwebenden Stellung
stehen.

"Der Geist ist da," sagte Mademoiselle Lesueur, "und bereit, Euer
Majestaet zu antworten. Ich bitte, Euer Majestaet, zu fragen,--es ist aber
nicht noethig, dass Sie die Frage aussprechen, Sie koennen Sie in Gedanken
stellen, die Geister haben die Kraft, die Gedanken zu lesen."

Der Kaiser dachte einen Augenblick nach.

"Kann mir der Geist," fragte er, "den Namen nennen, an welchen ich in
diesem Augenblick denke?"

"Wie heisst der Name?" fragte Mademoiselle Lesueur mit gesenktem Haupt
und leiser Stimme.

Der Tisch setzte sich sogleich in eine lebhafte Bewegung. Er schwankte
einige Male stark hin und her, dann senkten sich die beiden erhobenen
Fuesse desselben nieder, und in rascher Folge begann er scharf und
vernehmbar auf das Parquet zu klopfen, immer nach einer gewissen Zahl
von Schlaegen inne haltend.

Mademoiselle Lesueur folgte aufmerksam diesen Schlaegen, mit leiser
Stimme sagte sie: B-e-a-u-r-y.

"Der Name, an den Euer Majestaet gedacht, heisst Beaury," sprach sie dann
ruhig und bestimmt, den Blick fest auf den Kaiser richtend.

Napoleon zuckte zusammen, erschrocken blickte er in das laechelnde
Gesicht der jungen Dame.

"Sie haben Recht," sagte er, "der Geist hat den Namen richtig gelesen."

Er bog sich einen Augenblick zurueck und blickte unter den Tisch, dessen
Fuesse unmittelbar an der Platte befestigt waren.

Die vier Fuesse standen vollkommen frei, auf dem Boden, Mademoiselle
Lesueur etwas vorgebeugt, sass so weit zurueck, dass nicht einmal der Saum
ihres Kleides die Fuesse des Tisches beruehrte.

Der Kaiser schuettelte den Kopf und legte die Haende wieder auf den Tisch.

"Da Ihr Geist," sagte er, "den Namen gelesen hat, an welchen ich
gedacht, so wird er mir auch eine andere Frage beantworten koennen,
welche sich an diesen Namen knuepft."

"Ich bitte Euer Majestaet," sagte Mademoiselle Lesueur, "die Frage in
Ihren Gedanken zu formuliren--"

Abermals begann der Tisch zu schwingen und zu zittern, diesmal staerker
als vorher.

Nach kurzer Zeit schlugen die Fuesse abermals regelmaessig und schnell
hinter einander auf das Parquet.

"Wollen Sie die Guete haben, zu schreiben," sagte Mademoiselle Lesueur,
sich zu Pietri wendend, welcher schnell ein Blatt Papier und einen
Bleistift nahm und die Buchstaben notirte, welche Mademoiselle Lesueur
in schneller Folge ihm sagte.

Der Tisch hielt an.

"Wollen Sie die Antwort lesen," sagte die junge Dame, zu Herrn Pietri
gewendet.

Pietri las.

"Der Kaiser wird ruhig im Kreise der Seinen sterben, keine Waffe weder
in der Schlacht noch in der Hand des Meuchelmoerders wird seinem Leben
Gefahr bringen."

"Diese Antwort passt allerdings auf meine Frage," sagte der Kaiser, "aber
sagt sie die Wahrheit?"

"Es steht Eurer Majestaet frei, zu glauben oder nicht," erwiderte
Mademoiselle Lesueur, "ich fuer meine Person bin davon ueberzeugt, dass die
Geister die Wahrheit sagen, wenn sie sie kennen--sie sind nicht
allwissend--das ist Gott allein--aber sie wissen viel, und namentlich
ist ihnen die Macht gegeben, das Schicksal derer zu lesen, mit denen
ihre koerperliche Huelle einst durch die Bande des Blutes verbunden war.

"Noch eine Frage," sagte der Kaiser, "wer ist mein bester Freund?"

"Euer Majestaet haetten nicht noethig gehabt, die Frage auszusprechen,"
sagte Mademoiselle Lesueur.

Der Tisch begann seine Schwingungen, die Schlaege ertoenten auf dem Boden.

Mademoiselle Lesueur fluesterte die Buchstaben vor sich hin, dann sagte
sie.

"Die Antwort des Geistes heisst: Napoleon."

Der Kaiser liess den Kopf auf die Brust sinken, in tiefem Schweigen sass
er einen Augenblick da.

"Der Geist hat Rechte," sagte er halblaut, "Niemand ist der Freund eines
Souverains, als er selbst, und aus mir allein muss ich die Entschluesse
schoepfen, in mir allein die Kraft suchen, zu erfuellen, was ich mir
vorgesteckt."

"Doch," rief er, indem er den brennend aus den Schleiern seiner
Augenlider hervortretenden Blick auf Mademoiselle Lesueur richtete,
"kann Ihr Geist mir sagen, wer mein groesster und gefaehrlichster Feind
ist?"

Abermals bewegte sich der Tisch und Mademoiselle Lesueur buchstabirte:

"Orleans."

"Wunderbar," rief der Kaiser, indem er finster vor sich niederblickte.
"Es ist, als ob der Geist in den schwarzen Gedanken lesen koennte, welche
Tag und Nacht auf dem Grunde meiner Seele einher ziehen," fluesterte er
leise vor sich hin. "Noch eins," fragte er dann laut, "kann mir Ihr
Geist den Namen nennen, welcher bestimmt ist, die Stelle auszufuellen,
ueber welche ich in diesem Augenblick nachdenke."

Das Spiel des Tisches begann wieder, und Mademoiselle Lesueur sagte, die
einzelnen Buchstaben verfolgend:

"Gramont."

Betroffen zuckte der Kaiser zusammen.

"Sind Sie schon einmal hier in den Tuilerien gewesen," fragte er rasch.
"Haben Sie irgend Jemand aus dem Schlosse gesprochen? Ich bitte Sie, mir
die Wahrheit zu sagen,--die zu erfahren ich in jedem Fall im Stande
bin," fuegte er in strengem Tone hinzu.

"Ich war niemals hier im Schlosse," sagte Mademoiselle Lesueur mit
offenem, freiem Blick und unbefangenem Laecheln, "ich habe Niemanden von
hier jemals gesehen, bis dieser Herr hier," sie deutete auf Pietri,
"heute zu mir kam und mich ersuchte, ihm hierher zu folgen."

"Seltsam--sehr seltsam" sagte der Kaiser, augenscheinlich tief bewegt
durch die Antworten, welche er erhalten.

"Sie haben mir vorhin gesagt, sprach er dann--ein wenig zoegernd, indem
er die junge Dame scharf anblickte, dass die Geister besonders klar ueber
das Schicksal derjenigen zu antworten im Stande sind, mit denen sie
durch besonders nahe Bande verbunden sind?"--

"So ist es, Sire," erwiderte Mademoiselle Lesueur.--"Der Geist meiner
Mutter sieht in allen Dingen, die mich betreffen, klarer als in den
Angelegenheiten ueber welche andere Personen Fragen stellen."

"Koennen Sie einen Geist citiren," fragte der Kaiser, "den ich Ihnen
bezeichnen wuerde."

"Eure Majestaet haben nicht noethig, den Geist zu nennen," sagte Fraeulein
Lesueur,--"Sie duerfen nur Ihre Gedanken fest auf denselben richten,--das
genuegt."

"Wie kann ich aber wissen, ob wirklich der Geist spricht, den ich zu
hoeren wuensche," fragte der Kaiser.

"Eure Majestaet werden nur noethig haben, ihn nach seinem Namen zu
fragen," erwiderte die junge Dame.

"So beginnen Sie," sagte der Kaiser, indem ein tiefer Ernst sich auf
seine Zuege legte.

"Erlauben Eure Majestaet," sprach die junge Dame, "dass ich zunaechst den
Geist, der Ihnen bisher geantwortet hat, entlasse."

Sie beugte den Kopf nieder und fluesterte eine Zeitlang leise vor sich
hin.

Der Tisch zitterte, hob und senkte sich in leiser Schwankung,--dann
stellte er sich fest auf seine vier Fuesse.

"Nun Sire," sagte Fraeulein Lesueur, "dann bitte ich Eure Majestaet, Ihre
Gedanken sehr scharf auf die Person zu richten, deren Geist Sie zu
citiren wuenschen."

Der Kaiser nickte mit dem Kopf, immer tieferer Ernst erfuellte sein
Gesicht indem er die beiden Haende fest auf den Tisch legte.

Mademoiselle Lesueur sprach ihre leise Formel.

Einige Augenblicke herrschte eine so tiefe Stille im Zimmer, dass man den
Herzschlag der drei anwesenden Personen haette hoeren koennen.

Da krachte es in dem Holz der Tischplatte,--diese Platte schien zu
zucken, hoch richtete sich der Tisch auf der Seite des Kaisers empor und
mit maechtigem hallenden Schlag sank er wieder auf das Parquet nieder.

Der Kaiser fuhr zusammen. Fast schien es als wolle er aufspringen und
seinen Platz verlassen.

"Der Geist ist da und bereit Eurer Majestaet zu antworten," sagte
Mademoiselle Lesueur in ruhigem Tone.

"Will der Geist mir seinen Namen sagen?" fragte der Kaiser.

Der Tisch begann rasch sich zu bewegen,--er schlug auf das
Parquet--Mademoiselle Lesueur zaehlte,--und sagte dann sich gegen den
Kaiser verneigend:

"Der Geist antwortet:

"Napoleon."

Die Bewegung, welche der Kaiser machte indem er den Kopf auf die Brust
sinken liess, war fast eine ehrfurchtsvolle Verneigung.

Er schwieg einige Augenblicke, waehrend Fraeulein Lesueur ihn mit ihren
klaren Augen erwartungsvoll anblickte.

"Will der Geist, wenn er hier anwesend ist, mir eine Frage beantworten?"
sagte er dann mit einer beinahe demuethigen Stimme.

Der Tisch begann sich schnell zu bewegen.

"Schreiben Sie, mein Herr," sagte Mademoiselle Lesueur zu Herrn Pietri
gewendet, und dieser nahm schnell Bleistift und Papier, um die
Buchstaben zu notiren, welche Mademoiselle Lesueur in rascher
Reihenfolge ihm nannte.

"Die Antwort?" rief der Kaiser, als der Tisch mit einem starken Schlage
seine Bewegung beendete.

Herr Pietri las:

"Mir ist nicht vergoennt, auf einzelne kleine Fragen zu antworten;--wer
auf dem Throne von Frankreich sitzt und Napoleon heisst, der sollte nicht
mit vorsichtiger Neugier einzelne Blicke hinter den Schleier zu werfen
suchen, welcher die Zukunft verhuellt,--er sollte mit kuehner Hand diesen
Schleier selbst heben, indem er die Zukunft sich nach seinem Willen zu
gestalten zwingt. Denn dem festen und klaren Willen gehoert die Zukunft;
aber frage,--ich werde antworten, soweit es mir erlaubt ist,--wenn Deine
Fragen das Schicksal des Hauses betreffen, das meinen Namen traegt, und
wenn Du keine einzelnen und besonderen Dinge zu wissen verlangst."

Pietri schwieg.

Der Kaiser starrte einen Augenblick vor sich hin,--brennend richtete
sich sein Blick in das Leere,--er schien nach einer sichtbaren Spur des
Geistes zu forschen, dessen Worte ihm dieses ruhige und freundlich
laechelnde junge Maedchen verdollmetschte.

Dann beugte er sich vor, blickte Mademoiselle Lesueur durchdringend an
und oeffnete die Lippen.

"Ich bitte Eure Majestaet, sich erinnern zu wollen," sagte die junge
Dame, "dass es nicht erforderlich ist, die Frage laut zu stellen,--der
Geist kann Ihre Gedanken lesen."

"Gut denn," sagte der Kaiser,--"ich frage."

Und schweigend blickte er voll Spannung auf den Tisch, welcher sich
unter seinen Haenden zu bewegen begann.

Fraeulein Lesueur nannte diesmal schneller als sonst die
Buchstaben--Pietri schrieb.

"Napoleon IV wird Kaiser der Franzosen sein,--er wird neuen Ruhm und
neuen Glanz an den Namen knuepfen, den er traegt."

Der Kaiser athmete tief auf. Es leuchtete wie ein dankbares Gebet aus
seinen Augen, die er mit unbeschreiblich gluecklichem Ausdruck
emporschlug.

Dann rief er mit dumpfem Ton, wie aus den Tiefen seiner Brust heraus:

"O koennte ich wissen, ob dies die Wahrheit ist."

Der Tisch zuckte--er hob sich hoch empor und schlug zweimal schallend
auf den Boden.

"Es ist die Wahrheit Sire," sagte Mademoiselle Lesueur ernst und
ueberzeugungsvoll.

"Werde ich die Armeen Frankreichs noch einmal zum Kriege fuehren muessen?"
fragte der Kaiser schnell.

Der Tisch schlug abermals laut und fest auf.

"Der Geist bejaht die Frage Eurer Majestaet," sagte die junge Dame.

"Und welches wird das Schicksal dieses Krieges sein?" fragte der Kaiser
in athemloser Spannung.

Einige Augenblicke vergingen,--dann bewegte sich der Tisch
wieder,--Pietri schrieb die Buchstaben nieder welche Mademoiselle
Lesueur ihm angab.

"Wie heisst die Antwort?" rief der Kaiser, welcher vergebens versucht
hatte, den schnell gesprochenen Buchstaben zu folgen.

Pietri las:

"Ave Caesar, morituri te salutant!"

Napoleon erbleichte und drueckte die Haende an die Stirn.

"Was ist der Sinn der dunkeln Antwort?" fluesterte er vor sich hin--und
schnell sich aufrichtend fragte er mit lauter dringender Stimme:

"Wird der Todesgruss der Sterbenden dem _siegreichen_ Caesar ertoenen?"

Mehrere Minuten vergingen,--der Tisch blieb unbeweglich.

"Der Geist antwortet nicht mehr," sagte Mademoiselle Lesueur,--"es wuerde
vergeblich sein, ihn weiter zu fragen.--Erlauben Eure Majestaet, dass ich
ihm danke und ihn entlasse?"

Der Kaiser neigte tief sinnend das Haupt.

Mademoiselle Lesueur sprach ihre leise Formel,--der Kaiser faltete die
Haende in andaechtigem Schweigen.

"Wuenschen Eure Majestaet noch eine weitere Citation?" fragte die junge
Dame.

"Ich danke Ihnen, mein Fraeulein," erwiderte Napoleon aufstehend, indem
sein Gesicht wieder seinen gewoehnlichen ruhigen Ausdruck annahm.--"Ihr
Experiment hat mich in hohem Grade interessirt,--ich hatte viel von dem
Spiritismus gehoert,--aber noch nie einen Versuch gesehen, bei welchem so
durchaus kein Apparat angewendet wurde,"--fuegte er mit einem leichten
Laecheln hinzu, das aber mehr verbindlich und artig als ironisch war.

Mademoiselle Lesueur hatte sich erhoben und verneigte sich tief bei den
Worten des Kaisers.

"Ich bin gluecklich, Sire" sagte sie, "dass Eure Majestaet zufrieden sind,
und hoffe,--oder vielmehr,"--fuegte sie mit sicherem Ausdruck hinzu, "ich
bin gewiss, dass Alles Gute, was die Geister Eurer Majestaet verkuendet
haben, sich erfuellen werde."

"Alles Gute?" sprach der Kaiser sinnend--"aber war es gut?--was war
es?--

Morituri te salutant!" fluesterte er leise.

Dann wendete er sich zu Pietri und blickte ihn fragend an.

Dieser reichte ihm ein kleines Etui.

Der Kaiser nahm es und sagte mit liebenswuerdiger Freundlichkeit zu
Mademoiselle Lesueur:

"Erlauben Sie mir, mein Fraeulein, Ihnen ein kleines Erinnerungszeichen
an diese Stunde zu geben,"--er oeffnete das Etui ein wenig,--die Facetten
eines schoenen Solitaers funkelten farbenspielend im Licht der Lampe.

Mit der naiven Freude eines jungen Maedchens ergriff Fraeulein Lesueur den
Ring und indem sie das Regenbogenspiel der Lichtreflexe entzueckt
betrachtete, sagte sie:

"Ich werde Gott unablaessig bitten, dass er alle seine guten Geister zum
Schutz Eurer Majestaet und Frankreichs aussende."

Sie verneigte sich tief vor dem Kaiser und zog sich von Pietri geleitet,
der den kleinen Tisch forttrug, durch die Portiere zurueck, durch welche
sie in das Cabinet eingefuehrt worden war.

Napoleon ging in tiefem Sinnen auf und nieder.

"Giebt es einen Zusammenhang mit jener Welt der abgeschiedenen Geister,"
sprach er leise vor sich hin,--"und kann es ihnen erlaubt sein, auf
irgend welche Weise uns Mittheilungen zu machen ueber das, was ihrem
Blicke sich oeffnet?

"Dieses junge Maedchen scheint aufrichtig von ihrer Sache ueberzeugt,"
sprach er gedankenvoll,--"ich wuesste nicht, wie sie den Tisch in Bewegung
setzen koennte,--und wenn dieses Kind von kaum neunzehn Jahren aus sich
selbst heraus die Antworten auf die Fragen construirt hat, die ich ihr
stellte, so ist sie ein Phaenomen an Menschenkenntniss und Geist!--

"Welch eine treffende Antwort, die mich selbst als meinen besten Freund
bezeichnete,--und wie wahr--alles, was mir feindlich ist, in diesen
einen Namen Orleans zusammenzufassen."

Er ging langsam, die Haende auf dem Ruecken gekreuzt auf und nieder.

"Und Drouyn de L'huys," sagte er kaum hoerbar,--"er war der Freund dieser
Orleans,--er ist es noch--kann jemand mein Freund sein--der zugleich
der Freund meiner Feinde ist?--Gramont" fuhr er fort,--"der Geist
nannte Gramont als den kuenftigen Minister der auswaertigen
Angelegenheiten,--Gramont war Legitimist,--die Legitimitaet hat keine
Moeglichkeit einer Zukunft,--sie ist eine fromme Erinnerung,--eine
Erinnerung, vor der ich selbst hohe Achtung habe, an die ich
anknuepfen,--deren edle Traditionen ich fortsetzen moechte.--

"Seltsam," rief er,--"sehr seltsam ist das Alles,--oder sollte auch hier
eine Intrigue"--

Pietri trat wieder ein.

Der Kaiser naeherte sich ihm; dicht vor ihm stehen bleibend, legte er den
Arm auf seine Schulter und blickte ihn scharf und durchdringend in die
Augen.

"Pietri" sagte er,--"haben Sie mit diesem jungen Maedchen ueber die
Politik--ueber irgend Etwas gesprochen, was auf die gegenwaertige Lage
bezug hat?"

"Sire," erwiderte Pietri in ernstem und traurigem Ton,--"Eure
Majestaet sind zum Misstrauen gegen Jedermann berechtigt, fast
verpflichtet,--dennoch schmerzt mich dasselbe,--ich schwoere Eurer
Majestaet," fuhr er fort, den Blick des Kaisers frei und offen erwidernd,
"dass ich mit Fraeulein Lesueur nichts Anderes gesprochen habe, als was
nothwendig war, um den Auftrag Eurer Majestaet auszurichten und sie
hieher zu fuehren."

"Und was denken Sie davon?" fragte der Kaiser.

Pietri laechelte ein wenig.

"Ich denke, dass dieses junge Maedchen sehr viel Geist hat," erwiderte
er,--"und dass sie manchen Diplomaten in der scharfen Erkenntniss der
Verhaeltnisse beschaemen wuerde."

Der Kaiser schuettelte langsam den Kopf.

"Wie dunkel, wie mystisch die Antworten ueber meine Zukunft waren," sagte
er.--

"Glauben denn Eure Majestaet ernsthaft an solche Dinge?" fragte Pietri.

"Denken Sie sich," erwiderte der Kaiser ernst,--"eine Welt von
Blindgebornen,--wuerde nicht ein Sehender, der unter sie traete, der den
Sinn besaesse, der ihnen allen fehlte, Wunder unter ihnen
verrichten,--wuerde er ihnen nicht als ein uebernatuerlicher Prophet
erscheinen,--oder als ein Narr verlacht werden,--und das bloss weil er
einen Sinn mehr haette als sie und durch diesen Sinn eine Welt wahrnehmen
koennte, welche da ist, welche die andern Alle umgiebt wie ihn,--welche
aber ihrer Wahrnehmung sich entzieht, weil ihnen das Medium dazu
fehlt.--Koennen denn nicht auch uns solche Welten umgeben, fuer welche
unser Organismus keinen Sinn besitzt,--und ist es unmoeglich, dass
Einzelnen dieser Sinn gegeben ist, der sie das erblicken laesst, was uns
verschlossen bleibt und was wir deshalb in selbstgenuegsamer
Beschraenktheit fuer nicht vorhanden erklaeren?"--

"Und wenn dem so waere," sagte Pietri,--"Eure Majestaet koennen mit der
Perspective, welche Fraeulein Lesueur geoeffnet, zufrieden sein--Napoleon
IV wird Kaiser der Franzosen sein--hat sie ihren Geist antworten
lassen,--und" sprach er mit herzlichem und aufrichtigem Tone,--"ich habe
dazu nur den Wunsch hinzuzufuegen, dass das recht spaet und nach einer noch
recht langen und gluecklichen Regierung Eurer Majestaet eintreten moege."

"Nun," rief der Kaiser mit freudigem Ausdruck,--"wenn nur diese
Verkuendigung sich erfuellt, so will ich darauf verzichten, das Dunkel zu
lichten, welches in den Antworten der Geister meine Zukunft
verhuellt,--ein Fuerst darf keine Person sein,--er ist ein Glied in einer
grossen Kette, welche die Epochen der fortschreitenden Weltgeschichte
aneinander knuepft--ob, wann und wie ich untergehe,--was liegt daran,
wenn nur meine Dynastie erhalten bleibt, um die Vergangenheit und die
Zukunft Frankreichs mit einander zu verbinden."

Er schwieg und blickte wie traeumend vor sich hin.

"Gehen Sie zum Prinzen," sagte er dann,--"er soll seine Uniform anlegen
und sich bereit halten, mich zu begleiten. Ich will die Kaiserin
abholen, um jene braven Truppen zu besuchen, welche in den Galerien
Wache halten und die Zukunft Frankreichs beschuetzen."

Pietri eilte hinaus.

Der Kaiser ergriff das rothe goldgestickte Kaeppi der Generalsuniform,
steckte den neben seinem Tische stehenden Degen an und ging, selbst die
Thuer oeffnend, in das Vorzimmer.

Er nahm den Arm des Generals Castelnau, welcher hier, ebenfalls in der
Campagne-Uniform wartete, und schritt mit ihm nach den Appartements der
Kaiserin.

Am Eingang der Gemaecher Ihrer Majestaet oeffnete der Huissier schnell die
Fluegelthueren und eilte den Kaiser ankuendigend durch die Vorzimmer in den
kleinen Salon, in welchem die Kaiserin mit der Baronin de Pierres, der
Vicomtesse Aguado und der Graefin de la Poeze sass.

"Der Kaiser!" rief der Huissier.

Die Damen standen auf, die Kaiserin ging ihrem Gemahl bis zur
Eingangsthuer des Salons entgegen, Napoleon kuesste ihre Hand und gruesste
die Damen verbindlich.

"Sie sind in militaerischer Tenne," fragte Eugenie, erstaunt den Kaiser
und den Grafen Castelnau anblickend,--"zu so spaeter Stunde,--ist denn
etwas Aussergewoehnliches geschehen?" fuegte sie unruhig hinzu,--"sind die
Unruhen in Paris bedenklicher geworden?" "Seien Sie unbesorgt,"
erwiderte der Kaiser laechelnd,--"es ist nichts Besonderes
geschehen,--aber die Truppen sind consignirt--und da muss auch der Kaiser
der Consigne folgen und im Dienst sein,--ausserdem wollte ich mit Ihnen
und Louis die Voltigeurs der Garde besuchen, denen ich die Bewachung der
Tuilerien und den Schutz des kaiserlichen Prinzen anvertraut habe."

Die Kaiserin schlug freudig bewegt die Haende zusammen.

"Das ist ein vortrefflicher Gedanke," rief sie lebhaft, "je fester und
lebendiger wir die Verbindung mit unseren Truppen erhalten, um so
sicherer werden wir ueber alle unsere Feinde triumphiren. Ich bin
sogleich bereit," sagte sie, indem sie sich schnell zu dem Tisch wendete
und eine kleine, goldene Glocke bewegte, welche auf demselben stand.

Eine Kammerfrau trat ein.

Die Kaiserin warf einen raschen Blick auf einen grossen Spiegel, welcher
ihr fast ihre ganze Gestalt zeigte. Sie trug eine einfache Robe von
blauer Seide.

"Bringen Sie mir eine weisse Mantille und ein rothes Band."

Nach wenigen Augenblicken, waehrend welcher der Kaiser sich mit den Damen
seiner Gemahlin unterhielt, erschien die Kammerfrau wieder. Sie trug
eine Mantille von weissem Atlas und ein breites schaerpenartiges Band von
rother Seide.

Die Kaiserin liess die Mantille ueber ihre Schultern legen, naeherte sich
dann der Graefin von Poeze und sagte:

"Wollen Sie die Guete haben, meine liebe Graefin, mir aus diesem Bande
eine grosse Schleife hier zu befestigen."

Sie deutete mit dem Finger auf den Halsausschnitt ihrer Robe.

Die Graefin von Poeze machte mit geschickter Hand eine breite Schleife
mit langen herabhaengenden Enden und befestigte sie dann auf der Robe der
Kaiserin.

"Jetzt trage ich die Farben Frankreichs," rief Eugenie mit einem Blick
auf den Spiegel, "lassen Sie uns gehen," fuhr sie zum Kaiser gewendet
fort.

"Sie werden," sagte Napoleon, indem er seiner Gemahlin den Arm reichte,
"diese Farben ebenso unwiderstehlich machen, wie es die Tapferkeit
unserer Soldaten auf allen Schlachtfeldern gethan hat."

Er ging langsam mit der Kaiserin durch das Vorzimmer und wandte sich
nach dem Pavillon des kaiserlichen Prinzen; der Graf von Castelnau und
die Damen folgten.

Im Vorzimmer seiner Wohnung erwartete der Prinz bereits mit dem General
Frossard seine Eltern. Der Prinz trug die Uniform eines Souslieutenants,
der General Frossord war ebenfalls in Uniform. Der kaiserliche Prinz
trat auf die rechte Seite seines Vaters, der General Frossard schritt
voraus und fuehrte den Kaiser und die Kaiserin nach der unmittelbar an
den Pavillon stossenden Gallerie.

Als die Thuere derselben geoeffnet wurde, bot sich ein wunderbar belebtes
Schauspiel dar,--die weithin ausgedehnten Gallerien strahlten in
hellster Beleuchtung, alle Kerzen auf den Lustres und Wandleuchtern
brannten, der Marmor und die Vergoldungen glaenzten, an den Waenden her
standen kleine, mit weissen Leintuechern bedeckte Tische, auf welchen
kalte Speisen und rothe und weisse Weine in geschliffenen
Crystallcaraffen aufgestellt waren.

An diesen Tischen sassen die Voltigeurs der Garde in vollstaendiger
Feldausruestung, ihre Waffen neben sich, die Kaeppis auf den Koepfen,
essend, trinkend und froehlich plaudernd.

In gewissen Zwischenraeumen befanden sich kleinere elegant servirte
Tische, an welchen die Officiere soupirten.

Als die grosse Eingangsthuer sich oeffnete, und im Rahmen derselben der
Kaiser, die Kaiserin und der kaiserliche Prinz erschienen, erhoben sich
die langen Reihen der Soldaten. Die Officiere eilten rasch heran und im
lauten, einstimmigen Rufen begruesste diese Elite-Truppe den Kaiser.

Napoleon erhob dankend die Hand, die Kaiserin neigte gruessend das Haupt
nach allen Seiten, indem ihr strahlender Blick freudig und stolz ueber
diese muthigen und begeisterten Soldaten hinglitt. Der kaiserliche Prinz
hielt sein Kaeppi in der Hand und verneigte sich ehrerbietig gegen den
Commandeur des Regiments, welcher herantrat, um dem Kaiser zu melden,
das alle Wachen nach seinen Befehlen bezogen worden seien.

"Lassen Sie die Leute haeufig abloesen," sagte der Kaiser, "damit ihnen
der Dienst nicht zu schwer wird und damit sie Gelegenheit finden, sich
hier im Kreise ihrer Kameraden wieder zu erfrischen."

Er trat an den naechsten Tisch, ergriff eines der dort stehenden Glaeser,
fuellte es aus einer Crystallcaraffe mit rothem Wein und rief mit lauter
Stimme:

"Ich trinke auf das Wohl meiner Voltigeurs, auf das Wohl der Garde, auf
das Wohl der ganzen Armee, welche die Bluethe des franzoesischen Volkes
ist!" In raschen Zuegen leerte er das Glas bis auf den letzten Tropfen.

"Es lebe der Kaiser. Es lebe der kaiserliche Prinz!" brauste ihm der Ruf
der Soldaten entgegen.

"Ich danke Euch, meine Tapferen," sagte der Kaiser, als nach einigen
Minuten die Rufe der nahe herandraengenden Soldaten verstummt waren, "ich
kenne Eure Ergebenheit fuer mich, ich weiss, dass Ihr gegen jeden Feind
Frankreich und das Kaiserreich vertheidigen werdet. Frankreich und das
Kaiserreich," fuegte er hinzu, der Kaiserin die Hand reichend, "deren
edle und ruhmvolle Farben meine Gemahlin, die Mutter des kaiserlichen
Prinzen, Eures Kameraden traegt."

"Es lebe die Kaiserin!" riefen die Officiere, und die Soldaten stimmten
in den Ruf ein.

Dann gab Napoleon seiner Gemahlin wieder den Arm, die Officiere
schlossen sich dem Gefolge an und umringten den kaiserlichen Prinzen,
der ganz stolz und freudig in ihrer Mitte dahinschritt. Und so bewegte
sich der Zug langsam durch die weiten Gallerien hin,--oft blieb der
Kaiser stehen und redete diesen oder jenen mit der Tapferkeitsmedaille
und dem Orden der Ehrenlegion decorirten Soldaten an, ihn fragend, wo er
diese Ehrenzeichen erworben habe, und mit liebenswuerdigster Geduld den
zuweilen etwas breiten und ausfuehrlichen Erzaehlungen der Soldaten
zuhoerend. Fast eine Stunde dauerte der Umgang durch die Gallerien, immer
fester wurde der Schritt des Kaisers, immer stolzer sein Blick, immer
willenskraeftiger der Ausdruck seiner Gesichtszuege. Dicht umdraengt von
den Soldaten, gruesste er endlich am Eingang der Gallerie noch einmal.

Ein gewaltiges Vive l'Empereur durchzitterte die weiten Raeume, die
Officiere verabschiedeten sich vom Kaiser, die Thueren schlossen sich,
Napoleon entliess den kaiserlichen Prinzen, welcher sich mit dem General
Frossard in seine Wohnung zurueckzog, und fuehrte dann die Kaiserin nach
ihren Appartements zurueck.

"Wenn Marie Antoinette es verstanden haette," sagte die Kaiserin leise zu
ihrem Gemahl, "die Begeisterung der Soldaten zu erhalten und zu
benutzen, so haette sie niemals den dornenvollen Weg vom Thron zum
Schaffot zu gehen noethig gehabt."

"Man muss aus den Beispielen der Geschichte lernen," erwiderte der
Kaiser, "und die Fehler vermeiden, welche unsere Vorgaenger begangen
haben."

Am Eingang der Appartements der Kaiserin kuesste er seiner Gemahlin die
Hand, gruesste mit artiger Verbeugung die Damen und begab sich mit dem
General Castelnau nach seinem Cabinet zurueck.

Als er dort angekommen war, rief er Pietri.

Der Geheimsecretair trat schnell durch die Portiere, welche der Kaiser
erhoben hatte, in das Cabinet ein.

Napoleon ging einige Augenblicke nachdenkend auf und nieder.

"Schreiben Sie sogleich an Gramont," sagte er dann, "sagen Sie ihm in
kurzen Worten, dass ich entschlossen sei, ihm das Ministerium der
auswaertigen Angelegenheiten zu uebertragen, und dass ich ihn bitte,
sogleich hierher zu kommen. Ich wuensche, dass er vor seiner Abreise sich
noch ausfuehrlich und definitiv mit dem Grafen Beust unterhalte und
dessen Anschauungen ueber die verschiedenen Fragen und Eventualitaeten der
europaeischen Politik moeglichst bestimmt constatire."

Pietri verneigte sich.

"Eure Majestaet sind also entschlossen?" fragte er.

"Ich bin entschlossen," erwiderte der Kaiser,--"legen Sie mir morgen
frueh den Brief zur Unterschrift vor,--jetzt will ich ruhen. Wenn irgend
Etwas Aussergewoehnliches in Paris vorfaellt, soll man mich rufen. Gute
Nacht," sagte er freundlich, indem er Pietri die Hand reichte.

Dann bewegte er die Glocke.

Sein Kammerdiener trat ein, folgte dem Kaiser, welcher sich in sein
Schlafzimmer begab.




Drittes Capitel.


Der junge Cappei hatte sich in den ersten Tagen seines Aufenthalts im
Hause seines Oheims zu Bodenfeld ganz den Erinnerungen seiner Jugend
hingegeben, welche diese Umgebung so lebhaft in ihm erweckte. Er hatte
in liebevoller Pietaet alle die Orte besucht, welche in dem Leben seiner
Kindheit vorzugsweise bedeutungsvoll gewesen waren, und war erstaunt
gewesen, wie klein und einfach ihm diese Plaetze alle erschienen, die
doch in den Bildern seiner Erinnerung so gross und so schoen gewesen
waren. Dennoch aber hatten alle diese Orte auch jetzt noch ihren Zauber
auf ihn ausgeuebt, sie hatten die Empfindungen wieder erregt, welche
seine kindliche Seele einst erfuellten, und welche, wenn sie nach langer
Abwesenheit und selbst im hohen Alter wieder geweckt werden, immer ihre
wunderbare und unvergaengliche Jugendfrische behalten.

Er hatte einzelne seiner alten Gespielen besucht und war der Gegenstand
der Neugier des ganzen Dorfes gewesen, denn die hannoeversche Legion in
Frankreich, von welcher man so wenig regelmaessige und bestimmte
Nachrichten erhielt, war in den Vorstellungen dieser einfachen Bauern
fast zu einer Mythe geworden, von der nur geheimnissvolle und beinahe
maerchenhafte Nachrichten herueber gedrungen waren, ueber welche man nun
von dem in Fleisch und Blut hier erschienenen Mitgliede der Legion
Naeheres zu hoeren hoffte.

Cappei war sehr zurueckhaltend und vorsichtig in seinen Aeusserungen
gewesen und hatte nur das Eine bestimmt bestaetigt, dass Alles zu Ende und
die Sache des Koenigs nunmehr ein fuer allemal aufgegeben sei. Eine
Mittheilung, welche bei den Meisten zwar eine gewisse wehmuethige Trauer,
doch aber auch zu gleicher Zeit ein Gefuehl der Beruhigung verursachte,
denn die das Land durchziehenden Agitatoren hatten selbst in den Kreisen
dieser einfachen Landbevoelkerung eine unbehagliche Unsicherheit erzeugt
und den Wunsch hervorgerufen, dass so oder so nun einmal ein Ende werden
moege, damit man wisse, woran man sei.

Der junge Cappei war mit seinem Oheim dann auf das Feld hinausgegangen,
hatte sich von dem vortrefflichen Zustande der Felder ueberzeugt und
gesehen, dass in den Zeiten seiner Abwesenheit die Wirthschaft bedeutende
Fortschritte gemacht und das Besitzthum einen erhoehten Werth erhalten
habe.

Abends hatte er sich dann zu seiner Mutter und den alten Bauern
hingesetzt und ihnen, die nicht muede wurden, zuzuhoeren, immer von Neuem
von dem Leben in Frankreich erzaehlt--von dem Leben der Offiziere in
Paris, wo er einige Male gewesen war, von dem Leben auf dem Lande, von
den franzoesischen Soldaten, von der franzoesischen Feldwirthschaft. Und
immer hatte er bei diesen Erzaehlungen den einen Punkt umgangen, der sein
Herz erfuellte, der die Neugier seiner Mutter erregte und von dem sein
Oheim in seinem einfachen practischen Sinn nicht das Geringste bemerkte.
Dennoch beschaeftigte gerade dieser Punkt den jungen Mann auf das
Lebhafteste und versetzte sein ganzes inneres Wesen in eine peinliche
und schwankende Unruhe.

Er hatte sich gleich am Tage nach seiner Ankunft unter dem Vorwande sich
nach Mittag auszuruhen, in seinem Zimmer eingeschlossen und mit grosser
Muehe einen nicht immer ganz orthographisch gehaltenen Brief an Fraeulein
Luise Challier geschrieben, um ihr seine glueckliche Ankunft in der
Heimath anzuzeigen und ihr zu sagen, dass er mit aller Liebe seines
Herzens ihrer gedaechte und mit heisser Sehnsucht den Tag erwarte, an
welchem er nach Ordnung seiner Angelegenheiten zu ihr zurueckkehren
wuerde.

Konnte er sich auch ganz gelaeufig muendlich in franzoesischer Sprache
ausdruecken, so fand er seinen Brief, als er ihn geschrieben hatte,
dennoch sehr ungenuegend, sehr kalt und steif, indess er hoffte, dass seine
Geliebte zwischen den Zeilen das Alles lesen wuerde, was der Mangel an
Gewandtheit des Ausdrucks ihn zu sagen verhinderte. Er hatte diese
Hoffnung in einem Postscriptum ausgesprochen, dann seinen Brief
sorgfaeltig verschlossen und sich am Abend mit einiger Muehe von seinem
Oheim und seiner Mutter entfernt, um den Brief in den Kasten der
Landpostexpedition zu werfen, welcher sich an dem Hause des
Gewuerzkraemers des Dorfes befand, wobei er zu seinem Verdruss von mehreren
Bekannten aufgehalten und beobachtet wurde.

Von einem Tage zum andern hatte er sich dann vorgenommen, ueber seine
Liebe und seine Zukunft zunaechst mit seiner Mutter und dann mit seinem
Oheim zu sprechen. Indess immer wieder war er nicht dazu gekommen, immer
wieder waren die Worte auf seinen Lippen stecken geblieben, obgleich er
doch sonst nicht zu denen gehoerte, welche sich scheuen, das
auszusprechen, was sie fuer nothwendig und richtig erkannt haben. Aber er
fuehlte in seinem Innern einen Widerspruch streitender Empfindungen und
sagte sich, dass das, was ihn schmerzlich und peinlich bewegte, seiner
Mutter und seinem Oheim noch viel mehr Kummer bereiten muesste.

Die alte Heimath, diese Erde, auf der er erwachsen war, dieses Haus,
dieser Garten, diese Felder, um welche sich alle seine Erinnerungen
rankten, zogen ihn mit unwiderstehlicher Macht an sich und schmerzlich
schnuerte sich sein Herz bei dem Gedanken zusammen, dass er hierher
zurueckgekehrt sei, nur um das Alles wieder zu verlassen. Es war, als ob
jeder Baum, jede Blume ihn mit stillem Vorwurf anblickte, dass er dies
ihm bestimmte Besitzthum, an welches sein Oheim, um es ihm reicher und
bluehender zu hinterlassen, so viel Muehe und Fleiss gewendet habe, fremden
Haenden ueberlassen solle, um im fernen Lande eine neue Heimath zu suchen.

Auf der andern Seite fuehlte er in der Entfernung noch lebhafter und
maechtiger die Macht der Liebe, welche ihn zu dem jungen Maedchen hinzog,
dessen Umgang seine Verbannung so freundlich verklaert hatte;--wenn er
die Augen schloss, so sah er ihr Bild vor sich in lebendiger Frische, er
sah ihren seelenvollen Blick, es schien ihm, dass sie die Arme
sehnsuechtig nach ihm ausstreckte und ihn fragte, wann er zu ihr
zurueckkehren werde, um sie nicht mehr zu verlassen.

Dieser Kampf zwischen der Anhaenglichkeit an die Heimath und die Liebe
seines Herzens, der sich in seinem Innern bereits so schmerzlich fuehlbar
machte, musste ja viel heftiger und peinlicher die Seele seiner Mutter
bewegen, wenn sie erfahren wuerde, was mit ihrem Sohn vorgegangen und was
fuer Zukunftsplaene er in sich truege; und erst sein Oheim, der alte Mann
mit dem eigenwilligen Bauernsinn, der so fest mit der Scholle verwachsen
war, auf welcher er geboren, die er gepflegt und gehuetet und welche ihm
so reiche und dankbare Frucht fuer seine Muehe und Arbeit gegeben hat. Was
wuerde er sagen bei dem Gedanken seines Neffen, dies Besitzthum, das ein
Theil seines Selbst war, zu verlassen und in der Fremde sich eine
Existenz zu gruenden. Die Grundlage der ganzen Lebensfassung des alten
Bauern war. "Bleibe im Lande und naehre Dich redlich"--schon der Gedanke,
eine Fremde, welche die Sprache der Heimath nicht verstaende, als
Hausfrau in diesen Bauernhof einziehen zu sehen, musste dem Gefuehl des
alten Bauern widersprechen. Was aber sollte er erst sagen, wenn er
erfuehre, dass sein Neffe, den er mit so viel Stolz und Liebe wieder in
den wirtschaftlichen Betrieb einfuehrte, nun um nimmer wiederzukehren,
abermals in die weite Welt hinausziehen wolle.

Alle diese Gedanken versetzten den jungen Mann in eine fieberhafte
Unruhe. Er musste Klarheit in die Verhaeltnisse bringen, er musste das
entscheidende Wort sprechen, und doch wusste er, dass dieses Wort die
beiden Menschen, welche ihm durch die naechsten Bande auf Erden verknuepft
waren, mit Schmerz und Bekuemmerniss erfuellen wuerde.

So hatte er von einem Tage zum andern die Erklaerung hinausgeschoben.
Seine peinliche Unruhe war noch vermehrt worden, als die Zeit
voruebergegangen war, in welcher er eine Antwort auf seinen Brief an
seine Geliebte erwarten konnte, ohne dass eine solche eingetroffen waere.
Mit zitternder Ungeduld sah er dem Landbrieftraeger entgegen, wenn
derselbe erschien, um die wenig zahlreichen Postsendungen an die
Einwohner des Dorfes zu vertheilen. Einige Male hatte er es ueber sich
vermocht, denselben zu fragen, ob er nichts fuer ihn habe, aber immer
hatte er eine verneinende Antwort erhalten und in quaelender Sorge, in
einer steigenden bangen Unruhe fragte er sich, welches der Grund dieses
unerklaerlichen Schweigens seiner Geliebten sein koennte, die doch so fest
versprochen hatte, ihm sogleich zu schreiben, sobald er sie von seiner
Ankunft in der Heimath benachrichtigt haben wuerde. Endlich konnte er
diesen Zustand widerstreitender Gefuehle und quaelender Sorge und Unruhe
nicht laenger ertragen.

Seine Mutter hatte ihn bereits mehrere Male mit freundlicher Theilnahme
gefragt, was ihm fehle und ihn gebeten, es ihr zu sagen, wenn ihn ein
Kummer bedruecke,--er hatte zum zweiten und dritten Male an Luise
geschrieben, sie beschworen, ihm zu antworten oder durch ihren Vater ihm
mitteilen zu lassen, wenn sie krank sei,--aber immer erfolglos. Der alte
Brieftraeger hatte nur immer dieselbe Antwort auf seine Fragen,--dass
nichts fuer ihn angekommen sei.

Eines Morgens war sein Oheim allein auf das Feld gegangen, er war unter
dem Vorwand einer notwendigen haeuslichen Arbeit zu Hause
zurueckgeblieben,--fast aengstlich, mit aehnlichen Gefuehlen, wie einst als
Knabe, wenn er irgend einen Fehltritt einzugestehen hatte, trat er in
das Wohnzimmer, setzte sich neben den Lehnstuhl seiner Mutter und
ergriff die Hand der alten Frau, indem er ihr halb fragend, halb
bittend in die Augen sah, die Worte suchend, um die Gefuehle seines
unruhigen, gedrueckten Herzens auszusprechen.

Die alte Frau sah ihren Sohn freundlich und liebevoll mit ihren grossen,
klaren Augen an. Sie hatte ruhig gewartet, sie wusste, dass der Tag kommen
musste, an welchem sein Herz sich seiner Mutter oeffnen wuerde, die Stunde
war da, sie war bereit, ihn anzuhoeren und sein Vertrauen mit all der
selbstlosen Liebe zu erwidern, an welcher das muetterliche Herz so
unerschoepflich reich ist.

"Meine Mutter," sagte der junge Mann mit leicht zitternder Stimme, "ich
bin ueberaus gluecklich gewesen, dass ich Sie und den Oheim, unser Dorf und
das alte Haus wiedergesehen habe."

Er hielt einen Augenblick inne.

"Und wir nicht minder, mein Sohn," sagte die alte Frau, "dass wir Dich
nach so langer Trennung hier wieder bei uns haben."

Der junge Cappei schwieg einige Augenblicke, indem er sanft die welke
Hand der alten Frau streichelte.

"Ich bin aber doch," sagte er dann, "nicht gluecklich, wie ich es sonst
bei Euch war, ich bin unruhig und habe lange die Gelegenheit gesucht,
mit Euch allein zu sprechen, denn ich muss Euch Alles sagen, bevor ich
mit dem Oheim darueber rede, der gleich so heftig und aufbrausend ist."

Die alte Frau sah ihn mit glaenzenden, liebevollen Blicken an, sie
fuehlte, dass jetzt der Augenblick gekommen sei, in welchem das Raethsel
sich loesen muesse, sie sah die Befangenheit ihres Sohnes mit dem feinen
Tact, welcher das Eigenthum der Frauen aller Staende ist,--sie musste ihm
entgegenkommen.

"Du hast liebe Freunde in Frankreich zurueckgelassen?" sagte sie.

"Ach ja, Mutter," erwiderte er, "sehr liebe Freunde, sie sind Alle immer
so gut gegen mich gewesen, und es wurde mir recht schwer, mich von ihnen
zu trennen," fuegte er seufzend hinzu.

"Sind es bloss Deine Freunde," fragte die Alte mit einem freundlichen,
beinahe neckischen Laecheln, "oder hast Du auch Dein Herz dort gelassen,
hast Du eine Geliebte in dem fernen Lande gefunden,--Du der Du hier so
gleichgueltig gegen die huebschesten Maedchen unseres Dorfes warst?"

Und mit muetterlichem Stolz strich sie das Haar aus der erroethenden Stirn
ihres Sohnes, der halb verlegen, halb gluecklich darueber, dass seine
Mutter ihm auf halbem Wege entgegenkam, zu ihr aufsah.

"Ja," rief er, indem er ihre Hand so heftig drueckte, dass sie leise
zusammenzuckte, "ja, ich habe dort eine Geliebte gefunden, sie ist so
gut und so treu, wie nur irgend ein Maedchen aus der Heimath es sein kann
und dabei ist sie doch so anders wie sie hier sind. Und so schoen,
Mutter, oh, so schoen," rief er schnell aufbringend, die alte Frau
stuermisch umarmend, "so schoen, wenn Sie sie sehen wuerden, Sie wuerden sie
auch lieben, und sie ist so sanft, sie wuerde Ihnen eine zaertliche und
gehorsame Tochter sein,--sie, die selbst keine Mutter mehr hat, bei
ihrem Vater aufgewachsen ist, die leitende Hand der Mutter schmerzlich
entbehrend, wie sie mir so oft gesagt hat."

Die alte Frau ordnete die Baender ihrer Haube, welche durch die
stuermische Umarmung ihres Sohnes etwas zerknittert waren. Mit
freundlichem, zufriedenem Schmunzeln sah sie den gluehend erregten jungen
Mann an und sagte:

"Nun das ist ja eine gute Nachricht, und ich begreife nicht, warum Du
mir das nicht frueher mitgetheilt hast; Du bist ja laengst in dem Alter,
Dich zu verheirathen, Du kannst eine Frau ernaehren,--dass Deine Wahl auf
keine Unwuerdige gefallen, davon bin ich ueberzeugt. Ich werde aelter und
aelter, und der Hof hier bedarf einer jungen und ruestigen Hausfrau."

Ihr Sohn blickte truebe zu Boden.

"Das ist es ja eben, Mutter," sagte er mit leiser Stimme, "was mir so
viele Sorge gemacht und mir so lange den Mund verschlossen hat. Ich
weiss, wie Sie und namentlich der Oheim an dem Hof und an der Heimath
haengen und nun--sehen Sie, meine Braut haengt eben so sehr an ihrer
Heimath, sie ist die einzige Tochter ihres Vaters, die Erbin seines
Geschaefts, eines grossen Holzhandels, und sie wuenscht so dringend, dass
ich zu ihr nach Frankreich kommen moechte, um dort das Geschaeft ihres
Vaters zu uebernehmen und fortzufuehren,--ich habe ihr das auch
versprochen," fuhr er ohne aufzublicken fort,--"als ich bei ihr war,
schien mir das so leicht, und nun ich wieder hierher gekommen bin, nun
ich wieder unter Euch lebe, nun ich wieder den alten Garten und die
alten Felder sehe, da fuehle ich," sagte er mit zitternder Stimme, "wie
schwer es Ihnen werden muesste, mit mir fortzuziehen in ein fremdes Land
oder hier zu bleiben,--durch weite Entfernungen von mir getrennt."

Die Alte sah einen Augenblick schmerzlich bewegt vor sich nieder, sie
strich langsam die Falten ihrer weissen Schuerze glatt, als wolle sie
ihre Gedanken und Gefuehle ordnen und glaetten wie diese Falten. Dann
legte sich ein heiteres und ruhiges Laecheln um ihre Lippen, freundlich,
beinahe stolz und gluecklich sah sie ihren Sohn an und sagte.

"Gott fuegt die Schicksale der Menschen nach seinem Wohlgefallen und hat
schon Manchen aus dem Lande seiner Vaeter fort gefuehrt, um ihn sein Glueck
in der Ferne finden zu lassen. Es steht geschrieben, dass der Mann Vater
und Mutter verlassen wird, um seinem Weibe zu folgen, zu dem sein Herz
ihn hinzieht, aber," fuhr sie fort, ihm die Hand reichend, "Deine Mutter
wird ihren Sohn nicht verlassen, und wenn Du eine alte schwache Frau mit
Dir nehmen willst, die wenn sie nichts mehr fuer Dich thun kann doch Tag
und Nacht fuer Dein Glueck beten wird, so bin ich bereit, mit Dir in die
Ferne zu ziehen, da wo Du gluecklich bist, wo Du Deine Heimath findest,
da werde ich auch in fremder Erde sanft ruhen. Gott segne Dich, mein
Sohn, und Diejenige, zu welcher Dein Herz Dich hinzieht."

"Oh, Mutter," rief der junge Mann, indem er zu den Fuessen der alten Frau
auf die Knie niedersank und wie in der fernen gluecklichen Kinderzeit
sein Haupt auf ihren Schooss legte, "wie danke ich Ihnen fuer dieses
Wort, das eine schwere, schwere Last von meinem Herzen nimmt."

Einige Augenblicke blieb er so schweigend und unbeweglich, waehrend sie
mit den welken, zitternden Haenden ueber sein volles Haar hinstrich. Dann
erhob er den Kopf und sah sie sorgenvoll und fragend an.

"Aber der Oheim," fragte er, "was wird er dazu sagen?"

"Das wird einen harten, schweren Kampf kosten," sagte die alte Frau, den
Kopf schuettelnd, "er wird sich so leicht nicht von hier trennen und so
leicht auch nicht damit einverstanden sein, dass Du die alte Heimath
verlaessst--aber," sagte sie dann laechelnd nach einigen Augenblicken des
Nachdenkens, "der Oheim hat ein gutes, weiches Herz, er liebt Dich wie
seinen eigenen Sohn, und wenn er sich ueberzeugt, dass diese Verbindung
Dein Glueck ist, so wird auch er zuletzt seine Zustimmung nicht versagen.
Lass mich das nur machen, sage Du ihm nichts, ich verstehe ihn zu
behandeln, wenn er sieht, das es Dein Ernst ist, so wird er die Reise
nicht scheuen, um sich selbst von Allem zu ueberzeugen, und wenn sich
Alles gut fuegt, so koennt Ihr ihn ja jedes Jahr hier besuchen, so lange
er noch die Kraft hat, seine Wirtschaft zu fuehren--wer weiss, ob er sich
dann nicht auch entschliesst, die Menschen und die lebendige Liebe seiner
Kinder hoeher zu stellen, als dieses Haus, und diesen Hof. Wenn er auch
Alles aeusserlich ruhig hinnimmt und wenig spricht, so weiss ich doch, dass
die neuen Verhaeltnisse hier im Lande ihm wehe thun und ihm den
Aufenthalt hier verleiden. Ueberlass das der Zeit, mein Sohn, und dem
lieben Gott, der Alles nach seiner Weisheit fuegen wird. Zuerst aber lass
mich die Sache dem Oheim mittheilen, ich werde den ersten Sturm seiner
Heftigkeit schon auszuhalten wissen."

"Doch nun, Mutter," sagte der junge Mann, indem ein Ausdruck tiefer
Traurigkeit auf seinem Gesicht erschien, "muss ich Euch noch etwas sagen,
das mir vielen Kummer macht, so grosse Hoffnungen mir auch Eure
liebevollen und freundlichen Worte gegeben haben,--ich habe," fuhr er
fort, "gleich nach meiner Ankunft hier an meine Braut geschrieben,--ich
habe nochmal und nochmal geschrieben, aber bis jetzt habe ich keine
Antwort erhalten,--und sie muss doch wissen, wie sehr ich mich nach einem
Lebenszeichen, nach einem Gruss von ihr sehne, und waere es nur eine
Zeile, nur ein Wort, das mir eine Botschaft ihrer Liebe braechte--aber
nichts, gar nichts,"--sagte er mit schmerzlich zitternder Stimme. "Was
kann das bedeuten, ich habe sie gebeten, wenn sie krank waere, mir durch
ihren Vater Nachricht geben zu lassen,--ich weiss nicht, was ich davon
sagen soll," fuegte er traurig den Kopf schuettelnd hinzu.

"Bist Du der Liebe Deiner Erwaehlten ganz sicher," fragte die Alte,
"kannst Du ihrer Treue und Bestaendigkeit vertrauen,--oder kannst Du Dir
irgend eine Veranlassung denken, durch welche sie verhindert sein
koennte, Dir Nachricht zu geben."

"Oh," rief der junge Mann mit lauter Stimme, den Blick voll gluehender
Begeisterung auf seine Mutter richtend, "ich bin ihrer sicher, wie
meiner selbst! Sie ist treu wie Gold, auf ihr Wort wuerde ich Haeuser
bauen. Auch kann keine aeussere Veranlassung sie abhalten,--ich habe mit
ihrem Vater gesprochen, er hat unserer Verbindung seinen Segen gegeben,
sie konnte offen und ohne Scheu an mich schreiben und dennoch, dennoch,"
sagte er, wieder finster zu Boden blickend, "keine Nachricht trotz aller
meiner Bitten, keine Antwort,--oh, es muss ein grosses Unglueck geschehen
sein, sie muss sehr krank oder todt sein, und ihr Vater wagt es nicht,
mir diese schmerzvolle Nachricht zu geben."

"Sei ruhig, mein Sohn" sagte die Alte, "bei einer so weiten Entfernung
kann ja alles Moegliche geschehen, wie leicht kann ein Brief verloren
gehen--Alles wird sich aufklaeren,--sei ruhig,--wenn Du sie kennst und
ihres Herzens sicher bist, so darfst Du Dich nicht in unnuetzer Unruhe
aufregen. Du hast ja jetzt mich, Deine Mutter, in deren Herz Du alle
Deine Sorgen ausschuetten kannst. Lass mich erst mit Deinem Oheim
sprechen. Vielleicht," sagte sie, wie von einem Gedanken erfasst,
"erwartet ihr Vater erst die bestimmte Mittheilung von der Einwilligung
Deiner Angehoerigen, bevor er ihr erlaubt, zu schreiben,--ja, ja," sagte
sie, "so wird es sein; und ich muss sagen," fuhr sie immer
zuversichtlicher und heiterer fort, "ich wuerde ihrem Vater ganz Recht
geben,--er weiss ja nichts von Deiner Familie, und Du hast ihm auch noch
nicht sagen koennen, dass dieselbe mit Deiner Wahl einverstanden ist."

"Ja" sagte der junge Mann sinnend, "so koennte es sein--das waere
moeglich"--und wie getroestet durch den von seiner Mutter angeregten
Gedanken, richtete er sich empor und ging einige Male im Zimmer auf und
nieder.

"Ich will es Ihnen ganz ueberlassen, Mutter," sagte er dann, "mit dem
Oheim zu sprechen. Ich weiss ja, Sie werden es viel besser und
geschickter machen, als ich,--aber nun erlauben Sie mir auch, meiner
Geliebten sogleich zu schreiben, dass Sie wenigstens mit meiner Wahl
einverstanden sind. Und nicht wahr," fuegte er schmeichelnd ueber das
Gesicht der alten Frau streichelnd, hinzu, "Sie werden einige
freundliche Worte unter meinen Brief schreiben--sie versteht zwar nicht
deutsch, aber sie wird schon Jemanden finden, der ihr das uebersetzt, und
dann wird ihr Vater sehen, dass auch hier Alles in Ordnung ist, und wird
ihr erlauben, mir zu antworten."

Die alte Frau versprach ihm laechelnd, seiner Geliebten zu schreiben, und
dann setzte er sich zu ihr und plauderte lange mit ihr, und er erzaehlte
von seiner Geliebten, ihren schoenen treuen Augen--ihrer suessen Stimme,
von dem alten Hause in St. Dizier, von den kreidereichen Weinbergen der
Champagne und von den gruenen Ufern der Marne,--er malte ihr so
glueckliche freundliche Bilder der Zukunft aus, wie sie dort bei ihm
leben wuerde, wie seine Luise sie pflegen und wie sie dann die kleinen
Enkel hueten und erziehen wuerde, dass die alte Frau ganz selig und stolz
sich mit ihm in diese lieblichen Zukunftstraeume vertiefte.

       *       *       *       *       *

Wieder waren dann mehrere Wochen vergangen, er hatte seinen Brief mit
der Nachschrift seiner Mutter abgesendet.

Die Alte hatte dann mit ihrem Bruder ueber die Sache gesprochen. Es
hatte einen grossen Sturm gegeben. Der alte Niemeyer war einige Tage in
finsterm Brueten schweigend einher gegangen, dann hatte er heftig
gescholten ueber junge Leute, die auf Abenteuer hinauszoegen in ferne
Laender und den Sinn und die Liebe fuer die Heimath verloeren,--der junge
Cappei hatte, dem Rath und dem Wink seiner Mutter folgend, das Alles
schweigend und ohne Erwiderung mit angehoert; er hatte Abends die beiden
alten Leute allein gelassen, und dann hatte seine Mutter in ihrer Weise
mit ihrem Bruder gesprochen, sicher dass trotz seines Scheltens und
Grollens ihre Worte den Weg zu seinem Herzen fanden. Endlich hatte er
seinen Neffen gerufen, ihn ausfuehrlich und scharf inquirirt ueber die
Familie seiner Geliebten, ueber das Geschaeft und Vermoegen ihres Vaters,
und die klaren, scharfen und bestimmten Antworten des jungen Mannes,
welche ihm ueber das Alles so befriedigende Auskunft gaben, hatten
augenscheinlich dazu beigetragen, ihn zu beruhigen und ihn die ganze
Sache in einem freundlicheren und milderen Licht ansehen zu lassen.

Dann als nochmals einige Tage vergangen waren, hatte er allmaehlig
angefangen,--wenn auch noch immer murrend und scheltend,--ueber die
Zukunftsplaene des jungen Mannes zu sprechen. Er hatte sogar die Absicht
angedeutet, trotz seines Alters und seiner Schwerfaelligkeit, die Reise
nach Frankreich zu machen und mit dem alten Herrn Challier, vor dessen
ausgedehntem Geschaeft ihm die Mittheilungen seines Neffen einen grossen
Respect eingefloesst hatten, selbst ueber die Angelegenheit sich zu
berathen.

So weit war Alles gut, und die alte Frau lebte und webte schon in dem
Gedanken an die glueckliche Zukunft ihres Sohnes und ihrer kuenftigen
Schwiegertochter, welche sie bereits mit aller muetterlichen Zaertlichkeit
liebte, obgleich sie sie nie gesehen.

Aber der junge Cappei wurde immer ernster und trauriger, denn auch auf
den Brief, welchen er mit der Unterschrift seiner Mutter abgesandt
hatte, war keine Antwort erfolgt, und mit jedem Tage wurde die Qual des
dumpfen Wartens angstvoller und peinlicher, und immer tiefer schnitten
die misstrauischen Fragen seines Oheims in sein von banger Unruhe
gequaeltes Herz.

Endlich konnte er diesen Zustand nicht laenger ertragen, und er kuendigte
den beiden alten Leuten seinen Entschluss an, selbst nach Frankreich zu
reisen und den Grund dieses unerklaerlichen Schweigens zu erforschen.
Seine Mutter billigte den Entschluss, denn das Leiden ihres Sohnes
erfuellte sie mit tiefem Mitgefuehl,--auch der alte Niemeyer hatte nichts
dagegen einzuwenden, sein practischer Sinn verlangte eine Abaenderung
dieses Zustandes der Ungewissheit, und im Stillen hoffte er, dass sein
Neffe an Ort und Stelle irgend ein Hinderniss faende, welches diese Sache,
die so stoerend in seinen Lebenskreis eintrat, ein fuer allemal beenden
moechte.

Der junge Cappei traf also seine Vorbereitungen zur Abreise, welche nur
in der Ordnung seines geringen Gepaecks bestanden und begab sich eines
Morgens auf das Amtshaus, um der von ihm uebernommenen Verpflichtung
gemaess dort um die Erlaubniss zu seiner Reise nachzusuchen und sich einen
Urlaubspass zu erbitten.

Der Amtsverwalter empfing den jungen Mann sehr ernst und hoerte
schweigend sein Gesuch an.

"Sie wollen nach Frankreich gehen," sagte er--"welchen Zweck hat Ihre
Reise."

Cappei zoegerte einen Augenblick.

"Ich bitte Sie, ganz aufrichtig zu sein," sagte der Beamte,--"Sie
befinden sich in einer besonderen Lage, und jede ausweichende Antwort
koennte Ihnen nur nachtheilig sein."

"Ich habe keinen Grund, meine Absicht zu verheimlichen," sagte der
junge Mann--"ich habe eine Braut in Frankreich und wuensche dort die zu
unserer Verbindung noethigen Vorbereitungen persoenlich zu besprechen."

"Sie sind landwehrpflichtig," sagte der Amtsverwalter, "und es thut mir
leid, dass ich im Hinblick auf ihre Vergangenheit Ihnen die nachgesuchte
Erlaubniss nicht ertheilen kann."

"Ich verspreche," sagte der junge Mann erbleichend, "meine Adresse hier
zu lassen und jedem Ruf sofort Folge zu leisten. Auch wird ohnehin meine
Abwesenheit nicht lange dauern, ich werde in spaetestens vierzehn Tagen
wieder hier sein."

"Ich kann," erwiderte der Beamte, "auch trotz dieses Versprechens Ihnen
die Erlaubniss zur Reise und einen Pass nicht geben,--jedenfalls nicht
ohne hoehere Genehmigung."

Ein Ausdruck finsterer Entschlossenheit erschien auf dem Gesicht
Cappei's, es schien, dass er etwas sagen wollte, doch schwieg er und
wandte sich mit kurzer Verbeugung um, um das Zimmer zu verlassen.

Der Amtsverwalter hatte ihn forschend angeblickt.

"Bleiben Sie," rief er in strengem Ton.

Cappei wendete sich erstaunt um und wartete.

"Da Sie mir den Wunsch ausgesprochen haben, den Ort zu verlassen,"
sagte der Beamte, "und da ich befuerchten muss, dass Sie bei der
Verweigerung des Urlaubs heimlich abreisen moechten, so sehe ich mich
gezwungen, Sie zu verhaften."

"Mich zu verhaften," rief Cappei mit bebenden Lippen, indem eine
toedliche Blaesse sein Gesicht ueberzog, "und warum?"

Der Beamte klingelte, ein Amtsdiener trat herein.

"Der fruehere Dragoner Cappei ist Arrestant, er wird einstweilen hier im
Amtsgefaengniss bleiben, bis weitere Bestimmung ueber ihn getroffen ist.
Ich will sogleich ein erstes und vorlaeufiges Verhoer mit ihm vornehmen."

Der junge Mann stand wie niederschmettert da, seine Gedanken verwirrten
sich, er konnte keine Erklaerung fuer diesen Schlag finden, der ihn so
unerwartet traf.

Der Beamte zog ein Actenstueck aus seinem Schreibtisch hervor, oeffnete
dasselbe, faltete dann einen Bogen Papier und ergriff eine Feder, bereit
das Protocoll aufzunehmen.

"Haben Sie," fragte er, sich an Cappei wendend, "seit ihrem Aufenthalt
hier mit Personen in Frankreich in Verbindung gestanden und mit
demselben correspondirt?"

"Ich habe keine Verbindung dort," erwiderte Cappei, "als diejenige mit
meiner Braut, welche besuchen zu duerfen, ich soeben um Erlaubniss bat,
ich habe mit Niemanden correspondirt, als mit ihr, aber zu meiner tiefen
Betruebniss keine Nachricht von ihr erhalten."

Der Beamte nahm mehrere beschriebene Blaetter aus dem ihm vorliegenden
Actenstueck und fragte, indem er Cappei winkte, naeher heranzutreten.

"Kennen Sie diese Briefe?"

Der junge Mann warf einen Blick auf die Papiere, er zuckte zusammen, ein
fast convulsivisches Zittern erschuetterte seine Gestalt.

"Es sind die Briefe, welche ich an meine Braut geschrieben," rief er mit
bebender Stimme.

"Sie erkennen also an, dass diese Briefe von Ihrer Hand geschrieben
sind?"

"Gewiss," rief Cappei, den starren Blick fortwaehrend auf die Briefe
gerichtet, welchen er einen nach dem andern glaubte abgesendet zu haben,
und in welchem er immer dringender und sehnsuchtsvoller um Nachrichten
gebeten hatte.

"Sie behaupten also," fuhr der Beamte fort, "dass diese Briefe wirklich
an ein junges Maedchen gerichtet sind, und dass der Inhalt derselben
keinen anderen Sinn hat, als den, welchen die Worte ausdruecken."

"Welchen anderen Sinn koennte er haben?" rief Cappei, entsetzt vor diesem
Raethsel stehend, das sich da so ploetzlich vor ihm erhob.

"Man hat Beispiele," sagte der Beamte, "dass scheinbar unverfaengliche
Worte eine andere vorher verabredete Bedeutung haben, oder dass sie durch
darauf gelegte Papierausschnitte in anderer Reihenfolge erscheinen. Doch
das wird sich finden," fuhr er fort.

Dann nahm er einige andere Blaetter und hielt dieselben dem jungen Manne
vor.

"Kennen Sie diese Handschrift?"

"Nein," rief Cappei, auf die ihm voellig fremden Schriftstuecke blickend.

"Dennoch," sagte der Beamte, "sind diese Briefe hier unter Ihrer Adresse
angekommen, und sie enthalten sehr bestimmte und compromittirende
Fragen, Auftraege ueber Truppendislocationen und politische Verhaeltnisse
Nachricht zu geben. Sie werden einsehen, dass das Alles sehr verdaechtig
ist und dass der auf Ihnen ruhende Verdacht durch Ihren Wunsch, jetzt
nach Frankreich zu reisen, nur verstaerkt werden kann. Ich muss das
Resultat meiner polizeilichen Beobachtung, zu welcher meine Pflicht mich
Ihnen gegenueber zwang, nunmehr an die Untersuchungsrichter uebergeben und
kann Sie nur noch darauf aufmerksam machen, dass ein offenes Gestaendniss
Ihre Lage nur verbessern kann,--wenn Sie nicht im Stande sind, sogleich
eine genuegende Erklaerung zu geben."

Der junge Mann starrte noch immer unbeweglich auf die ihm vorgelegten
Papiere.

"Tragen diese Briefe eine Unterschrift?" fragte er.

"Nein," sagte der Beamte, "solche Correspondenzen pflegt man nicht zu
unterschreiben, da der Absender dem Empfaenger doch genuegend bekannt
ist," fuegte er mit leichtem ironischen Laecheln hinzu.

"Mein Gott, sollte es moeglich sein," rief Cappei, indem eine gluehende
Roethe sein Gesicht ueberflog, "ich erinnere mich, einmal ein Billet von
diesem Vergier gelesen zu haben,--sollte es moeglich sein,--sollte er--"

"Junger Mann," sagte der Beamte mit ernstem Ton, durch welchen ein
gewisses Mitleid hindurchklang, ich will glauben, dass Sie irre geleitet
sind, und dass Ihre Ergebenheit fuer Ihren Koenig von gewissenlosen Agenten
gemissbraucht ist. Sagen Sie offen und ehrlich Alles, was Sie ueber die
Sache wissen,--ich wiederhole Ihnen, es ist der einzige Weg, um Sie vor
scharfer Strafe zu schuetzen.

"Herr Amtmann," rief Cappei in verzweiflungsvollem Ton, "ich muss
glauben, dass hier eine niedertraechtige Bosheit veruebt worden ist, um
mich von meiner Geliebten zu trennen. Ich schwoere Ihnen, ich weiss von
nichts,--ich bin mir keiner Schuld bewusst, ich habe keine Ahnung von
diesen Briefen, und die Schreiben von mir, welche Sie da vor sich haben,
enthalten keinen verborgenen Sinn."

Der Beamte schien betroffen von dem Ton der Wahrheit in den Worten des
jungen Mannes.

"Ich will in Ihrem Interesse wuenschen," sagte er, "dass es so ist, wie
Sie sagen, und dass Sie Ihre Unschuld beweisen koennen. Indess die Indicien
erscheinen zu gravirend, und die Agitationen, um die es sich hier
handelt, sind zu staatsgefaehrlich, als dass ich es verantworten kann, Sie
in Freiheit zu lassen. Ich will indess Anordnungen treffen, dass Sie gut
behandelt werden, und dafuer sorgen, dass Ihre Sache so schnell als
moeglich untersucht wird. Denken Sie genau ueber Alles nach und bedenken
Sie, dass die groesste Offenherzigkeit in Ihrer Lage das Beste ist.

Fuehren Sie den Arrestanten ab," sagte er, zu dem Amtsdiener gewendet.

In dumpfem Schweigen liess sich der junge Mann nach dem in einem
Seitenfluegel des Amtshauses befindlichen Arrestlocal fuehren. Er bat den
Amtsdiener nur noch, seinem Oheim und seiner Mutter Nachricht von seiner
Verhaftung zu geben und warf sich dann in dumpfer Verzweiflung auf das
einfache Bett mit einer Strohmatratze, welche nebst einem hoelzernen
Tisch das ganze Ameublement des Zimmers ausmachte, dessen Fenster mit
Eisenstaeben vergittert waren und vor dessen Thuer sich klirrend der
schwere Riegel schob, der ihn von der Freiheit und von allen seinen
Zukunftstraeumen und Hoffnungen trennte.




Viertes Capitel.


Wochen waren seit dem Plebiscit verflossen, die grosse Mehrzahl des
franzoesischen Volkes hatte sich in ihrem Votum aufs Neue fuer das
Kaiserreich und die neue Verfassung desselben erklaert,--die Elemente des
Aufruhrs, welche einen Augenblick ihr Haupt aus den finsteren Vorstaedten
von Paris erhoben, hatten sich wieder in ihre dunklen Schlupfwinkel
zurueckgezogen, die unbequemen Mitglieder des Cabinets waren entfernt,
der Herzog von Gramont war von Wien gekommen und hatte das Portefeuille
der auswaertigen Angelegenheiten uebernommen, und der Kaiser sah sich
umgeben von lauter Maennern, welche sowohl dem Prinzip seiner Regierung,
als ihm persoenlich vollkommen ergeben waren, und welche er, wenn er sich
die Muehe geben wollte, leicht und vollstaendig nach seinem Willen zu
lenken im Stande war.

Alles schien vortrefflich geordnet und glaenzend befestigt. Der
kaiserliche Hof hatte sich nach Fontainebleau begeben, es fanden dort
jene reizenden, kleinen Gartenfeste Statt, welche die Kaiserin mit ihrem
intimen Cirkel so ausgezeichnet zu arrangiren verstand. Die Zeitungen
beschaeftigten sich im Ganzen wenig mit der Politik. Sie berichteten ueber
die Toiletten der Damen bei den Soireen a la Watteau, welche unter dem
tiefen Schatten der Baeume des Parks von St. Cloud Statt fanden. Sie
erzaehlten mit hoher Befriedigung, dass die Gesundheit des Kaisers ganz
vortrefflich sei und dass Seine Majestaet Napoleon III in seinem kleinen
Privatgarten in St. Cloud mit ganz besonderem Eifer sich mit der Cultur
der Rosen beschaeftige und nahe daran sei, das grosse Problem der
Horticultur zu loesen und eine schwarze Rose zu erzielen.

Die Zeit der Villeggiaturen begann, Graf Bismarck ritt in Varzin
spazieren, Seine Majestaet der Koenig Wilhelm badete in Ems, und der
Kaiser Napoleon mit einer blauen Schuerze und einer grossen Scheere in der
Hand, pflegte seine Rosen im Garten von St. Cloud.

Der Genius des tiefen Friedens hatte sich ueber Europa herabgesenkt, die
Zeitungsredacteure und Correspondenten in allen Hauptstaedten der Welt
konnten trotz des sorgfaeltigsten Spuerens an dem blauen Sonnenhimmel der
Politik kein Woelkchen entdecken, aus welchem sich irgend eine
meteorologische Combination haette machen lassen,--und die Berichte der
Zeitungen waren wahr. Denn an einem schoenen, glaenzenden Sommermorgen
haetten diejenigen, welche in das abgeschlossene Innere der
Sommerresidenz von St. Cloud zu blicken im Stande gewesen waeren, den
Kaiser Napoleon in der That sehen koennen, wie er, einen breiten Strohhut
auf dem Kopf, von seinem Gaertner begleitet, zwischen den Rosenbeeten
umherging, und mit liebevoller Sorgfalt alle diese Straeucher und Staemme
musterte, auf denen so viel gestaltig und verschieden farbig die Koenigin
der Blumen ihre Bluethen entfaltete. Er pruefte genau jeden Stock und
jeden Zweig, er schnitt jede welkende Bluethe und jedes trocknende Blatt
ab, Alles in ein Koerbchen werfend, das der Gaertner trug und sorgfaeltig
darueber wachend, dass kein gelbes Blatt auf den reinen Kies der Gaenge
fiel. Er forschte sorgfaeltig nach dem Mehlthau, diesem boesen Feinde der
Rosen und blies, wenn er etwas davon entdeckte, den Dampf seiner grossen
braunen Havannacigarre auf die kleinen Milben, vergnuegt zusehend, wie
dieselben betaeubt zu Boden fielen.

Bei allen diesen Operationen musste er sich oft zu den kleinen
Straeuchern herunterbuecken, oft sich neben den hohen und schlanken
Staemmen auf die Spitzen der Zehen erheben, wodurch zuweilen sehr
complicirte und schwierige Stellungen hervorgerufen wurden, in denen die
kleine, von dem grossen Panamastrohhut ueberdachte Gestalt des Kaisers fuer
alle Diejenigen einen sehr befremdenden und erstaunlichen Eindruck
gemacht haben wuerde, welche gewohnt waren, ihn von den Hundertgarden
umgeben bei den grossen Truppenrevuen oder bei den grossen Empfaengen in
den Tuilerien inmitten der Grosswuerdentraeger unter dem kaiserlichen
Thronhimmel stehen zu sehen. Aber das Gesicht des Kaisers war hier, wenn
er klein zusammengebueckt vor einer Zwergrose sass, oder wenn er sich mit
Muehe zu einer hochstaemmigen Centifolie emporhob, unendlich heiterer und
gluecklicher, als in jenen Augenblicken der glaenzenden, kaiserlichen
Repraesentation, sein sonst so undurchdringlich verschleierter Blick
ruhte hier frei und klar auf den Pflanzen und Bluethen, diesen ewig
jungen Kindern der stets sich erneuenden Natur, seine Lippen laechelten
und auf seinem welken, von den Linien des Alters bereits tief
durchfurchten Gesicht lag der Schimmer einer natuerlichen, fast
kindlichen Heiterkeit. Er war hier der Mensch, der seine Freude hatte an
dem, was alle Menschenherzen erfreut hat, seit das Schoepfungswort
Gottes allerlei Kraeuter und Blumen auf der zwischen Licht und Finsterniss
gestellten Erde erwachsen liess, und alle Diejenigen, welche den Kaiser
hassten und bekaempften im grossen Ringen des politischen Lebens, sie waeren
hier vor dem Menschen entwaffnet gewesen,--denn nur ein guter Mensch
kann sich in seinem Herzen die kindlich reine Freude an der einfachen
Natur bewahren.

Der Kaiser blieb vor einem mittelgrossen Stamm stehen, aus dessen
dunkelgruenen Blaettern Knospen mit tief dunklen Spitzen hervorragten. Der
Kaiser betrachtete sorgfaeltig pruefend diese Knospen, die alle noch
geschlossen waren, vorsichtig die Zweige auseinander biegend, suchte er
nach, ob nicht irgend eine sich bereits geoeffnet habe.

Ploetzlich stiess er einen leichten Schrei aus. An der anderen Seite des
kleinen Baumes, welche dem Morgensonnenlicht zugewendet war, entdeckte
er eine halb erschlossene Bluethe, deren tief dunkle Blaetter so eben die
Umhuellung gesprengt hatten.

"Ah," sagte er, indem er mit der Hand dem Gaertner winkte, welcher rasch
herzutrat, "da ist die Loesung meines Problems, die Bluethe ist
erschlossen und"--er blickte ganz enttaeuscht und niedergeschlagen auf
die Blume.

Die dunklen Blaetter derselben, welche beim ersten Anblick schwarz
erschienen waren, schimmerten im Strahl des darueber hin streifenden
Sonnenlichts in einem sehr deutlichen Purpurblau.

"Die Rose ist blau," sagte der Kaiser, indem er vorsichtig die Bluethe
erfasste und sie hin und her wendete.

Aber von welcher Seite auch der Strahl der Sonne darauf fallen mochte,
immer zeigte sich der blaue Glanz.

Der Gaertner laechelte mit einer gewissen Miene der Ueberlegenheit.

"Ich habe es Eurer Majestaet immer gesagt," sprach er, "dass es Ihnen
niemals gelingen wird eine schwarze Rose zu ziehen. Die Natur hat die
schwarze Farbe nicht, und so sehr sich auch die verschiedenen Farben
immer mehr und mehr verdunkeln moegen, es wird Ihnen doch niemals
gelingen, sie bis zum wirklichen Schwarz zu bringen."

"Aber man hat doch die schwarze Farbe in der Thierwelt," sagte der
Kaiser. "Das Haar des Menschen ist schwarz, das Gefieder so manchen
Vogels"--

"Ich glaube, dass Eure Majestaet sich taeuschen," sagte der Gaertner
kopfschuettelnd, "Alles das ist nicht schwarz,--es sind nur tiefe
Schattirungen irgend einer anderen Farbe, deren Grundton Sie im
Sonnenlicht leicht erkennen koennen. Die wirklich schwarze Farbe kommt in
der Natur nicht vor, sie kann nur von Menschen kuenstlich geschaffen
werden."

Der Kaiser liess die Bluethe los. Sein bisher so heiteres Gesicht wurde
ernst, seine Augen verschleierten sich, truebe blickte er vor sich
nieder.

"Die Natur schafft die schwarze Farbe nicht," sagte er--"das menschliche
Herz ist auch eine Schoepfung dieser Natur, und doch ist die Sorge so
schwarz, welche dieses Menschenherz erfuellt,--die Menschen muessen
kuenstlich die schwarze Farbe schaffen,----sind alle die Sorgen, die uns
quaelen, nicht auch kuenstliche Schoepfungen einer der reinen und heiteren
Natur entfremdeten Welt,--aus den wir uns dennoch nicht losmachen
koennen," fuegte er seufzend hinzu, "um wieder zur Reinheit und Freiheit
der Natur zurueckzukehren,--einer Welt, aus der uns nur der Tod
hinausfuehrt, der uns mit dem letzten und tiefsten Schwarz
bedeckt----werden wir dahinter," sprach er tief sinnend weiter, "eine
neue Welt voll Licht und Farbenglanz finden, oder wird dieser letzte
schwarze Grund fuer immer alles Licht und alle Farben aufsaugen?"

Er stand noch einige Augenblicke in schweigendem Nachdenken, dann nahm
er seine blaue Schuerze ab, reichte dieselbe mit der Scheere, deren er
sich zum Schneiden der Zweige bedient hatte, dem Gaertner,--gruesste
denselben freundlich mit der Hand und warf noch einen langen wehmuethigen
Blick ueber seinen bluehenden Rosengarten,--dann wandte er sich schnell um
und stieg die Stufen hinauf, welche ihn in sein Zimmer fuehrten.

All das helle Licht, welches ihn im Garten umgeben hatte, all die
freundliche Heiterkeit, welche ihn dort erfuellt hatte, schien wie
verschwunden zu sein. Ernst und sorgenvoll trat er zu seinem
Schreibtisch, auf welchem Pietri am Morgen die zu des Kaisers eigener
Durchsicht bestimmten Correspondenzen gelegt hatte und liess sich in dem
davor flehenden tiefen Lehnstuhl von Rohrgeflecht mit einem laenglich
runden Sitzkissen nieder.

"Die gluecklichen Augenblicke des Tages sind vorueber," sagte er, "die
Sorge tritt wieder in ihr Recht und trotz des Anscheins von Ruhe und
Sicherheit, welche Frankreich und die Welt heute darbietet, stehe ich
heute mehr als je vor ungeloesten Fragen der Zukunft. Dieses Deutschland
consolidirt sich," sagte er, "Oesterreich schwankt und trotz aller guten
Dispositionen des Koenigs Victor Emanuel wendet sich die oeffentliche
Stimmung in Italien mehr und mehr von mir ab, so dass es schwer sein
wird, eine Allianz mit dieser Macht, welche ich geschaffen habe, zu
schliessen. Und selbst wenn es gelaenge," fuhr er fort, "wuerde eine solche
Allianz im Augenblick einer entscheidenden Action--im Augenblick der
Gefahr vielleicht--gehalten werden? Die meisten Sorgen aber," sagte er
nach einigen Augenblicken, "machen mir diese spanischen Angelegenheiten,
die Candidatur des Herzogs von Montpensier wird eifrig betrieben und
trotz der geringen persoenlichen Popularitaet des Herzogs kann sie
urploetzlich mir entgegentreten, denn schliesslich wird man dort nach
jedem Auskunftsmittel greifen, um nur wieder zu geordneten Zustaenden zu
gelangen, und die Orleans verstehen sich auf die Agitationen und die
Intriguen. Aber ich muss Alles aufbieten, um ein orleanistisches
Koenigthum in Spanien zu verhindern. Ich habe soeben den Einfluss
gebrochen, welchen diese erbittertsten und gefaehrlichsten Feinde meiner
Regierung und meiner Dynastie hier in Frankreich wieder zu erringen
begannen, und wuerden sie jemals in Spanien festen Fuss fassen, so wuerde
ihre Agitation trotz der Pyrenaeen mit erneuter Kraft Frankreich
durchziehen. Der Erbprinz von Hohenzollern waere vielleicht eine Loesung
gewesen,--und ich will diesen Faden nicht ganz aus der Hand lassen,
aber das Erste und Naechstliegende ist doch die Wiederherstellung der
Dynastie der Koenigin Isabella unter dem Prinzen von Asturien. Meine
Einleitungen sind getroffen: Olozaga ist der Combination guenstig, und
dieser eitle Serrano wird lieber der Majordomus des unmuendigen Don
Alphonso sein, als einfacher General unter dem Herzog von Montpensier,
der sich seiner wahrscheinlich bald entledigen wuerde--was vielleicht
Prim auch thun wird," fuegte er mit einem leichten Laecheln hinzu--"den
ich vorlaeufig ganz aus dem Spiel lassen muss, um ihn mir fuer jene
hohenzollersche Eventualitaet im aeussersten Falle zu reserviren."

Er beugte sich ueber seinen Schreibtisch und ergriff die auf demselben
zurecht gelegten Briefe. Nach fluechtigem Ueberblick warf er mehrere
derselben bei Seite, dann ergriff er lebhaft einen andern und lehnte
sich, denselben in der Hand haltend, in seinen Stuhl zurueck.

"Von meinem Agenten in Spanien," rief er,--"vielleicht naehert sich diese
Sache ihrem Ende."

Er durchflog rasch die ersten Zeilen des Briefes.

"Alles ist vorbereitet," las er dann, den Zeilen folgend, "die
massgebenden Personen sind der Proclamation des Prinzen von Asturien
guenstig. Das Volk im Ganzen mit Ausnahme einiger unterwuehlten grossen
Staedte wuerde jede feste Regierung, welche Ruhe und Stabilitaet verbuergt,
mit Freuden begruessen. Die Armee ist zum grossen Theil ganz alphonsistisch
gesinnt und die Proklamation des Prinzen, namentlich wenn derselbe die
unmittelbare und bestimmte Anerkennung Frankreichs faende, wuerde nirgends
ernsten Schwierigkeiten begegnen. Vor allen Dingen aber ist es noethig,
dass die Koenigin Isabella so schnell als moeglich feierlich abdicirt und
alle ihre Rechte auf ihren Sohn uebertraegt, zugleich auch jeden Anspruch
auf die Regentschaft ausdruecklich aufgiebt und sich verpflichtet, auch
nach der etwaigen Thronbesteigung ihres Sohnes im Auslande zu leben und
nicht nach Spanien zurueckzukehren. Dies Document ist unerlaesslich fuer
jede weitere Thaetigkeit, denn Niemand, die Alphonsisten ebenso wenig,
wie alle Andern, will die Rueckkehr der Koenigin, und man fuerchtet, dass
selbst bei ihrer persoenlichen Anwesenheit in Spanien sie und ihre
Umgebung auf die Regierung von Neuem einen Einfluss ausueben wuerden, den
man mit Recht oder Unrecht fuer verderblich haelt. Wenn Eure Majestaet die
Abdication der Koenigin in der oben angedeuteten Weise erreichen koennen,
so scheint die Thronbesteigung des Prinzen von Asturien sicher zu sein."

Der Kaiser warf den Brief zurueck.

"Ich kann mich auf diese Mittheilung verlassen," sagte er,--"das Glueck
scheint mir zu laecheln. Die Regierung des Prinzen von Asturien, mag sie
in seinem Namen gefuehrt werden, durch wen sie wolle, wird Frankreich
guenstig sein und in der auswaertigen Politik im Grossen und Ganzen
derjenigen der Koenigin Isabella sich anschliessen. Vor allen Dingen aber
wird sie dem Herzog von Montpensier und den Orleans unversoehnlich
feindlich sein--vielleicht liesse sich dann doch noch auf jene
Combination zurueckkommen, welche durch diese unglueckliche Revolution in
Spanien vereitelt wurde.--

Die Koenigin wird sich freilich schwer zur Abdankung entschliessen. Das
Document darueber ist schon aufgesetzt und befindet sich in ihren Haenden.
Sie hat bis jetzt die Unterzeichnung verweigert, weil sie Buergschaft
verlangte, dass nach ihrer Abdication die Thronbesteigung ihres Sohnes
wirklich gesichert sei. Ich glaube ihr nach dieser Nachricht, welche
durch die Mittheilungen Olozaga's vollstaendig bestaetigt wird, jede
Garantie geben zu koennen."

Er sann einige Minuten nach.

"In Augenblicken wie dieser," sagte er dann, "kommt es auf schnelles und
entschiedenes Handeln an. Guenstige Situationen muss man benutzen und zu
rascher Entscheidung fuehren,--man weiss niemals, wie lange sie dauern
koennen. Ich will sogleich zur Koenigin, um womoeglich gleich die Sache mit
einem Schlage zu erledigen." Er klingelte.

"Meinen Wagen," befahl er dem eintretenden Kammerdiener, "grosse
Attelage, ich will nach Paris fahren. General Fave soll mich begleiten."

Er stand auf und ging in sein Toilettenzimmer.

       *       *       *       *       *

An der Avenue du Roi de Rome liegt das prachtvolle Hotel Basilensky,
welches die Koenigin Isabella gekauft und eingerichtet hatte und ueber
dessen vergoldeten Gitterthoren der Lilienschild des koeniglichen Wappens
von Spanien glaenzte.

Die innere Eingangsthuer dieses Hotels stand weit offen und liess durch
die Gitter des aeusseren Hofes den Blick in die prachtvolle weite Halle
dringen, in deren Hintergrund die breite Marmortreppe nach den obern
Gemaechern emporfuehrt.

In dieser Halle war die Dienerschaft der Koenigin in ihrer dunkelblauen
goldgestickten Livree mit den rothen Struempfen aufgestellt, und am Fuss
der Treppe stand der Graf von Ezpeleta, der Oberhofmeister der Koenigin,
ein alter Mann mit grauem Haar, mit dem grossen blauen Bande des Ordens
Karls III. geschmueckt; neben ihm der Kammerherr Albacete, ein noch
junger, schoener Mann mit schwarzem gelocktem Haar, kleinem schwarzem
Schnurrbart und dunklen Augen, mit dem Cordon des Ordens Isabella der
Katholischen.

Bereits eine Viertelstunde standen die beiden Herren hier, von Zeit zu
Zeit einige Worte mit einander wechselnd und oft ungeduldig durch die
Thuer nach dem Vorhof hinaus blickend, zu welchem wenige Stufen
hinabfuehrten.

Endlich fuhr ein einfaches Coupe mit dunkler Livree durch das Gitterthor
in den Hof und hielt vor dem Haupteingang des Hotels.

Graf Ezpeleta eilte schnell an den Schlag des Wagens, den der vom Bock
herabspringende Diener bereits geoeffnet hatte. Herr von Albacete folgte
ihm, den Hut in der Hand; beide Herren verbeugten sich tief vor einem
jungen Manne von etwa zwei und zwanzig Jahren, der hoch und schlank
gewachsen war und leicht und gewandt aus seinem Wagen auf den Boden
sprang.

Dieser junge Mann hatte ein blasses laengliches Gesicht von vornehm
strengem, aber ein wenig apathischem Ausdruck. Seine Nase war lang und
etwas stark, die von Natur weichen Linien seines Mundes waren durch
feste und energische Willenskraft zusammengezogen,--aus seinen kleinen
Augen leuchtete ein hoher unbeugsamer Stolz. Er trug einen schwarzen
Salonanzug, einen Cylinderhut auf dem Kopf, das goldene Vliess am rothen
Bande um den Hals.

Mit einer leichten Neigung des Kopfes, ohne den Hut zu beruehren,
erwiderte er die ehrfurchtsvollen Begruessungen des Grafen Ezpeleta und
des Herrn von Albacete. Dann stieg er, ohne ein Wort an die Herren zu
richten, die Stufen des Eingangs hinauf und schritt durch die Reihen der
sich tief verneigenden Lakaien zu der grossen Treppe hin, waehrend Herr
von Albacete halb rueckwaerts gewendet, einige Schritte vor ihm herging,
und der Graf Ezpeleta ehrerbietig ihm folgte. Der junge Mann stieg mit
leichtem elastischem Schritt die Stufen der Treppe hinauf.

Am obern Ende derselben vor dem Eingang in ihre Gemaecher stand die
Koenigin Isabella. Sie trug eine weite Robe von dunkelblauer Seide, das
rothe Band des goldenen Vliesses um den Hals.

Ihr zur Seite befand sich die Graefin Ezpeleta und einige Hofdamen.

Der junge Mann, welchen die Cavaliere der Koenigin mit so viel Ehrfurcht
begruesst hatten, stieg ruhig die letzte Stufe der Treppe hinauf, und erst
als er unmittelbar vor der Koenigin stand, nahm er mit einer Bewegung
voll ritterlicher Hoeflichkeit, aber ohne jeden Ausdruck von Ehrerbietung
oder Unterwuerfigkeit den Hut ab, ergriff die Hand, welche die Koenigin
ihm entgegenstreckte und fuehrte sie leicht an die Lippen.

"Ich danke Ihnen, mein Vetter," sagte die Koenigin, "dass sie gekommen
sind, und ich bitte Gott, dass er unsere Begegnung und unsere Unterredung
segnen moege zum Wohle Spaniens und zum Wohl unseres Hauses."

Der Infant Don Carlos, welchem man bei seiner Geburt den Namen des
Herzogs von Madrid gegeben, welcher in der Verbannung den Titel eines
Grafen von Monte Molin fuehrte, und welchen die spanischen Legitimisten
den Koenig Carlos VII nannten, erwiderte nichts auf diese Worte.
Schweigend reichte er der Koenigin den Arm und fuehrte sie durch einen
grossen, mit reich vergoldeten Meubeln ausstatteten Salon, in welchem
ueber den Fenstern und Thueren, so wie ueber dem grossen prachtvollen Kamin
die Lilien des koeniglichen Hauses von Bourbon auf blauem Grunde
glaenzten, nach dem Cabinet der Koenigin, welches von dem vordern Salon
durch eine einzige grosse Glaswand aus maechtigen Spiegelscheiben getrennt
war, so dass man aus dem einen Raum vollstaendig den andern uebersehen
konnte.

Dies Cabinet, in welchem die Koenigin ihre Audienzen zu ertheilen
pflegte, war mit weissem Marmor ausgelegt, neben dem Kamin, welcher der
Glaswand sich gegenueber befand, standen einander gegenueber einige grosse
Fauteuils mit vergoldeter Lehne und mit purpurrothem Seidendamast
ueberzogen.

Die Koenigin nahm auf einem dieser Lehnstuehle Platz. Don Carlos setzte
sich, immer schweigend und kalt, ihr gegenueber.

"Erlauben Sie, mein Vetter," sagte Isabella, absichtlich jede Titulatur
in ihrer Anrede vermeidend, "dass ich Ihnen die Infanten, meine Kinder,
vorstelle?"

Der Graf von Monte Molin neigte artig das Haupt.

Die Koenigin winkte durch die Glaswand nach dem andern Zimmer hin, in
welchem ihr Gefolge zurueckgeblieben war, und kurze Zeit darauf fuehrte
die Graefin Ezpeleta den dreizehnjaehrigen Prinzen Alphons von Asturien
und seine drei juengeren Schwestern in das Cabinet, worauf sie sich
wieder in das Vorzimmer zurueckzog.

Der Prinz von Asturien, ein bleicher, zarter Knabe mit sanftem und
kraenklichem, aber intelligentem Gesicht, in einen Anzug von schwarzem
Sammet gekleidet, welcher die zarte Farbe seines Gesichts noch mehr
hervorhob, naeherte sich mit offenem und unbefangenem Anstand dem Grafen
von Monte Molin. Er kuesste seinem Oheim die Hand, waehrend die drei
Infantinnen sich in einer gewissen kindlichen Befangenheit neben den
Stuhl ihrer Mutter stellten.

"Don Alphonso," sagte die Koenigin, ihren Sohn vorfallend, "Donna Maria
del Pilar--Donna Maria della Pay,--Donna Eulalia,"--fuhr sie fort, die
kleinen Prinzessinnen bezeichnend, welche sich nach der Reihe ihrem
Oheim naeherten und ihre Lippen auf seine Hand drueckten.

Das bisher so ernste, strenge und unbewegliche Gesicht des Grafen von
Monte Molin wurde einen Augenblick von einem feuchten Schimmer
ueberstrahlt. Ein weiches und inniges Gefuehl leuchtete aus seinen Augen,
wie in unwillkuerlicher Bewegung umarmte er den Prinzen von Asturien, zog
dann die kleinen Infantinnen an sich heran und kuesste sie eine nach der
andern auf die Stirn.

"Die lieben Kinder," sagte er,--"die Gluecklichen, die noch allen Sorgen
des Lebens--und der Politik fern stehen,--Gott segne sie."

Die Koenigin hatte mit bewegtem Ausdruck diese Scene mit angesehen, eine
tiefe, maechtige Ruehrung zuckte ueber ihr Gesicht, ein feuchter Schimmer
verhuellte ihren Blick. Dann winkte sie mit der Hand, die Graefin
Ezpeleta erschien wieder und fuehrte, sich tief und ceremoniell
verneigend, die Kinder hinaus.

"Ich habe Sie gebeten, zu nur zu kommen, mein Vetter," sagte die
Koenigin, "um mit Ihnen ueber die Lage Spaniens zu sprechen und mit Ihnen
zu berathen, was wir, die wir durch unser Blut mit dem Geschick der
spanischen Nation verknuepft sind, thun koennen, um das edle Volk aus
seiner traurigen Lage zu befreien und um auch in unserm Hause den
Frieden wieder herzustellen."

Das Gesicht des Grafen von Monte Molin nahm wieder seinen frueheren,
kalten und strengen Ausdruck an.

"Ueber die spanische Nation," sagte er, "ist das Strafgericht
hereingebrochen, dem kein Volk entgehen kann, das sich von Gott abwendet
und das heilige Recht seiner Koenige verleugnet. Spanien wird durch
dieses Strafgericht gelaeutert und so Gott will, einer gluecklichen
Zukunft zugefuehrt werden."

"Sie haben Recht, mein Vetter," sagte die Koenigin mit sanfter Stimme.
"Indess," fuhr sie fort, "ist das spanische Volk vielleicht entschuldbar,
wenn es sich ueber das Recht seiner Fuersten taeuscht, da ja bei den
Traegern dieses Rechts selbst zwei verschiedene Anschauungen ueber
dasselbe bestehen."

"Es giebt nur ein Recht," erwiderte Don Carlos, "und wenn zwei
verschiedene Anschauungen darueber bestehen, so trifft die Schuld
denjenigen Fuersten unseres Hauses, welcher in unverzeihlicher Weise die
alten, die heiligsten Satzungen nach seiner persoenlichen Willkuer zu
aendern unternommen hat. Und Ruhe und Frieden," fuhr er in klangvoller
Stimme fort, "wird in Spanien nicht eher wieder herrschen, als bis das
alte, gottgeheiligte Recht wieder zur vollen Geltung gekommen ist."

"Ich will darueber nicht mit Ihnen streiten, mein Vetter," sagte die
Koenigin, "wo das wahre Recht liegt. Sie muessen mir aber zugeben," fuhr
sie fort, indem sie ihn mit weichem Blick ansah und die Hand wie bittend
gegen ihn erhob, "dass ich unschuldig bin an dem, was vor mir--was zu
meinen Gunsten geschah. Ich habe im guten Glauben meinen Thron
bestiegen, ueberzeugt, dass das Gesetz, welches mich auf denselben berief,
ein im Rechte begruendetes gewesen sei."

"Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, meine Cousine," sagte Don Carlos, in
sanftem Tone, "es ist Ihre Schuld nicht, dass Sie die Vertreterin eines
Prinzips geworden sind, welchem dem wahren Koenigthum und der von Gott
eingesetzten Monarchie ebenso feindlich gegenueber steht, als es diese
Revolution thut, welche heute unser armes Spanien zerruettet."

"Wenn Sie das anerkennen, mein Vetter," sagte die Koenigin, "so werden
Sie mit mir auch den Wunsch theilen, dass das traurige Zerwuerfniss,
welches die Linien unseres koeniglichen Hauses von einander trennt, und
welches uns unsern Gegnern gegenueber schwaecht und laehmt, beendet werde.
Sie werden gewiss die Hand dazu bieten, dass wieder das Koenigthum in
Spanien einig und in geschlossener Macht den Elementen des Unglaubens
und Aufruhrs gegenueber gestellt werde."

Und in lebhafter, offener Bewegung reichte sie dem Infanten ihre Hand,
dieser beruehrte dieselbe sich artig verbeugend, einen Augenblick und
sprach dann, indem er die Koenigin gerade und fest ansah:

"Sobald sich das ganze koenigliche Haus von Spanien unter meiner Fahne
vereinigt, wird jene traurige Spaltung verschwunden sein, und wir werden
kraeftiger und erfolgreicher als bisher der Revolution gegenueber treten
koennen."

Die Koenigin schwieg einen Augenblick.

"Ich schwoere es Ihnen bei Gott, mein Vetter," sagte sie dann, "dass ich
mich wahrlich nicht nach der Herrschaft und nach dem Throne sehne,--sie
haben mir kein Glueck in meinem Leben gebracht. Unruhe, Sorge und Kummer
ist mein Loos gewesen, und auch das Glueck meines Herzens ist diesem
traurigen Glanz der Krone zum Opfer gefallen. Aber," fuhr sie fort, "ich
habe die Rechte meines Sohnes zu vertreten, und man sagt mir, dass die
monarchische Partei in Spanien zu einem grossen Theil auf ihn seine
Hoffnungen setzt und durch seinen Namen zusammengehalten werde."

Don Carlos hoerte ruhig und unbeweglich zu.

"Ich setze voraus," fuhr die Koenigin fort, "dass in Ihrem Herzen, wie in
dem meinen das Wohl Spaniens, die Groesse und der Glanz unseres Hauses
weit ueber allen persoenlichen Ruecksichten und Wuenschen stehen--wenn dies
der Fall ist, wenn wir uns darueber verstaendigen koennten, die
Vergangenheit und die Gegenwart einer besseren und gluecklicheren Zukunft
zu opfern, so wuerde es vielleicht in unsere Haende gegeben sein, das
Schicksal Spaniens und unseres Hauses neuem Glueck und neuem Glanz
entgegen zu fuehren."

"Mein Volk und mein Haus stehen mir wahrlich hoeher, als meine Person,"
erwiderte Don Carlos, "und fuer das Wohl Beider bin ich jeden Augenblick
bereit, mich zum Opfer zu bringen."

"Oh," rief die Koenigin lebhaft, "dann werden Sie gewiss auf die Idee
eingehen, die ich Ihnen aussprechen moechte,--eine Idee, von der mir so
viele einsichtsvolle Personen sagen, dass durch sie Spanien aus seinem
jetzigen, traurigen Zustand gerettet werden koenne."

Don Carlos sah die Koenigin fragend an.

"Mein Vetter," fuhr Isabella fort, "Sie sind der Vertreter des Rechts
der einen Linie unseres Hauses; ich stehe an der Spitze der andern. Sie
haben zahlreiche opferbereite Anhaenger in Spanien, und auch an mir haengt
noch ein grosser Theil des Volkes und der Armee. Koennten wir diese Alle
vereinigen zu gemeinsamem Kampf, der Sieg muesste unser sein. Und dazu
gehoert," fuhr sie fort, "nichts weiter, als dass wir, Sie und ich auf den
Thron verzichten, dass wir die Selbstverleugnung haben, unsere eigenen
persoenlichen Rechte aufzugeben, um diejenigen unserer Kinder sicher zu
stellen. Mein Vetter, vereinigen wir unsere beiden Linien und deren
Rechte, beschliessen wir die Verbindung meines Sohnes, den Sie so eben
gesehen, mit der Infantin, Ihrer Tochter. Wenn ich dann auf die Krone
verzichte, die ich getragen und welche die Revolution mir vom Haupte
gerissen hat, wenn Sie Ihre persoenlichen Ansprueche auf die aelteren
Rechte Ihrer Linie aufgeben, so wird Don Alphonso der allein berechtigte
und allseitig anerkannte Koenig von Spanien werden, Ihre Tochter wird
dereinst seinen Thron mit ihm theilen, und in Zukunft wird das
vereinigte Blut beider Linien unseres Hauses das ungetheilte
monarchische Prinzip aufrecht erhalten."

Don Carlos sah die Koenigin, welche immer bewegter gesprochen hatte, mit
einem gewissen Erstaunen an.

"Eine Verbindung des Infanten Don Alphonso," sagte er, "mit meiner
Tochter ist ein Gegenstand, der wohl ernste Erwaegung verdient und der
allerdings dazu beitragen moechte, die so beklagenswerte Spaltung des
koeniglichen Hauses von Spanien auszugleichen. Doch begreife ich nicht,
Madame," fuhr er fort, "wie durch eine solche Verbindung Don Alphonso
unmittelbare Rechte auf den spanischen Thron erwerben sollte, selbst
wenn ich auf die meinigen verzichten wuerde, was nach meiner Ueberzeugung
kein Fuerst, den Gott zum Throne hat geboren werden lassen, thun darf."

"Wenn Sie, mein Vetter," erwiderte die Koenigin "zugleich mit der
besprochenen Verbindung Don Alphonso adoptiren wuerden, so waeren, wie mir
scheint, alle Schwierigkeiten geloest, der Infant wuerde in seiner Person
die Rechte Ihrer und meiner Linie vereinigen und der einzige Mittelpunkt
fuer alle Anhaenger und Vertheidiger der Monarchie in Spanien sein."

Don Carlos richtete sich hoch empor.

"Ich bewundere, Madame," sagte er mit schneidendem Hohn, "die Klugheit
Ihrer Rathgeber, welche die Schwierigkeiten auf so einfache Weise loesen
wollen, auf die so unendlich einfache Weise, dass sie das hohe und
unveraeusserliche Recht, welches Gott mir und meinen Nachkommen gegeben,
einfach wegwerfen und alle die Rechtswidrigkeiten anerkennen, durch
welche Spanien in sein gegenwaertiges Unglueck gestuerzt ist."

"Aber, mein Gott," sagte die Koenigin erstaunt ueber die ploetzliche
Veraenderung in dem Gesichtsausdruck und Ton des Grafen von Monte Molin,
"der Vorschlag, den ich so eben gemacht, beruht ja auf der Anerkennung
Ihres Rechtes, denn mein Sohn soll ja den spanischen Thron gerade
gestuetzt auf unsere beiden bisher sich entgegen stehenden Rechte in
Anspruch nehmen."

"Das heisst mit andern Worten," fiel Don Carlos ein, "ich soll mit
meinem koeniglichen Siegel legalisiren, was zur Verletzung des legitimen
Rechts geschehen ist. Ich soll aufgeben alle Ansprueche, welche Gottes
Willen mir gegeben und soll das alte heilige Recht in den Dienst treten
lassen der willkuerlichen Verfuegungen, welche die unumstoesslichen
Satzungen des spanischen Koenigshauses veraendert haben. Und wenn ich fuer
meine Person dies Opfer bringen wollte, wenn ich auf mein Recht
verzichten wollte, um das Unrecht zu sanctioniren, wie koennte ich eine
solche That vertreten meinen Nachkommen gegenueber, das darf ich Sie wohl
fragen,--Sie, Madame, die Sie von mir verlangen, dass ich Ihrem Sohn den
Anspruch opfern soll auf die Krone der edelsten und vornehmsten Nation
der Welt."

"Aber, mein Vetter," sagte die Koenigin, "Sie haben nur eine Tochter und
wenn Sie heute Koenig von Spanien werden, so waere ja Don Alphonso Ihr
legitimer Erbe."

"Sie vergessen, Madame," rief Don Carlos, "dass in den naechsten Tagen
vielleicht die Gnade der Vorsehung mir einen neuen Nachkommen schenken
wird. Wenn ich heute mit Ihnen diesen Kauf abschloesse," rief er lebhaft,
"ueber die Rechte und die Zukunft meines Hauses, und wenn dann dieses
Kind, das ich erwarte, ein Sohn waere, muesste ich nicht erroethend die
Augen niederschlagen vor der Wiege des Saeuglings, den ich um sein
koenigliches Recht vor seiner Geburt betrogen haette. Nein, Madame," sagte
er kalt und ruhig, jedes Wort scharf und nachdruecklich betonend, "seien
Sie ueberzeugt, dass niemals, niemals von mir ein solcher Pact geschlossen
werden wird, und selbst wenn ich heute ein Greis waere, der keine
Nachkommenschaft mehr zu erwarten hat--selbst dann wuerde ich meine
persoenlichen Rechte nicht veraeussern,--versagt mir Gott einen Sohn, so
ist der Infant Don Alphonso mein natuerlicher und berechtigter
Nachfolger, ich werde ihn als solchen lieben und dahin arbeiten, ihm ein
grosses und ruhmreiches Erbe zu hinterlassen,--aber so lange ich lebe,"
fuhr er fort, indem er aufstand, und die Hand wie zur feierlichen
Bekraeftigung seiner Worte emporhob, "so lange ich lebe, giebt es in
meinen Augen auf Erden keinen anderen Koenig von Spanien als mich--in
Gottes Hand steht es, ob ich mein Recht erringen werde, oder ob mir das
hohe Ziel um der Suenden meiner Vaeter und um der meinigen willen versagt
bleiben soll--ich aber werde nichts unterlassen, um den Thron, zu dem
mich Gott hat geboren werden lassen, mir und meinem Hause wieder zu
erobern, mit Niemandem in der Welt werde ich ueber dieses mein hoechstes
Recht, das zugleich meine heiligste Pflicht ist, handeln oder Vertraege
schliessen,--und eine innere Stimme sagt mir, dass dereinst noch die alte
Fahne des reinen legitimen Rechts siegreich in Spanien wehen wird. Dann,
Madame," fuhr er mit mildem Tone sich zur Koenigin wendend fort, "werde
ich Sie willkommen heissen im Escurial, Ihr Sohn wird der erste Prinz
meines Hauses--und vielleicht mein Nachfolger und Erbe sein. Ich werde
Gott bitten, dass er Sie und die Ihrigen erleuchten moege, Sich seinen
ewigen Ordnungen zu fuegen, ich kann meinerseits von denselben nicht
abgehen."

Die Koenigin erhob sich ebenfalls.

"Ich bitte Sie, mein Vetter," sagte sie, "lassen Sie unsere Unterredung
nicht so enden, ich habe so grosse Hoffnungen auf unsere persoenliche
Begegnung gebaut, bedenken Sie, dass die Spaltungen zwischen den beiden
Linien unseres Hauses ja nur unseren gemeinschaftlichen Feinden
nuetzt."--

"Ich darf nichts bedenken," erwiderte Don Carlos, "als dass Gott mir das
Recht zu bewahren gegeben, das ich aufrecht halten und vertheidigen
werde bis zu meinem letzten Athemzuge."

Er naeherte sich der Koenigin, welche unschluessig und verwirrt da stand,
kuesste ihr die Hand und sprach:

"Gott segne Sie, Madame, und die Ihrigen;--wie auch das Schicksal der
Zukunft sich wende, ich werde niemals vergessen, dass das gleiche Blut in
unsern Adern rollt."

Die Koenigin schien sprechen zu wollen. Don Carlos bot ihr mit einer
entschiedenen Bewegung seinen Arm, sie legte schweigend mit einem tiefen
Seufzer ihre Hand in denselben und geleitete den Infanten durch das
Vorzimmer nach der Treppe, wo er mit einer artigen Verbeugung seinen Hut
aufsetzte und, von dem Grafen Ezpeleta und dem Herrn von Albacete
begleitet, langsam und ruhig die Stufen hinabstieg. Sein Coupe fuhr vor,
er winkte leicht gruessend mit der Hand und fuhr durch das Gitterthor des
Hofes hinaus.

"Alles vergebens," rief die Koenigin, als der Graf von Ezpeleta zu ihr
zurueckgekehrt war und fragenden Blickes in ihr Cabinet eintrat,--"Alles
vergebens! Er ist unbeugsam! Er steht unerschuetterlich fest auf dem
Boden seines Rechts. Und es waere doch so schoen gewesen," rief sie, "wenn
diese Verstaendigung gelungen waere. Er hat maechtige Anhaenger, wenn sie
sich mit den meinigen vereinigten, sie haetten die groessten Aussichten auf
Erfolg gehabt. Aber so," fuhr sie fort, indem sie ihr Taschentuch heftig
zusammendrueckte, "ist Alles in Frage gestellt. Man verlangt von mir die
Abdankung. Aber was wird dadurch gewonnen, wenn nicht zu Gunsten meines
Sohnes eine grosse, monarchische Partei gebildet werden kann?--ich wuerde
mein Recht aufgeben, ohne ihm dadurch die Nachfolge sichern zu koennen--"

Eine Bewegung machte sich im Vorzimmer bemerkbar.

Eiligst trat Herr von Albacete durch die Thuer der grossen Glaswand in das
Cabinet der Koenigin.

"Seine Majestaet der Kaiser ist so eben in den Hof gefahren!" rief er und
eilte schnell wieder hinweg, um den Kaiser zu begruessen.

Der Graf Ezpeleta folgte ihm, und die Koenigin ging mit ihren Damen
abermals nach dem Ausgang der grossen Treppe, an welcher sie sich kurz
vorher von dem Grafen von Monte Molin verabschiedet hatte.

Langsam und etwas schwerfaelligen Schrittes stieg Napoleon die Stufen
hinauf.

Er trug einen schwarzen Ueberrock und hielt seinen Hut und ein spanisches
Rohr mit goldenem Knopf in der Hand. Mit tiefer Verbeugung kuesste er der
Koenigin die Hand und fuehrte sie in das Cabinet zurueck.

"Ich habe Ihnen gute Nachrichten zu bringen, Madame," sagte er, nachdem
er ihr gegenueber vor dem Kamin Platz genommen. "Wie befinden sich die
Infanten?"

"Ich danke, Eure Majestaet," erwiderte die Koenigin, auf deren Gesicht bei
den ersten Worten des Kaisers der Ausdruck gespannter Erwartung
erschienen war, "sie befinden sich vortrefflich in dieser schoenen Luft
des gastfreien Frankreichs, welche fuer sie nur den einzigen Fehler hat,
dass sie die Luft des Exils ist."

"Und der Koenig Don Franzesco," fragte der Kaiser, indem er leicht mit
der Hand ueber seinen Schnurrbart fuhr.

"Er ist in Muenchen," sagte die Koenigin, "und braucht dort eine Kur,"
fuegte sie mit einem leichten unwillkuerlichen Laecheln hinzu, "welche ihm
statt seines feinen Organs eine tiefe Stimme geben soll. Vielleicht wird
er nicht wieder zurueckkehren," sagte sie ernst mit blitzenden Augen, "es
waere in der That nicht--"

"Erlauben Eure Majestaet," fiel der Kaiser ein, "dass ich so schnell als
moeglich auf den ernsten Gegenstand meines Besuches kommen darf. Ich habe
so eben," fuhr er fort, "gute und zuverlaessige Nachrichten erhalten, dass
in der spanischen Armee und in einem grossen Theil der Bevoelkerung die
monarchische Restauration immer mehr Boden gewinnt, und dass sich diese
Restauration an den Namen des Prinzen von Asturien knuepft. Der
Proclamirung des Prinzen wuerde, wie ich Eurer Majestaet ebenfalls
versichern kann, Olozaga und Serrano guenstig sein. Es ist also nunmehr
die Bedingung eingetreten, welche Eure Majestaet, und wie ich glaube mit
Recht, stets als unerlaesslich fuer Ihre Abdication bezeichneten. In diesem
Augenblick wuerden Sie durch die Uebertragung Ihrer Rechte auf Ihren Sohn
demselben nach aller wahrscheinlichen Berechnung wirklich die Nachfolge
auf den Thron zu sichern im Stande sein. Ich werde in der Lage mich
befinden, viel dafuer zu thun, wenn Eure Majestaet schleunigst das
Document vollziehen, welches den Prinzen von Asturien zum Vertreter
Ihrer Rechte macht. Ich habe mir erlaubt, schon vor einiger Zeit Eurer
Majestaet den Sinn der Erklaerung mittheilen zu lassen, welche eine solche
Abdankungsurkunde enthalten muesste."

"Ich weiss es," sagte die Koenigin mit einem bittern Laecheln, "sie soll
nicht nur die Uebertragung meiner koeniglichen Rechte, sondern auch die
Verpflichtung enthalten, dass ich auch nach der Thronbesteigung meines
Sohnes niemals wieder den spanischen Boden betrete."

"Eure Majestaet," sagte der Kaiser, "werden ueberzeugt sein, wie tief ich
die ungluecklichen Ereignisse beklage, welche sich in Spanien zugetragen
haben, und wie dringend und lebhaft ich gewuenscht haette, Sie selbst
wieder den spanischen Thron besteigen zu sehen. Allein," fuhr er fort,
"Eure Majestaet werden auch ebenso wie ich die Zukunft Ihres Hauses hoeher
stellen, als persoenliche Wuensche,--man muss im politischen Leben stets
mit den gegebenen Verhaeltnissen rechnen und Schweres thun, um ein grosses
Ziel zu erreichen,--was heute eine Nothwendigkeit ist, um Ihrem Hause
seine Krone wieder zu gewinnen, wird nach einiger Zeit verschwinden.
Diejenigen, welche sich in so schmaehlicher Undankbarkeit gegen Eure
Majestaet erhoben haben, fuerchten heute natuerlich den Einfluss, den Sie
bei Ihrer Anwesenheit in Spanien auf Ihren Sohn und dessen Regierung
gewinnen wuerden. Lassen Sie einige Zeit vorueber gehen--Jene werden
ohnehin ihrem Verhaengniss verfallen,--und ich sehe den Tag kommen und
sollte er auch bis zur Grossjaehrigkeit Ihres Sohnes hinausgeschoben
bleiben, an welchem Sie, Madame, unter dem Jubel des Volkes von Spanien
als die Mutter seines Koenigs wieder in Madrid einziehen werden."

Die Koenigin blickte nachdenkend vor sich nieder.

"Bedenken Eure Majestaet," sagte der Kaiser nach einigen Augenblicken,
"dass in grossen politischen Entscheidungsmomenten jede Zoegerung
gefaehrlich werden kann--zoegern Sie daher nicht, durch Ihre Abdankung die
Action derer zu ermoeglichen, welche Ihren Sohn auf den Thron fuehren
wollen. Bedenken Sie, dass gewandte und unermuedliche Gegner ihm gegenueber
stehen. Wuerden Sie Sich je verzeihen koennen, wenn durch die Verzoegerung
des Opfers, welches die Verhaeltnisse von Ihnen verlangen, jener Herzog
von Montpensier dennoch endlich an das Ziel seiner Intriguen gelangen
sollte."

"Er," rief die Koenigin mit flammenden Blicken, indem sie den Kopf empor
warf, "er, der falsche Heuchler, den ich wie die Andern Alle mit
Wohlthaten ueberschuettet habe! Niemals! Niemals! Und dieser stolze,
hochmuethige Graf von Monte Molin," fuhr sie fort, "der jede
Verstaendigung zurueckwies, der mich behandelt hat, wie ein Koenig eine
Infantin seines Hauses--Keiner von ihnen soll triumphiren--ich will
jedes Opfer bringen," sagte sie mit entschlossenem Ton, "wenn Eure
Majestaet mir versichern koennen, dass dadurch wirklich meinem armen Kinde
die Krone gesichert wird."

Sie blickte den Kaiser scharf und forschend an.

"Ich bin weder allwissend, Madame," sagte Napoleon, "noch
allmaechtig,--indess so weit menschliche Berechnung reicht, stehen in
diesem Augenblick die Chancen Ihres Sohnes unendlich guenstig, sobald
Ihre Abdankung seine Freunde in den Stand setzt, offen fuer ihn
aufzutreten und zu handeln, und sobald den gegenwaertigen Machthabern
Garantien geboten werden koennen, dass sie unter der wieder hergestellten
Monarchie die gesicherte Stellung finden, welche ihnen selbst bei der
Fortdauer der republikanischen Verwirrung immer zweifelhafter zu werden
scheint;--aber, ich wiederhole es," fuhr er fort, "es muss schnell
gehandelt werden, damit man allen gegenseitigen Intriguen zuvorkommt."

"Ich werde die Urkunde vollziehen," sagte die Koenigin, indem sie sich
mit einem tiefen Athemzug erhob, "man soll von mir nicht sagen koennen,
dass ich es an irgend Etwas habe fehlen lassen, um den Rechten meines
Hauses Geltung zu verschaffen."

"Seien Sie meiner ganzen Unterstuetzung dafuer sicher," sagte der Kaiser,
indem er ebenfalls aufstand, "und genehmigen Sie den Ausdruck meiner
aufrichtigen Dankbarkeit, denn Sie haben durch diesen Entschluss nicht
nur Ihrem Hause, sondern auch mir und Frankreich einen grossen Dienst
geleistet,--Sie wissen, wie viel auch mir daran liegen muss, jenseits der
Pyrenaeen geordnete Zustaende und eine befreundete Regierung zu sehen. Ich
darf Eure Majestaet bitten," fuhr er fort, "sobald die Urkunde vollzogen
ist, mir ein Exemplar derselben zugehen zu lassen, damit ich meinerseits
alle die Schritte thue, die die Umstaende erheischen."

Er kehrte der Koenigin den Arm reichend, in das Vorzimmer zurueck, sprach
mit jedem der Herren und Damen des Gefolges einige hoefliche Worte und
verliess von den Cavalieren der Koenigin bis zum Wagen geleitet, das
Hotel.

Die Koenigin rief den Grafen Ezpeleta in ihr Cabinet.

"Lassen Sie sogleich Ihre Majestaet die Koenigin, meine Mutter, bitten,
sich in einer wichtigen Angelegenheit hierher bemuehen zu wollen. Lassen
Sie auch den Herzog von Sesto und den Marquis von Miraflores rufen. In
zwei Stunden soll mein ganzer Hof in Gala sich versammeln. Haben Sie
das Document in Bereitschaft, das ich Ihnen uebergab?"

"Zu Befehl, Eure Majestaet," erwiderte der Graf von Ezpeleta.

"Ich werde es unterzeichnen," sagte die Koenigin seufzend. "Heute Abend
wird Ihr Koenig Don Alphonso heissen."

       *       *       *       *       *

Am Abend desselben Tages war in dem Empfangssaal des Hotel Basilensky
der Hof der Koenigin Isabella versammelt.

Der Graf von Ezpeleta, der Kammerherr von Albacete und die uebrigen
Cavaliere der Koenigin trugen die Uniformen ihrer Grade. Die Graefin
Ezpeleta, welche als Camerera-Major fungirte und die Damen der Koenigin
waren in grosser Toilette.

Die Kerzen brannten auf den Lustres, in der Mitte des Saales stand ein
grosser runder Tisch mit einer purpurnen Sammetdecke behaengt, auf welchem
in einer grossen Mappe mehrere Papiere lagen, dabei ein kostbares
Schreibzeug und einige grosse Schwanenfedern. In einiger Entfernung von
diesem Tisch standen drei mit rothem Sammet ueberzogene Lehnstuehle, an
deren Ruecklehne sich das koenigliche Wappen von Spanien befand.

In dem Saal hoerte man jenes leise Fluestern, welches an den Hoefen dem
Eintritt der Souveraine vorauszugehen pflegt.

Die Stunde war gekommen, zu welcher Ihre Majestaet die verschiedenen
Personen befohlen hatte. Die Eingangsthuer oeffnete sich--aber noch war es
nicht die Koenigin, sondern es erschien ebenfalls in grossem Galacostuem
der Herzog von Sesto, der Gemahl der Wittwe des Grafen von Morny und der
Marquis von Miraflores. Ihnen folgte der Marschall Bazaine in der grossen
Uniform der Marschaelle von Frankreich und der Praesident des
Civilgerichts Herr Benoist-Champy in der Hofgalatracht der
Justizbeamten.

Abermals verging eine kurze Zeit in schweigender Erwartung. Dann
sprangen die Fluegelthueren auf. Graf Ezpeleta eilte in die anstossenden
Gemaecher Ihrer Majestaet und trat bald darauf in den Saal zurueck, mit dem
Stabe auf das Parquet stossend und die Koenigin ankuendigend.

Unmittelbar darauf trat die Koenigin in den Saal, sie trug eine faltige
Robe von schwarzem Sammet, ein Diadem von Brillanten auf dem Haupte,
den Hermelin um die Schultern, das goldene Vliess an der Kette um den
Hals und das grosse Band vom Orden Karl's III. ueber der Brust.

An der rechten Seite der Koenigin, einen Schritt zurueck, folgte die
Koenigin Christine, ebenfalls in schwarzen Sammet gekleidet, ebenfalls
mit dem goldenem Vliess und dem Orden Karl III. decorirt. Die hohe
Gestalt der Koenigin Christine, ihre scharf geschnittenen, harten und
etwas starren Zuege zeigten wenig Aehnlichkeit mit ihrer Tochter, deren
sanfte, weiche Augen von Thraenen geroethet erschienen, und deren grosser
Mund mit den starken, vollen Lippen, durch den Ausdruck trauriger und
stiller Resignation, welcher auf demselben lag, schoener und anmuthiger
als sonst erschien.

Zur linken Seite der Koenigin ebenfalls einen Schritt zurueck trat der
Prinz von Asturien in den Saal. Er trug einen Knabenanzug von schwarzem
Sammet, ebenfalls das goldene Vliess um den Hals, das blaue Band von dem
Orden Karl's III. ueber der Brust, den Stern an dem kleinen Jaquet.

Der Prinz war bleich und blickte voll liebevoller Theilnahme auf seine
Mutter hin. Seine ganze Erscheinung war unendlich anmuthig und
sympathisch, und als er mit einem halb kindlich verlegenen, halb
fuerstlich stolzen Kopfnicken, die sich tief verneigende Versammlung
begruesste, bot er ein ungemein interessantes und anziehendes Bild dar.

Der alte Infant Don Sebastian, ein Mann mit grauem Haar und ruhigen,
gleichgueltigen Gesichtszuegen in der grossen spanischen Generalsuniform
folgte.

Die Koenigin durchschritt mit dem fuerstlichen Anstande, welcher ihr trotz
ihrer corpulenten und kleinen Figur eigenthuemlich war, den Saal und
setzte sich in den mittelsten der drei Lehnstuehle.

Die Koenigin Christine nahm ihr zur Rechten Platz.

Don Alphonso stellte sich neben den dritten Lehnstuhl und der Infant Don
Sebastian hinter den Fauteuil der Koenigin.

Die Koenigin winkte dem Grafen Ezpeleta.

Dieser trat an den Tisch, nahm ein grosses Pergament aus der dort
liegenden Mappe und trat vor den Sessel der Koenigin.

"Ich, die Koenigin," sprach Donna Isabella, "habe in Erwaegung der
Interessen meines Landes und meines koeniglichen Hauses beschlossen,
meine koenigliche Autoritaet und alle meine politischen Rechte aus freiem
Willen und lediglich aus eigenem Antriebe auf meinen viel geliebten Sohn
Don Alphonso, Prinzen von Asturien, zu uebertragen. Ich habe zugleich
beschlossen," fuhr sie mit etwas zitternder Stimme fort, "um allen
Parteistreitigkeiten vorzubeugen und den innern Frieden meines geliebten
spanischen Volkes zu gewaehrleisten und zu erhalten so viel an mir liegt,
fuer meine Person den spanischen Boden nicht mehr zu betreten; auch wenn
mein Sohn durch die Cortes, die das rechtmaessige Votum der Nation
vertreten, auf den Thron berufen werden wird. Bis dies geschieht, und so
lange mein Sohn ausser seinem Vaterlande weilen wird, behalte ich meinen
Sohn unter meinem Schutz und meiner Vormundschaft.

Don Alphonso XII. ist also von heute an Euer wahrer Koenig, ein
spanischer Koenig, der Koenig der Spanier, nicht der Koenig einer Partei.
Ich werde zugleich mit dieser Urkunde ueber meine Abdankung durch ein
Manifest an die spanische Nation dieselbe verkuendigen und mir wird nur
noch uebrig bleiben, in gluehenden Gebeten lange Tage des Friedens und des
Gedeihens fuer Spanien zu erflehen und fuer meinen Sohn, dem ich meinen
muetterlichen Segen ertheile,--Weisheit und Vorsicht und mehr Glueck auf
dem Thron als seine unglueckliche Mutter fand, welche bis heute Eure
Koenigin war."

Die letzten Worte der Koenigin wurden fast unverstaendlich durch das
Schluchzen, welches ihre Stimme erstickte.

Der junge Prinz von Asturien naeherte sich seiner Mutter und kniete
weinend vor ihr nieder.

Die Koenigin legte die Haende auf sein Haupt und sprach, waehrend grosse
Thraenen ueber ihre Wangen rannen, mit lauter Stimme:

"Gott erhoere mein Gebet und segne Dich, mein Sohn, mit seinem reichsten
Segen!"

Sie machte ueber seinem Haupte das Zeichen des Kreuzes und erhob sich
dann. Don Alphonso und die Koenigin Christine standen gleichfalls auf.

Isabella naeherte sich dem Tisch, auf welchem der Graf von Ezpeleta die
Abdicationsurkunde niedergelegt hatte. Der Herzog von Sesto reichte der
Koenigin die Feder und mit einem raschen, kraeftigen Zug unterzeichnete
sie das Dokument. Dann wandte sie sich um, ergriff den Prinzen von
Asturien bei der Hand und fuehrte ihn zu dem mittleren Lehnstuhl, welchen
sie vorhin eingenommen hatte. Sie neigte sich leicht gegen ihren Sohn
und setzte sich in den Sessel zu seiner Linken.

Der Hof trat heran, alle anwesenden Spanier defilirten an dem jungen
Prinzen, der hier in der Verbannung zum Koenig von Spanien proclamirt
war, vorueber, beugten das Knie vor ihm und drueckten die Lippen auf seine
Hand, die er Jedem reichte.

Nachdem die Ceremonie vorueber war, wandte sich die Koenigin Isabella an
ihren Sohn.

"Ich bitte Eure Majestaet um die Erlaubniss," sagte sie in franzoesischer
Sprache mit starkem spanischem Guttural-Accent, "in Ihrer Gegenwart noch
ein Document aufnehmen zu duerfen, welches nicht die Politik betrifft,
sondern nur die Privatangelegenheiten unseres Hauses ordnet. Es ist mein
Testament, das ich fuer den Fall der Rathschluss Gottes die
Wiederherstellung des Thrones unseres Hauses nicht gestatten sollte,
nach franzoesischem Recht habe aufnehmen lassen, und welches der Herr
Praesident des Civilgerichtshofes und der erlauchte Marschall, der uns
die Freude seiner Gegenwart macht, als Zeugen unterzeichnen sollen."

Don Alphonso wandte sich in rascher Bewegung zu seiner Mutter, umarmte
sie zaertlich und kuesste ihr ehrerbietig die Hand.

Herr Benoist-Champy trat an den Tisch, nahm ein ziemlich umfangreiches
Dokument aus der Mappe und sagte:

"Eure Majestaet erklaeren also hier vor dem Herrn Francois Achille
Bazaine, Marschall von Frankreich, und vor mir, dass dieses Document,
dessen Inhalt Ihnen wohl bekannt ist, Ihre letztwillige Verfuegung ueber
Ihr Privatvermoegen enthaelt, und dass alle darin enthaltenen Bestimmungen
im Falle Ihres Todes gueltig und unantastbar sein sollen, und wollen in
unserer Gegenwart aus voellig freiem Willen und eigenem Entschluss dies
durch Ihre Namensunterschrift bekraeftigen?"

"Ich will es," sagte die Koenigin, trat an den Tisch und unterzeichnete
die Testamentsurkunde.

Der Marschall Bazaine und Herr Benoist-Champy setzten ihre Namen unter
denjenigen der Koenigin.

"Ich bitte nun Eure Majestaet, zu befehlen," sagte die Koenigin Isabella,
sich abermals an ihren Sohn wendend, "dass von der Abdankungsurkunde
ebenso wie von meinem Testamente drei beglaubigte Abschriften genommen
werden moegen, und dass von denselben eine dem Herzog von Sesto, eine dem
Marquis von Miraflores und eine Seiner Majestaet dem Kaiser der Franzosen
uebergeben werde."

Don Alphonso neigte mit einer gewissen, kindlichen Verlegenheit
bestaetigend das Haupt, dann blickte er fragend auf die Koenigin.

Diese trat zu ihm hin und legte ihren Arm in den seinigen und Beide
verliessen unter Vortritt des Grafen Ezpeleta den Saal, um sich in ihre
Gemaecher zurueckzuziehen. Die Koenigin Christine und der Infant Don
Sebastian folgten.

Schweigend ging die Versammlung auseinander,--Herr von Albacete
begleitete den Marschall Bazaine und Herrn Benoist-Champy bis zum Fuss
der Treppe des Hotels.




Fuenftes Capitel.

Der Kaiser Napoleon kehrte nach einer Spazierfahrt durch das Bois de
Boulogne nach St. Cloud zurueck. Als er durch das Gitterthor in den Hof
des alten erinnerungsreichen Schlosses eingefahren war, welches die
schoenen Tage von Marie Antoinette, die weithin glaenzende
Siegesherrlichkeit Napoleon I. und die letzten Tage des Koenigthums Carls
X. gesehen hatte, und sich auf den Arm des Generals Fave gestuetzt, nach
seinen Gemaechern begeben hatte, meldete ihm der Dienst thuende
Kammerdiener, der ihm die Thuer des Vorzimmers oeffnete, dass der Herzog
von Gramont angekommen sei und Seine Majestaet bitte, ihm in einer
dringenden Angelegenheit sogleich nach seiner Rueckkehr Gehoer zu
schenken.

Der Kaiser, welcher sich waehrend der Fahrt heiter und lebhaft mit dem
General Fave unterhalten hatte und dessen Gesicht den Ausdruck einer
frohen, zufriedenen Stimmung trug, wurde bei dieser Mittheilung ernst
und blickte fast finster vor sich nieder.

"Ist es denn nicht moeglich," sagte er leise, "einen Tag von diesen
ewigen Sorgen und Qualen der Politik befreit zu bleiben, die uns wie mit
eisernen Klammern festhaelt, so bald sie uns einmal erfasst hat und die
alles friedliche, menschliche Glueck zerstoert."

Seufzend reichte er dem Kammerdiener seinen Hut und seinen Stock und
befahl, den Herzog von Gramont einzufuehren, welcher wenige Augenblick
darauf in das Cabinet seines Souverains trat.

Der Herzog war bleich, sein sonst so ruhiges, gleichmaessiges und
laechelndes Gesicht zeigte die Spuren tiefer innerer Erregung. Er hielt
einige Papiere in der Hand und erwiderte hastig und ohne seine sonstige
etwas ceremonielle und doch anmuthige, verbindliche Hoeflichkeit die
freundliche Begruessung des Kaisers.

"Ich habe Eurer Majestaet," sagte er schnell sprechend, "eine ebenso
ueberraschende, als unangenehme Nachricht mitzutheilen, eine Nachricht,
welche Eure Majestaet ebenso sehr befremden und ebenso peinlich beruehren
muss, als dies bei mir der Fall gewesen ist."

Ein Ausdruck von Ermuedung und von Widerwillen erschien auf dem Gesicht
des Kaisers. Abermals tief seufzend liess er sich in einen Lehnstuhl
sinken und sagte, indem er dem Herzog einen Sessel neben sich
bezeichnete mit matter, tonloser Stimme:

"Sprechen Sie, mein lieber Herzog--Sie wissen," fuegte er mit einem
gezwungenen Laecheln hinzu, "mein grosser Oheim pflegte zu sagen, dass die
Mittheilung boeser Nachrichten niemals aufgeschoben werden muesse,--die
guten erfaehrt man immer frueh genug. Leider," sagte er ganz leise vor
sich hin, "kommen sie nicht haeufig."

"Ich erhielt bereits gestern, Sire," sprach der Herzog von Gramont, der
vor dem Kaiser stehen geblieben war, "den Wortlaut einer Rede, welche
der Marschall Prim in den Cortes gehalten hat, und welche mich auf das
Peinlichste beruehrt. Eure Majestaet wissen, wie grosse Bereitwilligkeit
ueberall gezeigt worden ist, um die Restauration des Prinzen von Asturien
einzuleiten und zu unterstuetzen. Ich musste daher auf das Hoechste
erstaunt sein, zu erfahren, dass der Marschall Prim den Cortes gegenueber
auf das aller Bestimmteste erklaert hat, dass die bisherigen Negotiationen
einen Koenig fuer Spanien zu finden, sich nach allen Richtungen hin
zerschlagen haetten."

"Nun," sagte der Kaiser laechelnd, "das wissen wir ja, das ist vollkommen
wahr und sehr zufriedenstellend. Wenn man keinen andern Koenig finden
kann, wird man endlich wohl auf den kleinen Don Alphonso zurueckkommen
muessen."

"Aber, Sire," fuhr der Herzog von Gramont fort, "nachdem der Marschall
diese Mittheilung gemacht, hat er hinzugefuegt, er werde nicht fuer das
Werk der Restauration arbeiten und zur Zurueckfuehrung Don Alphonso's
niemals die Hand bieten, und dieses Niemals, Sire, hat er dreimal
betont."

Der Kaiser laechelte abermals.

"Es giebt Faelle," sagte er, die Spitzen seines Schnurrbarts drehend, "in
denen man Dasjenige am entschiedensten und bestimmtesten zurueckweist,
was man zu thun entschlossen ist und dessen Ausfuehrung man vorbereitet."

"Eure Majestaet haben vollkommen Recht," erwiderte der Herzog von
Gramont, "und gerade von diesem Gedanken ausgehend, bin ich dahin
gekommen, der Rede des Marschall Prim keinen besonderen Werth
beizulegen, obgleich es mich immerhin befremdete, ihn eine Combination,
ueber welche er ja fueglich haette schweigen koennen, so bestimmt ablehnen
zu sehen, waehrend dieselbe doch von Olozaga und Serrano durchaus nicht
so absolut zurueckgewiesen ist. Die Rede des Marschalls fand aber," fuhr
er fort, "eine sehr unerfreuliche Ergaenzung und Erklaerung in einem
Bericht des Herrn Mercier de Lostende, Eurer Majestaet Botschafter in
Madrid. Schon gestern Abend erhielt ich ein Telegramm des Botschafters,
in welchem er mir sagt, dass die Candidatur des Prinzen von Hohenzollern
sehr weit fortgeschritten zu sein scheint,--wenn sie nicht schon
entschieden sei. Der General Prim selbst habe es ihm gesagt und er habe
sogleich Herrn Bartholdy abgesendet, um seinen detaillirten Bericht zu
ueberbringen, denselben durch muendliche Mittheilung zu ergaenzen und die
Befehle Ihrer kaiserlichen Majestaet einzuholen."

"Die Candidatur Hohenzollerns," sagte der Kaiser,--"mein Gott, diese
Sache hielt ich ja seit einem Jahre fast fuer abgethan. Woher ist denn
dieselbe jetzt wieder auf die Tagesordnung gekommen," fragte er, den
Blick scharf und forschend auf den Herzog von Gramont richtend, "und
woher kommt es, dass ich garnichts davon erfahren habe? Man haette sich
darueber verstaendigen koennen, da sie jetzt so ploetzlich hervortritt, ist
die Sache in der That sehr unangenehm--ich habe mich der Koenigin
gegenueber," fuegte er leiser hinzu, "einigermassen engagirt, sie hat ihre
Abdankung unterzeichnet."

"Es scheint," sagte der Herzog von Gramont, "dass der Marschall Prim hier
ganz eigenmaechtig und hinter dem Ruecken seiner Collegen und aller
spanischen Staatsmaenner gehandelt hat, denn Herr Olozaga, den ich
sogleich befragte, erklaerte mir, dass er von der ganzen Angelegenheit
nichts wisse und sprach sich zugleich in den aller entschiedensten und
staerksten Ausdruecken gegen diese ganze Combination aus, von welcher er
vollkommen einsah, dass sie nur geeignet sein koenne, grosse Verwirrungen
hervorzurufen."

"Waere die Sache frueher herangetreten," sagte der Kaiser, immer noch halb
zu sich selbst sprechend,--"man haette sich darueber verstaendigen
koennen--in diesem Augenblick als fait accompli setzt es mich in der That
in die aeusserste Verlegenheit.----Es scheint, dass der Marschall Prim den
Spaniern einen Koenig geben moechte, welcher ihm allein seinen Thron zu
verdanken haette. Er commandirt die Armee und unter einem Koenige seiner
Erfindung wird er allerdings auf lange hinaus der allmaechtige Minister
sein. Aber ich begreife in der That nicht, dass Serrano und die Uebrigen
darauf haben eingehen koennen."

"Es scheint, dass sie ueberrumpelt sind," sagte der Herzog von Gramont,
"und dass sie sich in keiner Weise die Consequenzen klar gemacht haben,
welche diese Candidatur nach sich ziehen muss,--denn," fuhr er fort,
"wenn ein preussischer Prinz auf den spanischen Thron steigt, waehrend
zugleich der Koenig von Preussen schon jetzt die fast unbestrittene
Hegemonie in Deutschland hat, so ist das Reich Carl V. wieder
hergestellt und in jedem Kampf mit Deutschland wuerden unsere Grenzen an
den Pyrenaeen bedroht sein. Die traditionelle Politik Frankreichs
erfordert es, dass wir uns einer solchen Combination auf das Aeusserste
und Entschiedenste widersetzen, um so mehr als in der Person des Prinzen
von Hohenzollern durch seine Verwandschaftsbeziehungen mit dem
portugiesischen Koenigshause auch die Idee der iberischen Einheit ihren
Ausdruck findet."

Napoleon laechelte ein wenig bei den lebhaft und erregt gesprochenen
Worten des Herzogs.

"Nun," sagte er, "der Prinz Leopold wird wohl so bald nicht in der Lage
sein, mit der unumschraenkten Autoritaet Carl V. und Philipp II. ueber die
Armeen Spaniens verfuegen zu koennen, und das spanische Nationalgefuehl
wuerde es ihm wohl ein wenig schwer machen, im Fall einer Verwickelung
mit Deutschland unsere Grenzen zu bedrohen, um so mehr da mit der
Herstellung der Monarchie auch der Einfluss Roms auf die spanische
Politik wieder erheblich maechtiger werden muss. Allein," fuhr er fort,
"die Sache ist immerhin unangenehm und beruehrt mich besonders in diesem
Augenblick sehr peinlich. Auch ist die Art und Weise der ploetzlichen
Mittheilung eines im Stillen vorbereiteten fait accompli durch den
Marschall Prim geradezu eine Beleidigung Frankreichs. Man muss auf der
Stelle in Madrid erklaeren lassen, dass Frankreich diese Candidatur nicht
annehmen koenne. Der Marschall Prim," sagte er, "soll fuehlen, dass er noch
nicht der Mann ist, um ohne mich auch nur zu fragen, Dinge von solcher
Wichtigkeit zum Abschluss zu bringen. Wir werden Mercier sofort anweisen
muessen, eine sehr energische Sprache zu fuehren ich glaube, das wird die
Sache sehr schnell erledigen."

"Sire," sagte der Herzog von Gramont, "ich stimme mit Eurer Majestaet
vollkommen darin ueberein, dass sich hier eine vortreffliche Gelegenheit
bietet, um das so tief gesunkene Prestige Frankreichs in Europa wieder
herzustellen. Dies Prestige muss allerdings tief gesunken sein, wenn der
Marschall Prim, noch dazu ohne Einverstaendniss seiner Collegen in der
Regierung, es wagt, in einer so ruecksichtslosen Weise ueber Frankreich
vollkommen hinweg zu gehen. Und es hat sich in Folge dessen auch," fuhr
er fort, "die oeffentliche Meinung in Paris bei der ersten Nachricht ueber
diese neueste Wendung der spanischen Verhaeltnisse auf das Aeusserste
erregt gezeigt. Die Journale fuehren eine sehr heftige Sprache und
verlangen von der Regierung Eurer Majestaet, dass dieselbe den Beweis
liefere, Frankreich sei noch nicht aus der Reihe der europaeischen
Grossmaechte ausgestrichen."

Der Kaiser trommelte nachdenklich mit den Fingern auf der Lehne seines
Fauteuils. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck einer tiefen Missstimmung.

"So sehr ich nun auch," fuhr der Herzog von Gramont fort, "die
Nothwendigkeit anerkenne, schnell und energisch zu handeln, so vermag
ich noch nicht die Ansicht zu der meinigen zu machen, dass unsere Action
sich gegen Spanien zu richten habe."

Der Kaiser blickte befremdet auf.

"Aber wohin denn," fragte er.

"Sire," sagte der Herzog von Gramont, indem ein zufriedenes und fast
ueberlegenes Laecheln um seinen fein geschnittenen Mund spielte, "das
Prinzip der Regierung Eurer Majestaet beruht auf der unbedingten
Anerkennung des souverainen Selbstbestimmungsrechts der Nation. Eure
Majestaet nennen sich mit berechtigtem Stolz den Kaiser durch die Gnade
Gottes und durch den Willen der Nation--diesem Prinzip gemaess hat
Frankreich stets das Selbstbestimmungsrecht der Voelker auf das
Sorgfaeltigste geachtet und vertreten, und auch den spanischen
Angelegenheiten gegenueber vom ersten Augenblick an officiell erklaert,
dass es sich jeder Einmischung in das Recht der spanischen Nation sich
nach ihrem eigenen Willen und Belieben zu constituiren, auf das
Gewissenhafteste enthalten werde. Wuerde Eurer Majestaet Regierung nun den
Spaniern verbieten wollen, sich irgend einen Koenig, der ihnen passend
erscheint, zu erwaehlen, so wuerde damit einem Prinzip scharf
entgegengetreten werden, welches Frankreich so wohl im Innern wie nach
aussen hin, bis jetzt proclamirt hat. Der Eindruck einer solchen
Erklaerung muesste beim franzoesischen Volke ein sehr unguenstiger sein, und
koennte bei dem grossen Nationalstolz der Spanier dahin fuehren, dass die
ganze Nation die Partei des Prinzen von Hohenzollern ergriffe, nur um
ihr souveraines Selbstbestimmungsrecht zu wahren, und dass gerade das,
was wir vermeiden wollen, vielleicht um so sicherer geschaehe. Auch
richtet sich der Unwille der oeffentlichen Meinung, die sich in den
Artikeln der Journale kund giebt, nicht gegen Spanien--"

"Aber wie wollen Sie denn,----" fiel der Kaiser ein, indem er den Herzog
fragend ansah.

"Sire," sprach der Minister lebhaft weiter, "nicht darin, dass die
spanische Nation ihr Recht, sich einen Koenig zu waehlen, frei ausuebt,
liegt eine Gefahr fuer Frankreich, sondern darin, dass ein Prinz des
preussischen Koenigshauses eine solche Wahl annimmt, und dass in Folge
dieser Annahme spaeter die preussische Politik im Fall feindlicher
Beziehungen zu Frankreich in Madrid Rueckhalt und Unterstuetzung finden
wird."

Der Kaiser neigte mit einem feinen Laecheln das Haupt und strich mit der
Hand ueber das Kinn.

"Ich verstehe," sagte er leise.

"Mir scheint deshalb," fuhr der Herzog fort, "dass wir nicht den Spaniern
verbieten sollen, sich irgend einen Koenig zu waehlen, sondern dass wir uns
an den Punkt wenden muessen, wo die Gefahr fuer uns liegt, und dass wir vom
Koenige von Preussen verlangen muessen, er solle dem Prinzen von
Hohenzollern die Annahme der spanischen Krone verbieten."

Der Kaiser wiegte gedankenvoll den Kopf hin und her.

"Dadurch enthalten wir uns," fuhr der Herzog fort, "jeder Beleidigung
der spanischen Nation, jedes Eingriffs in das nationale
Selbstbestimmungsrecht--wir folgen dem Zuge der oeffentlichen Meinung in
Frankreich, welche sich nicht gegen Spanien, sondern ausschliesslich
gegen Preussen richtet und in der ganzen Candidatur des Erbprinzen von
Hohenzollern nur eine Intrigue des Grafen Bismarck erblickt,--wir haben
ausserdem die Chance des Erfolges fuer uns, denn ich glaube nicht, dass man
in Berlin geneigt sein wird, um dieser Frage willen einen ernsten
Conflikt entstehen zu lassen. Und endlich," fuegte er mit Betonung hinzu,
"wird sich durch diese Behandlung der Sache, die so oft vergebens
gesuchte Gelegenheit finden, der Welt zu zeigen, dass der Schwerpunkt der
oeffentlichen Angelegenheiten Europas noch nicht definitiv von Paris nach
Berlin verlegt worden ist. Der Rueckzug, welchen die preussische Politik
in dieser Sache zweifellos antreten wird, kann der oeffentlichen Meinung
Frankreichs als ein grosser moralischer Sieg dargestellt werden und dies
wird das schwer erschuetterte Prestige mit einem Schlage wieder
herstellen. Wenn in Folge unserer Intervention die Candidatur des
Erbprinzen von Hohenzollern zurueckgezogen werden muss, so wird dies der
Regierung Eurer Majestaet ebenso viel nuetzen, als eine gewonnene Schlacht
oder die Erwerbung von Compensationsobjecten, zu welcher bisher der
vergebliche Versuch gemacht wurde."

Er schwieg und blickte erwartungsvoll und forschend auf den Kaiser.

Napoleon stand langsam auf, ging einige Male im Zimmer auf und nieder
und blieb am Fenster stehen, sinnend auf seine Rosenbeete
hinausblickend. Dann wandte er sich, die Hand auf die Fensterbruestung
gestuetzt, zum Herzog zurueck und sprach:

"Es liegt viel Wahres in dem Gedanken, den Sie da so eben ausgesprochen
haben. Es waere vielleicht eine Angelegenheit um die Vergangenheit zu
verbessern. Das Ganze wuerde freilich," sagte er achselzuckend, "im
Wesentlichen nur ein Theatercoup sein. Aber," fuegte er hinzu, "die
oeffentliche Meinung wird ja doch nur durch solche Theatercoups bestimmt,
und es ist jedenfalls am besten, wenn man sie ausfuehren kann ohne
ernsthafte Gefahr. Doch," sagte er dann mit tiefem Ernst, "sind wir vor
solcher Gefahr sicher, sind wir vollkommen gewiss, dass wir in Preussen
nicht auch diesmal wie so oft vorher auf einen bestimmten und festen
Widerspruch stossen werden, dass sich aus der Sache nicht ein wirklicher
und ernster Conflikt entwickelt, den ich in diesem Augenblicke um keinen
Preis heraufbeschwoeren moechte."

Der Herzog von Gramont richtete sich noch gerader empor als sonst, mit
einem stolzen Laecheln kraeuselte er leicht seinen Schnurrbart und sagte:

"Darueber bin ich ganz sicher, man wird es nicht wagen, ernstlichen
Widerstand in Berlin zu leisten, wenn wir nur fest und energisch
auftreten,--wie ich ueberzeugt bin," fuhr er fort, "dass man es auch bei
frueheren Gelegenheiten nicht gewagt haben wuerde, wenn wir bestimmt auf
unserer Forderung bestanden haetten. Man hat in Berlin mit so vielen
inneren Schwierigkeiten zu kaempfen, die Haltung der sueddeutschen Staaten
ist hoechst widerstrebend,--Oesterreich steht auf unserer Seite und der
General Fleury erhaelt unausgesetzt die zweifellosesten Beweise der
Sympathie des Kaisers Alexander fuer Eure Majestaet und fuer Frankreich.
Ich bin sicher, dass man nachgeben wird und zwar um so leichter und
schneller, als man die ehrgeizigen Absichten, welche nach meiner Ansicht
im Hintergrunde dieser Combination liegen, nicht wird eingestehen
wollen."

"Dessen muesste man aber," sagte der Kaiser, "sicher sein, denn die
sympathischen Aeusserungen gegen den General Fleury vermag ich fuer
nichts anderes anzusehen, als fuer Worte und Ausdruecke persoenlicher
Gesinnungen, welche der Kaiser Alexander gewiss hegt, aber welche kaum
jemals irgend einen Einfluss auf die Politik Russlands ausueben
werden,--und was Oesterreich betrifft," fuegte er achselzuckend
hinzu,--"Sie sehen die Verhaeltnisse dort guenstiger an, mein lieber
Herzog, als ich es zu thun im Stande bin."

Er schwieg abermals einige Augenblicke nachdenklich.

"Auch weiss ich nicht," sagte er dann, "ob unsere Armee so schlagfertig
ist, dass man die Moeglichkeit eines ernsten Conflikts in's Auge fassen
darf,--Niel ist todt," sagte er duester, "und seine sichere und
energische Hand ist bis heute noch unersetzt geblieben.

"Doch," sprach er dann, "unthaetig duerfen wir nicht bleiben, und ich
komme immer mehr dahin, mich Ihrem Ideengang anzuschliessen. Die
Situation ist aeusserst guenstig, Graf Bismarck ist in Barzin,--mit ihm
wuerde man vielleicht nicht so leichten Kaufs fertig werden. Der Koenig
Wilhelm ist in Ems allein,--so sehr er Soldat ist, so hegt er doch eine
tiefe Scheu vor einem ernsten Conflikt, der seine Armee, welche sein
ganzes Volk repraesentirt, auf die Schlachtfelder fuehren koennte. Ausserdem
glaube ich nicht, dass er nach seiner persoenlichen Auffassung einen
seinem Hause nahe stehenden Prinzen gern das Abenteuer dieses spanischen
Koenigsversuchs wird bestehen lassen. Die Sache kann in Ems vielleicht
ganz leicht und glatt erledigt werden, und Ihrer und Olliviers
Geschicklichkeit," sagte er laechelnd, "wird es dann ueberlassen sein, das
Resultat als einen Triumph unserer Energie der oeffentlichen Meinung in
Frankreich darzustellen.

"Benedetti ist in Wildbad?" fragte er.

"Zu Befehl, Majestaet," sagte der Herzog von Gramont, "er muss seit
einigen Tagen dort sein, der Botschafts-Secretair Le Sourd fuehrt die
Geschaefte in Berlin, welche ohne diesen Zwischenfall im jetzigen
Augenblick fast gaenzlich bedeutungslos waeren."

"Geben Sie Benedetti den Auftrag," sagte der Kaiser, "sich sogleich nach
Ems zum Koenig Wilhelm zu begeben und dort so schnell als moeglich und
thunlichst ohne jedes Aufsehen die Zurueckziehung der Candidatur des
Prinzen von Hohenzollern zu erreichen. Er kann dabei auf das Beispiel
Griechenlands hinweisen. Damals wurde ebenfalls bestimmt, dass die Wahl
des Koenigs auf keinen Prinzen aus den regierenden Haeusern der
Schutzmaechte fallen duerfe, auch an das Beispiel Neapels, wo ich selbst
dem Prinzen Murat die Aufstellung seiner Candidatur untersagt
habe,--Benedetti ist unendlich geschmeidig und insinuant, auch dem
Koenige Wilhelm eine angenehme und sympathische Person, er wird dort
unter den einfachen und zwanglosen Verhaeltnissen des Badelebens, welche
ihm auch eine leichtere Annaeherung an den Koenig und einen freieren und
natuerlicheren Verkehr mit ihm gestatten, ohne Zweifel sehr leicht
erreichen koennen, dass die Candidatur des Erbprinzen zurueckgezogen wird.
Lassen Sie Benedetti wissen, dass er auf meine hoechste Dankbarkeit
rechnen kann, wenn er diese Angelegenheit schnell und gluecklich zu Ende
fuehrt und unterlassen Sie vorlaeufig jeden officiellen Schritt in Berlin,
der verletzen und das Resultat der Unterhandlungen in Ems in Frage
stellen koennte."

Der Herzog verneigte sich.

"Ich werde sofort den Befehl an Benedetti abgehen lassen, Sire," sagte
er.

Napoleon rieb sich mit heiterem Laecheln die Haende.

"Wenn Benedetti reussirt," sagte er, "so wird Alles vortrefflich gehen.
Der Koenig Wilhelm wird die ganze Sache als einen Act freundlicher
Hoeflichkeit ansehen und gern entgegenkommen, und mein Freund, der Graf
Bismarck," fuegte er mit eigenthuemlicher Betonung hinzu, "wird in seiner
laendlichen Einsamkeit zu Barzin nun auch einmal meinerseits eine jener
kleinen Ueberraschungen empfinden, die er mir so oft bereitet hat. Vor
allen Dingen aber," fuhr er fort, "schaerfen Sie Benedetti die aeusserste
Geschmeidigkeit und Ruecksicht ein,--handeln Sie schnell und senden Sie
mir alle eingehenden Berichte und Telegramme sofort hierher. Wenn wir
nach dem Plebiscit dem franzoesischen Nationalgefuehl diesen Erfolg
vorfuehren koennen, so werden wir viel gewonnen haben. Wenn," fuhr er nach
einem augenblicklichen Nachdenken fort, "Sie dahin wirken koennen, dass
durch Olozaga und Serrano auch von den Spaniern die Candidatur des
Prinzen Leopold aufgegeben wird, so wird das um so besser sein, doch muss
jeder Schein eine Pression vermieden werden."

Der Herzog von Gramont ergriff mit ehrerbietiger Verneigung die Hand,
welche der Kaiser ihm zum Abschied reichte und ging hinaus.

"Fast scheint es dennoch," sagte der Kaiser, "dass das Glueck sich mir
zuwendet. Diese Candidatur des Prinzen Leopold, dem ich," sprach er
laechelnd, "diesen zweifelhaften Glanz des spanischen Thrones wirklich
gern gegoennt haette, wird die Handhabe bieten, auch den aeusseren Nimbus
des Kaiserreichs wieder herzustellen, nachdem dessen nationale
Grundlagen wieder durch das Plebiscit befestigt sind, und so wird es mir
vielleicht erspart bleiben in die entsetzliche kriegerische Catastrophe,
welche seit vier Jahren wie ein Damoklesschwert ueber meinem Haupte
schwebt, hineingerissen zu werden."

Er zuendete eine seiner grossen braunen Havannacigarren an, setzte den
breitrandigen Strohhut auf und stieg langsam ueber die, aus seinen
Gemaechern herabfuehrende Treppe in seinen Rosengarten hinab.




Sechstes Capitel.


Die Morgenpromenade am Kursaal in Ems war aeusserst belebt und eine
zahlreiche und glaenzende Gesellschaft bewegte sich in der grossen Allee
hin und her. Die Damen in einfachen eleganten Sommertoiletten hielten je
nach ihrem Range und der Stellung, die sie sich durch ihre persoenlichen
Eigenschaften in der Gesellschaft erworben, eine Art von Cercle, indem
sie in kurzer Unterhaltung die Herren ihrer Bekanntschaft begruessten,
bald stehen bleibend, bald mit Diesem oder Jenem einige Schritte auf der
Promenade machend.

Daneben sah man alte muerrische Herren, welche hierher gekommen waren, um
den waehrend des Jahres angesammelten Staub der Bureaux aus ihren Kehlen
und ihren Lungen fortzuspuelen; Diplomaten, welche hier ihre
Sommervilleggiatur hielten, weniger um der Heilkraft der Quellen willen,
als weil die Anwesenheit des Koenigs von Preussen, wenn derselbe auch
ganz ausschliesslich seiner Badekur lebte, dennoch in dieser Zeit der
absoluten Stagnation in der Politik hier noch die meiste Gelegenheit
bot, um ein wenig zu hoeren und zu sehen, was in der Welt vorging oder
sich vorbereitete.

In den letzten Tagen war in das Stillleben des Badeaufenthalts ein wenig
mehr Leben und Bewegung gekommen; man hatte gelesen, dass der Erbprinz
von Hohenzollern als Candidat fuer den spanischen Thron aufgestellt sei,
und dass derselbe diese Candidatur angenommen habe. Man wusste, dass dieses
Ereigniss, welches an sich von keiner besondern Bedeutung zu sein schien,
eine grosse Aufregung in der franzoesischen Presse erregt hatte. Im Corps
legislatif war eine Interpellation erfolgt, und der Herzog von Gramont
hatte eine sehr kategorische und sogar etwas verletzende Erklaerung
abgegeben; auch war der Botschafter des Norddeutschen Bundes Baron von
Werther in Ems angekommen. Das Alles liess darauf schliessen, dass die
spanische Thronfrage und die Candidatur des Prinzen Leopold Gegenstand
der Verhandlungen zwischen dem Koenige Wilhelm und dem Kaiser Napoleon
geworden sei oder werden wuerde und namentlich unter den sich im
Ferienaufenthalt hier befindenden Diplomaten war dadurch eine gewisse
neugierige Spannung hervorgerufen, doch nahm im Ganzen die Gesellschaft
wenig Theil daran. Man war seit einigen Jahren ja gewoehnt, dass hier und
da kleine Differenzen zwischen Frankreich und Preussen entstanden, und da
dieselben jeder Zeit mit der aeussersten Courtoisie von beiden Seiten
wieder ausgeglichen waren, so legte man auch diesmal der so ploetzlich
aufgetauchten Frage keine grosse Bedeutung bei, und um so weniger als ja
die ganze Sache Preussen und Deutschland so unendlich wenig anzugehen
schien.

So war denn die ganze Gesellschaft auf der Brunnenpromenade in Ems
ebenso heiter, als der blaue sonnige Himmel, welcher sich ueber dem
reizenden Bergthal ausspannte. Es waren nur Worte leichter und
froehlicher Conversation, welche man unter den Klaengen der Badecapelle
miteinander wechselte.

Bereits war der Prinz Georg von Preussen auf der Promenade erschienen und
hatte sich in liebenswuerdigster Weise mit den ihm bekannten Damen und
Herren der Badegesellschaft unterhalten, und mit allgemeiner Spannung
erwartete man den Koenig Wilhelm, welchen man puenktlich zur festgesetzten
Stunde auf der Promenade erscheinen zu sehen gewohnt war, um seinen
Kraenchen-Brunnen zu trinken.

"Ich habe gestern Abend die neuesten Zeitungen mit Nachrichten aus
Frankreich gelesen," sagte der Praesident des evangelischen
Oberkirchenraths Dr. Matthis, eine hagere, trockene Gestalt mit
bureaukratisch faltigem, kraenklichem Gesicht, indem er sich zu dem
Regierungspraesidenten von Bernuth, einem schlanken, hoch blonden Mann
mit starkem Schnurrbart, welcher in militairischer kraeftiger Haltung
neben ihm ging, wandte, "es scheint mir doch ein wenig bunt in
Frankreich auszusehen. Wenn ich dazu die ploetzliche Ankunft des Baron
von Werther nehme, so kommt mir die Lage der Dinge doch etwas
beunruhigend vor. Mir scheint die oeffentliche Meinung in Paris sehr
montirt zu sein, und die Erklaerung des Herzogs von Gramont im Corps
legislatif beweist, dass die Regierung sich ein wenig unter dem Druck
dieser oeffentlichen Meinung befindet. Es waere doch entsetzlich," sagte
er seufzend, "wenn wir hier aus unserm ruhigen Badeleben durch ernste
und gefaehrliche Catastrophen aufgeschreckt werden sollten."

"Ich glaube nicht daran, Excellenz," sagte Herr von Bernuth, "dieses
Spiel hat sich ja seit 1866 schon oftmals wiederholt,--erinnern Sie sich
nur an Luxemburg. Damals schrieben die franzoesischen Journale flammende
Artikel, und so viel man davon erfuhr, fuehrte auch die franzoesische
Diplomatie eine sehr hochmuethige Sprache, so dass Jedermann damals an den
Ausbruch des Krieges glaubte. Die ruhige kaltbluetige Heftigkeit des
Kaisers und des Grafen Bismarck haben damals dem Sturm getrotzt und
derselbe hat keine gefaehrlichen Wetterwolken empor getrieben,--so wird
es auch diesmal wieder sein, man wird sich wohl jetzt ebenso wenig
einschuechtern lassen, wie damals und die ganze Sache hat ja auch fuer
beide Theile lange nicht die Bedeutung wie die Luxemburger Affaire."

Der Geheimrath Matthis schuettelte bedenklich den Kopf.

"Mir will das nicht recht geheuer vorkommen," sagte er,--"es waere
wirklich traurig, wenn die Kur, die mir so gut bekommt, unterbrochen
werden sollte."

Sie waren an die Quelle gekommen, Herr Matthis fuellte seinen Becher und
schluerfte vorsichtig in kleinen Zuegen das Heil bringende Wasser ein,
waehrend Herr von Bernuth rasch in kraeftigen Zuegen seinen Becher leerte.

"Sehen Sie, Exzellenz," sagte er dann, "dort kommt Seine Majestaet. Ich
bitte, sehen Sie den Herrn an, so lange dies Gesicht so heiter und
ruhig blickt, haben wir nichts fuer den europaeischen Frieden zu
fuerchten."

Der Geheimrath Matthis hatte bei den Worten des Praesidenten hastig
seinen Becher geleert, von der schnell in seine Kehle dringenden
Fluessigkeit gereizt, begann er heftig zu husten, und sein Taschentuch
vor den Mund haltend, blickte er nach dem Eingang der Allee hin, wo so
eben der Koenig Wilhelm in einem einfachen dunklen Civilanzug, einen
Cylinderhut auf dem Kopf, einen Stock in der Hand erschien, begleitet
von dem Fluegeladjutanten, Grafen Lehndorf, einem schoenen, hoch
gewachsenen Mann mit starkem dunklem Bart, der ebenfalls in Civil
erschienen war.

Der Praesident von Bernuth hatte Recht; der Koenig ging so frisch, so
leichten und kraeftigen Schritts einher; sein Gesicht strahlte von einer
so ruhigen milden Heiterkeit, dass man unmoeglich dem Gedanken Raum geben
konnte, dass ernste Sorgen um den Frieden der Welt ihn erfuellen koennten.

Der Koenig schritt rasch durch die Allee nach der Quelle hin und
erwiderte rechts und links freundlich mit der Hand winkend die
ehrerbietigen Begruessungen der bei seinem Vorbeischreiten tief sich
verneigenden Badegaeste. Der Koenig begruesste schnell, aber herzlich den
Prinzen Georg, welcher ihm entgegentrat und wandte sich dann zu seinem
Leibarzt Dr. von Lauer, der den Becher Seiner Majestaet aus dem
Kraenchen-Brunnen fuellen liess.

"Ich habe vortrefflich geschlafen, mein lieber Lauer," sagte der Koenig,
indem er den Becher ergriff, "ueberhaupt bekommt mir diesmal die Kur ganz
ausgezeichnet. Es ist eine vortreffliche Quelle, die Sie mir verordnet
haben, sie bringt meine Natur fuer ein Jahr immer wieder in Ordnung."

Er leerte mit langen Zuegen seinen Becher und athmete dann tief auf, als
fuehle er die wohlthaetige Wirkung des Getraenks.

"Eure Majestaet sehen in der That in den letzten Tagen und heute
besonders ganz ausnehmend wohl und kraeftig aus," sagte Herr von Lauer,
indem er den scharfen Blick seines klugen und geistvollen Auges auf der
kraeftigen Gestalt des Koenigs ruhen liess. "Aber ich wuerde, um die Quelle
zur vollen Wirksamkeit zu bringen, am liebsten sehen, dass Eure Majestaet
Ihr Militair- und Civilcabinet zu Hause gelassen haetten, denn die
Enthaltung von allen Arbeiten, von aller geistigen Unruhe ist die erste
Bedingung einer guten Wirkung des Bades, und leider halten Eure Majestaet
diese nothwendige geistige Diaet nicht mit eben der Sorgfalt, mit
welcher Sie die materiellen Diaetvorschriften beobachten."

"Leider ist das nicht so ganz moeglich," erwiderte der Koenig, "indess kann
ich Sie versichern, dass ich auch in dieser Beziehung so viel als es
angeht, Ihren Vorschriften nachkomme, und namentlich habe ich keine
aufregenden und beunruhigenden Arbeiten," fuegte er hinzu, waehrend es wie
ein leiser voruebergehender Schatten ueber sein Gesicht flog.

"Ich fuerchte doch, dass Eure Majestaet als Bade-Patient immer noch zu viel
arbeiten, denn nach der Anzahl von Depeschen, welche einlaufen--"

"Controliren Sie meine Depeschen?" fragte der Koenig laechelnd.

"Als Eurer Majestaet Leibarzt," sagte Herr von Lauer, "muesste ich hier im
Bade eigentlich Alles controliren, was in Eurer Majestaet Leben
eingreift; aber zu der Bemerkung, welche ich so eben zu machen mir
erlaubte, bin ich auf zufaellige Weise gekommen; ich wohne im steinernen
Hause neben dem Zimmer des Hofraths St. Blanquart"--

"Nun," fragte der Koenig.

--"der Geheimrath Abeken, Majestaet, kommt nun sehr haeufig von seiner
Wohnung in Huyns Gartenhaus zu St. Blanquart, um von den Depeschen nach
ihrer Dechiffrirung sofort Kenntniss zu nehmen, und seit einigen Tagen
hoere ich bis tief in die Nacht hinein fortwaehrend das Vorlesen der
Zahlen der Chiffres. Diese ruhig und monoton ausgesprochenen Zahlen
toenen in meinen Schlaf hinein, und wenn ich morgens frueh aufwache, so
hoere ich bereits wieder, wie sich Zahl an Zahl in der Arbeit des
Dechiffrirens an einander reiht;--ob man in der Nacht ueberhaupt
aufgehoert hat, weiss ich nicht. Und alle diese unendlichen Zahlenreihen,"
fuhr er fort, "haben doch einen Inhalt, dieser Inhalt muss endlich zu
Eurer Majestaet gelangen und ist jedenfalls der Feind meiner Kur. Ich bin
mehrmals schon sehr boese gewesen und moechte am liebsten das ganze
Dechiffrirbureau von Eurer Majestaet durch eine chinesische Mauer
trennen, so lange bis mein Brunnen seine Wirkung gethan."

Der Koenig lachte herzlich.

"Nun," sagte er, "Abeken und der arme St. Blanquart werden wohl nicht so
gefaehrliche Feinde meiner Gesundheit sein, lassen Sie sie nur immerhin,
ich verspreche Ihnen, ich werde mich nicht zu sehr anstrengen."

Und freundlich den Kopf neigend, wandte er sich zur Seite.

Der Geheimrath Matthis hatte den Hustenanfall ueberwunden, und der Koenig
winkte ihn freundlich heran, fragte ihn nach der Wirkung der Kur und
wandte sich dann zu dem Praesidenten von Bernuth.

"Wenn ich hier die Badegesellschaft in Ems ansehe," sagte er heiter, so
muss ich glauben, dass dies Wasser ein Lebenselixir ist, welches meine
ganze Regierungsmaschine durchdringt und verjuengt, meine
Kirchenverwaltung, meine Administration, meine Diplomatie und selbst
meine Officierscorps suchen sich hier Kraft und Staerkung, und so dringt
diese Quelle von Ems in alle Adern des preussischen Staatslebens."

"Wenn die Quelle Eurer Majestaet Kraft und Gesundheit staerkt," erwiderte
Herr von Bernuth, "so durchdringt sie ja ohnehin schon den Organismus
des preussischen Staats mit neuer Lebenskraft und verdient die
Dankbarkeit aller Ihrer Unterthanen."

Der Koenig nickte freundlich mit dem Kopf und trat dann zu dem in der
Naehe stehenden Botschafter am Pariser Hofe, Freiherrn von Werther, einem
schlanken eleganten Mann mit bleichem Gesicht und militairisch
geschnittenem Haar und Bart.

"Benedetti ist diese Nacht angekommen," sagte der Koenig mit etwas
gedaempfter Stimme, indem er durch einen Wink der Hand Herrn von Werther
aufforderte, ihn auf seiner Promenade zu begleiten. "Er hat mich um eine
Audienz gebeten, ich habe ihm sagen lassen, dass ich ihn erst Mittags
empfangen koenne, da ich morgens mit meiner Kur zu thun habe und auch am
Vormittage mehrere Geschaefte zu erledigen muss. Er ist jedenfalls nicht
zufaellig hier, denn er war erst vor wenigen Tagen auf Urlaub nach
Wildbad gegangen und hatte so eben seine Kur begonnen. Jedenfalls kommt
er in dieser Hohenzollerschen Angelegenheit, welche in Frankreich
taeglich mehr Staub aufwirbelt. Es wuerde mir lieb sein, wenn ich bevor
ich ihn empfange, ueber den Gegenstand seiner Mission unterrichtet waere.
Wollen Sie ihn besuchen, und wenn Sie es in der Unterredung mit ihm
erfahren koennen, mir ungefaehr mittheilen, was er will. Ich wuensche aber
nicht," fuhr er fort, "dass Sie in eigentliche Discussion mit ihm
eintreten,--wenn er ueber die Angelegenheit spricht, so sagen Sie ihm
einfach, dass der Prinz Leopold mich um Rath gefragt habe, und dass ich
nicht im Stande gewesen sei, seinem Wunsch, die spanische Krone
anzunehmen, ein Hinderniss entgegenzustellen."

"Ich zweifle nicht, Majestaet," sagte Herr von Werther, "dass der Graf
Benedetti hierher gesendet ist, um Eurer Majestaet dasselbe zu sagen, was
mir bereits der Herzog von Gramont und Herr Ollivier in ziemlich
allgemeiner Weise ausgesprochen haben, dass naemlich Frankreich die
Thronbesteigung des Prinzen von Hohenzollern, den man dort hartnaeckig
fuer einen preussischen Prinzen erklaert, nicht dulden koenne, und dass man
verlangen muesse, dass Eure Majestaet den Prinzen zur Verzichtleistung
veranlasse."

"Ich begreife nicht, was sie wollen," sagte der Koenig einen Augenblick
stehen bleibend, "ich kann mir unmoeglich denken, dass der Kaiser
Napoleon, dessen Gesundheit in der letzten Zeit immer weniger fest
gewesen ist, darauf ausgehen sollte, einen Conflict zu suchen, und doch
erscheint diese ganze Behandlung der Hohenzollerschen Candidatur wie
eine Provocation, denn einen politischen Grund, sich so sehr darueber zu
echauffiren, sehe ich in der That nicht. Der Prinz Leopold ist kein
preussischer Prinz--und wenn er es waere, glaubt man denn, dass er in
diesem von Parteien zerrissenen spanischen Lande preussische Politik
machen koennte? Jeder Koenig, der dort auf den Thron steigt, wird genug zu
thun haben, um sich auf demselben zu erhalten und der inneren
Verwirrungen Herr zu werden. Ich begreife die ganze Sache nicht," fuhr
er fort,--"ich hoffe, dass das Alles nur ein kleines Strohfeuer sein
wird, wie man sie in Frankreich von Zeit zu Zeit anzuzuenden liebt, und
dass der Kaiser Napoleon auch diesmal wie bei der Luxemburger
Angelegenheit, die doch eigentlich ernsterer Natur war, das Feuer der
Kriegspartei ein wenig daempfen wird."

"Auch ich bin davon ueberzeugt, Majestaet," erwiderte Herr von Werther,
"denn nach all den Eindruecken, die ich habe, wuenscht der Kaiser wirklich
aufrichtig die Erhaltung des europaeischen Friedens und guter Beziehungen
zu Eurer Majestaet. Indess laesst sich nicht verkennen," fuhr er fort, "dass
diese Hohenzollersche Frage die oeffentliche Meinung im hohen Grade
aufgeregt hat, allerdings unter Vorgang der Regierungsjournale--doch bei
meiner Abreise von Paris war diese Aufregung sehr gross, und nach dem,
was ich aus den Zeitungen sehe, steigt sie von Tage zu Tage. Ollivier
ist aeusserst abhaengig von der oeffentlichen Meinung, der Herzog von
Gramont folgt Ollivier, und der Kaiser steht, je mehr sein Koerper und
seine Nerven schwach werden, immer mehr unter dem Einfluss seiner
Minister und seiner Umgebung."

"Nun," sagte der Koenig, "ich werde wahrhaftig nichts dazu thun, um die
Situation zu verschlimmern, ich werde ein freundliches Entgegenkommen
zeigen, da ich wahrlich kein Interesse daran habe, den Prinzen Leopold
zu diesem spanischen Abenteuer zu treiben, aber ebenso wenig kann ich
ihm auch dasselbe verbieten, ich wuerde ja auch dazu eigentlich gar kein
Recht haben. Wenn er mich um Rath fragt, so ist das eine
Courtoisie,--wenn er aber meinen Rath nicht befolgen will, so kann ich
ihn kaum dazu zwingen--jedenfalls bin ich als Koenig von Preussen der
ganzen Angelegenheit voellig fremd, meine Regierung hat mit derselben
garnichts zu thun. Nun wir werden ja sehen," sagte er, "gehen Sie
inzwischen zu Benedetti und erklaeren Sie ihm zugleich nochmals, warum
ich ihn erst am Nachmittag empfangen kann, er wohnt in der Stadt
Bruessel."

Mit freundlichem Kopfnicken entliess der Koenig den Baron Werther und
wendete sich zu dem Oberpraesidenten von Moeller, einem Mann von etwa fuenf
und fuenfzig Jahren, dessen kluges und offenes Gesicht mit den frischen
Farben und den hellen Augen sein Alter weniger verrieth als das bereits
stark ergraute, ziemlich lang zurueckgestrichene Haar.

"Guten Morgen, mein lieber Moeller," sagte der Koenig, "es freut mich, Sie
hier zu sehen. Ich bin begierig, von Ihnen zu erfahren, wie es in Hessen
steht, und ob meine neuen Unterthanen dort noch immer so unzufrieden
sind, dass sie Preussen geworden sind."

"Majestaet," sagte Herr von Moeller, "die allgemeine Stimmung in der
Provinz, deren Leitung Allerhoechst dieselben mir uebertragen haben,
soehnt sich immer mehr mit der neuen Ordnung der Dinge aus. Alle
Vernuenftigen, namentlich auch die Vertreter des Handels und der
Industrie empfinden immer mehr die Vorzuege einem grossen Staatswesen
anzugehoeren, und ich gebe mir die groesste Muehe ueberall auf die mildeste
Weise die alten Verhaeltnisse mit den neuen Zustaenden zu versoehnen."--

"Ganz recht, ganz recht," fiel der Koenig ein, "Sie handeln darin ganz in
meinem Sinn. Man muss alle berechtigten Eigenthuemlichkeiten schonen, alle
Erinnerungen an die Vergangenheit achten--"

"Die Erinnerungen an die Vergangenheit, Majestaet, stehen uns bei der
Bevoelkerung von Kurhessen vielleicht weniger entgegen, als bei
derjenigen von Hannover. Die Hessen haben viele Anhaenglichkeit an die
Traditionen ihrer Vergangenheit, aber gerade durch die Persoenlichkeit
des letzten Kurfuersten, der ja ueberall wenig Sympathie hatte, haben jene
Erinnerungen an Intensivitaet und Einfluss verloren. Den nachdruecklichsten
und hartnaeckigen Widerstand findet die Regierung leider bei den
Geistlichen, welche befuerchten, dass die Einverleibung in Preussen dem
lutherischen Bekenntniss Gefahr bringen, und dass die Einfuehrung der Union
beabsichtigt werden koennte."

Der Koenig blieb einen Augenblick stehen und blickte sinnend vor sich
hin.

"Mein Gott," fuhr er fort, "dass doch gerade die Priester des
Christenthums sich so wenig zu den Ideen der Liebe und Duldung erheben
koennen, welche den Erloeser selbst erfuellten. Was ist denn die Union,
dieses Werk meines unvergesslichen Vaters, anders, als der Ausdruck der
wahrhaft christlichen Toleranz, um alle Bekenner des evangelischen
Glaubens zu einer evangelischen Kirche zu vereinigen.

"Nun ich hoffe," sprach er weiter, "der gesunde Sinn der Gemeinden wird
kraeftiger sein, als der eigensinnige Zelotismus der Geglichen. Uebrigens
liegt es mir ja unendlich fern, den Gewissen irgend welchen Zwang anthun
zu wollen und einen Druck zur Einfuehrung der Union auszuueben. Sie werden
mir ueber das Alles noch ausfuehrlich berichten," sagte er, "sobald ich
eine Stunde freie Zeit habe."

Er gruesste Herrn von Moeller und wendete sich zu zwei Damen, welche in
einfacher Morgentoilette an der Seite der Promenade stehen bleibend,
sich tief verneigten.

Es waren die berliner Kuenstlerinnen, Fraeulein Marie Kessler mit dem
anmuthig gedankenvollen Ausdruck in den weichen sinnenden Augen und
Fraeulein Anna Schramm, deren lebhafte Blicke von Geist und Laune
funkelten.

"Nun, meine Damen," sagte der Koenig, "ich hoffe, dass die Vorstellung,
welche Sie mit Herrn Bethge und Herren Behrend zum Besten der
Abgebrannten in Pera veranstaltet haben, einen recht guenstigen Ertrag
fuer die armen Opfer jener ungluecklichen Catastrophe erzielt hat."

"Die Rechnungen sind noch nicht abgeschlossen, Majestaet," erwiderte
Fraeulein Kessler, "doch hoffen wir, dass nach der Gesammteinnahme ein
erheblicher Ueberschuss sich ergeben wird."

"Ich habe mich sehr ueber Ihr Unternehmen gefreut," sagte der Koenig "und
spreche Ihnen nochmals meinen Dank dafuer aus. Es ist ein schoener Zug des
immer mehr erstarkenden und erwachenden Nationalgefuehls, dass wenn auch
im fernsten Auslande Deutsche von dem Schlage des Ungluecks getroffen
werden, die besten Kraefte der Nation sich vereinigen, um ihnen
beizustehen, und es hat mich hoch erfreut, dass meine berliner Kuenstler
und Kuenstlerinnen auch in dieser Beziehung mit edlem Beispiel
vorangegangen."

Mit ritterlich artigem Gruss gegen die beiden Damen schritt er weiter,
begruesste noch die verschiedenen Bekannten auf der Promenade, waehrend er
die vorgeschriebene Anzahl von Bechern an der Quelle leerte und kehrte
dann, vom Grafen Lehndorf gefolgt, nach seiner Wohnung im Badehause
zurueck.

Ruestigen und leichten Schrittes stieg er die Treppe hinauf, trat durch
das Wohnzimmer in den einfachen Raum, welcher ihm als Arbeitscabinet
diente; an dem Fenster dieses Zimmers stand der breite Schreibtisch; ein
Sopha und einige Lehnstuehle mit rothem Pluesch ueberzogen, bildeten das
ganze Ameublement dieses anspruchslosen Aufenthalts des maechtigen
Monarchen.

Der Fluegeladjudant war im Vorzimmer zurueckgeblieben. Der Koenig reichte
seinen Hut und seinen Stock seinem Leibkammerdiener Engel, welcher in
ernster ruhiger Haltung, in seinem blauen Frack mit den goldenen Knoepfen
fast an einen hohen Staatsbeamten erinnernd, seinem koeniglichen Herrn
entgegengetreten war.

"Ich lasse den Geheimrath Abeken bitten," sagte der Koenig, setzte sich,
waehrend der Kammerdiener hinausging, an seinen Schreibtisch und oeffnete
einige fuer ihn dort hingelegte Privatbriefe.

Nach kurzer Zeit trat der Geheime Legationsrath Abeken, seine
Vortragsmappe unter dem Arm in das Zimmer.

Er war ein kleiner Mann von einundsechzig Jahren, dessen ganze
Erscheinung trotz der etwas lebhaften und nervoesen unruhigen Bewegung
noch ein wenig den Stempel des geistlichen Standes trug, fuer den er sich
in seiner Jugend bestimmt hatte. Sein blondes Haar und sein kleiner
blonder Schnurrbart erschienen noch wenig ergraut, und aus seinen
lebhaften, scharf blickenden Augen blitzte das Feuer jugendlicher
Frische.

"Guten Morgen, mein lieber Abeken," sagte der Koenig, freundlich mit dem
Kopf nickend und seinen langjaehrigen vertrauten Diener, der ihn als
vortragender Rath des auswaertigen Ministeriums auf allen seinen Reisen
begleitete, die Hand reichend. "Setzen Sie sich, theilen Sie mir mit,
was Neues von Berlin gekommen ist. Ich muss Sie uebrigens bitten," sagte
er schalkhaft laechelnd--waehrend Herr Abeken einen Sessel heranzog und
seine Mappe oeffnete--"dass Sie die Leute nicht im Schlaf stoeren--"

Herr Abeken sah ganz erstaunt den Koenig an.

"Ich wuesste nicht, Majestaet."

"Lauer hat sich beklagt," fuhr der Koenig in demselben scherzhaften Ton
fort, "dass Sie und St. Blanquart am spaeten Abend und am fruehesten Morgen
schon wieder ihn fortwaehrend mit dem monotonen Geraeusch der Lectuere der
Zahlen des Depeschenchiffres verfolgen."

"Nun Majestaet," sagte Herr Abeken laechelnd, "ich hoffe, daran wird sich
Herr von Lauer gewoehnen, wie man sich an das Geraeusch einer Muehle
gewoehnt, und wenn er nach Berlin zurueckkommt, wird er das
Dechiffrirbureau neben seinem Zimmer vermissen."

"Wie steht die Hohenzollersche Angelegenheit in Berlin," fragte der
Koenig. "Sie wissen, dass Benedetti angekommen ist, es scheint, dass es da
einige Weitlaeufigkeiten geben wird."

"Herr von Thiele berichtet, Majestaet," sagte der Geheimrath Abeken,
indem er einen Bericht aufschlug, den er aus seiner Mappe genommen
hatte, "dass der franzoesische Geschaeftstraeger Le Sourd eine aeusserst
scharfe und bestimmte Sprache fuehre und erklaert habe, dass die
franzoesische Regierung unter keiner Bedingung die Thronbesteigung des
Prinzen von Hohenzollern in Spanien dulden koenne. Und diese Sprache des
Geschaeftstraegers zusammengehalten mit den Aeusserungen des Herzogs von
Gramont im Corps legislatif floessen Herrn von Thiele die aeussersten
Besorgnisse ein, und er fuerchtet, dass in Paris ein Hintergedanke
bestehe. Der Legationsrath von Kendell ist nach Barzin gegangen, um dem
Grafen Bismarck persoenlich ueber die Sache Bericht zu erstatten und
demselben den Wunsch auszusprechen, dass er, wenn moeglich unter diesen
Umstaenden nach Berlin zurueckkehren moechte."

"Der arme Bismarck," sagte der Koenig, "er hat seine laendliche Ruhe so
noethig, und ich goenne sie ihm so von Herzen nach all' den Arbeiten, die
er den Winter ueber gehabt hat. Aber freilich," fuhr er fort, "wenn die
Sache, was ich noch immer nicht glauben kann, irgend wie ernsthaft
werden sollte, so wird er seine Sommerruhe wohl unterbrechen muessen. Ich
kann ja auch hier nicht ohne Minister auf irgend welche politische
Verhandlungen wirklich eingehen, doch vermag ich in der That kaum
abzusehen--" er schwieg einen Augenblick.

"Was haben Sie sonst noch?" fragte er.

"Abgesehen von dieser spanischen Frage, Majestaet," sagte der Geheimrath
Abeken, "ist in der auswaertigen Politik voelliger Stillstand. Was Eure
Majestaet vielleicht besonders interessiren wird, ist ein Bericht ueber
die Zustaende in Rumaenien."

Der Koenig nickte leicht mit dem Kopf.

"Es sieht dort bunt aus," sagte er.

"Sehr bunt, Majestaet," erwiderte der Geheimrath Abeken, "die Lage ist
dort so verworren, dass bereits in den Parteien sich Stimmen erheben,
welche das Einschreiten der Schutzmaechte gegen die Verfassung von 1860
fuer dringend noethig erachten. Es scheint, dass die Zustaende in Rumaenien
keine freie Verfassung ertragen. In allen Schichten der Bevoelkerung
fehlt es an Vertretern, welche die noetige Einsicht zur Ausuebung
verfassungsmaessiger Rechte besitzen. Die Verfassung dient nur dem Ehrgeiz
der Parteien und legt der Thaetigkeit des Fuersten, und wenn er persoenlich
die groesste Energie haette, ueberall hemmende Ketten an. Gerade diejenigen
welche den Regierungsantritt des Fuersten beguenstigten, die Fuehrer der
radicalen Partei, sind am wenigsten geneigt seine Autoritaet zu staerken.
Sie wollen ihn zu einem lenkbaren Zoegling machen und erschweren ihm das
Leben in jeder Weise, Senat und Deputirtenkammer sind seit den vier
Jahren der Regierung des Fuersten Carl schon dreimal ausgeloest, und der
Aufloesung folgte jedes Mal eine Agitation durch das ganze Land, die das
oeffentliche Leben aufs tiefste erschuettert."

"Lassen Sie mir den Bericht hier," sagte der Koenig, "der arme Carl von
Hohenzollern thut mir leid, dass er sich in diese Verwirrung hinein
begeben hat, welche zu loesen ihm kaum gelingen moechte. Es ist
merkwuerdig," sagte er, waehrend Herr Abeken den Bericht auf den
Schreibtisch des Koenigs legte, "dass das Beispiel in der Familie, den
Prinzen Leopold nicht abhaelt, auch seinerseits sich auf den Weg
aehnlicher Abenteuer zu begeben, die vielleicht noch unangenehmer und
verhaengnissvoller werden koennen. Der Fuerst Anton hat an diesem kleinen
rumaenischen Thron schon genuegend empfunden, was solche Expeditionen
kosten. Das spanische Unternehmen moechte wohl leicht noch etwas theurer
werden koennen. Wenn keine eiligen Sachen mehr da sind," sagte er dann,
"so bitte ich Sie das Uebrige fuer morgen zu vertagen. Ich moechte noch
hoeren, ob Wilmowsky etwas Dringendes vorzutragen hat und einige Briefe
lesen, die ich so eben erhalten, bevor ich Benedetti empfange," sagte er
mit leichtem Seufzer. "Der Kronprinz hat mir sehr ausfuehrlich ueber seine
Begegnung mit dem Kaiser Alexander in Breslau geschrieben, und es ist
mir eine rechte Herzensfreude gewesen, zu sehen, dass auch dort wieder
die mir so lieben Familienbeziehungen den innigsten Ausdruck gefunden
haben. Der Kaiser hat dem Kronprinzen selbst den St. Georgsorden zweiter
Klasse an die Brust geheftet und zugleich an Fritz Carl denselben Orden
geschickt, wozu er mich schon frueher um die Erlaubniss gebeten hatte. Das
Alles freut mich ungemein, die Beziehungen zu dem russischen Hause hege
und pflege ich wie ein theures Vermaechtniss meines Vaters und wuensche
von Herzen, dass dieselben Beziehungen in der kuenftigen Generation auch
fort leben moegen."

"Abgesehen von diesen Traditionen," sagte der Geheimrath Abeken, welcher
sich erhoben und seine Mappe unter den Arm genommen hatte, "welche ja in
der glorreichsten Geschichte Preussens wurzeln, sind die guten
Beziehungen mit Russland auch im Hinblick auf die politischen
Verhaeltnisse der Gegenwart von der aeussersten Wichtigkeit, und gerade in
Augenblicken wie der gegenwaertige, in welchem nach anderer Seite hin die
Keime zu Verwickelungen sich zeigen, tritt mir so recht lebhaft die
Nothwendigkeit entgegen, mit dem maechtigen Nachbar im Osten in fester
Einigkeit zu leben, damit fuer alle Eventualitaeten nach dorthin uns der
Ruecken gedeckt ist."

"Nun," sagte der Koenig laechelnd, "dafuer ist ja gesorgt, in dieser
Beziehung duerfen wir keine Bedenken haben, noetigenfalls unsere ganze
Kraft nach der andern Seite hinzurichten. Auf Wiedersehen, mein lieber
Abeken," sagte der Koenig, "wollen Sie veranlassen, dass Benedetti zum
Diner eingeladen wird. Senden Sie mir Wilmowsky und," fuegte er laechelnd
mit dem Finger drohend hinzu, "stoeren Sie mir Lauer nicht wieder im
Schlaf."

Der Geheime Legationsrath verliess das Cabinet.

Kurze Zeit darauf waehrend welcher der Koenig noch einige der fuer ihn
persoenlich angekommenen Briefe geoeffnet und durchflogen hatte, trat der
Geheime Cabinetsrath von Wilmowsky ein, auf seinem laenglichen Gesicht,
dessen unterer Theil von einem kurzen weichen Bart umgeben war, lag
ruhige Heiterkeit und ein fast humoristischer Zug umgab die klaren und
scharf blickenden Augen, seine breite, von vollem ergrautem Haar
umgebene Stirn war zugleich hoch und schoen gewoelbt, und in seiner
Haltung zeigte er die ruhige und klare Sicherheit des Hofmannes.

"Sind die Bestimmungen ueber die Feier des dritten August nunmehr
vollstaendig getroffen," fragte der Koenig, nachdem er seinen Cabinetsrath
freundlich begruesst und derselbe ihm gegenueber Platz genommen hatte. "Es
liegt mir diese Feier ganz besonders am Herzen. Die Aufrichtung eines
Denkmals fuer den hochseligen Koenig ist eine Pflicht der Dankbarkeit,
welche ich schon lange empfunden und welche ich mich besonders freue,
noch waehrend meines Lebens abtragen zu koennen."

"Eure Majestaet hatten befohlen," sagte der Geheime Cabinetsrath, "dass
von den Civilbehoerden ausser den Deputationen saemmtlicher in Berlin
bestehenden Behoerden und der Regierung in Potsdam nur die
Oberpraesidenten der Provinzen eingeladen werden sollten."

"Ganz recht," sagte der Koenig, "einfach und schlicht wie der Sinn meines
Vaters war, soll auch die Feier der Enthuellung des Denkmals sein, auch
wenn kein grosser Pomp entfaltet wird, so wird das Gefuehl des preussischen
Volkes und seine frommen Erinnerungen dennoch diesem Act seine schoene
und hohe Bedeutung geben."

"Von den Rittern des eisernen Kreuzes," fuhr der Geheime Cabinetsrath
fort, "sollen wie Eure Majestaet bestimmten, nur diejenigen von Berlin,
Potsdam und Spandau zugezogen werden--"

"Die Ritter des eisernen Kreuzes," sagte der Koenig sinnend--"um das
Denkmal des verewigten Herrn, dessen einfacher frommer Sinn dieses
eiserne Denkzeichen an eine eiserne Zeit stiftete! Sie werden immer
weniger," fuhr er mit weicher Stimme fort, "diese alten Kaempfer fuer die
Befreiung Deutschlands--noch einige Jahre und das edle Zeichen wird aus
meiner Armee verschwunden sein,--sie werden dann dort oben Alle
versammelt sein um meinen Vater und meine Mutter--und ich auch!--So Gott
will aber soll der Geist nicht verloren gehen, welcher in jenem Zeichen
lebt, der Geist der frommen und treuen Hingebung an das Vaterland, der
Geist, der uns lehrt, das eiserne Schwert nur zu gebrauchen fuer eine
Sache, auf welcher der Segen des heiligen Kreuzes ruht."

"Uebrigens," fuhr der Geheime Cabinetsrath von Wilmowsky nach einigen
Augenblicken fort, "wird eine umfassende Repraesentation der Stadt Berlin
bei der Feier statt finden, worueber der Polizeipraesident von Wurmb, der
heute oder morgen hier eintrifft, Eurer Majestaet noch naehere
Mittheilungen machen wird. Auch von allen Grossstaedten der Monarchie sind
Deputationen angemeldet, ebenso von Seiten der Provinzial-Staende."

"Wenn es nur nicht zu gross und geraeuschvoll wird," sagte der Koenig.
"Nun," fuhr er fort, "Jedermann in Preussen kennt ja den Sinn meines
Vaters, und man wird verstehen, dass auch in diesem Sinne die Feier
gehalten werden muss. Es sollen Deputationen der russischen Armee
erscheinen," fuhr er dann fort, "ich will darueber noch mit Treskow das
naehere besprechen. Diese Aufmerksamkeit des Kaisers Alexanders freut
mich ganz besonders, der hochselige Herr legte ja stets so hohen Werth
auf die russische Freundschaft und laechelte stets so still gluecklich,
wenn es im Palais hiess, die Russen kommen. Es wird ein schoener, aber
tief ergreifender Tag werden," sagte er, "und ich werde so recht ruhig
und zufrieden sein, wenn ich erst das liebe und so schoen gelungene
Erzbild meines Vaters als ein Denkmal der grossen und unvergesslichen Zeit
werde aufgerichtet haben. Lassen Sie mir das ganze Programm hier," sagte
er dann, "ich will Alles genau noch pruefen, und wenn ich Wurmb gehoert
habe, Alles definitiv feststellen. Was haben Sie sonst noch?"

Der Geheime Cabinetsrath nahm seine Papiere zur Hand und begann den
Vortrag ueber die laufenden Geschaeftssachen, welche der Koenig hier im
Bade mit derselben Puenktlichkeit und Regelmaessigkeit erledigte, als in
Berlin.

       *       *       *       *       *

Um drei Uhr Nachmittags erschien im Badehause der franzoesische
Botschafter Graf Benedetti. Er war bereits zum Diner angekleidet und
trug unter dem schwarzen Frack das breite Orangeband des Ordens vom
schwarzen Adler, den Stern dieses hoechsten preussischen Ordens und das
Grosskreuz der Ehrenlegion auf der Brust. Sein blasses, glattes und
bartloses Gesicht, dessen runde Stirn von duennem ergrauendem Haar
umgeben war, zeigte die vollkommenste gleichgueltige Ruhe. Ein heiteres,
freundlich hoefliches Laecheln lag auf seinen Lippen, und seine klaren
grauen Augen, welche selten einen bestimmten Ausdruck zeigten, blickten
so voellig unbefangen umher, dass Niemand, der den Botschafter in die
Wohnung des Koenigs eintreten sah, an das Vorhandensein irgend einer,
auch nur einigermassen ernsten politischen Frage haette glauben koennen.

Der Fluegeladjutant vom Dienst meldete den Botschafter sofort Seiner
Majestaet und fuehrte ihn unmittelbar darauf in das koenigliche
Arbeitscabinet.

Koenig Wilhelm hatte sich erhoben, trat dem Grafen Benedetti einen
Schritt entgegen und reichte ihm mit freundlicher Bewegung die Hand,
welche dieser, sich tief verneigend, ehrerbietig ergriff.

"Ich glaube zu wissen, wesswegen Sie kommen," sagte der Koenig,--"wir
werden uns leicht darueber verstaendigen und aus dieser Sache wird kein
Conflikt entstehen."

Er deutete, waehrend er sich vor seinen Schreibtisch setzte, auf einen
Sessel, welcher neben demselben stand.

"Eure Majestaet," sagte Benedetti, indem er sich niederliess, "haben die
Gnade, dieselbe Ueberzeugung auszusprechen, in welcher ich hierher
gekommen bin,--ich bin gewiss, dass es unendlich leicht sein wird, den
Gegenstand der Beunruhigung verschwinden zu lassen, welcher in den
letzten Tagen aufgetaucht ist, und welcher die Regierung des Kaisers,
meines allergnaedigsten Herrn, sehr lebhaft beschaeftigt."

Der Koenig blickte ruhig und erwartungsvoll in das unbewegliche Gesicht
des Botschafters.

"Die oeffentliche Meinung in Frankreich, Majestaet," fuhr dieser fort,
"erblickt in der Annahme der spanischen Throncandidatur von Seiten des
Erbprinzen Leopold von Hohenzollern eine ernste Gefaehrdung der
franzoesischen Interessen, und die Regierung des Kaisers, welche," fuegte
er hinzu, "mehr als irgend eine andere Veranlassung hat, der
oeffentlichen Meinung in ausgedehnter Weise Rechnung zu tragen, kann
sich, wenn sie auch weit entfernt von der allgemeinen Aufregung ist,
dennoch diesem Einfluss nicht verschliessen. Eure Majestaet wissen, wie
hohen Werth der Kaiser persoenlich und alle Mitglieder seiner Regierung
darauf legen, dass in den Beziehungen zwischen Preussen und Frankreich
keine Truebung entstehe, und dass kein Missverstaendniss die aufrichtige
Freundschaft und das Vertrauen stoeren, welches zum Wohl beider Nationen
besteht und zu dessen Erhaltung ich nach meinen Kraeften mitzuwirken
seit Jahren den ehrenvollen und erfreulichen Beruf habe."

Der Koenig nickte wie die letzten Worte betaetigend leicht mit dem Kopf,
ohne etwas zu erwidern.

"Die Candidatur des Prinzen von Hohenzollern," sprach Benedetti weiter,
"muss abgesehen von der Irritation in Frankreich, wie die Regierung des
Kaisers glaubt und wie auch Eure Majestaet gewiss nicht verkennen werden,
auch in Spanien selbst eine grosse Aufregung hervorrufen und wird
unausbleiblich dort die Ursache oder wenigstens der Vorwand grosser
Unruhen und Unordnungen werden. Auch in anderen Laendern, Majestaet," fuhr
er mit fast unmerklich erhoehter Betonung fort, "hat die Sache eine
lebhafte Beunruhigung erzeugt,--wenn man den uebereinstimmenden
Aeusserungen der englischen Presse Glauben schenken darf, so ist auch die
oeffentliche Meinung in England einig darin, eine Combination zu
beklagen, welche die Ruhe Spaniens ebenso sehr zu bedrohen scheint, als
die guten Beziehungen, die in diesem Augenblick die grossen europaeischen
Maechte miteinander verbinden. Die Regierung des Kaisers hat keinen
andern Wunsch, als allen diesen Beunruhigungen so schnell als moeglich
ein Ziel zu setzen, und in den Haenden Eurer Majestaet liegt es, diese
Wuensche, diese lebhaften und innigen Wuensche zu erfuellen. Eure Majestaet
koennen mit einem Wort alle diese Gefahren beschwoeren und den Ausbruch
eines Buergerkrieges in der pyrenaeischen Halbinsel verhueten, fuer welche
ein Mitglied Ihres Hauses die Verantwortung tragen wuerde. Der Prinz von
Hohenzollern kann die spanische Koenigskrone nicht annehmen, ohne dazu
von Eurer Majestaet autorisirt zu werden. Sobald Eure Majestaet ihn von
diesem auch fuer ihn selbst gefaehrlichen Unternehmen, abzuhalten die
Gnade haben, so werden die Beunruhigungen, welche jetzt alle Welt
erfuellen, in einem Augenblick aufhoeren. Die hohe Weisheit Eurer Majestaet
und die grossherzigen Gefuehle, welche Sie erfuellen, werden Ihren
Entschluss bestimmen. Ich beschwoere Eure Majestaet, Europa diesen
neuen Beweis von den edlen Gesinnungen zu geben, in welchen
Allerhoechstdieselben bei jeder Gelegenheit beigetragen haben, den
allgemeinen Frieden zu erhalten und zu befestigen. Die Regierung des
Kaisers," fuegte er hinzu, "wird in einem solchen Entschluss Eurer
Majestaet eine neue und innige Befestigung der guten Beziehungen zwischen
Frankreich und Preussen erblicken und wird einen solchen Entschluss, wie
ich versichern darf, mit hoher Freude und dankbarer Anerkennung
entgegennehmen, ebenso wie sie ueberzeugt ist, dass derselbe in ganz
Europa allgemeine Befriedigung erregen wird."

Der Koenig hatte vollkommen ruhig und ohne ein aeusseres Zeichen seiner
Gedanken die Worte des Botschafters angehoert, er sah einen Augenblick
schweigend zu Boden und richtete dann den klaren Blick seines offenen,
freien Auges fest auf Benedetti.

"Mein lieber Graf," sagte er, "es ist vor allen Dingen nothwendig, jedes
Missverstaendniss und jede falsche Auslegung ueber die Art meiner
Intervention in dieser ganzen Angelegenheit auszuschliessen. Alle
Verhandlungen, welche ueber den Gegenstand gefuehrt wurden, haben sich
ganz ausschliesslich zwischen der spanischen Regierung und dem Prinzen
von Hohenzollern bewegt. Die preussische Regierung ist allen diesen
Verhandlungen nicht nur vollkommen fern geblieben, dieselbe war ihr
sogar gaenzlich unbekannt, auch ich persoenlich habe in keiner Weise in
dieselbe eingegriffen. Ich habe es sogar entschieden verweigert, einen
Agenten des Marschall Prim zu empfangen, welcher in dieser Sache nach
Berlin geschickt wurde und habe mich zum ersten Male ueber die ganze
Frage ueberhaupt geaeussert, als der Prinz Leopold bereits ganz entschieden
war, die ihm gemachten Vorschlaege anzunehmen und meine Erklaerung
darueber erbat. Dies fand bei meiner Ankunft in Ems statt, und ich habe
mich einfach darauf beschraenkt, dem Prinzen zu erklaeren, dass ich nicht
glaubte, seinen Absichten ein Hinderniss in den Weg legen zu sollen. Die
ganze, an sich schon sehr unbedeutende Einwirkung, welche ich
meinerseits auf die Sache habe ueben koennen, ist also rein passiver Natur
gewesen und hat sich ganz ausschliesslich auf meine Stellung als Chef des
Gesammthauses Hohenzollern bezogen. Lediglich in dieser Eigenschaft und
nicht in derjenigen als Koenig von Preussen bin ich von dem Entschluss des
Prinzen unterrichtet worden, auch habe ich meinem Ministerrath in keiner
Weise die Frage vorgelegt, und die preussische Regierung als solche, ist
ausser Stande eine Interpellation ueber die Sache zu beantworten, die ihr
vollkommen unbekannt geblieben ist, und fuer welche sie ebenso wenig
verantwortlich sein kann, als irgend ein europaeisches Cabinet."

Der Koenig schwieg.

Benedetti, welcher mit schaerfster, ehrerbietigster Aufmerksamkeit seinen
Worten gefolgt war, verneigte sich, wie um anzudeuten, dass er den Sinn
derselben vollkommen erfasst habe.

"Eure Majestaet wollen mir erlauben," sprach er mit seiner sanften,
geschmeidigen Stimme, "ehrfurchtsvoll zu bemerken, dass die oeffentliche
Meinung, namentlich diejenige in Frankreich den Sinn und die Bedeutung
des scharfen Unterschiedes in der Stellung Eurer Majestaet, welche
Allerhoechstdieselben so eben hervorzuheben die Gnade hatten, nach meiner
Ueberzeugung nicht zu erfassen im Stande sein wird. Die oeffentliche
Meinung sieht in dem Erbprinzen von Hohenzollern nichts anderes als ein
Mitglied der in Preussen regierenden Familie und kann sich, wie ich
glaube, von der Auffassung nicht los machen, dass der Prinz, indem er die
spanische Koenigskrone annimmt, in einer und derselben Dynastie zwei
Throne vereinigt. Man wird sich vergebens bemuehen, diese Auffassung zu
zerstoeren, das Nationalgefuehl Frankreichs ist vollkommen einig in dieser
Auffassung, und Eure Majestaet werden die Gnade haben, anzuerkennen, dass
es der Regierung des Kaisers unmoeglich ist, dieser Auffassung gegenueber
gleichgueltig zu bleiben. Die Regierung des Kaisers befindet sich in der
Nothwendigkeit--und ist entschlossen, jener Auffassung der oeffentlichen
Meinung mit vollem Ernst Rechnung zu tragen."

"Wenn man die Sache," sagte der Koenig, "von einer andern Seite auffasst,
so wird doch aber die Regierung des Kaisers nicht verkennen wollen, dass
die gegenwaertige Regierung in Spanien von allen Maechten anerkannt und in
ihren Entschliessungen vollkommen souverain ist. Ich vermag nicht
einzusehen," fuhr er fort, "mit welchem Recht eine europaeische Macht
sich der Thronbesteigung eines Koenigs widersetzen koennte, welcher durch
die Vertreter des spanischen Volkes frei gewaehlt werden wuerde. Wie der
spanische Gesandte in Berlin mitgetheilt hat," fuhr er fort,--"und dies
ist," fuegte er mit Betonung hinzu, "die erste und einzige Mittheilung,
welche die preussische Regierung ueberhaupt in der ganzen Angelegenheit
erhalten hat,--werden die spanischen Cortes auf den zwanzigsten dieses
Monats zusammen berufen werden. Wenn wirklich fuer die innere Ruhe
Spaniens aus der Candidatur des Prinzen Leopold diejenigen Gefahren zu
besorgen sein sollten, auf welche Sie, mein lieber Graf, vorhin
aufmerksam gemacht haben, so wird es Sache der Cortes sein, jede
Candidatur zurueckzuweisen und damit die ganze Sache zu beendigen."

"Ich bitte um die Erlaubniss, Eurer Majestaet bemerken zu duerfen,"
erwiderte Graf Benedetti, "dass die Regierung des Kaisers weit entfernt
ist, das freie Selbstbestimmungsrecht des spanischen Volkes beschraenken
zu wollen. Die kaiserliche Regierung hat nur die Ueberzeugung, dass die
Combination, welche eigentlich persoenlich von dem Marschall Prim
ausgegangen ist, die Quelle grosser und trauriger Verwickelungen sein
wuerde. Solchen Verwickelungen gegenueber werden Eure Majestaet gewiss
selbst ein Mitglied Ihrer hohen Familie nicht zur Annahme der Krone
autorisiren wollen. Eure Majestaet halten allein das Mittel in Haenden, um
einer so gefahrvollen Lage ein Ende zu machen; und ich bin beauftragt,
mich mit der dringenden Bitte an die Weisheit Eurer Majestaet zu wenden,
von diesem Mittel Gebrauch zu machen."

"Die Parteien in Spanien," sagte der Koenig "sind so zahlreich und so
viel gespalten, dass auch die Verzichtleistung des Prinzen von
Hohenzollern kaum im Stande sein wuerde, dort einen Buergerkrieg zu
vermeiden. Die Parteien sind es dort gewohnt, sich dem Beschluss der
Majoritaet nicht zu fuegen und mit den Waffen in der Hand, ihre Rechte
oder ihre Ansichten zu vertreten."

"Ich erkenne vollkommen die Wahrheit der Bemerkung Eurer koeniglichen
Majestaet an," erwiderte Benedetti, indem seine schlanke Gestalt sich
etwas zusammenbog--"indessen wuerde jedenfalls, wenn es trotz der
Verzichtleistung des Prinzen Leopold in Spanien zu Unruhe und Kaempfen
kommen sollte ein Mitglied Ihres Hauses nicht die Verantwortung fuer
vergossenes Blut zu tragen haben."

Der Koenig senkte einen Augenblick nachdenklich den Blick zu Boden.

"Mein lieber Graf," sagte er dann, "Sie koennen ueberzeugt sein, dass ich
den aufrichtigen Wunsch hege, eine Situation verschwinden zu lassen,
welche zu Verwickelungen und Missverstaendnissen Veranlassung giebt. Ich
muss indess noch einmal darauf zurueckkommen, dass meine ganze persoenliche
Stellung zu der Frage eine rein negative, wenigstens vollkommen passive
ist. Ich habe wahrlich in keiner Weise den Prinzen Leopold irgend wie
zur Annahme der ihm angetragenen Candidatur ermuntert, ich habe mich
lediglich darauf beschraenkt, seinen Entschluessen kein Hinderniss in den
Weg zu legen. Von diesem Standpunkt wuerde ich mich auch jetzt nur sehr
schwer entfernen koennen, ich kann den Prinzen eben so wenig, wie ich ihn
zu seinem Entschluss ermuthigt habe, auch jetzt nicht zwingen, von
demselben zurueckzukommen. Mir scheint, dass die Regierung des Kaisers,
wenn sie wirklich in dieser Sache so grosse Gefahren erblickt, die ich
noch nicht zu sehen im Stande bin, allen ihren Einfluss in Madrid
aufwenden sollte, um die dortige Regierung zu bestimmen, dass sie auf das
Projekt verzichte."

"Ich habe bereits die Ehre gehabt, Eurer Majestaet zu bemerken,
dass die Regierung des Kaisers in keiner Weise in das freie
Selbstbestimmungsrecht der spanischen Nation eingreifen moechte. Sie
wuerde die Schwierigkeit der ganzen Lage nur unendlich vergroessern, die
kaiserliche Regierung hat vielmehr geglaubt, dass der leichteste und
einfachste Weg zur Erledigung der ganzen Angelegenheit der sei, wenn
Eure Majestaet Allerhoechst Ihre maechtige Autoritaet gebrauchen, um durch
die Verzichtleistung des Prinzen diese Candidatur verschwinden zu
lassen. Ich darf mir erlauben, Eure Majestaet auf die Praecedenzfaelle in
Betreff Griechenlands und Neapels aufmerksam zu machen, in welchen
ebenfalls das Prinzip festgestellt wurde, dass Prinzen, welche der
Dynastie einer Grossmacht angehoeren, nicht zu gleicher Zeit Souveraine
eines anderen Landes sein sollen, und auch der Kaiser, mein
allergnaedigster Herr, hat persoenlich dies Prinzip anerkannt, indem er
dem Prinzen Murat die Bewerbung um den neapolitanischen Thron
untersagte. Eure Majestaet werden sich um so mehr in diesem Sinne
entscheiden koennen, als ja Preussen und Deutschland keinen Antheil an den
bisherigen Versammlungen genommen haben, also auch keine Concessionen zu
machen haben wuerden, waehrend fuer Frankreich sehr ernste Interessen auf
dem Spiel stehen und waehrend dort, wie ich mir zu wiederholen erlauben
muss, die oeffentliche Meinung sich in einer sehr bedenklichen Aufregung
befindet, einer Aufregung, welche auch der Baron Werther vor seiner
Abreise hat wahrnehmen koennen, und ueber welche er, wie ich nicht
zweifle, Eurer Majestaet Bericht erstattet haben wird."

"Diese Aufregung der oeffentlichen Meinung in Frankreich ist mir
bekannt," sagte der Koenig, "die Thatsache ihrer Existenz beweist aber
noch nichts fuer ihre Berechtigung und dann muss ich Ihnen aufrichtig
sagen, dass die Erklaerung, welche der Herzog von Gramont im Corps
legislatif abgegeben hat, mir weit eher dazu geneigt scheint, die
oeffentliche Meinung noch mehr zu echauffiren, als sie zu beruhigen. Der
erste Theil der Erklaerung des Herzogs," fuhr der Koenig fort, "ist sehr
richtig und sehr correct. Indessen muss ich Ihnen gestehen, dass der
Schlusssatz derselben mich allerdings sehr peinlich beruehrt hat. Die
Worte, welche der Herzog ueber die Absichten einer fremden Macht
gesprochen hat, koennen doch nur auf Preussen bezogen werden. Wie ich
Ihnen gesagt, hat die preussische Regierung an der ganzen Sache nicht den
geringsten Antheil gehabt. Jene Worte machen daher fast den Eindruck
einer Provokation, und wenn ich auch eine solche in denselben nicht
finden will, so wird doch dieser Eindruck in Deutschland vorhanden sein,
und er kann dazu beitragen, dass auch in Deutschland die oeffentliche
Meinung sich aufzuregen beginnt, wodurch dann allerdings die ganze
Situation sehr erheblich verschlimmert werden wuerde."

Der Koenig hatte die letzten Worte mit etwas erhoehtem Tone gesprochen,
ohne dass indess von seinem Gesicht der Ausdruck ruhiger und freundlicher
Hoeflichkeit verschwunden war.

"Ich moechte Eure Majestaet bitten, zu beruecksichtigen," erwiderte
Benedetti, "dass der Herzog von Gramont sich in einer auf's hoechste
aufgeregten Versammlung befand und dass es ihm vor allen Dingen darauf
ankommen musste, jede aufreizende und gefaehrliche Discussion
abzuschneiden und deshalb eine Erklaerung abzugeben, welche dieser
Versammlung versicherte, dass fuer den Fall einer Gefaehrdung der Ehre und
der Interessen Frankreichs die Haltung der kaiserlichen Regierung eine
feste und entschiedene sein werde. Eure Majestaet werden anerkennen, dass
die Erklaerung des Herzogs von Gramont ihm nur durch den dringenden
Wunsch dictirt sein kann, die ganze Frage offen zu halten und alle
Eroerterungen auszuschliessen, welche den guten Beziehungen zu Preussen,
auf welche der Kaiser und seine Regierung einen so hohen Werth legen,
haetten gefaehrlich werden koennen."

Der Koenig schuettelte langsam den Kopf, als verstehe er diese
Argumentationen des Botschafters nicht.

"Ich begreife nicht," sagte er, "wie die Ehre und die Interessen
Frankreichs durch den Entschluss des Prinzen von Hohenzollern beruehrt
werden koennen. Die Verhandlungen, welche zu diesem Entschluss gefuehrt
haben, sind ja durch die Regierung in Madrid aus freiem Antriebe
begonnen. Keine Regierung hat an denselben irgend welchen Antheil
genommen, ich begreife nicht, wie daraus irgend ein Conflikt entstehen
kann. Und ich will nicht annehmen," fuegte er mit scharfer Betonung
hinzu, indem er voll Wuerde und Hoheit den Kopf emporhob, "dass der Krieg
aus einem Fall sich entwickeln koenne, bei welchem gar keine europaeische
Macht betheiligt ist."

Ein leichtes Zucken zeigte sich in den Augenwinkeln Benedetti's, wie
abwehrend hob er ein wenig die Hand empor und rief:

"An eine solche Eventualitaet, Majestaet, auch nur zu denken, kann mir
nicht in den Sinn kommen. Meine Anwesenheit hier in Ems allein beweist
schon, wie dringend die Regierung des Kaisers eine versoehnliche und
allgemein befriedigende Loesung der so ploetzlich entstandenen
Schwierigkeiten ersehnt, gerade um zu einer solchen Loesung zu gelangen,
bin ich beauftragt worden, Eurer Majestaet alle diejenigen Gesichtspunkte
darzulegen, welche uns zwingen, die Verzichtleistung des Prinzen von
Hohenzollern dringend zu wuenschen."

"Ich kann Ihnen nur nochmal wiederholen," sagte der Koenig, "dass es mir
unendlich fern liegt, den Prinzen Leopold zur Annahme der spanischen
Koenigskrone zu ermuthigen oder auch eine solche Annahme seinerseits nur
zu wuenschen, indess muss ich ihm schon desshalb, weil er nicht unmittelbar
zu meinem koeniglichen Hause gehoert und kein preussischer Prinz ist, die
volle Freiheit seines Entschlusses lassen, seine Annahme zurueckzuziehen.
Indess," fuegte er hinzu, "um Ihnen zu beweisen, wie sehr auch ich eine
allseitig befriedigende Loesung wuensche, kann ich Ihnen mittheilen, dass
ich sogleich, als ich von der grossen Aufregung in Frankreich
unterrichtet worden bin, mich mit dem Fuersten Anton, der sich in
Sigmaringen befindet, in Verbindung gesetzt habe, um ihn ueber seine und
des Prinzen Leopold Ansichten zu befragen und zu erfahren, wie sie ueber
die in Frankreich durch den Entschluss des Prinzen Leopold
hervorgerufenen Aufregung daechten.

Wenn der Prinz Leopold und sein Vater die ganze Eroerterung ueber den
Gegenstand zu beseitigen geneigt waeren, so wuerden ja dadurch alle
Schwierigkeiten gehoben,--einen Einfluss auf ihre Entschluesse auszuueben,
aber halte ich mich nicht fuer berechtigt, und Sie begreifen, mein lieber
Graf, dass ich erst dann in der Lage sein werde, unsere heutige
Unterredung fortzusetzen, wenn ich genaue Mittheilungen ueber die
Beschluesse des Fuersten Anton und seines Sohnes haben werde."

Der Koenig sagte die letzten Worte in einem Ton, welcher andeutete, dass
er die Unterredung fuer beendet halte.

Benedetti verneigte sich tief, ohne indess aufzustehen und sagte:

"Ich muss mir erlauben Eurer Majestaet ehrerbietigst zu bemerken, dass die
Regierung des Kaisers sich der stets wachsenden Aufregung der Kammer und
der Presse gegenueber, in grosser Verlegenheit befindet und dringend
wuenschen muss, so bald als irgend moeglich bestimmte Erklaerungen ueber die
endgueltige Erledigung dieses Incidenzfalles abgeben zu koennen. Eure
Majestaet wuerden mir daher eine besondere Gnade erweisen, wenn Sie mir
ungefaehr den Zeitpunkt bezeichnen koennten, bis zu welchem Sie im Besitz
der zu erwartenden Nachricht sein koennen."

Der Koenig sann einen Augenblick nach.

"Ich kann den Telegraphen nicht benutzen," sagte er dann, "ich habe hier
in Ems keinen Chiffre, durch den ich mit dem Prinzen Anton
correspondiren kann. Ich weiss auch nicht ganz genau, wo der Prinz
Leopold sich in diesem Augenblick befindet,--indess kann es unmoeglich
lange dauern. Ich hoffe, sehr bald genau unterrichtet zu sein und werde
Sie dann sofort benachrichtigen."

Benedetti erhob sich.

"Ich stehe zu Eurer Majestaet Befehl," sagte er, "und habe nur noch den
dringenden Wunsch auszusprechen, dass Allerhoechstdieselben mich bald in
die Lage setzen moechten, meiner Regierung die glueckliche und
befriedigende Beseitigung der ganzen Angelegenheit mittheilen zu
koennen."

"Ich sehe Sie noch bei der Tafel, mein lieber Graf," sagte der Kaiser,
indem er Benedetti die Hand reichte, "und hoffe, dass Ihr Aufenthalt hier
in Ems, so gern ich Sie hier auch sehe, sich nicht zu sehr verlaengere,
und dass Sie bald Ihre unterbrochene Kur in Wildbad wieder aufnehmen
koennen."

Mit tiefer Verneigung verliess Benedetti das Cabinet, begab sich durch
das Vorzimmer in den laenglichen einfenstrigen Raum, in welchem bereits
die zum Diner befohlenen Personen sich versammelten.

Der Koenig klingelte. Sein Kammerdiener Engel erschien und in kurzer Zeit
hatte Seine Majestaet die Toilette fuer das Diner beendet.

"Rufen Sie mir Abeken noch einmal," sagte der Koenig.

Wenige Minuten darauf trat der Geheime Legationsrath Abeken ebenfalls
zum Diner angekleidet in das Zimmer.

Ernst und sinnend sagte der Koenig:

"Sie verlangen von mir die Verzichtleistung des Prinzen von
Hohenzollern, sie wollen sich nicht nach Spanien wenden,--es ist in dem
Allen ein Hintergedanke, ich fuehle das an dem ganzen Wesen Benedetti's,
er macht mir den Eindruck, dass er schaerfere Instructionen hat, als seine
Worte erkennen lassen. Diese fast absichtliche Muehe, die man sich giebt,
um die Sache zu einer Frage zwischen Deutschland und Frankreich zu
machen, was sie doch nicht ist, kommt mir ein wenig bedenklich vor--und
je mehr man sie zu einer deutschen Frage macht, um so weniger bin ich
meinerseits im Stande, irgend eine Concession zu gewaehren. Jedenfalls
telegraphiren Sie nach Berlin, dass Bismarck hierher kommen moege; wenn
die Sache irgend eine ernstere Dimension annimmt, muss ich ihn doch bei
mir haben. Auch waere es gut," fuegte er hinzu, "wenn Moltke von seinem
Urlaub zurueckkaeme, es ist immer besser, fuer alle Faelle vorbereitet zu
sein, als ueberrascht zu werden. Nach dem Diner theilen Sie mir sogleich
alle Nachrichten mit, die weiter von Berlin gekommen sind."

Der Geheime Legationsrath ging hinaus.

"Sollte es moeglich sein," sprach der Koenig mit tiefem Sinnen an das
Fenster tretend, "dass auch dieser Kampf mir noch beschieden waere? Die
Mahnung an das Standbild meines Vaters--an das eiserne Kreuz liessen so
lebhaft in mir die Bilder jener alten vergangenen Zeiten
heraufsteigen,--nun," sagte er den Blick ueber die gruenen Baeume hin zum
Himmel richtend, "in dieser Mahnung liegt auch die Buergschaft fuer die
Zukunft Preussens und Deutschlands,--wenn Gott den Kampf beschlossen, so
wird auch Gott mit uns sein in diesem Kampf!"

Die Thuer des Cabinets wurde geoeffnet, der Hofmarschall Graf Perponcher
trat ein, meldete Seiner Majestaet, dass das Diner servirt sei und schritt
dann dem Koenige voran in den kleinen Versammlungssaal, in welchem das
Gefolge und die zur Tafel befohlenen etwa vierzehn Personen versammelt
waren.

Der Koenig gruesste die Anwesenden huldvoll und heiter und schritt in den
Speisesaal voran, in welchem die koeniglichen Jaeger in ihrer
geschmackvollen gruenen und silbernen Livree zum Service bereit standen.

Graf Benedetti nahm neben Seiner Majestaet Platz, der Koenig unterhielt
sich mit ihm waehrend des ganzen Diners in so liebenswuerdig, freundlicher
und unbefangener Weise, dass alle Anwesenden die Ueberzeugung gewannen,
es koennten keine ernsthaften drohenden Wolken am politischen Horizont
bestehen, und dass diese Ueberzeugung in schnell sich fortpflanzender
Mittheilung am Abend die ganze Badegesellschaft von Ems durchdrungen
hatte.




Siebentes Capitel.


Die Sonne sank bereits unter den Horizont und der alte Park von St.
Cloud mit fernen gewaltigen Riesenbaeumen huellte sich in dunkle Schatten,
als der Wagen des Herzogs von Gramont in das kaiserliche Schloss einfuhr.

Der Herzog stieg aus und schritt eiligst die Treppe zu den Appartements
des Kaisers hinauf, in welche er nach der Meldung des Dienst thuenden
Adjutanten unmittelbar eingefuehrt wurde.

Auf dem Tisch des Kaisers brannte bereits eine hohe Lampe mit grossem
flachem Schirm von blaeulichem Glas, waehrend durch das geoeffnete Fenster
mit den Dueften der bluehenden Rosenbeete die letzten Strahlen des
sinkenden Tages hineindrangen.

Der Kaiser, welcher sich nach dem Familiendiner so eben zurueckgezogen
und den Frack mit einem leichten weiten Sommerrock vertauscht hatte,
lag halb in einem jener grossen amerikanischen Schaukelstuehle von feinen
elastischen Holzstreifen, den Kopf auf eine an der Lehne des Stuhls
haengende Schlummerrolle gestuetzt und in ruhiger Traeumerei seine Cigarre
rauchend. Mit einem leisen Seufzer ueber die Stoerung seines Dolce far
niente erhob er sich mit einiger Muehe und ging dem Minister einige
Schritte entgegen, welcher sich in einer gewissen Erregung zu befinden
schien.

"Ich habe Eurer Majestaet eine guenstige und wichtige Nachricht
mitzutheilen," sagte der Herzog von Gramont, "und Ihre Befehle zu
erbitten, wie die durch dieselbe geschaffene neue Situation behandelt
werden soll."

Der Kaiser athmete wie erleichtert auf.

"Hat der Koenig Wilhelm die Forderung Benedetti's erfuellt," fragte er.
"Ist dieser unangenehme und peinliche Fall erledigt?"

"Der Prinz von Hohenzollern, Sire," sagte der Herzog von Gramont, "hat
seine Candidatur zurueckgezogen. Olozaga ist so eben bei mir gewesen, um
mir dies mitzutheilen und nach einem Telegramm von Benedetti hat der
Koenig Wilhelm ihm ebenfalls die Verzichtleistung des Prinzen durch einen
Adjutanten mittheilen und erklaeren lassen, dass er diese
Verzichtleistung autorisire."

"Ah," sagte der Kaiser mit zufriedenem Laecheln, "unser energisches
Auftreten hat also schnell seine Fruechte getragen."

"Wie immer, Sire," sagte der Herzog mit dem Ausdruck stolzer
Befriedigung, "fuer eine Macht wie Frankreich ist Energie und Festigkeit
immer die beste Politik, und ich freue mich von ganzem Herzen, dass durch
unser Auftreten in dieser Sache nicht nur vor der Nation, sondern vor
ganz Europa der Beweis geliefert worden ist, dass das Wort Frankreichs
noch nicht ungehoert verhalle, und dass die Zeit beendet sei, in welcher
man glaubte, ohne unsere Zustimmung die grossen und wichtigen
europaeischen Fragen entscheiden zu koennen. Das einfache Wort Eurer
Majestaet hat genuegt, um diese Combination des Grafen von Bismarck
scheitern zu lassen. Die Situation hat sich ungemein guenstig fuer uns
veraendert, denn wir haben alle europaeischen Cabinette fuer uns, welche
saemmtlich in der Thronbesteigung eines Hohenzollerschen Prinzen in
Spanien eine bedenkliche Gefahr fuer die Ruhe und das Gleichgewicht
Europas erblickten. Es kommt nun nur darauf an, den Erfolg, den wir
errungen haben, vor den Kammern und der oeffentlichen Meinung in das
richtige Licht zu stellen, damit alle die Feinde der Regierung sich
ueberzeugen, dass das Kaiserthum noch gross und glaenzend da steht, und dass
Frankreich nach der langen Zurueckhaltung, welche auf die Schlacht von
Sadowa folgte, wieder entschlossen ist, mit entscheidender Hand in die
Politik einzugreifen."

"Sehr gut, sehr gut," sagte der Kaiser, "das wird einen vortrefflichen
Eindruck machen. Wir haben da einen grossen Schlag gethan, und zwar ohne
alle heftigen Verwickelungen und ohne dass selbst unsere Beziehungen zu
Preussen irgend wie getruebt werden, denn Benedetti berichtet ja, dass er
mit der groessten Auszeichnung vom Koenige Wilhelm behandelt worden sei.
Ich gratulire Ihnen, mein lieber Herzog, zu diesem ersten Debut als
Minister der auswaertigen Angelegenheiten. Es ist ein Triumph ohne Opfer,
und ich bin ueberzeugt, dass einem solchen vortrefflichen Anfang immer
glaenzendere Resultate folgen werden."

Er reichte dem Herzog die Hand, welche dieser, sich verbeugend, mit
strahlendem Laecheln ergriff.

"Es kommt nun darauf an," fuhr der Kaiser fort, "die Fassung der
Mittheilungen dieses so erfreulichen Ereignisses fuer die Kammer und die
Journale fest zu stellen. Es thut mir leid, Sie wieder fort zu
schicken, aber ich glaube, Sie muessen sogleich nach Paris zurueckkehren,
sich mit Ollivier darueber zu verstaendigen. Er ist ja Meister in der
Redewendung, setzen Sie mit ihm eine Erklaerung auf, welche in solenner
Weise die ganze Angelegenheit beendet und ohne Preussen zu verletzen, im
Gegentheil mit anerkennendem Ausdruck fuer die Weisheit und das
Entgegenkommen des Koenigs Wilhelm, dennoch unsern Sieg in helles Licht
stellt."

"Ollivier," erwiderte der Herzog, "hat die Nachricht bereits privatim im
Corps legislatif verschiedenen Deputirten mitgetheilt, die Befriedigung
darueber war allgemein."

"Um so besser," sagte der Kaiser, "wird morgen die feierliche Erklaerung
aufgenommen werden. Ich bitte Sie also, dieselbe aufzusetzen und sie
mir, so bald Sie sie redigirt haben, mittheilen zu lassen--auf
Wiedersehen, lieber Herzog. Nachdem wir diesen Sturm beschworen haben,"
fuegte er laechelnd hinzu, "hoffe ich, Sie auf einige Tage hier zu sehen,
um sich in laendlicher Ruhe von den Aufregungen der letzten Tage etwas zu
erholen."

Der Herzog empfahl sich Seiner Majestaet und verliess immer das stolze
zufriedene Laecheln auf den Lippen das Cabinet.

Der Kaiser athmete erleichtert auf, blickte einen Augenblick schweigend
nach dem in immer tiefere Schatten versinkenden Park hinaus und ergriff
dann eine neue Cigarre, um sie anzuzuenden und sich abermals der durch
den Besuch seines Ministers unterbrochenen Traeumerei zu ueberlassen.

Da oeffnete sich schnell die Thuer, General Fave erschien und sagte:

"Der oesterreichische Botschafter bittet Eure Majestaet, ihn empfangen zu
wollen."

Verwundert blickte der Kaiser auf.

"Metternich," sagte er, "zu dieser Stunde? Was kann er bringen?--bitten
Sie ihn, einzutreten."

Indem er seufzend seine Cigarre wieder fortlegte, ging er einige
Schritte dem Fuersten Richard Metternich entgegen, den der General in das
Cabinet fuehrte.

Der Sohn des grossen Staatsmannes, welcher einst so lange die Geschicke
der oesterreichischen Monarchie und ein wenig diejenigen von ganz Europa
in seinen Haenden gehalten hatte, war damals ungefaehr zwei und vierzig
Jahre alt. Er war eine angenehme, sympathisch anmuthende Erscheinung,
die Fuelle seiner Gestalt that der elastischen Eleganz seiner Bewegungen
keinen Eintrag, sein etwas bleiches Gesicht, auf dessen hohe Stirn die
leicht gelockten, duenn gewordenen Haare herabfielen, war von einem
starken, lang hinab haengenden Backenbart umrahmt; seine edel
geschnittenen Zuege zeigten den Ausdruck ruhiger und sorgloser
Heiterkeit, waehrend seine geistvollen Augen zugleich scharf beobachtend
umher blickten. Heute aber lag auf diesem Gesicht eine gewisse unruhige
Aufregung--ernst erwiderte er die Begruessung des Kaisers und sprach,
indem er sich auf den Wink desselben ihm gegenueber setzte, mit leicht
erregter Stimme:

"Ich bitte Eure Majestaet um Verzeihung, dass ich es wage, noch in so
vorgerueckter Abendstunde um Gehoer zu bitten; aber die beunruhigenden
Nachrichten, welche die ganze politische Welt erfuellen, machen es mir
zur Pflicht, mich unverzueglich des Auftrages zu entledigen, welchen der
Graf Beust, der seine Badekur in Gastein verschoben hat, mir so eben
ertheilte."

Der Kaiser laechelte ein wenig, neigte leicht das Haupt und sprach:

"Sie wissen, lieber Fuerst, dass Ihr Besuch mir zu jeder Zeit angenehm und
erfreulich ist, auch wenn Sie mir keine Mittheilung des Grafen Beust zu
machen haetten. Der Besuch eines Freundes ist immer willkommen, und zu
meinen Freunden gehoert der Fuerst Metternich ebenso sehr als der
Botschafter des Kaisers von Oesterreich."

Der Fuerst dankte durch eine ehrerbietige Verneigung fuer die freundlichen
Worte des Kaisers und fuhr dann in demselben ernsten Ton wie vorher
fort:

"Das guetige Wohlwollen Eurer Majestaet, von welchem ich schon so viele
Beweise erhalten habe, und welches Sie so eben von Neuem auszusprechen
die Gnade haben, giebt mir die Hoffnung, dass Sie auch dem, was ich Ihnen
zu sagen habe, ein gnaediges und aufmerksames Ohr schenken werden. Sire,"
sprach er weiter, "die Regierung meines allergnaedigsten Herrn kann sich
der Besorgniss nicht erwehren, dass die Eroerterungen, welche zwischen
Frankreich und Preussen in diesem Augenblick ueber die Hohenzollersche
Candidatur Statt finden, bei der hoch gehenden Aufregung der
Volksstimmung in Frankreich und bei dem Beginn einer aehnlichen Aufregung
in Deutschland zu ernsten Conflicten und gefaehrlichen Catastrophen
fuehren moechte. Ich habe zu verschiedenen Zeiten zu meiner grossen
Genugthuung Gelegenheit gehabt, Eurer Majestaet gegenueber zu constatiren,
dass die politischen Interessen Frankreichs und Oesterreichs in allen
grossen Fragen die gleichen seien, und dass eine gleichmaessige Behandlung
aller dieser Fragen im Interesse beider Staaten liege. Die gleiche
Versicherung hat auch der Herzog von Gramont waehrend seines Aufenthalts
in Wien bei jeder Gelegenheit von dem Reichskanzler selbst erhalten."

Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf.

"Graf Beust hat aber bei allen solchen Gelegenheiten," fuhr der Fuerst
Metternich fort, "dem Herzog gegenueber auch ganz bestimmt betont, dass
Oesterreich noch auf lange hinaus nicht in der Lage sei, an irgend einer
militairischen Action, selbst wenn dieselbe in seinem Interesse liegen
koennte, Theil zu nehmen, ohne dadurch die ruhige Entwickelung und damit
die Zukunft der oesterreichischen Monarchie auf das Hoechste zu gefaehrden,
und dass es desshalb fuer die oesterreichische Politik geboten sei, ueberall
und zu jeder Zeit zur Vermeidung von Conflicten beizutragen, welche
geeignet waeren, kriegerische Consequenzen herbeizufuehren. Der
_gegenwaertige_ Augenblick und die zwischen Frankreich und Preussen
schwebende Frage scheinen nun, wie ich zu bemerken die Ehre hatte, die
Befuerchtung solcher Consequenzen sehr nahe zu legen, und ich bin desshalb
beauftragt, Eurer Majestaet bestimmt zu erklaeren, dass Oesterreich, wenn
aus dieser Hohenzollerschen Candidatur kriegerische Entwickelungen
entstehen sollten, nicht im Stande sei, in denselben irgend eine active
Rolle zu spielen und sich auf die Seite Frankreichs zu stellen."

Der Kaiser blickte einen Augenblick schweigend vor sich nieder, dann
sagte er.

"Mein lieber Fuerst, die Erklaerung, welche Herr von Beust mir da durch
Sie abgeben laesst, ueberrascht mich in ihrem allgemeinen Inhalt nicht,
dennoch scheint mir ihre bestimmte Wiederholung gerade in diesem
Augenblick nicht vollkommen mit der auch vom Grafen Beust anerkannten
Identitaet der politischen Interessen Oesterreichs und Frankreichs
uebereinzustimmen. Sollte ich jemals in einen ernsten Conflict mit
Preussen gerathen, so wuerde, scheint es mir, der Augenblick gekommen
sein, in welchem jene Identitaet der Interessen sich practisch zu
bethaetigen haette,--wenn sie ueberhaupt irgend eine Bedeutung haben
soll,--und Oesterreich muesste doch in der That mit Freuden eine solche
Gelegenheit begruessen, welche ihm die Moeglichkeit bietet, ohne grosse
eigene Gefahr das im Jahre 1866 Verlorene wieder zu gewinnen; von vorn
herein eine solche Gelegenheit ausschliessen zu wollen, scheint mir nicht
im Interesse Oesterreichs zu liegen, und wenn eine solche Erklaerung
oeffentlich abgegeben wird,--wenn sie auch andern Cabinetten bekannt
wird," fuegte er mit scharfer Betonung hinzu, "so wird das sehr wenig
dazu beitragen koennen, die nachdrueckliche Vertretung der Interessen
Frankreichs zu unterstuetzen."

"Sire," erwiderte der Fuerst Metternich, "nach meiner Ueberzeugung,
welche wie ich glaube auch diejenige des Grafen Beust ist, wuerde es
allerdings Eventualitaeten geben, unter denen es fuer Oesterreich
vortheilhaft, ja geboten erscheinen koennte, im Verein mit Frankreich
Preussen von der 1866 eroberten Stellung zurueckzuwerfen,--eine solche
Eventualitaet koennte aber nur dann eintreten, wenn einmal der _Grund_ des
Conflicts Oesterreich das Recht und die Moeglichkeit gebe, in demselben
Stellung zu nehmen und wenn sodann die Aussichten des Erfolges
einigermassen sicher sind. In diesem Augenblick ist aber beides nicht der
Fall. Der einzige Kriegsgrund fuer Oesterreich koennte in einem Eingriff
Preussens in die unabhaengige Selbststaendigkeit der Sueddeutschen Staaten
liegen; bei einem solchen Kriegsgrund wuerde ein grosser Theil der
deutschen Nation auf Oesterreichs Seite stehen, und der Kampf wuerde die
grossen Fragen von 1866 wieder aufnehmen unter der Mitwirkung
Frankreichs, welche damals die Verhaeltnisse Eurer Majestaet unmoeglich
machten. Gegenwaertig ist aber von einem solchen Kriegsgrunde nicht die
Rede, der Erbprinz von Hohenzollern ist ein deutscher Fuerst, und wenn
Preussen einen Krieg annehmen sollte, weil Frankreich sich der
Thronbesteigung eines deutschen Prinzen in Spanien widersetzt, so wuerde
das Nationalgefuehl sich auf die Seite Preussens stellen, und eine
Alliance Oesterreichs mit Frankreich wuerde in diesem Falle nur dazu
beitragen, Oesterreich als den Nationalfeind Deutschlands vor dem Volk
erscheinen zu lassen, das heisst, uns jede moralische Unterstuetzung zu
rauben, welche in einem solchen Kampf unumgaenglich nothwendig ist.
Ausserdem aber, Sire," fuhr er fort, "sind die Chancen des Erfolges, wie
es mir scheint, aeusserst unsicher. Unsere militairischen Vorbereitungen
sind nicht beendet, unsere Finanzen sind noch nicht geordnet, schon aus
diesem Grunde wuerde Oesterreich zu einer nachdruecklichen Kriegfuehrung
kaum im Stande sein--"

"Man wuerde aber doch," fiel der Kaiser ein, "lediglich durch eine
drohende Haltung grosse preussische Truppenmassen absorbiren."

"Auch das ist nicht moeglich, Sire," sagte Fuerst Metternich seufzend,
"denn leider muss ich Eurer Majestaet mittheilen, dass von Seiten Russlands
uns deutlich zu verstehen gegeben worden, jede feindliche Bewegung
gegen Preussen werde sofort gleiche Schritte Russlands gegen unsere
Grenzen zur Folge haben. Damit wuerde also unsere Drohung wirkungslos
gemacht und wir gezwungen werden, unsere disponiblen Truppen zur
Selbstvertheidigung an die russische Grenze zu schicken."

"Der Kaiser Alexander," fiel Napoleon ein, "hat sich aber doch
entschieden gegen die Hohenzollersche Kandidatur erklaert und versichert
ausserdem den General Fleury unausgesetzt seiner Freundschaft und seiner
Sympathien gegen Frankreich."

"Das Alles wird nicht hindern, Sire," sagte der Fuerst Metternich, "dass
wenn es wirklich zum Conflict kommt, Russland sehr entschieden auf die
Seite Preussens treten und wenigstens ganz bestimmt Oesterreich
verhindern wird, irgend etwas zu unternehmen. Ich beschwoere also Eure
Majestaet," fiel er lebhafter sprechend fort, "glauben zu wollen, dass
Oesterreich sich von der Liga der Neutralen nicht wird trennen
koennen--ich bitte Eure Majestaet instaendigst, in dieser ganzen Sache
keinen Schritt zu thun, der zu unheilbaren Conflicten fuehren kann, denn
Eure Majestaet wuerden ganz isolirt sein und sich dem hoch aufgeregten
deutschen Nationalgefuehl gegenueber befinden, welches, von Preussen
organisirt, ein furchtbar gefaehrlicher Gegner sein wird."

"Glauben Sie," sagte der Kaiser, den Blick scharf und forschend auf
Metternich richtend, "dass das deutsche Nationalgefuehl in Baiern und
Wuertemberg sich jemals fuer Preussen wird erheben koennen, da man dort doch
einsehen muss, dass wenn man unter preussischer Fuehrung gegen Frankreich zu
Felde zieht, man fuer immer die eigene Selbststaendigkeit aufgiebt. Man
hat mir berichtet," sagte er, "dass die Stimmung in jenen Staaten sehr
preussenfeindlich ist und Sie selbst, lieber Fuerst, haben mir frueher
Aehnliches mitgetheilt. Sollte das Alles sich schnell aendern koennen?"

"Es wird sich aendern, Sire," sagte der Fuerst, "und hat sich zum Theil
schon geaendert, und von Berlin aus wird mit grosser Geschicklichkeit
gearbeitet, um der oeffentlichen Meinung die Haltung Frankreichs
gegenueber der Candidatur des Prinzen von Hohenzollern als eine der
ganzen Nation angethane Beleidigung darzustellen. Glauben mir Eure
Majestaet, die Sueddeutschen Staaten werden in dieser Frage mit Preussen
gehen--die Sueddeutschen Fuersten zunaechst, sie haben im Jahre 1866
gesehen, wie unerbittlich Preussen mit seinen Feinden verfaehrt, und um
sich von Neuem in einen Kampf einzulassen, muessten sie eine grosse
Coalition auf ihrer Seite sehen, welche ihnen Gewissheit des Sieges oder
wenigstens des Schutzes ihrer Throne gewaehrt."

Der Kaiser versank in schweigendes Nachdenken.

Fuerst Metternich sah ihn in tiefer Bewegung an. Seine grossen, klaren und
ausdrucksvollen Augen verschleierten sich mit einem leichten
Thraenenschimmer und mit dem Ausdruck inniger Ueberzeugung sprach er:

"Eure Majestaet haben die Gnade gehabt, die Gefuehle der tiefen
persoenlichen Ergebenheit, welche ich fuer Allerhoechstdieselben hege,
anzuerkennen und mich Ihren Freund zu nennen. Erlauben Sie mir, Sire,
jetzt nachdem der Botschafter von Oesterreich gesprochen, auch als
treuer und ergebener Freund zu sprechen. Ich weiss sehr gut," fuhr er
fort, "dass die Stroemung der oeffentlichen Meinung Frankreichs in diesem
Augenblick zum Kriege treibt, und ich weiss ebenso gut, Sire, dass viele
Personen in Ihrer Umgebung--in Ihrer naechsten und unmittelbaren
Umgebung," fuegte er mit Betonung hinzu, "sich die angelegentlichste Muehe
geben, jene Richtung der oeffentlichen Meinung zu unterstuetzen und Eure
Majestaet in gefaehrliche Unternehmungen hineinzudraengen, welche nach
meiner innigsten Ueberzeugung in diesem Augenblick nur zum Unglueck
Frankreichs und zum Unglueck Eurer Majestaet ausschlagen koennen. Preussen
ist furchtbar geruestet, Deutschland wird in dieser Hohenzollernschen
Frage hinter Preussen stehen und die Eurer Majestaet feindlichen Parteien
in Frankreich, welche sich augenblicklich vor dem Plebiscit
zurueckgezogen haben, warten nur auf den Augenblick eines Misserfolges im
Kriege, um sich von Neuem zu erheben und einen entscheidenden Schlag
gegen das Kaiserreich zu fuehren. Ebenso wie man in Italien nur darauf
wartet, sich Roms zu bemaechtigen. Allen diesen Gefahren gegenueber werden
Eure Majestaet isolirt da stehen, keine der europaeischen Maechte wird sich
Frankreich in dieser Frage zur Seite stellen, und ich bitte Eure
Majestaet, zu glauben, dass die Erklaerung, die ich Ihnen als Botschafter
gegeben, unbedingte Wahrheit ist. Der Fuerst Metternich giebt Ihnen sein
Wort darauf. Oesterreich wird nicht fuer Eure Majestaet Partei nehmen,
weil es das nicht thun kann, in dieser Frage am allerwenigsten thun
kann, und selbst wenn der Graf Beust, selbst wenn der Kaiser dazu
geneigt sein sollten, wie der Herzog von Gramont vorauszusetzen scheint,
so wird diese Neigung vor dem Widerstande des Grafen Andrassy erfolglos
bleiben. Der Graf Andrassy vertritt Ungarn, und Ungarn will keinen Krieg
mit Deutschland, da auch der guenstige Ausgang desselben nur dahin
fuehren koennte, die dominirende Stellung des deutschen Elements im
Kaiserstaate wieder zu befestigen, ohne Ungarn aber, ohne diese
wichtigste militairische Huelfsquelle Oesterreichs ist jede Action fuer
uns unmoeglich--ich bitte Eure Majestaet," fuhr er fort, "dies als ganz
gewiss anzunehmen,--Graf Andrassy hat hohe Verehrung vor Eurer Majestaet
und tiefe Sympathie fuer Frankreich. Taeuschen sich aber Eure Majestaet
nicht ueber die Bedeutung von Aeusserungen, welche diese seine Gefuehle ihm
eingegeben haben koennen. Unter andern Umstaenden, wenn Frankreich
vielleicht mit Italien in Conflikt geriethe, wuerde Oesterreich bei einer
franzoesischen Alliance auf die Unterstuetzung Ungarns rechnen
koennen,--gegen Deutschland niemals,--am allerwenigsten in einer Frage,
in welcher kein Vertragsrecht Oesterreichs Intervention zur Seite steht.
Eure Majestaet," fuhr er mit tief, eindringendem Tone fort, "kennen meine
aufrichtige und liebevolle Ergebenheit fuer Ihre Person, Eure Majestaet
haben mir Gelegenheit gegeben, die edlen Eigenschaften Ihres Herzens
ebenso sehr zu erkennen und zu bewundern, als die Klarheit und die
ueberlegene Schaerfe Ihres Geistes--es ist die tiefe Ergebenheit, die
aufrichtige Liebe fuer Eure Majestaet, welche mir die Worte in den Mund
legt, die ich Ihnen jetzt zu sagen mir erlaube. Hoeren Eure Majestaet die
Bitte eines Freundes, welche ich ohne Ruecksicht auf meine Eigenschaft
als Botschafter Oesterreichs aus treu besorgtem Herzen an Sie richte.
Treiben Sie, Sire, diese Sache nicht weiter, betreten Sie den
gefahrvollen Weg nicht, auf welchen man Sie draengen moechte und an dessen
Ende kaum ein gluecklicher Ausgang zu erwarten ist."

Der Fuerst schwieg.

Der Kaiser beugte sich vor, reichte ihm mit einem liebenswuerdigen
Laecheln die Hand, indem zugleich ein warmer Strahl seinen freien Blick
erleuchtete.

"Ich danke Ihnen, mein lieber Fuerst," sagte er, "fuer die Aufrichtigkeit
und den Eifer, mit welchem Sie mir Ihre Ueberzeugung ausgesprochen und
Ihren Rath ertheilt haben. Ihre Gesinnungen fuer mich machen mich
stolz,--doch," sagte er dann, "Sie beunruhigen sich ohne Noth, die
Besorgnisse, welche gestern noch bestehen konnten, existiren heute nicht
mehr, der Prinz von Hohenzollern hat seine Candidatur zurueckgezogen."

Fuerst Metternich athmete erleichtert auf.

"Ich hoerte davon im Augenblick meiner Abfahrt in Paris," sagte er. "Ist
die Nachricht bereits offiziell angekommen?"

"Olozaga," sagte der Kaiser, "hat die Mittheilung im Auftrage der
spanischen Regierung an den Herzog von Gramont gemacht, und somit
scheint mir die Angelegenheit erledigt. Die Verzichtleistung des Prinzen
wird morgen in den Kammern mitgetheilt werden, und die europaeische
Diplomatie," fuegte er laechelnd hinzu, "kann wieder ruhig baden und
Brunnen trinken."

Der Fuerst Metternich schwieg einen Augenblick, als zoegerte er, einen
Gedanken auszusprechen, der ihn beschaeftigte.

"Sire," sagte er dann, "die extreme Kriegspartei wird vielleicht nach
Andeutungen, die ich hier und da gehoert habe, mit der Loesung der Frage
noch nicht zufrieden sein, da sie gehofft hat, jetzt endlich mit ihren
Ideen durchzudringen. Man wird von Neuem die Stimmung zu reizen und
aufzuregen suchen, und da, wie ich weiss, auch in Deutschland bereits die
Geister sich zu entflammen beginnen, so koennte leicht irgend ein
Incidenzfall eintreten, der die Beruhigung Europa's von Neuem in Frage
stellt. Ich bitte, Eure Majestaet, aus der Erklaerung, welche den Kammern
gegeben werden soll, jede provocirende und verletzende Aeusserung gegen
Preussen fern halten zu lassen, damit ein fuer allemal alle
Auseinandersetzungen ueber den Gegenstand aufhoeren. Graf Bismarck," fuhr
er fort, "hat bis jetzt alle Conflikte zu vermeiden gesucht, einen
guenstigeren Kriegsfall als in diesem Augenblick koennte er aber kaum
finden, und man muss ihn nicht in die Versuchung fuehren, durch einen
grossen Aufschwung des Nationalgefuehls aus der Waffenbruederschaft aller
deutschen Staaten ein neues deutsches Reich zusammen zu schmieden."

Der Kaiser laechelte.

"Seien Sie ganz ruhig, mein lieber Fuerst," sagte er, "ich habe Gramont
den Auftrag ertheilt, mit Ollivier eine definitive Erklaerung ueber die
Beendigung der ganzen Sache an die Kammer zu redigiren, und morgen um
diese Stunde wird jede Besorgniss fuer die Stoerung des Friedens
verschwunden sein."

Fuerst Metternich stand auf.

"Ich verlasse Eure Majestaet mit erleichtertem Herzen und bitte um die
Erlaubniss, sogleich nach Paris zurueckkehren zu duerfen, um das so
erfreuliche Resultat dieser Unterredung nach Wien melden zu koennen."

"Meine herzlichsten Empfehlungen der Fuerstin," sagte der Kaiser, "ich
hoffe, Sie Beide in den naechsten Tagen hier zu sehen."

Er drueckte dem Fuersten die Hand und begleitete ihn einige Schritte nach
der Thuer hin.

"Durch die Beseitigung der Candidatur des Erbprinzen von Hohenzollern,"
sprach er leise, als er allein war "soll das Prestige Frankreichs wieder
hergestellt sein, sagt man mir,--sehr gut, wenn die oeffentliche Meinung
dies glaubt. Leider," fuhr er seufzend fort, "ist es nicht der Fall,
jenes Prestige besteht in Wahrheit nicht mehr. Denn wenn es bestaende, so
wuerde Oesterreich nicht zoegern, in diesem Augenblick frei und offen auf
die Seite Frankreichs zu treten und die Suprematie des Hauses Habsburg
in Deutschland wieder zu erringen. Man glaubt nicht mehr an die Macht
Frankreichs, und auch meine besten Freunde nicht,--auch Metternich
nicht, der wirklich mein Freund ist. Das Ansehen Frankreichs, so wie es
frueher war, wieder herzustellen, gaebe es nur ein Mittel, und dies Mittel
waere der Sieg--aber," sagte er duester vor sich hin starrend, "wo ist die
Hand, welche den Sieg mit Sicherheit erkaempfen koennte,----wenn er mir
entginge----"

Er versank, die Augenbrauen finster zusammengezogen, in tiefes Sinnen.

"Meine Gemahlin wird nicht zufrieden sein," sagte er dann, "ueber die so
friedliche Loesung--sie glaubt an den Sieg--ich will ihr selbst die Sache
sogleich mitteilen, damit sie vorsichtig in ihren Aeusserungen ist und die
Kriegspartei nicht durch hingeworfene Worte ermuthigt."

Er verliess sein Cabinet und begab sich nach den Gemaechern der Kaiserin.

Der Huissier oeffnete die Thuer.

Der Kaiser durchschritt das Vorzimmer und trat in den Salon, an dessen
Schwelle ihn die Kaiserin empfing.

Napoleon blieb einen Augenblick erstaunt stehen, denn hinter seiner
Gemahlin, deren Gesichtszuege eine lebhafte Erregung ausdrueckten, sah er
neben dem, von grossen Fauteuils umgebenen, mit Albums aller Art
bedeckten Tisch in der Mitte des Salons den Baron Jerome David und den
Herzog von Gramont.

Der Baron Jerome David, der Fuehrer der entschiedensten Anhaenger des
Kaiserreichs im Corps legislatif, war ein Mann von etwa fuenfzig Jahren
von kraeftiger, schlanker Gestalt; sein auf einem kurzen Halse sich
erhebender Kopf hatte scharf markirte, von energischer Willenskraft und
etwas colerischem Temperament zeugende Gesichtszuege; das dunkle volle
Haar war ueber der niedrigen Stirn leicht gekraeuselt; unter
hochgeschwungenen Augenbrauen blickten grosse, etwas hervorstehende Augen
hervor, deren etwas stechender Blick fast immer den Ausdruck zorniger
und unruhiger Erregung hatte; die etwas abgestumpfte starke Nase, die
hoch aufgedrehten Spitzen des dunklen Schnurrbarts und das maechtig
hervorspringende Kinn liessen seinen Gesichtsausdruck in der Erregung
einer lebhaften Conversation fast herausfordernd erscheinen.

Der Kaiser trat langsam in den Salon und wandte sich mit einer Miene, in
welcher eben so viel Erstaunen, als Unzufriedenheit lag, an den Herzog
von Gramont.

"Ich haette nicht erwartet, Sie noch hier zu finden, Herr Herzog," sagte
er, ohne die Hoeflichkeit und den verbindlichen Ton, die ihm sonst eigen
war.

"Ich glaubte Sie schon in Paris, um mit Ollivier jene Erklaerung zu
verabreden, ueber welche wir vorher gesprochen haben."

"Der Herzog," fiel die Kaiserin schnell ein, "wollte vor seiner Rueckkehr
mich begruessen, und mir zugleich die Nachricht von der Verzichtleistung
des Prinzen von Hohenzollern bringen. Ich habe ihn noch zurueckgehalten,
um ihm Gelegenheit zu geben, die Mittheilungen anzuhoeren, welche der
Baron Jerome David mir so eben ueber die Stimmung in Paris und in den
Kreisen der Deputirten gemacht hat, und welche vielleicht von einigem
Einfluss auf die Entschliessungen sein koennten, die man in diesem
Augenblick zu fassen hat."

Der Kaiser verneigte sich leicht gegen den Baron Jerome David und sagte
immer noch in demselben strengen Ton seiner Stimme.

"Und welche Mittheilungen haben Sie der Kaiserin gemacht, Baron?"

Er reichte seiner Gemahlin die Hand, fuehrte sie zu einem der neben dem
Tisch stehenden Sessel und setzte sich an ihre Seite, den Blick mit
gespannter Aufmerksamkeit auf den Baron richtend.

"Sire," sagte dieser, "ich habe mir erlaubt, der Kaiserin
mitzutheilen,--und wuerde im naechsten Augenblick mich bei Eurer Majestaet
haben melden lassen, um auch Ihnen mitzutheilen,--dass die Nachricht von
der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern auf seine Candidatur
in Spanien, welche heute Abend in Paris bekannt wurde, unter den
Deputirten und in den journalistischen Kreisen durchaus nicht den
befriedigenden und beruhigenden Eindruck gemacht hat, welchen ich bei
dem Herzog von Gramont gefunden, also auch bei Eurer Majestaet
voraussetzen muss."

"Nun," sagte der Kaiser, den Baron fragend und erstaunt anblickend, "die
Sache ist doch erledigt, jene Candidatur ist verschwunden,----vor der
Intervention Frankreichs verschwunden,--ich begreife nicht,----"

"Niemand in Frankreich, Sire," fiel der Baron Jerome David rasch und
lebhaft ein, "hat jemals dem jungen Prinzen von Hohenzollern es
verdacht, dass er ein Abenteuer unternehmen wollte, bei welchem der
Ehrgeiz eines thatkraeftigen Mannes seine Rechnung finden
koennte.--Niemandem ist es eingefallen, die spanische Nation in der
freien Wahl ihres Koenigs zu beschraenken, die Besorgniss und die
Entruestung Frankreichs ueber diese Combination hatte nur darin ihren
Grund, dass die Hohenzollernsche Candidatur ein Werk der preussischen
Politik war, dass diese Combination in Berlin vorbereitet und vom Koenige
von Preussen feierlich genehmigt wurde, ohne dass man sich mit Frankreich,
das doch so nahe und so unmittelbar dabei interessirt ist, auch nur
darueber in Vernehmen gesetzt haette. Das ist eine Nichtachtung der
franzoesischen Wuerde und ausserdem eine Bedrohung unserer Interessen durch
die offen kund gegebene Absicht an unserer Suedgrenze eine Macht
aufzurichten, welche bei jeder Gelegenheit die preussische Politik gegen
uns zu unterstuetzen bestimmt sein sollte. Wenn nun der Prinz von
Hohenzollern einfach seine Candidatur zurueckzieht, so ist Frankreich
dadurch keine Genugtuung gegeben, vor allen Dingen aber auch keine
Sicherheit, dass die Combination, welche heute gescheitert ist, nicht
jeden Augenblick wieder aufgenommen werden koenne, wenn die europaeische
Constellation derselben vielleicht guenstiger sein moechte und Preussen die
Aussicht haette, Alliirte in einem Conflikt mit uns zu finden.--Ohne eine
Genugthuung fuer unsere Wuerde, ohne eine Sicherstellung unserer
Interessen fuer die Zukunft aber,"--fuhr er laut mit entschiedenem Tone
fort, "wird die oeffentliche Meinung sich nicht beruhigen die blosse
einfache Anzeige der Zurueckziehung der Candidatur des Prinzen Leopold
wird im Corps legislatif eine sehr unguenstige Aufnahme finden, und wenn
die Regierung sich damit begnuegt, so wird man das allgemein als ein
Zeichen grosser Schwaeche ansehen, und das so lebhaft erregte
Nationalgefuehl wird sich auf das Entschiedenste gegen Eure Majestaet
wenden, zum grossen Schaden fuer den Nimbus des Kaiserreichs, welcher erst
so eben durch das Plebiscit wieder hergestellt worden ist."

"Aber welche Genugthuung, welche Garantien," fragte der Kaiser,
"koennten denn gegeben werden?"

Die Kaiserin unterdrueckte muehsam ihre innere Erregung, waehrend sie ihr
Spitzentaschentuch in der Hand zusammenpresste.

"Sire," antwortete Jerome David, "die Beleidigung Frankreichs bestand
darin, dass ueber die Hohenzollernsche Combination von Preussen keine
Mittheilung an Frankreich gemacht wurde. Die Frage fuer die Zukunft
besteht darin, dass jene heut zurueckgezogene Candidatur jeden Augenblick
wieder aufgenommen werden kann,--dem entsprechend muss die Genugtuung und
diese Garantie gefordert werden. Die Genugthuung muss meiner Ueberzeugung
darin bestehen, dass der Koenig von Preussen Eurer Majestaet anzeigt, er
habe dem Prinzen befohlen und--zwar mit Ruecksicht auf die Intervention
Frankreichs--von seiner Bewerbung um den spanischen Koenigsthron Abstand
zu nehmen. Die Garantie muss darin bestehen, dass der Koenig weiter
erklaert, er werde auch in der Zukunft niemals erlauben, dass der Prinz
auf jene Candidatur zurueckkomme. Wenn der Kammer eine solche Erklaerung
vorgelegt wird, so wird der Eindruck ein tiefer und befriedigender sein,
jeder andere Abschluss der Sache wird dem Nationalgefuehl nicht genuegen
und dasselbe, wie ich wiederholen muss, gegen Eure Majestaet und die
kaiserliche Regierung richten."

Der Kaiser strich langsam mit der Hand ueber seinen Bart, dann richtete
er den Blick fragend auf den Herzog von Gramont.

"Sire," sagte dieser, "ich kann den Bemerkungen des Herrn Baron David
die innere Berechtigung nicht absprechen, vor Allem aber muss derselbe
die Stimmung im Corps legislatif am allerbesten und genauer kennen, als
ich; und das Ziel, nach welchem bei der Behandlung dieser ganzen
Angelegenheit gestrebt werden muss, ist ja doch jedenfalls die Bestaerkung
des Ansehens der kaiserlichen Regierung. Nachdem die Sache so weit
gediehen ist, duerfen wir nach meiner Ansicht mit keiner Halbheit
abschliessen, sondern muessen wirklich den als vollgueltig anerkannten
Beweis liefern, dass man die Wuerde Frankreichs nicht ungestraft
beleidigen, seine Interessen nicht ungestraft gefaehrden koenne."

"Nur ein solcher Beweis, ueber alle Zweifel und Missdeutungen erhaben,"
fiel der Baron Jerome David lebhaft ein, "wird das Corps legislatif und
die oeffentliche Meinung von ganz Frankreich beruhigen."

Der Kaiser sank seufzend in sich zusammen.

"Ich war so zufrieden, diese Angelegenheit endlich beendet zu wissen,"
sagte er leise.

Die Kaiserin zuckte fast unmerklich die Achseln, ein Blitz spruehte aus
ihren Augen.

"Glauben Sie denn," sagte Napoleon sich zum Herzog von Gramont wendend,
"dass eine solche Erklaerung, wie sie der Baron fuer noethig haelt, zu
erreichen und schnell zu erreichen moeglich sei, damit diese Sache nicht
noch mehr in die Laenge gezogen werde und die oeffentliche Meinung sich
immer mehr echauffire."

"Ich bin ueberzeugt, Sire," sagte der Herzog, "dass nichts leichter sein
wird, als eine solche definitive Erklaerung zu erlangen, um so mehr, wenn
man die Form waehlt, welche der Baron David so eben schon angedeutet hat,
die Form eines persoenlichen Briefes des Koenigs Wilhelm an Eure Majestaet
und sich damit gewissermassen auf den vom Koenige selbst eingenommenen
Standpunkt stellt, dass diese ganze Angelegenheit ihn nur persoenlich als
Chef seines Hauses beruehre und die preussische Regierung als solche
nichts angehe. Wenn Benedetti, der ja dem Koenige eine angenehme und
sympathische Person ist, in der ihm eigenen geschickten Weise die Sache
dort darstellt, so bin ich ueberzeugt, dass der Koenig keinen Augenblick
zoegern wird, einen Brief an Eure Majestaet zu schreiben, der die
geforderte Erklaerung enthaelt und den man ja dann nachher der
oeffentlichen Meinung in Frankreich dennoch als einen Act der preussischen
Regierung wird darstellen koennen. Denn," fuegte er laechelnd hinzu, "diese
oeffentliche Meinung kann sich nicht zu dem subtilen Unterschied erheben,
welchen Seine preussische Majestaet zwischen seinen beiden Eigenschaften
als Familienchef und Staatsoberhaupt zu machen sich gefaellt."

"Die Sache muesste aber durchaus," sagte der Kaiser, "in aller
vorsichtigster und versoehnlichster Weise behandelt werden, damit ja kein
ernster Conflict daraus entsteht."

"Und wenn ein solcher Conflict daraus entstuende," rief die Kaiserin,
welche ihre innere Erregung nicht laenger bemeistern konnte, "wollen wir
davor zurueckschrecken? Soll Frankreich, welches in der Krim und in
Italien gesiegt hat, welches die Adler des grossen Kaisers auf seinen
Fahnen traegt, sich von einem Wege abschrecken lassen, welchen das Recht
und die Ehre, die Klugheit, ja die politische Nothwendigkeit
vorschreibt, aus Besorgniss, dass der Widerstand der Gegner auf diesem
Wege kriegerische Verwickelungen entstehen lassen koennte? Unsere Armee
ist im herrlichsten Zustand, sie brennt vor Ungeduld, zu zeigen, dass sie
noch immer die erste in Europa ist."

"Was sagt der Marschall Leboeuf," fragte der Kaiser den sinnenden,
sorgenvollen, nachdenklichen Blick auf den Herzog von Gramont gerichtet.

"Der Marschall erklaert, so bereit zu sein, als nur immer moeglich,"
erwiderte der Herzog, "er wird Eurer Majestaet ohne Zweifel den Beweis
darueber liefern--"

"Auch sind wir der thaetigen Mitwirkung Oesterreichs sicher," rief die
Kaiserin, "um dieses uebermuethige Preussen von zwei Seiten zu fassen und
ihm zu zeigen, was es heisst, Frankreich zu beleidigen."

"Oesterreich," sagte der Kaiser, abermals fragend den Blick auf den
Herzog von Gramont richtend, "glauben Sie, dass wir auf Oesterreich
rechnen koennen--Fuerst Metternich sagt das Gegentheil wie Sie wissen
werden," fuegte er mit scharfer Betonung hinzu.

"Sire," sagte der Herzog laechelnd, "Fuerst Metternich sagt, was er sagen
soll, und was man fuer die offizielle Constatirung der Haltung
Oesterreichs noethig zu haben glaubt. Wenn wirklich, was ich in keiner
Weise glaube, aus der Behandlung der schwebenden Angelegenheit ein
ernster Conflict erwachsen sollte, so wird allerdings Oesterreich im
ersten Augenblick eine neutrale abwartende Stellung einnehmen, schon
weil der russische Einfluss laehmend auf seinen Entschluessen lastet. Nach
den ersten Niederlagen der preussischen Armee aber"--

"Die sehr schnell kommen werden," rief die Kaiserin.

"Nach diesen ersten Niederlagen, Sire," fuhr der Herzog fort, "wird
Oesterreich aus seiner Reserve hervortreten. Dann wird auch in Russland
die ganze franzoesisch gesinnte Partei maechtig werden, und der
vorsichtige Fuerst Gortschakoff wird nicht wagen, sich diese Partei und
das siegreich vorschreitende Frankreich zu gleicher Zeit zu Feinden zu
machen. Dann, Sire, wird der Augenblick gekommen sein, in welchem
Preussen isolirt von zwei Seiten gefasst, von seiner Hoehe herabgestuerzt
werden wird. Das Werk von 1866 wird in Truemmer sinken, und wir werden es
in unserer Hand haben, Deutschlands politische Organisation so zu
construiren, wie es fuer unsere Interessen genehm ist, und zugleich fuer
Frankreich diejenigen Gebiete zurueck zu nehmen, welche man uns in der
Zeit des grossen nationalen Ungluecks entrissen hat."

Die Augen des Kaisers leuchteten einen Augenblick in freudigem Stolz
auf. Er erhob sein Haupt, als saehe er die Bilder der Zukunft, welche der
Herzog andeutete, vor seinem Blick aufzeigen. Dann aber liess er den Kopf
wieder matt herabsinken und sprach:

"Dazu gehoeren zwei gewonnene Schlachten--und wer giebt mir die
Buergschaft, dass sie gewonnen werden? Gewonnen ueber eine Armee, von
welcher mir der Oberst Stoffel schreibt, dass keine andere in Europa ihr
gleich kommt an innerer moralischer Kraft, an Intelligenz und an
einheitlicher Organisation."

"Der Oberst Stoffel," sagte der Herzog von Gramont, waehrend die Kaiserin
zornig mit den schoenen Zaehnen auf die Lippen biss, "ist ein wenig
geblendet durch die persoenlichen Eigenschaften des Grafen Bismarck,
durch die Liebenswuerdigkeit, mit welcher man ihn dort behandelt--er
sieht ausserdem nur die Garde und nicht die Linien und die Milizen in den
Provinzen, welche nur zoegernd und widerwillig in den Krieg ziehen--"

"Das hat das Jahr 1866 nicht bewiesen," sagte Napoleon,--"auch beweisen
die Berichte des Oberst Stoffel, dass er sehr genau ueber die ganze
militairische Organisation in Preussen unterrichtet ist, dass er
namentlich auch die Landwehrorganisation und die ausgezeichneten
Eigenschaften des preussischen Generalstabs sehr genau kennt--"

"Vielleicht aber hat er vergessen," sagte die Kaiserin heftig, "dass dem
Allen gegenueber die feurige und unwiderstehliche Tapferkeit der
franzoesischen Armee steht--"

"Und das," fiel der Baron Jerome David ein, "in einem solchen Kriege der
gewaltig aufflammende Nationalgeist Frankreichs hinter seiner Armee
stehen wuerde, ebenso wie dies in den grossen Kriegen Napoleon's I der
Fall war. Dieser Geist des Volks ist unbeweglich und," fuegte er hinzu,
"wenn er richtig geleitet wird, so wird bei dieser Gelegenheit eine neue
gewaltige Macht zur Alliirten des Kaiserthums gemacht werden koennen."

Der Kaiser sah ihn fragend an.

"Diese Macht, Sire," sagte der Baron Jerome David, "ist die
Marseillaise, die Marseillaise, Sire, welche man verboten hat, weil sie
ein Gesang des Aufruhrs geworden, die man aber darum nicht aus dem
Herzen der Franzosen hat reissen koennen. Wuerde man bewirken koennen, dass
die Marseillaise aufhoerte, ein Gesang der Revolution zu sein, dass sie
das Kriegslied der franzoesischen Nation wuerde, dass unter ihren Klaengen
die kaiserlichen Adler den Feinden entgegen getragen wuerden, so wuerde
das Kaiserreich und Eurer Majestaet Dynastie von dem zauberisch
gewaltigen Hauch dieses grossen Nationalhymnus auf eine vorher nie
geahnte Hoehe empor getragen werden. Eine franzoesische Armee, Sire,
welche unter den Klaengen der Marseillaise ins Feld rueckte, wuerde alle
Combinationen des preussischen Generalstabs zertruemmern und die
preussischen Landwehren in unaufhaltsamer Flucht vor sich her fegen."

Die Kaiserin blickte gespannt auf ihren Gemahl.

Napoleon schuettelte langsam und schweigend das Haupt.

"Und wenn dann, Sire," fuhr der Baron David fort, "die franzoesische
Armee siegreich zurueckkehrte, so waere der Revolution ihre Zauberformel
genommen, und die Marseillaise wuerde aus einem wilden Revolutionsgesang
ein kaiserlicher Siegeshymnus geworden sein."

Abermals leuchteten die Augen des Kaisers auf, seine Brust dehnte sich
mit einem tiefen Athemzug aus, und er sprach nach einem Augenblick:

"Wir debattiren da ueber den Krieg, zu dem es nicht kommen wird--zu dem
es nicht kommen soll," fuegte er mit fester Stimme hinzu. "Doch in Ihrer
Bemerkung, mein lieber Baron, liegt eine tiefe Wahrheit, und ich danke
Ihnen fuer die Idee, welche Sie mir gegeben. Je mehr man in Frankreich an
die Moeglichkeit eines Krieges glaubt, um so hoeher wird der Triumph
sein, wenn man ohne denselben dem Nationalgefuehl volle Genugtuung
schafft. Die Gelegenheit ist guenstig, um die Zaubermacht der
Marseillaise ueber die Franzosen, welche ich kenne und nach ihrem vollen
Werth schaetze, zu einer maechtigen Waffe des Kaiserreichs zu machen. Ich
werde den Befehl geben, dass man die Marseillaise erlaubt, bewirken Sie,
dass man sie singt, dass man sie in den Theatern verlangt--das Plebiscit,
die Marseillaise und ein diplomatischer Erfolg gegen Preussen--das wird
ein festes Fundament fuer den Thron Napoleon's IV--das wird die Kroenung
meines Gebaeudes sein. Senden Sie also sogleich," sagte er zum Herzog von
Gramont gewendet, "den Befehl an Benedetti, die besprochene Erklaerung
vom Koenige von Preussen zu erbitten, aber in der geschmeidigsten und
sanftesten Form; er muss sie zu erreichen suchen, ohne dass man dort der
Sache eine zu grosse Bedeutung beilegt. Er wird das koennen, wenn er den
Schritt, den wir vom Koenige von Preussen verlangen, demselben als eine
Unterstuetzung darstellt, die er mir zur Beruhigung der oeffentlichen
Meinung gewaehrt--dann wird sich Alles leicht erledigen."

Die Kaiserin trat leicht mit dem Fuss auf den Boden, ein Zug fast
hoehnischen Unmuths erschien auf ihrem Gesicht, dann aber laechelte sie
wieder und lehnte sich schweigend in ihren Fauteuil zurueck.

"Der Baron Werther kommt heute von Ems zurueck, Sire," sagte der Herzog
von Gramont, "ich werde ihm, nachdem ich die Instructionen an Benedetti
abgesendet, die Sache ganz in dem von Eurer Majestaet gegebenen Sinn
darstellen, und er wird gewiss dazu beitragen, die so wuenschenswerthe,
baldige und befriedigende Erledigung der Sache zu erreichen."

"Thun Sie das, Herr Herzog," sagte der Kaiser, "und vergessen Sie nicht,
Benedetti die aeusserste Vorsicht und die hoeflichste Geschmeidigkeit
anzuempfehlen."

"Und ich, Sire," sagte der Baron Jerome David, "werde dafuer sorgen, dass
morgen in Paris die Marseillaise erklingt,--man wird sich in Berlin
erinnern, dass es gefaehrlich ist, Frankreich entgegenzutreten, wenn
dieses Lied ueber seinen Heeren schwebt, und wenn die Tricolore und die
kaiserlichen Adler seinen Regimentern vorangetragen werden."

Beide Herren verliessen nach ehrerbietigem Gruss gegen die Majestaeten das
Cabinet.

"Nun," sagte der Kaiser, indem er aufstand und sich laechelnd zur
Kaiserin wandte, "Sie werden jetzt zufrieden sein, Eugenie, wir werden
einen grossen Triumph erleben, ohne uns der Gefahr eines Krieges
auszusetzen, und Sie werden endlich die Genugthuung haben, die Politik
dieses Grafen Bismarck ein wenig gedemuethigt zu sehen. Werden Sie heute
Abend noch empfangen?"

"Nur meinen kleinen Cirkel," antwortete die Kaiserin leicht hin und
etwas zerstreut, als folge sie Gedanken, die unausgesprochen ihr Inneres
erfuellten.

"Ich bin ermuedet," sagte der Kaiser, "und bitte Sie, mich zu
entschuldigen, ich moechte ein wenig meine Privatcorrespondenz ordnen,
die ich in den letzten Tagen etwas vernachlaessigt habe."

Er kuesste seiner Gemahlin die Hand und kehrte langsam in seine Gemaecher
zurueck.

"Welche Schwaeche, welche Unschluessigkeit!" rief die Kaiserin, als sie
allein war. "Er moechte die Fruechte des Sieges geniessen und will doch den
Kampf nicht wagen. Nun," fuhr sie mit flammendem Blick und einem
stolzen, fast hoehnischen Laecheln fort, "die Verhaeltnisse werden
maechtiger sein, als er; sie werden ihn ueber den Rubicon draengen, den er
nicht wie Caesar zu ueberschreiten wagt. So sehr der Koenig von Preussen
auch den Frieden zu erhalten wuenschen mag, seine Geduld wird sich
endlich erschoepfen, wenn Forderung auf Forderung an ihn gestellt wird,
und wenn man in Paris erst die Marseillaise singt, wenn die Presse und
die Tribuene in immer steigendem Mass das Nationalgefuehl erhitzen, so wird
trotz aller Unschluessigkeit der Krieg kommen--dieser Krieg, der mein
Krieg ist, den man mir einst danken wird, der mich in den Augen von ganz
Frankreich zur wahren Franzoesin machen wird, der nothwendig ist, um
meinem Sohn den Thron zu sichern, meinem Sohn, den ich hinaus senden
werde, um auf den Schlachtfeldern gegenwaertig zu sein,--wo man ihn
niemals gesehen hat, diesen anmassenden Prinzen Napoleon, welcher es zu
behaupten wagt, dass in den Adern seiner Nachkommenschaft allein das Blut
des grossen Kaisers fliesse, und welcher so stolz darauf ist, dass seine
Mutter und die Mutter seiner Kinder purpurgeborne Prinzessinnen
waren.--Die Stunde der Entscheidung naht--sie wird den Sieg bringen--und
dieser Sieg wird Mein sein!"

Sie stand noch einige Augenblicke schweigend, den strahlenden Blick
auswaerts gerichtet, die schoenen Zuege verklaert von stolzer Zuversicht.

Dann bewegte sie die Glocke.

"Man soll den Thee serviren," befahl sie dem Kammerdiener, "ich lasse
meine Damen und die Herren vom Dienst bitten, einzutreten."




Achtes Capitel.


Die Morgenpromenade in Ems war beendet. Langsam und nachdenklich
kehrte Graf Benedetti nach seiner Wohnung in der Stadt Bruessel zurueck.

Sein Kammerdiener uebergab ihm zwei fuer ihn eingegangene Depeschen.
Benedetti trat in sein Zimmer, und reichte seinem Secretair, welcher ihn
erwartete die beiden Telegramme. Dieser zerriss hastig die Umschlaege und
oeffnete den grossen Folioband, der den Chiffre des Botschafters enthielt,
um die Depeschen zu dechiffriren.

Hier in seinem Zimmer verschwand von dem Gesicht Benedetti's jene
gleichgueltige, hoefliche, freundliche und undurchdringliche Ruhe, welche
sonst Alles verhuellte, was in seinen Gedanken vorging. Heftig bewegt
schritt er auf und nieder, sein blasses Gesicht zuckte in nervoeser
Aufregung und seine sonst so klaren, unzerstoerbar, heiteren Augen
blickten truebe und sorgenvoll vor sich hin.

"Welch eine furchtbare Verantwortung liegt auf meinem Haupt," sagte er,
"ich fuehle, dass der Faden der Unterhandlungen mir entschluepft, weil man
ihn in Paris so scharf anzieht, dass es in der That kaum mehr moeglich ist
ein anderes Ende, als den Bruch vorherzusehen--den Bruch--das heisst
einen Krieg, wie er seit Generationen Europa nicht erschuettert hat; das
heisst ein Meer von Blut, das heisst, die Zerstoerung so vieler Gueter,
welche der Fleiss und die Arbeit langer Jahre geschaffen haben.

Was will man in Paris?" fuhr er fort, indem er die Hand vor die Stirn
legte und unruhig nachdenkend schnell auf und nieder ging. "Will man den
Krieg? Das ist ja beinahe unmoeglich, so wie ich den Kaiser kenne,--er
hat viele bessere Gelegenheiten voruebergehen lassen, wie sollte er jetzt
die Dinge auf's Aeusserste treiben wollen. Sollte man aber wirklich den
Krieg wollen--warum es mir verheimlichen? Warum mich diese traurige und
undankbare Rolle eines Ueberlaestigen spielen lassen? Warum diese unklare
Verworrenheit, welche nur dahin fuehren kann, dass der Bruch, wenn er
erfolgt, uns vor den Augen von ganz Europa als die absichtlichen
Friedensstoerer hinstellt? Warum ist man da nicht gleich mit einer
klaren bestimmten Forderung hervorgetreten, die wenigstens zu einem
wuerdigen Abbruch der Verhandlungen haette fuehren koennen? Ich habe,"
sprach er weiter, indem er an das Fenster trat und auf die Strasse
hinabblickte, "ich habe auf die coulanteste und freundlichste Weise das
erste Ziel meiner Mission erreicht--die Zuruecknahme der Hohenzollerschen
Candidatur unter Autorisation des Koenigs. Nun steigert man successive
die Forderungen--giebt es einen Diplomaten in der Welt, der im Stande
waere, eine solche Negotiation zu einem guenstigen und wuerdevollen Ende zu
fuehren? Man verlangt die Erklaerung des Koenigs, dass er fuer alle Zukunft
eine Wiederaufnahme der jetzt gescheiterten Combination nicht erlauben
werde. Eine solche Erklaerung haette sich erreichen lassen, wenn man nicht
zugleich die Aufregung in Frankreich beguenstigt haette, wenn man sich
groessere Reserve bei den Erklaerungen im Corps legislatif auferlegt haette,
wenn man das persoenliche Gefuehl des Koenigs und den nationalen Stolz in
Deutschland nicht verletzt haette, jetzt aber nach der kurzen
Unterredung, die ich so eben mit dem Koenige auf der Brunnenpromenade
gehabt, ist an Erfuellung dieser Forderung garnicht zu denken. Und wenn
sie nicht erfuellt wird," sagte er seufzend, "nachdem man einen so
starken Anlauf genommen, nachdem man so hohe Worte gebraucht hat, so ist
der Krieg unvermeidlich--die Welt wird diesen Grund desselben kaum
verstehen, mag man nun den Bruch gewollt haben, oder mag man ohne Willen
und Plan zu demselben hingetrieben werden.

Was telegraphirt der Herzog?"

Der Secretair hatte die beiden Depeschen dechiffrirt und reichte sie dem
Botschafter.

Dieser durchflog raschen Blickes die Telegramme, seufzend warf er sie
auf den Tisch.

"Die Festigkeit meiner Sprache," sagte er bitter laechelnd, "soll nicht
dem Ernst der Situation entsprechen. Aber, mein Gott, vergisst man denn
in Paris ganz, dass es sich hier um keine Unterhandlungen mit dem
Minister der auswaertigen Angelegenheiten handelt, sondern dass ich in
unmittelbarem persoenlichem Verkehr mit dem Souverain stehe? Man kann
doch unmoeglich von mir verlangen, dass ich die Formen verletzen sollte,
welche fuer diesen Verkehr massgebend sind. Ich muss noch einen Versuch
machen,--vielleicht hat die Bitte, welche ich dem Koenige durch den
Prinzen Radziwill aussprechen liess, irgend einen Erfolg, vielleicht
entschliesst sich der Koenig, irgend ein Wort zu sagen, welches man in
Paris als genuegend annehmen moechte, wenn der Grundgedanke des Kaisers
wirklich ist, den Frieden zu erhalten."

Der Kammerdiener meldete den Fluegeladjutanten Seiner Majestaet des Koenigs
von Preussen, und einen Augenblick darauf trat der Oberstlieutenant Prinz
Radziwill, ein noch junger, schlanker Mann mit militairisch
geschnittenem vollem Bart in Civilmorgenanzug in das Zimmer.

Das Gesicht des Grafen Benedetti hatte seine glatte und
undurchdringliche Ruhe wieder angenommen, er trat dem Prinzen mit
verbindlicher Hoeflichkeit entgegen.

"Seine Majestaet der Koenig," sagte dieser im artigen Ton, "hat mich
beauftragt, Eurer Excellenz mitzutheilen, dass er sich nicht in der Lage
befinde, von einer neuen Unterredung ein Resultat voraussehen zu koennen,
da seine Entschliessungen vollkommen fest staenden. Der Koenig hat mir
zugleich befohlen, Eurer Excellenz in seinem Namen zu erklaeren, dass
Seine Majestaet die Verzichtleistung des Prinzen Leopold approbirte und
zwar in demselben Sinne und demselben Geist, wie er seine Zustimmung zu
der Annahme dieser Candidatur ertheilt habe. Was den zweiten Punkt
betrifft, eine Verpachtung fuer die Zukunft zu uebernehmen, so koenne sich
Seine Majestaet nur auf diejenige ablehnende Erklaerung zurueck beziehen,
welche er heute Morgen Eurer Excellenz persoenlich gegeben habe."

Keine Muskel bewegte sich im Gesicht Benedetti's, und mit ruhiger,
klarer Stimme sprach er:

"Ich bin dem Koenige unendlich dankbar, dass er die Gnade gehabt hat, mir
diese Erklaerung durch Eure Durchlaucht zugehen zu lassen, und ich werde
dieselbe sogleich meiner Regierung mittheilen. Doch muss ich," fuhr er in
demselben ruhigen Ton fort, "Eurer Durchlaucht sagen, dass ich betreffs
des zweiten Punktes soeben noch sehr bestimmte Instructionen vom Herzog
von Gramont erhalten habe. Ich muss daher meine Bitte um eine neue
Unterredung mit Seiner Majestaet nochmals wiederholen, um so mehr, als
ich dem Koenige vielleicht einige neue, noch nicht erwogene
Gesichtspunkte mittheilen koennte. Ich muss nach den Instructionen, die
ich erhalten, den groessten Werth auf die gnaedige Gewaehrung meiner Bitte
um eine nochmalige Audienz legen, sei es auch nur, um nochmal von Seiner
Majestaet die Erklaerung wiederholen zu hoeren, welche er mir heute Morgen
gegeben hat. Ich bitte Eure Durchlaucht deshalb, den Wunsch, welchen ich
aussprechen muss, nochmal Seiner Majestaet mittheilen zu wollen."

"Ich werde nicht unterlassen, Eurer Excellenz Auftrag sogleich Seiner
Majestaet auszurichten," erwiderte der Fuerst Radziwill, "und werde nicht
verfehlen, Eurer Excellenz die Allerhoechste Antwort mitzuteilen."

Mit ausgesuchter Hoeflichkeit, in welcher jedoch eine gewisse, kalte und
stolze Zurueckhaltung lag, verneigte er sich und verliess von dem
Botschafter bis zur Thuer geleitet, das Zimmer.

"Der Krieg liegt in der Luft," sagte er dann, indem er sich seufzend an
seinen Secretair wandte. "Ich kenne die Hoefe, ich fuehle,--ich weiss, was
geschehen wird. Der Koenig wird mich nicht mehr empfangen--er hat sein
letztes Wort gesprochen."

"Wenn der Koenig den Botschafter Frankreichs zu empfangen verweigert,"
rief der Secretair mit blitzenden Augen, "so ist das allein ein Grund
des Krieges, dessen Gerechtigkeit das Gefuehl der ganzen Nation
anerkennen wird."

"Sollte es das sein?" sagte Benedetti leise, indem er nachdenklich den
Kopf schuettelte, "das wuerde freilich die nationale Entruestung
entflammen. Aber," fuhr er fort, "wuerde darum der Kriegsgrund besser
werden, der Erfolg gesicherter sein? Doch ich bin erschoepft," sagte er
dann, "und Sie werden es auch sein, koennen wir auch die Entbehrung des
Schlafs ertragen, so fordert doch die koerperliche Natur ihr Recht auf
Ergaenzung der Substanz, lassen Sie uns fruehstuecken."--Er liess das
Fruehstueck in seinem Zimmer serviren und beide Herren setzten sich
schweigend und gedankenvoll zu Tisch.--

       *       *       *       *       *

Mehrere Stunden waren verstrichen voll unruhiger Erwartung fuer den
Grafen Benedetti, welcher sich in seinem Zimmer auf ein Canape
niedergelegt hatte, um nach all der Aufregung der letzten Tage wenn
nicht Schlaf, so doch wenigstens Ruhe fuer seine erschoepften und
abgespannten Nerven zu finden.

Endlich, es war bereits Abend--die Zeit des Diners des Koenigs war
vorueber--wurde dem Botschafter abermals der Fuerst Radziwill gemeldet.

Rasch sprang Benedetti empor und kaum gelang es ihm, den Ausdruck
unruhiger Spannung von seinem Gesicht verschwinden zu lassen, als er dem
Adjutanten des Koenigs entgegentrat.

Noch kaelter, noch zurueckhaltender als vorher war der Ton, in welchem
dieser dem Botschafter sagte:

"Der Koenig hat mir befohlen, Eurer Excellenz mitzutheilen, dass er sich
verpflichtet saehe, eine neue Discussion ueber den zweiten, von Ihnen
angeregten Punkt--betreffend die Verpflichtungen und Garantien fuer die
Zukunft ganz bestimmt und kategorisch abzulehnen. Was Seine Majestaet
Eurer Excellenz heute Morgen zugesagt hat, ist des Koenigs letztes Wort
in dieser Angelegenheit, und der Koenig bittet Eure Excellenz sich
lediglich und ausschliesslich an jenes Wort zu halten."

Das Gesicht des Grafen Benedetti wurde bei diesen mit aeusserster
Artigkeit, aber auch mit entschiedenster Festigkeit gesprochenen Worten
des Fuersten Radziwill noch um eine Nueance bleicher. Er liess einen
Augenblick die Augenlider herabfallen, wie um den Ausdruck seines
Blickes zu verhuellen, und ein leichtes Nervenzucken zeigte sich eine
Secunde um seinen Mund. Schweigend neigte er den Kopf und sprach dann
mit ruhiger Stimme, in deren Ton keine Aufregung bemerkbar war.

"Ich danke Eurer Durchlaucht fuer diese Mittheilung und moechte Sie nur
noch bitten, mir zu sagen, ob die Ankunft des Grafen Bismarck hier, von
welcher in diesen Tagen gesprochen wurde, heute oder morgen zu erwarten
ist."

"Soviel mir bekannt geworden," erwiderte der Fuerst Radziwill, "hat der
Graf Bismarck seine Reise hierher aufgeschoben und morgen jedenfalls
wird seine Ankunft hier nicht zu erwarten sein."

"Dann bitte ich Eure Durchlaucht," sagte Benedetti, "Seiner Majestaet zu
sagen, dass ich nicht weiter auf meiner Bitte bestehe und mich bei den
Erklaerungen des Koenigs beruhigen wolle."

Der Fuerst verabschiedete sich. Graf Benedetti begleitete ihn zur Thuer
und blieb dann einige Augenblicke schweigend in tiefen Gedanken stehen.

"Der Wuerfel ist gefallen," sagte er mit duesterem Ton, "das Verderben ist
entfesselt! Wen wird der Blitz treffen, der noch verborgen im Schoss der
Wolken ruht, welche den Himmel des europaeischen Friedens ueberziehen."

Er oeffnete die Thuer des Nebenzimmers und rief seinen Secretair.

"Bereiten Sie Alles zur Abreise vor," sagte er im ernsten Ton, "meine
Mission hier ist zu Ende. Doch," fuhr er fort, "ich will bis zum letzten
Augenblick alle Pflichten der Hoeflichkeit erfuellen. Wenn es das
Schicksal will, kann sich vielleicht doch noch eine Gelegenheit bieten,
das Verhaengniss zu beschwoeren. Gehen Sie zum Hause des Koenigs und sagen
Sie dem Adjutanten vom Dienst, dass ich um die Erlaubniss baete, mich von
Seiner Majestaet verabschieden zu duerfen. Damit verletze ich keine Form
und kann zugleich meinen persoenlichen Wunsch erfuellen, von dem
Monarchen, der mir soviel Gnade und Wohlwollen bewiesen hat, und von
dem ich in so verhaengnissvollem Augenblick scheiden muss, einen
freundlichen Abschied zu nehmen."

       *       *       *       *       *

Die Aufregung unter den Badegaesten in Ems, welche die ersten Nachrichten
von den Differenzen ueber die Hohenzollersche Candidatur erregt hatten,
war fast vollstaendig wieder verschwunden. Man hatte zwar die heftigen
Artikel der franzoesischen Journale gelesen, die nationale Entruestung,
welche ganz Deutschland bei diesen Provocationen erfasste, war auch
dorthin in die stillen Kreise des Badelebens gedrungen, aber man hatte
auch wieder Gelegenheit gehabt, hier in unmittelbarer Naehe den so
freundlichen Verkehr des Koenige mit dem franzoesischen Botschafter zu
sehen. Man hatte gesehen, wie Seine Majestaet den Grafen Benedetti
taeglich auf der Promenade auf das huldvollste anredete und einige Zeit
in lebhafter Conversation mit ihm auf- und niederging. Das Laecheln
verschwand keinen Augenblick von dem glatten Gesicht des Botschafters
und der Koenig war ruhig und heiter wie immer.

Baron Werther war wieder nach Paris zurueckgereist; der Minister des
Innern, welchen der Graf Bismarck, der von Barzin kommend, in Berlin
leicht erkrankt war, zum Koenige nach Ems entsendet hatte, war wieder
nach Berlin zurueckgekehrt; der Finanzminister war angekommen, um wie man
erzaehlte, Seiner Majestaet ueber Angelegenheiten seines Ressorts Vortrag
zu halten, und Alles schien wieder in das gewohnte Geleis
zurueckzukehren.

Als nun gar der Telegraph die Nachricht brachte, dass der Prinz Leopold
von Hohenzollern auf seine Candidatur Verzicht geleistet, und dass Graf
Bismarck, darin die vollstaendige Erledigung der ganzen Angelegenheit
erblickend, seine Reise nach Ems aufgegeben habe, da verschwanden
vollends die letzten Besorgnisse, und man sah auf der Brunnenpromenade
nur heitere und laechelnde Gesichter, man verabredete Partien in die
Berge, und die Unterhaltung, welche so lange von den ernsten
Gegenstaenden der Politik in Anspruch genommen war, wandte sich wieder
den kleinen Ereignissen des Tages zu.

Man sprach von den Toiletten der Herzogin von Ossuna, welche soeben mit
ihrem Gemahl angekommen war und Alles durch ihren Geschmack und ihre
Eleganz in den Schatten stellte. Man wiederholte die maerchenhaften
Erzaehlungen ueber den Reichthum dieses spanischen Granden, welcher die
Koenigin Isabella am Hofe von St. Petersburg vertreten und an diesem
prachtvollsten Hof Europas einen Glanz entwickelt hatte, der selbst
dort noch nicht gesehen worden war.

Da ploetzlich drang am Nachmittag des 14. Juli in diese wieder zu
sorgloser, heiterer Geselligkeit sich zusammenschliessenden Kreise wie
ein unvorbereiteter Wetterschlag die Nachricht, dass der Koenig, den man,
wie er oefter that, nach Coblenz zu seiner Gemahlin hatte fahren sehen,
der am Abend zurueckerwartet wurde, schon in der Fruehe des naechsten
Morgens nach Berlin abreisen werde, dass alle Verhandlungen abgebrochen
seien, dass Seine Majestaet sogar jede weitere Unterredung mit dem
Botschafter abgelehnt habe, und dass der Krieg unvermeidlich scheine.

Die tiefste Bestuerzung verbreitete sich ueberall. Diejenigen, welche mit
dem einen oder dem andern Herrn aus der Umgebung des Koenigs bekannt
waren, suchten sich demselben zu naehern, um Ausfuehrliches zu
erfahren--die Umgebung des Koenigs vermied es zwar, sich in lange
Gespraeche ueber die Situation einzulassen, doch der ernste, fast
feierliche Eindruck, welcher auf den Gesichtern aller dieser Herren lag,
einzelne hingeworfene Bemerkungen und die Bestaetigung der fuer den
naechsten Morgen feststehenden Abreise des Koenigs zeigten deutlich genug,
dass die Befuerchtungen, welche ueberall erregt waren, vollkommen begruendet
seien.

Der franzoesische Botschafter war noch nicht abgereist, aber er hielt
sich in seiner Wohnung und erschien nicht auf der Abendpromenade.

Bis spaet in die Nacht hinein waren alle Strassen mit Menschen gefuellt,
und die ganze Nacht ueber dauerte die Unruhe in allen Haeusern, denn fast
alle fremden Badegaeste trafen Anstalten zur schnellen Abreise, und die
Bewohner von Ems sahen mit Bekuemmerniss dem ploetzlichen Ende einer so
glaenzend begonnenen Saison entgegen.

Schon lange vor acht Uhr am naechsten Morgen, zu welcher Stunde die
Abreise des Koenigs befohlen war, hatte der Bahnhof sich dicht gefuellt
mit einem zahlreichen Publikum, unter welchem die Damen und Herren aus
dem Kreise der Badegaeste, die dem Koenig persoenlich bekannt waren, die
ersten Reihen am Perron einnahmen, der in der Nacht mit Blumenguirlanden
geschmueckt worden war.

Allmaelig erschien die Umgebung des Koenigs, welche den Monarchen nach
Berlin begleitete. Die Waggons fuhren heran und das zahlreiche Gepaeck
wurde in den bereits vorgefahrenen Zug, in dessen Mitte man den grossen
koeniglichen Salonwagen erblickte, eingeladen.

Zum Erstaunen aller Anwesenden erschien auch der franzoesische
Botschafter Graf Benedetti am Bahnhof und begab sich mit unbefangen
heiterer Miene, Einen oder den Andern aus der Badegesellschaft begruessend
auf den Perron, wo er seinen Ueberrock ablegte und im schwarzen Anzug,
das Band des schwarzen Adlerordens ueber der Brust, ruhig dastand, mit
den Andern den Koenig erwartend, ohne die erstaunten und wenig
freundlichen Blicke zu beachten, mit welchen man ihn von allen Seiten
ansah.

Die Wagen waren bepackt; die Locomotive war schnaubend herangefahren und
hatte sich an die Spitze des Zuges gestellt; die Lakaien in Reiselivreen
standen an den Thuerschlaegen.

Da ertoenten vom Badehause einzelne, sich schnell fortpflanzende
Hochrufe. Wenige Augenblicke darauf fuhr der Koenig an den Perron heran,
er trug Militair-Rock und Muetze. Der Fluegel-Adjutant Fuerst Radziwill
begleitete ihn, der Hofmarschall Graf Perponcher ging dem Koenige
entgegen und meldete, dass Alles bereit sei.

Der Koenig sah frisch und kraeftig aus, seine Haltung war stolz und fest,
und trotz des tiefen Ernstes, der auf seinen Zuegen lag, blickten seine
Augen doch in milder Heiterkeit auf die zu seiner Begruessung Versammelten
hin. Er richtete, schnell die Reihe herabschreitend, mit freundlichem
Kopfnicken alle diese ehrerbietigen Gruesse erwidernd, an einzelne
Bekannte einige Worte. Bei dem Polizei-Praesidenten von Wurmb, welcher im
Reiseanzug gegenwaertig war, blieb der Koenig einen Augenblick stehen.

"Ich habe Sie gebeten mit mir abzureisen," sagte er. "Sie werden viel zu
thun finden,--unsere Vorbereitungen fuer die Enthuellung des Denkmals des
hochseligen Koenigs," fuegte er mit wehmuethigem Laecheln hinzu, "werden nun
wohl fuer laengere Zeit vertagt bleiben."

"Moege die Errichtung des ehernen Denkmals auch noch hinausgeschoben
werden, Majestaet," erwiderte Herr von Wurmb mit bewegter Stimme, "das
lebendige Denkmal an die grosse Zeit des hochseligen Herrn, welches in
jedem Preussenherzen fest begruendet ist, wird in diesen Tagen mit
lebendigen Kraenzen der Erinnerung und neuer Hoffnung geschmueckt. Wieder
durchdringt das ganze Volk wie damals der heilige Ruf aus der Zeit des
eisernen Kreuzes "Mit Gott fuer Koenig und Vaterland."

Der Koenig neigte das Haupt, sein Blick fiel auf das schwarz-weisse Band
des eisernen Kreuzes, das er trug, und indem er dasselbe leicht mit der
Hand beruehrte, sagte er halb laut:

"In diesem Zeichen werden wir siegen."

Er ging weiter. Raschen und festen Schrittes trat er zu dem sich tief
verneigenden Grafen Benedetti.

"Sie haben gewuenscht, Herr Graf," sagte der Koenig mit freundlicher
Hoeflichkeit, "sich von mir zu verabschieden--leben Sie wohl."

Trotz der Gewalt, mit welcher der franzoesische Diplomat den Ausdruck
seiner Zuege beherrschte, zeigte sich doch einen Augenblick eine maechtige
Bewegung auf seinem Gesicht.

"Ich danke Eurer Majestaet," sagte er mit leicht zitternder Stimme, "dass
Sie mir Gelegenheit geben, von Ihnen Abschied zu nehmen, und ich danke
Ihnen auch in diesem Augenblick noch einmal fuer die Gnade und das
Wohlwollen, welches Sie mir waehrend der Zeit meiner Beglaubigung an
Ihrem Hofe bewiesen haben. Moechte die Zukunft Alles zum Guten wenden."

"Die Zukunft liegt in Gottes Hand," sagte der Koenig mit fester Stimme,
und indem er freundlich den Kopf neigte, wandte er sich zur Thuer des
Salonwagens, an welcher der Hofmarschall und die uebrigen Herren des
Gefolges ihn erwarteten.

"Kommen Sie zu mir, lieber Abeken," sagte der Koenig, "wir haben
unterwegs viel zu arbeiten und nehmen Sie St. Blanquart mit, damit alle
ankommenden Depeschen sogleich dechiffrirt werden koennen."

Der Geheime Legationsrath nahm aus der Hand eines Dieners die grosse
Mappe, welche seine Papiere enthielt, winkte den Hofrath St. Blanquart,
welcher in einiger Entfernung von dem koeniglichen Gefolge stand, heran,
und beide folgten dem Koenige, welcher bereits eingestiegen war, in den
Salonwagen, waehrend die uebrigen Herren ihre Plaetze in den Coupes vor und
hinter demselben einnahmen.

Die Locomotive pfiff, der Koenig trat noch einmal an das Fenster und
winkte gruessend mit der Hand.

Ein brausender Hochruf ertoente als Antwort auf den koeniglichen
Abschiedsgruss und wiederholte sich mit wachsender Begeisterung, waehrend
der immer schneller dahin rollende Zug den Monarchen aus dem stillen,
friedlichen Badeort nach seiner Residenz zurueckfuehrte, von wo er bald
hinausziehen sollte an der Spitze des waffengeruesteten Deutschlands, um
von Neuem den Kampf aufzunehmen gegen den alten Feind seines Hauses und
seines Landes.

Der Koenig hatte an dem Fenster des Salonwagens Platz genommen und
blickte durch die hellen Glasscheiben in die lachende Gegend hinaus,
waehrend der Geheimrath Abeken ihm gegenueber Platz genommen hatte, um
ihm die verschiedenen eingegangenen Depeschen vorzutragen.

Der Hofrath St. Blanquart sass am Ende des Salons, den Chiffre vor sich,
eine nach der andern die Depeschen dechiffrirend, welche unmittelbar vor
der Abreise eingegangen waren und bereit, diejenigen in Empfang zu
nehmen, welche man auf den einzelnen Stationen erwarten musste.

"Ich habe Eurer Majestaet," sagte der Geheimrath Abeken, "sogleich zu
Anfang eine wichtige und erfreuliche Nachricht mitzutheilen. Aus Muenchen
ist gemeldet, dass der Koenig auf den Vorschlag des Ministeriums erklaert
hat den Casus foederis fuer gegeben zu erachten, auch hat seine Majestaet
die vorgelegte Mobilisirungsordre genehmigt."

Der Blick des Koenigs leuchtete freudig auf.

"Das deutsche Blut der Wittelsbacher verlaeugnet sich nicht," sagte er,
"sie haben gegen uns gestanden im Kriege von 1866, und sie lieben dort
vielleicht Preussen nicht zu sehr--aber jetzt wo Deutschland in den Kampf
tritt, zweifelt dieser junge Koenig nicht, wo sein Platz ist. Nun
Deutschland wird ihm das nicht vergessen und ich auch nicht, denn von
nun an, wenn Gott uns in diesem Kampfe beisteht, wird ja die Geschichte
Preussens und Deutschlands fuer immer die gleiche sein. Kuenftig wird die
deutsche Armee ins Feld ziehen--"

"Wie Brandenburg Preussen wurde, Majestaet," sagte der Geheime
Legationsrath, "so wird Preussen Deutschland werden und damit seine grosse
Mission vollenden."

Der Koenig blickte schweigend weit hinaus nach dem Horizont, an welchem
die an der Bahn liegenden Baeume schnell vorueberflogen.

"Der feste und patriotische Entschluss des Koenigs Ludwig," sagte er nach
einigen Augenblicken, "ist um so hoeher anzuerkennen, als es in Baiern in
allen Kreisen nicht an eifrigen Bemuehungen gefehlt hat, die Gelegenheit
zu benutzen, um eine Sonderpolitik zu machen. Nun ist Deutschland einig,
und jede Hoffnung Napoleons, die Suedstaaten zu sich herueber zu ziehen,
gescheitert. Von Wuertemberg sind noch keine Nachrichten da?"

"Noch nicht," sagte der Geheime Legationsrath Abeken, "doch hat Herr von
Rosenberg berichtet, dass an der patriotischen Haltung Wuertembergs nicht
zu zweifeln sei."

"So ist denn Deutschland zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich
einig," sagte der Koenig, "die Zeit ist gekommen, in welcher jener alte
Spottname der Reichsarmee verschwinden wird, und in welcher die
deutschen Heere, von Preussen gefuehrt, den alten Kriegsruhm der Nation zu
neuem Glanz erheben sollen."

"Alles vereinigt sich," sagte der Geheime Legationsrath, "um die
Zuversicht auf den Sieg, welche ich fest in dem Herzen trage, zu
bestaerken. Auch die Besorgnisse, welche die Haltung Oesterreichs
einfloessen koennte, sind beseitigt durch die Gewissheit von der
freundlichen Haltung Russlands, welche Graf Bismarck meldet. Der
Ministerpraesident wird Eurer Majestaet darueber persoenlich ausfuehrlicher
berichten, doch ist als gesichert zu betrachten, dass jeder feindlichen
Bewegung Oesterreichs energisch entgegengetreten werden wird, dass der
Handel der Ostsee keiner Gefahr ausgesetzt werden soll, alle frueheren
Besprechungen ueber diese Eventualitaet sind von Neuem bestaetigt worden
und es ist die volle Sicherheit vorhanden, die ganze ungeschwaechte und
ungetheilte Militairkraft nach der franzoesischen Grenze hin verwenden zu
koennen."

"Der Kaiser Alexander ist ein treuer Freund," sagte der Koenig. "Er
erkennt wie ich auch die politische Notwendigkeit, dass Deutschland und
Russland fest zusammenhalten, um gegenseitig ihre Aufgabe zu erfuellen
und ihre Zielpunkte zu erreichen. Moechten diese beiden Maechte immer
einig bleiben, dann wird Frankreich die uebermuethige Praetension aufgeben
muessen, die dominirende Rolle in Europa zu spielen."

Der Zug hielt in Coblenz. Der Koenig trat an das Fenster, nahm die
Meldung der Generalitaet entgegen und begruesste freundlich die zahlreiche
Menge, welche ihm ihr jubelndes Hurrah entgegen rief. Nach wenigen
Minuten fuhr man weiter. Depeschen auf Depeschen kamen an. Der Hofrath
St. Blanquart entzifferte unermuedlich mit lang geuebter Sicherheit deren
Inhalt aus den langen Zahlenreihen und der Geheime Legationsrath Abeken
trug dem Koenige immer neue Nachrichten vor, welche Kunde brachten von
der immer maechtiger aufflammenden Begeisterung des deutschen Volkes in
allen Gebieten des weiten Vaterlandes.

Nach einigen Stunden wurde im Salonwagen das einfache Fruehstueck des
Koenigs servirt, der Leibjaeger brachte Koerbe mit kalter Kueche und das
einfache Reiseservice.

Und einen Augenblick den Vortrag unterbrechend, ass Seine Majestaet etwas
kalten Hummer und trank ein Glas Wein, waehrend er zugleich den Geheimen
Legationsrath Abeken aufforderte, die ermatteten Kraefte nach so langer
Arbeit wieder zu ergaenzen.

Dann winkte der Koenig noch einmal dem Leibjaeger und liess sich den Korb
reichen. Er nahm ein Butterbrod und etwas kaltes Fleisch und legte es
auf einen kleinen Teller.

"Ein Glas Wein," befahl er dann.

Der Leibjaeger servirte ein Glas Bordeaux.

Der Koenig nahm es in die Hand, den kleinen Teller in die andere und so
ging er durch den Salon zum Hofrath St. Blanquart hin, der noch immer
eifrig und unermuedlich eine Zahlenreihe nach der andern dechiffrirte.

"Halten Sie einen Augenblick ein," sagte der Koenig mit freundlichem
Laecheln, "mein lieber St. Blanquart, von Chiffrezahlen kann kein Mensch
leben. Nehmen Sie hier, was ich Ihnen bringe, wir muessen uns schon ein
wenig an das Campagneleben gewoehnen."

St. Blanquart stand ganz erschrocken auf.

"Majestaet," sagte er, "welche Gnade--Eure Majestaet denken selbst an
mich--"

"Soll ich denn nicht an meine Diener denken," sagte der Koenig, "die Tag
und Nacht fuer mich arbeiten--nehmen Sie schnell, wir haben nicht viel
Zeit zur Ruhe."

Er stellte den Teller vor den Hofrath hin, gab ihm das Glas Wein in die
Hand und kehrte dann wieder zu seinem Sitz am Fenster zurueck, wo er
gedankenvoll hinaus in die Ebene schaute, wartend, bis die beiden Herren
ihr Fruehstueck vollendet hatten, dann erst liess er den Korb und das
Service hinaustragen und die Arbeiten wieder aufnehmen.

Weiter und weiter brauste der Zug. An allen Bahnhoefen wurde der Koenig
von dichten Menschenmassen begruesst, deren jubelnde Zurufe immer
lebhafter und begeisterter wurden.

"Krieg! Krieg gegen Frankreich!" hoerte man fast ueberall.

Dazwischen ertoenten einzelne Stimmen:

"Nach Paris! Nieder mit Napoleon!"

Auf jede Weise documentirte sich die patriotische Begeisterung des
Volkes.

Bei allen solchen Rufen blickte der Koenig tief ernst ueber die
Menschenmenge hin.

"Sie rufen nach Krieg," sprach er leise, "sie bewegt die patriotische
Begeisterung und hebt sie ueber alle Sorgen der Zukunft hinweg. Aber
Niemand kennt so genau wie ich die Opfer, welche die naechste Zeit dem
gesammten Vaterlande auflegen wird, und ich muss ja doch das
entscheidende Wort sprechen. Nun, Gott weiss, dass dies entscheidende Wort
mir abgerungen ist, und dass nicht Ehrgeiz und Uebermuth mich zum Kampfe
treibt, darum wird mir Gott seinen Segen geben, an dem Alles gelegen
ist. Eine solche Hingebung, eine solche Begeisterung des Volkes ist ja
der beste Segen Gottes!"

Nachdem in Cassel ein schnelles Diner eingenommen war, nachdem in
Magdeburg auf dem geschmueckten Bahnhof der Koenig mit hohem Enthusiasmus
begruesst worden, hielt der Zug in Burg. Auch hier war eine Kopf an Kopf
gedraengte Menschenmenge versammelt, und ein donnerndes Hurrahrufen
begruesste die Abfahrt des koeniglichen Salonwagens.

Der Koenig trat abermals an das Fenster und winkte mit der Hand ueber den
Platz hin.

Da mit einem Mal verstummten die jubelnden Stimmen, eine tiefe Stille
trat ein, und ein an der Seite des Perrons aufgestelltes Musikcorps
begann eine voll anklingende ergreifende Melodie zu spielen.

Der Koenig lauschte den Toenen, welche hier an Stelle des "Heil Dir im
Sieger-Kranz", das ihn sonst ueberall begruesst hatte, ertoenten. Er schien
in seiner Erinnerung zu suchen nach diesen Toenen und blickte wie
fragend auf den Legationsrath Abeken hin, welcher rueckwaerts vom Fenster
neben seinem Sessel stand.

"Es ist die Wacht am Rhein, Majestaet," sagte der Geheime Legationsrath.

Still schweigend blickte der Koenig vor sich hin.

"Die Wacht am Rhein,--die Wacht am Rhein," sagte er tief sinnend,
waehrend die Melodie draussen weiter klang, und erst einzelne Stimmen,
dann ein immer vollerer Chor die Musik zu begleiten begann.--

"Die Wacht am Rhein,--ja, ja, das ist es, das ist schoen--das ist sehr
schoen, das ist das wahre Wort, welches einfach, herrlich und gross den
tiefen Gedanken ausdrueckt, der diese Tage bewegt, und der das ganze Volk
zusammenfuehrt zur Abwehr des verwegenen Angriffs."

Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Kein Hurrahrufen erscholl, aber
die ganze grosse Menschenmenge war in den Gesang eingefallen, der voll
und gewaltig dem Koenige nachklang, welcher am Fenster stand und auf alle
diese entbloessten Haeupter, auf alle diese von Begeisterung flammenden
Gesichter hinblickend, mit leisen Bewegungen des Hauptes den Rhythmus
der Melodie begleitete, bis dieselbe unter dem Rollen der Raeder und dem
Schnauben der Maschine in der Ferne verklang.

So kam man naeher und naeher nach Brandenburg, wo, wie dem Koenige durch
den Telegraphen gemeldet war, der Kronprinz, Graf Bismarck, der
Kriegsminister von Roon und der General von Moltke den Koenig erwarteten.

Endlich, der Abend dunkelte bereits herein, fuhr der Zug in den Bahnhof
der alten maerkischen Stadt ein. Fast die ganze Bevoelkerung war dort
versammelt, die Spitzen der Behoerden, und die Officiercorps standen auf
dem Perron hinter den Ministern; Allen voran der Kronprinz, welcher, als
kaum der Zug zum Stehen gebracht war, selbst die Thuer oeffnete, in den
Salonwagen hineinsprang und in tiefer Bewegung die Hand des Koenigs an
seine Lippen fuehrte.

Der Koenig breitete seine Arme aus und drueckte seinen Sohn einen
Augenblick schweigend an die Brust.

"Ich hatte gehofft," sagte er dann ruhig und milde, "dass der Abend
meines Lebens in Frieden enden wuerde, und dass die Kaempfe der Zukunft
Deinem juengeren und kraeftigeren Arm ueberlassen bleiben sollten,--Gott
hat es anders gewollt, Du wirst mir zur Seite stehen, um unser Volk
nochmals zum Siege zu fuehren."

Dann trat er auf den Perron hinaus und unter den immer von Neuem sich
wiederholenden Zurufen, die sich weithin in der Umgebung des Bahnhofs
fortpflanzten, begruesste er mit herzlichem Haendedruck den Grafen Bismarck
und die Generale von Moltke und von Roon, welche ihm ernst und tief
bewegt entgegentraten.

"Der Augenblick ist da," sagte Graf Bismarck, "den wir so lange mit
aller Anstrengung hinauszuschieben versucht haben. Die letzte
Entscheidung naht, und fast moechte ich frei aufathmen, nun da die Nebel
zerreissen, da die frische Luft uns umweht und in reiner Klarheit unser
grosses Ziel vor uns liegt, die heiligsten Gueter des Vaterlandes zu
vertheidigen, Deutschland heraufzuheben auf den ersten Platz unter den
europaeischen Nationen. Der Morgen einer grossen Zeit bricht an, einer so
grossen Zeit, wie sie kaum je die Geschichte gekannt hat; und Gott sei
Dank, das Schwert Deutschlands liegt in Haenden, die es nicht niederlegen
werden, bevor der Sieg nicht erkaempft ist."

Der Koenig neigte nur langsam das Haupt, ohne etwas zu erwidern, dann
wandte er sich auf den Perron zu den Officieren und Civilbeamten, sprach
mit den obersten Vertretern derselben einige Worte und befahl bald die
Weiterreise, indem er den Geheimen Legationsrath Abeken und den Hofrath
St. Blanquart entliess und die Minister aufforderte, mit ihm und dem
Kronprinzen in den Salonwagen zu steigen.

"Nun, meine Herren," sagte der Koenig, als der Zug sich in Bewegung
gesetzt hatte, "wir werden von Neuem zu Felde ziehen muessen, denn ich
glaube nicht, dass jetzt noch eine friedliche Wendung moeglich ist und
Jeder von uns wird mit Aufbietung aller Kraefte auf dem Posten stehen
muessen, denn diesmal handelt es sich um noch schwerere Kaempfe als im
Jahre 1866, schwerer vielleicht an Anstrengung und Arbeit," fuegte er
hinzu. "Aber," sagte er dann, den hellen, klaren Blick auf den
Kronprinzen richtend, "ich ziehe mit leichterem, froherem Herzen ins
Feld gegen den alten Feind Deutschlands, als damals, da ich gegen den
alten Verbuendeten, da ich gegen einen Fuersten aus deutschem Stamme
kaempfen musste."

"Und Alles ist vorbereitet, Majestaet," sagte Graf Bismarck fast im
heiteren Ton, "um uns nach allen Richtungen den Erfolg zu sichern.
Frankreich hat sich durch diesen mit so unglaublichem Unverstand
ausgewaehlten Kriegsfall vollkommen isolirt, so dass auch diejenigen
Maechte, welche ihm vielleicht innerlich guenstiger gesinnt sind, als uns,
sich ausser Stande befinden, ihm irgend welche Sympathie zu beweisen,
und vor allen Dingen sind wir nach einer vielleicht bedenklichen Seite
hin vollkommen gesichert. Ich habe ausfuehrlich mit dem Fuersten
Gortschakoff ueber die Situation verhandelt, die russische Politik ist
vollkommen durchdrungen von der Notwendigkeit, den unvermeidlichen Krieg
zwischen uns und Frankreich zu localisiren und wird die strenge
Neutralitaet Oesterreichs ueberwachen."

Der Koenig nickte mit dem Kopf.

"Wir werden weiter darueber sprechen," sagte er.--"Sueddeutschland steht
ohne Rueckhalt und ohne Schwanken zu uns?"

"Zu Befehl, Majestaet," erwiderte Graf Bismarck, "trotz aller Agitationen
der feindlichen Parteien werden die Koenige von Baiern und Wuertemberg
fest an ihren Vertraegen halten, und die Stimmung der Bevoelkerung hebt
sich nach Allem, was mir berichtet wird, immer mehr zu einmuethiger
nationaler Begeisterung. Ich denke meinerseits noch ein wenig dazu
beizutragen, die ganze oeffentliche Meinung in Deutschland und in den
uebrigen Laendern von der Gerechtigkeit unserer Sache zu ueberzeugen und
den eigentlichen Kernpunkt des franzoesischen Angriffs klar zu legen."

Der Koenig blickte den Minister fragend an.

"Eure Majestaet erinnern sich," sagte Graf Bismarck, "der schmaehlichen
Propositionen, welche von Frankreich uns bei wiederholten Gelegenheiten
gemacht worden sind, und welche uns einen unwuerdigen Handel um die
nationale Entwickelung Deutschlands anboten, indem wir durch Raub an
Dritten das erkaufen sollten, was das selbststaendige Recht Deutschlands
ist. Eure Majestaet erinnern sich des Vertragsentwurfs, welchen mir
Benedetti einst gegeben hat, und in welchem fuer die Eroberung Belgiens
die Sueddeutschen Staaten, ueber deren Selbstaendigkeit und Unabhaengigkeit
man in Paris so viel gesprochen hat, uns von Frankreich ueberliefert
werden sollten."

"Ich erinnere mich," sagte der Koenig.

"Nun, nun, Majestaet," fuhr Graf Bismarck fort, "der innere, der wahre
Grund dieses jetzt so vermessen heraufbeschworenen Krieges liegt darin,
dass wir jenen Handel alle Zeit fest und entschieden zurueckgewiesen
haben. Man will jetzt versuchen mit Gewalt zu nehmen, was wir nicht
verkaufen wollten. Ich habe ueber alle jene Vorschlaege bisher das tiefste
Stillschweigen beobachtet, damit von unserer Seite nichts geschehe, um
einen so verhaengnissvollen Bruch herbeizufuehren. Nun aber, Majestaet, ist
wie ich glaube der Augenblick gekommen, um die wahren Absichten und
Plaene Frankreichs vor aller Welt zu enthuellen, und wenn Eure Majestaet es
erlauben, werde ich jenen Vertragsentwurf, den Benedetti und der Kaiser
Napoleon nicht ableugnen koennen, den Vertretern der Maechte und der
oeffentlichen Meinung Europas mittheilen. Die Sueddeutschen werden sehen,
wohin sie mit der hier und da gehegten Hoffnung auf Frankreich gekommen
waeren. England wird sehen, was die Vertraege ueber Belgien in Frankreichs
Augen zu bedeuten haben und abgesehen von der aeusseren Form dieser
unerhoerten Provocation wird auch die innere Gerechtigkeit unserer Sache
vor den Augen aller Welt klar werden. Damit wird eine grosse moralische
Macht uns zugefuehrt werden."

Der Koenig nickte zustimmend mit dem Kopfe.

"Ja, ja, darin liegt der wahre Grund dieses so lang zurueckgehaltenen
Krieges, und es kann nur nuetzlich sein, wenn alle Welt das klar
erkennt.--Ich habe auch," sagte er nach einigen Augenblicken, waehrend
eine tiefe Bewegung aus seinen Augen leuchtete, "ich habe auch daran
gedacht, unsere Waffenmacht durch eine moralische Kraft zu verstaerken
und der Begeisterung des Volkes einen idealen Halt, ein heiliges Zeichen
zu geben, zu dessen siegreichem Einfluss ich ein glaeubiges Vertrauen
habe."

Der Kronprinz und die andern Herren blickten erwartungsvoll in das
bewegte Gesicht des Koenigs.

"Ich will das eiserne Kreuz wieder herstellen," sagte der Koenig, indem
er wie unwillkuerlich die Haende faltete und einen Augenblick die Augen
niederschlug, um den feuchten Schimmer zu verbergen, der an seinen
Wimpern erglaenzte--"das wird die grossen, frommen Erinnerungen wach rufen
und die Begeisterung jener vergangenen Zeit auch der Gegenwart wieder
erwecken. Die Ritter des eisernen Kreuzes sterben aus, ich will das edle
Zeichen auch fuer Dich und Deine Generation," sagte er zum Kronprinzen
gewendet, "erhalten als ein Vermaechtniss der Erinnerung an mich und
meinen Vater."

"Und ich verspreche Dir," rief der Kronprinz in maechtiger Erregung, "dass
ich nicht ruhen und rasten will, bis ich dies heilige Zeichen mir
erkaempft habe."

Schweigend, voll Liebe und Bewunderung blickten die Minister auf den
Koenig, der noch einige Augenblicke in stillem Sinnen da sass.

Ein langer Pfiff der Lokomotive ertoente. Man fuhr in den provisorischen
Potsdamer Bahnhof ein. Bereits war die Dunkelheit des spaeten Abends
herabgesunken, der mit Blumenguirlanden geschmueckte Bahnhof war
erleuchtet, ein einfacher Kronleuchter hing an der Decke des
provisorisch hergestellten koeniglichen Wartezimmers.

Auf dem Perron erwarteten den Koenig die Spitzen der Behoerden, der
Magistrat, die Generalitaet, die Hofchargen und zahlreiche Damen mit
prachtvollen Blumenbouquets in der Hand.

Ein maechtiger Hurrahruf erschallte ueber den ganzen Bahnhofsplatz hin als
der koenigliche Zug am Perron vorfuhr. Auf dem Perron entbloessten sich
alle Haeupter, die Huete wurden in die Luft erhoben, die Damen wehten mit
den Tuechern.

Der Koenig und der Kronprinz stiegen aus.

In der vordersten Reihe stand der greise Feldmarschall Wrangel.

Rasch schritt der Koenig zu demselben hin und reichte ihm die Hand, in
tiefer Bewegung beugte sich der Feldmarschall nieder und drueckte seine
Lippen auf die koenigliche Rechte.

"Ich begruesse in Ihnen, mein lieber General-Feldmarschall, meine Armee,
die von Neuem zeigen wird, dass sie ihrer Veteranen wuerdig ist."

Der Feldmarschall wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihm einige
Augenblicke.

"Oh warum, Majestaet," sagte er endlich in abgebrochenen Worten, "warum
gehoere ich heute zu diesen Veteranen, warum wollen die alten Glieder
heute nicht so vorwaerts wie das Herz, das noch immer nicht alt wird."

"Nun," sagte der Koenig, die Hand leicht auf die Schulter des
Feldmarschalls legend, "wenn Sie auch heute nicht mehr ins Feld ziehen
koennen, Ihr Geist und Alles, was Sie fuer meine Armee gethan, das zieht
doch mit hinaus und das wird ebenso schwer bei der Entscheidung wiegen,
ja schwerer, als die Kraft der jungen Arme, denn der ruhmvolle Geist der
Vergangenheit, der in meiner Armee weht, ist es, der sie zum Siege
fuehren wird. Ich werde," fuegte er freundlich zu dem Feldmarschall
gewendet, hinzu, "das eiserne Kreuz wieder herstellen, damit die
Veteranen der kuenftigen Generation auch dasselbe schoene Zeichen tragen
koennen, das wir Alten uns in den grossen Tagen der Vergangenheit erworben
haben."

"Das freut mir von ganzem Herzen," sagte der Feldmarschall, indem sein
altes, treuherziges Gesicht von Glueck und Freude strahlte. "Das haben
Eure Majestaet recht gemacht, das wird unseren Jungens wieder den Geist
von 1813 einhauchen. Dieser Geist faengt schon an zu wehen, ich habe da
gestern ein Witzblatt gesehen, worueber ich mir sonst geaergert habe, die
Berliner Wespen, die haben einen preussischen Soldaten gemalt, der dem
Napoleon die Faust unter die Nase haelt und ihm sagt: "Dir hat wohl lange
nicht die Nase geblutet." Das ist richtiger preussischer Geist, Majestaet,
und ich habe mir auch gleich hingesetzt und dem Schreiber von diesem
Wespenblatt ueber sein Bild meinen Glueckwunsch gesagt."

Der Koenig laechelte.

"Sie haben Recht, lieber Feldmarschall, je ernster die Zeit, um so
weniger darf dem Soldaten der Humor ausgehen, und damit hat es bei uns
Berlinern noch gute Wege."

Er wandte sich um und begruesste freundlich die Damen, deren dargereichte
Bouquets er entgegennahm, sich entschuldigend, dass er sie nicht alle
halten koenne und sie dem Adjutanten zur Aufbewahrung uebergeben muesse.
Dann trat er in das Wartezimmer, wohin ihm die Deputationen der
staedtischen Behoerden, die Generale und die Hofchargen folgten.

Der Unterstaatssecretair von Thiele war unterdessen an den Grafen
Bismarck herangetreten und hatte ihm ein fuer ihn angekommenes Telegramm
uebergeben.

Graf Bismarck durchflog es, dann trat er mit blitzenden Augen in das
Wartezimmer zum Koenig, der so eben die Begruessung des Magistrats
entgegennahm.

"Majestaet," rief der Graf, "ich habe so eben ein Telegramm des
Wolf'schen Bureaus erhalten. Die Entscheidung ist da."

"Ist der Krieg erklaert?" fragte der Koenig.

"Die Kriegserklaerung ist hier noch nicht uebergeben," erwiderte Graf
Bismarck, "aber die Erklaerung, welche Ollivier im Corps legislatif
abgegeben hat, ist so gut, wie die formelle Erklaerung.

"Ich bitte Sie, zu lesen."

Graf Bismarck trat, die Depesche in der Hand in den Lichtkreis des
Kronleuchters und begann mit lauter Stimme zu lesen. Das Telegramm
enthielt die Darstellung, welche der Grosssiegelbewahrer im
Gesetzgebenden Koerper ueber die Verhandlungen in Ems gegeben hat.

"Der Koenig weigert sich," las Graf Bismarck in erhoehtem Ton, "die von
uns geforderten Verpflichtungen einzugehen und erklaerte Benedetti, er
wolle sich fuer diesen, wie fuer jeden andern Fall vorbehalten, die
Verhaeltnisse zu Rathe zu ziehen."

"Richtig," sagte der Koenig leise vor sich hin.

"Trotzdem," fuhr Graf Bismarck zu lesen fort, "brachen wir aus
Friedensliebe die Verhandlungen nicht ab, um so groesser war unsere
Ueberraschung, als wir erfuhren, der Koenig von Preussen habe sich
geweigert, Benedetti zu empfangen, und die preussische Regierung habe
das amtlich mitgeteilt."

"Ist das geschehen," fragte der Koenig.

"Nein, Majestaet," erwiderte Graf Bismarck, "ein Telegramm darueber ist in
den Zeitungen erschienen. Darueber werden die Vertreter Eurer Majestaet an
den Hoefen, bei denen sie beglaubigt sind, gesprochen haben. Es ist eine
der Verdrehungen der Wahrheit, welche den Zweck haben, uns die Schuld
des Friedensbruchs aufzuladen und die oeffentliche Meinung in Frankreich
zu erhitzen, vielleicht den Kaiser zum Aeussersten zu reizen."

Finster blickte der Koenig vor sich nieder, und biss die Zaehne auf
einander, ein bitterer Zug legte sich um seinen Mund.

"Unter diesen Umstaenden," las Graf Bismarck weiter, "waere es ein
Vergessen unserer Wuerde und eine Unklugheit gewesen, keine
Vorbereitungen zu treffen. Wir haben uns bereitet den Krieg, den man uns
anbietet, anzunehmen, indem wir Jedem seinen Antheil an der
Verantwortlichkeit hierfuer ueberlassen."

Zornig trat der Koenig mit dem Fuss auf den Boden, mit dem etwas
verkuerzten Finger seiner rechten Hand fuhr er mehrfach von oben herab
ueber den Schnurrbart, wie es in Augenblicken heftiger Erregung seine
Gewohnheit war.

"General von Roon," rief er dann, als Graf Bismarck die Depesche
zusammenfaltete, zum Zeichen, dass er zu Ende gelesen.

Der Kriegsminister trat heran.

"Ich befehle die Mobilmachung der ganzen Armee," sagte der Koenig im
festen Ton, "sorgen Sie fuer die unmittelbare Ausfuehrung meiner Befehle."

"Hurrah!" rief der General-Feldmarschall von Wrangel. "Es lebe der
Koenig!"

Die Umstehenden wiederholten diesen Ruf, brausend setzte sich derselbe
weithin ueber den Platz und durch die Menschen gefuellten Strassen fort.

"Ich erwarte Sie in einer Stunde bei mir, Graf Bismarck und auch Sie,
General von Moltke, um alles weiter Erforderliche zu beschliessen," sagte
der Koenig.

Dann gruesste er mit freundlichem Ernst die Anwesenden und bestieg mit dem
Kronprinzen seinen Wagen, in welchen bereits in dichter Menge die ihm
ueberreichten Blumenbouquets gelegt waren. Langsam fuhr er durch die
jubelnden Menschenmassen nach seinem Palais, von neuen, immer lauter
anschwellenden Hurrahrufen begruesst, stieg er hier aus, trat noch einmal
auf die Rampe vor und winkte mit der Hand ueber den Platz hin.

"Bei einer solchen Begeisterung meines Volkes ist uns der Sieg sicher,
wir koennen der Zukunft ohne Furcht entgegen gehen," sagte er dann mit
bewegter Stimme, indem er sich langsam abwandte und in sein Palais
eintrat.

Lange noch blieb die Menge dicht gedraengt auf dem Platz versammelt,
immer nach dem Fenster hinblickend und jedesmal, so oft die Gestalt des
Koenigs oder auch nur ein voruebergehender Schatten dort sichtbar wurde,
in erneute Rufe ausbrechend.

Endlich trat ein Leibjaeger des Koenigs auf die Rampe hinaus, winkte einen
der dort aufgestellten Schutzmaenner heran und sprach einige Worte mit
ihm.

Der Schutzmann naeherte sich den Ersten in seiner Naehe.

"Meine Herren," sagte er, "Seine Majestaet laesst bitten, nach Hause zu
gehen, der Koenig hat diese Nacht noch viel zu arbeiten."

"Der Koenig will Ruhe," ertoente es unmittelbar durch die Massen hin.
"Nach Hause! Nach Hause!"

Einen Augenblick legte sich eine tiefe Stille ueber den ganzen Platz.
Dann begannen einige Stimmen die feierliche, allbekannte Melodie des
"Heil Dir im Siegerkranz" zu intoniren.

Mit gewaltigem Klang stieg dies Lied, das in so einfach grosser Weise den
Geist der unvergesslichsten Zeit der preussischen Geschichte ausdrueckte,
zum naechtlichen Himmel auf,--dann wurde wieder Alles still.

Leise und ruhig nur in fluesternden Gespraechen sich unterhaltend,
zerstreute sich diese ganze unabsehbare Menschenmenge, um dem Koenige
Ruhe zu lassen fuer seine Arbeit, welche dem deutschen Volk in den grossen
nationalen Entscheidungskaempfen den Sieg sichern sollte.

Bald lag der ganze weite Platz im schweigenden naechtlichen Dunkel, nur
in den Zimmern des Koenigs brannte bis zum Morgen hin das Licht, welches
die Arbeit beleuchtete, in die der unermuedliche Monarch sich mit seinem
Minister und seinem Heerfuehrer vertiefte, und durch die Scheiben des
Fensters fiel der Strahl dieses Lichts in die Nacht hinaus, auf das aus
der Dunkelheit in riesigen Umrissen hervortretende Denkmal des grossen
Koenigs hin,--die Sterne des Himmels blickten in ewiger lichter Ruhe
herab auf die schlummernde Residenzstadt, welche im taeuschenden Schein
friedlicher Stille da lag, waehrend sie schon in den naechsten Tagen
Tausende ihre Soehne hinaussenden sollte, um auf blutigen Schlachtfeldern
von Neuem ihre opferfreudige Treue fuer den Koenig und das Vaterland zu
beweisen.




Neuntes Capitel.


Ernst und still sass Fraeulein Luise Challier in dem Wohnzimmer des
alten Hauses in St. Dizier. Traurige Wochen und Monate waren verflossen,
seit ihr Geliebter sie voll freudiger Hoffnung und Zuversicht verlassen
hatte. So schwer auch der Abschied von ihm sie erschuettert hatte, so
hatte sie doch in den ersten Tagen gluecklich und froh seiner gedacht;
sie hatte die Tage gezaehlt, welche er zu seiner Reise bedurfte, sie
hatte ausgerechnet, wie lange ein Brief von Hannover gehen muesse, um zu
ihr zu gelangen und hatte nach Verlauf dieser Zeit mit zweifelloser
Gewissheit, ungeduldig die Augenblicke zaehlend, einer Nachricht von ihrem
Geliebten entgegengesehen.

Als ein Tag nach dem andern vergangen war, ohne dass eine solche
Nachricht eintraf, hatte sie dann alle Moeglichkeiten der Verzoegerung
sich klar gemacht, sie hatte auch wohl mit einem leichten Gefuehl von
Traurigkeit sich oft gesagt, dass der junge Mann unter dem Eindruck der
Rueckkehr in seine alte Heimath erfuellt von den lebhaften Gefuehlen des
Wiedersehens seiner Mutter gezoegert habe, ihr zu schreiben. Ja sie hatte
sich sogar in eine freudige Stimmung hinein gedacht, indem sie sich
sagte, dass ihm die Ordnung seiner Verhaeltnisse und die Erlangung der
Einwilligung seiner Mutter und seines Oheims zu der neuen Wendung seines
Schicksals vielleicht schneller gelungen waere, als er selbst es gehofft,
und dass er ihr mit der ersten Nachricht vielleicht zugleicht seine
Wiederkehr nach Ueberwindung aller Schwierigkeiten anzeigen wolle--damit
war wieder eine Reihe von Tagen vergangen, bis endlich auch dieser Grund
nicht mehr zur Beruhigung ihrer immer banger werdenden Unruhe genuegen
wollte. Dann war jene entsetzliche, das ganze innere Wesen des Menschen
zerstoerende Zeit des Wartens gekommen, welche in ihrer dumpfen,
bleiernen Schwere auf die Seele und den Geist vernichtender wirkt, als
der haerteste, aber bestimmt und klar eintretende Ungluecksfall.

Wie die Blume vor dem maechtig niederrauschenden Wetter ihr Haupt senkt,
um es spaeter wieder frisch und duftig erheben, wie sie, wenn die Bluethe
gebrochen wird, neue Bluethen treibt, so kann ein maechtiger Wetterschlag
des Schicksals das menschliche Herz und den menschlichen Geist schwer
und gewaltig erschuettern; aber nach dieser Erschuetterung richtet sich
der Muth wieder empor, die Kraft kehrt zurueck, und neues Glueck, neue
Freude koennen unter wiederkehrendem Sonnenschein freundlicher
Schicksalswendungen erwachsen.

Aber wie die Pflanze, der in duerrer Erde das Wasser entzogen wird,
langsam erstirbt, vergeblich lechzend nach frischer erquickender
Lebenskraft, und wie die vertrockneten Bluethen die verdorrten Blaetter,
langsam erstarrt und gestorben, sich niemals wieder zu neuem Leben
aufrichten koennen, so toedtet und erstarrt das langsame erbarmungslose
Verschwinden der Hoffnung den Glauben des menschlichen Herzens, und wenn
es auch mechanisch in regelmaessigem Pulsschlag das Blut durch die Adern
treibt, sein inneres Leben, der Duft und die Farben kehren ihm nie
wieder zurueck, und es ist todt, lange, lange, bevor es aufhoert, zu
schlagen.

So erstarb langsam und qualvoll die Freude und das Glueck und endlich die
Hoffnung und der Glaube in dem Herzen des jungen Maedchens, und wenn auch
die Liebe, diese Tochter des Himmels, welche in dem geschaffenen
Menschen Alles ueberlebt, weil sie unsterblich ist, wie der Schoepfer, der
sie in sein Geschoepf legte,--wenn auch diese Liebe nicht aus ihrem
Herzen verschwand, so erfuellte sie doch das Herz nicht mehr mit Licht
und Waerme. Es war nur noch eine traurige Flamme frommer Erinnerung wie
die ewige Lampe in einem Grabgewoelbe.

Luise hatte sich zuerst in ihrer feurigen und kraeftigen Natur lebhaft
aufgebaeumt gegen den Gedanken, dass der, den sie so sehr liebte und an
dem ihr Herz mit so vollem und hingebendem Vertrauen hing, sie so
schnell habe vergessen koennen.

Qualvolle Unruhe, Zorn, Erbitterung hatten sie erfuellt, immer und immer
wieder hatte sie Gruende fuer sein Verstummen gesucht, und von Neuem hatte
sie ihre Hoffnungen wieder aufgerichtet, um sie immer wieder von Neuem
zusammen sinken zu sehen. Und alle diese Kaempfe, alle diese Qualen und
Leiden hatte sie tief in sich selbst verschlossen.

Mit laechelnder Miene hatte sie, als ihr Vater anfing, seine Verwunderung
ueber das Schweigen des jungen Mannes auszusprechen, Gruende aufgesucht,
an welche sie selbst nicht glaubte. Mit Anstrengung aller Willenskraft
hatte sie sich den Tag ueber aufrecht erhalten, um vor den Augen ihres
Vaters und ihrer Hausgenossen ruhig und heiter zu erscheinen;
sorgfaeltig hatte sie am Morgen ihre von Thraenen und Nachtwachen
geroetheten Augen gekuehlt, um die Spuren ihres innern Leidens zu
verbergen, und stolz und kalt hatte sie Herrn Vergier, wenn derselbe sie
zuweilen mit dem Anschein freundlicher Theilnahme nach dem jungen Cappei
fragte, geantwortet, dass derselbe sich vortrefflich befinde, und dass sie
hoffe, er werde bald zurueckkehren.

Endlich aber war das Alles ueber ihre Kraefte gegangen, alle Gruende, die
sie fuer sich selbst und ihren Vater aufsuchen mochte, konnten nicht mehr
ausreichen, um dies wochenlange Schweigen des jungen Hannoveraners zu
erklaeren, und als endlich eines Tages der alte Challier deutlicher und
bestimmter seine Besorgnisse und seine Unruhe ueber das Benehmen des
jungen Mannes, zu dem er so grosses Vertrauen gehabt, aussprach, da war
sie wie gebrochen in sich zusammen gesunken, zu schwach, den Kampf
laenger auszuhalten und ihre inneren Qualen unter laechelnder Miene zu
verbergen.

Ein Strom heisser Thraenen stuerzte aus ihren Augen und laut schluchzend
warf sie sich in die Arme ihres Vaters.

"Oh, er hat mich verlassen!" rief sie. "Er hat mich vergessen! Er hat
sein Spiel mir getrieben hier in der Verbannung,--nun er zurueckgekehrt
ist zu den Seinen in sein Vaterland und in seine alte Heimath, da
gedenkt er meiner nicht mehr. Und," fuhr sie heftiger weinend fort, "da
haelt er es nicht einmal fuer noethig, einen Vorwand zu suchen--mir ein
Wort des Abschieds zu sagen! Nein, er laesst mich langsam vergehen in
vergeblicher Erwartung! Oh, das ist schlecht," rief sie, den Kopf
emporhebend und mit fast verwirrtem Blick im Zimmer umher starrend--"das
ist schlecht, das habe ich nicht um ihn verdient! Ich habe ihn doch so
sehr geliebt, und auch jetzt noch liebe ich ihn," rief sie. "Ich zuerne,
mir selbst, fast moechte ich mich verachten, dass ich ihn noch lieben
kann. Aber dann wieder, wenn sein Bild vor mich hintritt, wenn ich an
seine Augen denke, die so gut und treu blicken, an alle seine Worte so
voll Wahrheit und tiefen Gefuehls--dann kann ich es nicht glauben, kann
ich es nicht fuer moeglich halten, dass er mich so vergessen, so unwuerdig
bei Seite werfen sollte, dann erfasst mich eine namenlose Angst, dass ihm
ein Unglueck widerfahren sei, dass er todt sein moechte. Oh, mein Gott,
mein Gott," rief sie laut aufschreiend, "gieb mir ein Ende dieser
Qualen, ein Ende dieser Angst, nur einen Lichtblick der Gewissheit, und
waere es die traurigste, die schmerzlichste, sie waere ein Glueck gegen
diesen Zustand."

Ernst und traurig hatte der alte Herr Challier diesen so ploetzlichen
Ausbruch des Jammers seiner Tochter mit angehoert. Voll tiefen,
liebevollen Mitgefuehls sah er auf das junge Maedchen herab, welches
zitternd in sich zusammen geschmiegt vor ihm stand, die Haende gefaltet
und den brennenden Blick fragend auf ihn gerichtet, als erwarte sie von
ihm das Licht und die Aufklaerung nach denen ihre Seele duerstete.

"Meine Tochter," sagte er, "gieb Dich nicht der Verzweiflung hin. Das
Leben bietet harte und schwere Schicksalsschlaege genug, es muss immer in
unserm Herzen etwas leben, das uns ueber das Unglueck erhebt, und waere es
nur der Stolz und das muthige Selbstgefuehl, welches eine Tochter der
Bragars niemals verlassen soll."

"Oh, mein Vater," rief sie, "ich wuerde Muth und Kraft haben, Alles zu
ertragen, wenn er mir gestorben waere, wenn die Hand der Vorsehung mit
unwiderstehlicher uebermaechtiger Gewalt in meine Hoffnungen und in die
Traeume meines Gluecks eingegriffen haette; aber dass es so enden soll, dass
er mich vergisst, dass er aus dem Kreise meines Lebens verschwindet, ohne
dass ich weiss wodurch und warum. Das, mein Vater, zerstoert meinen Geist,
das zerbricht meinen Willen und meine Kraft, das untergraebt mein
Vertrauen an die Gerechtigkeit Gottes."

"Wenn er sich unwuerdig gegen Dich betragen hat, mein Kind, wenn er Dich
so leicht vergessen konnte, so sollte Dein Stolz sich um so hoeher
erheben und Dir den Willen und die Kraft Deiner Seele wiedergeben,"
sagte Herr Challier mit ernstem, fast vorwurfsvollem Ton. "Aber," fuhr
er fort, "noch ist es so weit nicht, noch kann irgend ein Missverstaendniss
vorliegen. Er kann krank geworden sein,--wenn ich an den jungen Mann
zurueckdenke, wie ich ihn gekannt habe, als er unter uns lebte, wenn ich
mir sein ganzes Wesen, seinen Charakter vergegenwaertige, so kann ich es
kaum glauben, dass er Dich so leicht vergessen und verlassen hat; und ich
muss fast an irgend ein aeusseres Hinderniss glauben, das diesem
unerklaerlichen Schweigen zu Grunde liegt."

"Das sagt auch mir mein Herz," rief Luise, indem sie mit einem dankbaren
und hoffnungsvollen Ausdruck zugleich ihren Vater ansah, "eine Stimme in
meinem Innern ruft mir zu, er kann nicht so niedrig, so schlecht und
undankbar sein, um, selbst wenn das Schicksal unserer Verbindung
unuebersteigliche Hindernisse in den Weg entgegenstellte, sich so von mir
zu trennen."

"Wenn Du das glaubst," sagte der alte Challier, "so musst Du an ihn
schreiben und Erklaerung von ihm verlangen. Ist er krank, was ja moeglich
ist, so wird der Brief in die Haende der Seinigen kommen, und Alles wird
klar werden."

"Ich soll ihm zuerst schreiben," rief Luise, indem eine dunkle Roethe ihr
Gesicht ueberflog, "ich soll ihn mit meiner Liebe verfolgen--wenn er mich
vergessen haette."

"Wenn Du ihn liebst," sagte Herr Challier, "wenn Du Vertrauen zu ihm
hast, so bist Du ihm und Dir selber schuldig, jenen Schritt zu thun, der
Dir Aufklaerung ueber ein Missverstaendniss oder die unleugbare Gewissheit
seiner Unwuerdigkeit giebt. Es mag ihm widerfahren sein, was da wolle, so
wird Dein Brief in die Haende seiner Angehoerigen kommen und Du wirst
irgend eine Nachricht erhalten. Und nur wenn er Dich wirklich verlassen
will, oder wenn er uns eine falsche Adresse gegeben haette, um seine Spur
verschwinden zu lassen, wirst Du ohne Antwort bleiben."

"Du hast Recht, mein Vater," sagte Luise, "ich will den Glauben und das
Vertrauen nicht so leicht aufgeben. Ich will ihm schreiben."

Sie ging sogleich in ihr Zimmer und schrieb in fliegender Eile Alles,
was ihr Herz ihr eingab, und als sie geendet hatte und den Brief nochmal
ueberlas, sprach sie hoch aufathmend zu sich selbst:

"Wenn dieser Brief in die Haende seiner Mutter gelangt, wenn er nur von
einem Menschen gelesen wird, der ein fuehlendes Herz hat, so werde ich
erfahren, was ihm begegnet ist, und warum ich keine Nachricht von ihm
erhalten habe."

Ihr Vater las den Brief, den sie geschrieben, mit wehmuethigem Blick,
voll inniger Theilnahme sah er sein Kind an. Die ganze Qual ihres
Herzens lag zwischen den Zeilen.

Er siegelte den Brief und versah ihn mit der Adresse, welche Cappei
zurueckgelassen hatte und brachte ihn selbst zur Post.

Abermals begann nun jene Zeit der unruhigen Erwartung, des bangen
Zweifelns zwischen Furcht und Hoffen. Abermals zaehlte das junge Maedchen
die Tage, welche ihr eine Antwort bringen konnten. Abermals aber
verflossen diese Tage, ohne dass die ersehnte Nachricht kam, abermals
arbeitete sich ihr gemartertes Herz durch alle Fasern dieses
entsetzlichen Wartens hindurch, dessen Pein keine Ruhe und Rast, keinen
Unterschied zwischen Tag und Nacht kennt.

Bleicher und bleicher wurden die Zuege dieses sonst so lebensfrischen
Gesichts, aber es war diesmal nicht die zitternde, sehnsuchtsvolle
Unruhe, nicht die schmerzvoll ringende Verzweiflung, welche sich in
diesen Zuegen malte. Kalt, finster und stolz wurde der Blick des jungen
Maedchens, oft laechelten ihre Lippen bitter oder pressten sich mit dem
Ausdruck duesterer Resignation auf einander. Kalt und ruhig ging sie
einher, verrichtete genau und puenktlich ihre haeuslichen Besorgungen, und
sorgfaeltig wich sie jedem Gespraech mit ihrem Vater aus, welcher mit
kummervollen Blicken ihr Treiben beobachtete.

Es waren fast drei Wochen vergangen, seit sie ihren Brief abgesendet, da
trat sie eines Tages ernst und ruhig vor ihren Vater hin, als derselbe
nach dem Diner in seinem Lehnstuhl sass und mit klarem Blick und mit
fester Stimme sprach sie zu ihm:

"Es ist jetzt vorbei, mein Vater, der Traum, welcher eine Zeit lang mein
Leben erfuellte, ist ausgetraeumt. Die Liebe, welche mein ganzes Wesen
durchdrang, ist in meinem Herzen gestorben, ich habe sie ausgerissen mit
den letzten Wurzeln, ich habe sie verachten gelernt und will sie nun
auch vergessen koennen. Du hast Recht gehabt, mein Vater, der Stolz
giebt die Kraft, sich aus dem Bann leidenden Jammers zu erheben und im
Gefuehl der eigenen Wuerde die Niedrigkeit und Schlechtigkeit derer zu
vergessen, die unser Herz mit Fuessen traten. Ich habe ein Jahr meines
Lebens verloren--das ist Alles," sagte sie bitter und hart, "vielleicht
habe ich dabei gewonnen, denn ich habe die Menschen verachten und die
eigene Kraft schaetzen gelernt. Nimm mich hin, mein Vater, es ist Alles,
wie es frueher war, Deine Tochter gehoert wieder Dir und Dir ganz allein."

Sie schlang ihre Arme um die Schultern ihres Vaters und liess ihren Kopf
an seine Brust sinken. Ein leises Zittern flog durch ihre Gestalt wie
eine letzte Regung des tief schneidenden Schmerzes, der so lange ihr
innerstes Wesen erschuettert hatte.

Dann aber hob sie den Kopf empor und blickte ihren Vater fest an, wie um
zu zeigen, dass ihre Kraft groesser sei, als ihr Schmerz. Ihre Gesichtszuege
waren ruhig und unbeweglich, ihre Augen klar und trocken.

Ihr Vater schuettelte langsam und schmerzlich den Kopf.

"Ich freue mich," sagte er, "dass Du die eigene Kraft kennen und schaetzen
gelernt hast, aber nicht so darfst Du in Dein kuenftiges Leben gehen, Du
darfst die Menschen nicht verachten, weil Einer sich Dir niedrig gezeigt
hat, weil Einer unwuerdig gegen Dich gehandelt. Auch diese Wunde wird
heilen, mein Kind, wie so Vieles heilt in der geschaffenen Natur--Du
wirst auch das Vertrauen zu den Menschen wieder finden, Du wirst Dich
dem Leben und seinen reichen Gaben nicht verschliessen. Du bist noch so
jung und es wird die Zeit kommen, wo Alles, was Du jetzt gelitten, wie
ein ferner Traum verklungen sein wird. Vergiss auch nicht," fuegte er
hinzu, "dass Derjenige, der Dich unwuerdig verlassen, kein Sohn Deines
edlen Vaterlandes war. Vielleicht ist es ein Glueck, dass es so kam, fuer
das Leid, das der Fremde Dir zugefuegt, wird, so Gott will, Frankreich
Dir Ersatz bieten."

Luise trat einen Schritt von ihrem Vater zurueck, hoch richtete sie sich
empor und sprach stolzen, flammenden Blickes.

"Glaube nicht, mein Vater, dass ich mit dem Leben abschliessen will,
glaube nicht, dass ich etwa daran denke, in kloesterlicher Einsamkeit den
Unwuerdigen zu beweinen, der mein liebevolles Vertrauen getaeuscht hat.
Nein, ich werde frei und muthig, aber auch klar und kalt in das Leben
treten, ich werde alle seine Pflichten erfuellen,--aber mein Herz werde
ich fuer mich allein behalten und--fuer Dich, mein Vater," fuegte sie mit
einem innigen Blick hinzu. "Es soll nicht wieder der Spielball
unwuerdiger Laune werden." "Das ist brav und recht, mein Kind," sagte
Herr Challier, "das ist tapfer und meiner Tochter wuerdig. Und Gott, der
die Zukunft der Menschen lenkt," fuegte er die Haende faltend hinzu, "er
wird auch nicht zulassen, dass Dein Herz in kalte Einsamkeit verschlossen
bleibt, auch Dir wird noch Glueck, Wonne und Freude zu Theil werden."

Schweigend, mit schmerzlichem Laecheln schuettelte Luise den Kopf und ging
hinaus, um die Geschaefte der haeuslichen Wirthschaft zu ordnen.

Von diesem Augenblick an war zwischen Vater und Tochter von der Sache
nie mehr die Rede, und ruhig ging das einfache Leben in dem alten Hause
seinen Weg.

Herr Vergier, welcher sich eine Zeit lang wenig im Hause hatte sehen
lassen, kam wieder oefter dorthin. Er leistete dem Alten Gesellschaft,
sprach mit ihm ueber die Geschichte und ueber die Fragen der Politik,
welche die oeffentliche Meinung bewegten. Sein frueher so heftiges und
aufgeregtes Wesen war augenscheinlich ruhiger und sanfter geworden; er
schien sich allmaehlig von den Ansichten des alten Herrn ueberzeugen zu
lassen und hielt sich von allen heftigen Ausfaellen gegen das
Kaiserthum, von allen scharfen Urtheilen ueber die Regierung zurueck--er
hatte waehrend des Plebiscits sich von jeder Agitation der democratischen
Partei, mit welcher er frueher innig verbunden gewesen war, fern
gehalten,--der alte Herr Challier war darueber sehr erfreut und erblickte
darin eine Wirkung des Einflusses, den er auf die Ansichten des Herrn
Vergier ausuebte. Das Verhaeltniss zwischen Beiden war in Folge dessen ein
immer freundschaftlicheres und herzlicheres geworden.

Auch Fraeulein Luise trat Herrn Vergier immer naeher, er unterhielt sich
freundlich und ruhig mit ihr; er sprach mit ihr ueber viele Dinge, welche
den regen Geist des jungen Maedchens interessirten, und niemals kam ein
Wort ueber seine Lippen, das an die Vergangenheit erinnerte oder die
Hoffnungen und die Wuensche beruehrte, die er frueher gehegt, und die er
frueher in so heftiger und leidenschaftlicher Weise gegen sie
ausgesprochen hatte.

Das junge Maedchen, das anfaenglich verschlossen, kalt und zurueckhaltend
gegen ihn gewesen war, begann in seiner Unterhaltung Zerstreuung und
Beruhigung zu finden, und so kam es, dass nach Verlauf einiger Zeit Herr
Vergier wieder der taegliche und gern gesehene Gast im Hause des Herrn
Challier war, der in den kleinen Kreis freundliches und heiteres Leben
brachte.

Die verhaengnissvollen Tage des Juli waren gekommen, die gewaltige
Aufregung, welche Paris bewegte, und welche bereits ganz Europa zu
ergreifen begann, schlug ihr helles Feuer auch hier in diesem ruhig
abgeschlossenen Leben der alten Stadt St. Dizier, und das Gefuehl aller
dieser Nachkommen der Soldaten Franz I. wallte hoch auf bei den
Berichten ueber die Vorgaenge im Corps legislatif, und als die Rede des
Herzogs von Gramont in den Journalen erschien, in welcher dieser Traeger
eines edlen, alt franzoesischen Namens das Nationalgefuehl Frankreichs
aufrief gegen die Wiederherstellung des Reiches Karl V., dieses
deutschen Kaisers, der einst in seinen Kaempfen gegen den ritterlichen
Koenig Franz I. die Stadt St. Dizier belagert und vor deren Mauern den
entscheidenden Widerstand gegen sein siegreiches Vordringen gefunden
hatte, da war in dieser kleinen Stadt nur eine Stimme der Entruestung und
der Begeisterung, und jeder Buerger von St. Dizier waere bereit gewesen,
die Waffen zu ergreifen, um unter den Fahnen Frankreichs hinaus zu
ziehen zum Kampf gegen die Nachkommen der Soldaten Karl V.

Die vollste Uebereinstimmung zwischen ihren Anschauungen und Gefuehlen
herrschte zwischen Herrn Challier und Herrn Vergier, und wenn die
Abendzeitungen die neuesten Nachrichten ueber die Vorgaenge in Paris und
in Ems brachten, so ergingen sich Beide in gleichen und einander
ergaenzenden Ausdruecken der Entruestung gegen die deutsche Anmassung und
der begeisterten Hoffnung auf einen siegreichen Krieg Frankreichs; und
mit leuchtenden Blicken hoerte Luise diesem Gespraech zu,--jedes Wort fand
einen Wiederhall in ihrem Herzen. Zum ersten Mal nach langer Zeit schlug
dies Herz wieder in hoeherer Wallung auf, die Erinnerung an ihre
verlorene Liebe verschwand fast vor dem Gefuehl des nationalen Stolzes,
der sie erfuellte.

Eines Abends trat Herr Vergier hastig und von heftiger Aufregung
zitternd in das Wohnzimmer, in welchem der alte Challier mit seiner
Tochter sass.

"Die Entscheidung ist da," rief er, dem alten Herrn ein Zeitungsblatt
hinreichend, "alle diplomatischen Kuenste koennen diesmal den Krieg, nach
welchem Frankreich duerstet, nicht aufhalten. Unsere Ehre ist engagirt,
und wenn die Regierung jetzt nicht unmittelbar handelt, so wird das
Nationalgefuehl dies nicht laenger ertragen. Der Koenig von Preussen,"
sagte er, zu Luise gewendet, waehrend Herr Challier das Zeitungsblatt
durchlas, "hat es verweigert, den Botschafter Frankreichs anzuhoeren, ja
nur zu empfangen. Das ist eine Beleidigung, wie sie im Verkehr der
Nationen noch nicht vorgekommen ist, und zum Ueberfluss hat die preussische
Regierung diese unerhoerte Thatsache noch in der schroffsten und
verletzendsten Form allen uebrigen Cabinetten Europa's mitgetheilt. Die
unmittelbare Kriegserklaerung ist die einzige moegliche Antwort auf diese
Provocation. Bereits sind Eisenbahnzuege angemeldet," fuhr er fort,
"welche die Truppen nach den Grenzen fuehren, die Commando's sind
vertheilt, und in vierzehn Tagen vielleicht schon koennen wir die
Nachricht von den ersten Siegen unserer Armeen erhalten."

Einen Augenblick zuckte es schmerzlich ueber das Gesicht Luisens, dann
aber leuchteten ihre Augen in hoher Begeisterung auf, fragend richtete
sie den Blick auf ihren Vater.

Dieser hatte das Zeitungsblatt langsam durchgelesen.

"Ja," sagte er ernst, "das ist der Krieg. Ein Krieg, der die Welt
erschuettern wird, und der hoffentlich alles Unrecht wieder gut machen
wird, welches das coalirte Europa uns einst gethan. Gott segne
Frankreich!" fuegte er hinzu, die Haende gefaltet.

"Ja, Gott segne Frankreich," fluesterte Luise leise, indem ihr Blick sich
mit dem Ausdruck innigsten Gebets auswaerts richtete.

Herr Vergier schlug einen Moment die Augen zu Boden, dann trat er zu
Luise hin und sprach nach einem leichten Zoegern:

"Fraeulein Luise, ich habe nie wieder dessen erwaehnt, was frueher zwischen
uns vorgegangen, obgleich die schmerzliche Erinnerung daran mich keinen
Augenblick verlassen hat. Verzeihen Sie, wenn ich Sie heute daran
erinnere, aber in einem Augenblick wie dieser, in welchem alle Kinder
Frankreichs in gemeinsamen Wuenschen und Hoffnungen sich begegnen, soll
es auch zwischen uns klar werden. Sie haben mir einst schwer gezuernt,
als ich dem bitteren Schmerz Worte verlieh, den mein Herz darueber
empfand, dass Sie Ihre Liebe einem Fremden, einem Feinde Frankreichs,
zugewendet. Fraeulein Luise, mein treues und tiefes Gefuehl fuer Sie hat in
seinem Instinct das Richtige erkannt, jener Fremde hat Sie verlassen,
Ihre Liebe verachtet,--ich habe das nie erwaehnt, aber ich habe es wohl
gesehen, und ich habe auch gesehen, was Sie gelitten haben. Ich will
heute nicht noch einmal den Verdacht aussprechen, den ich gegen jenen
Fremden gehegt; die Ereignisse haben jenen Verdacht nicht entkraeftet,
und vielleicht werden auch Sie heute meine damaligen Besorgnisse anders
beurtheilen, als Sie es zu jener Zeit gethan. Ich kann mir," fuhr er
fort, "nicht denken, dass heute noch in Ihrem Herzen ein Rest von Liebe
gegen Denjenigen bestehen soll, der vielleicht in diesem Augenblick
schon mit der Waffe in der Hand gegen die Grenzen unseres heiligen
Vaterlandes heranzieht--"

Mit stolz blitzenden Augen schuettelte Luise schweigend den Kopf.

"Ich will mir auch nicht anmassen," fuhr Herr Vergier fort, indem bei der
Bewegung des jungen Maedchens ein freudiger Strahl in seinen dunklen
Augen aufleuchtete, "ich will mir auch nicht anmassen, dass es mir moeglich
sei, so schnell in Ihrem Herzen die Gefuehle erwecken zu koennen, welche
Sie mir frueher versagten, aber Freundschaft und Vertrauen werden Sie mir
heute hoffentlich nicht mehr verweigern koennen, heute, wo alle Franzosen
nur eine grosse Familie bilden."

Luise reichte ihm mit einer Bewegung voll aufrichtiger Herzlichkeit die
Hand.

"In Zeiten wie die heutigen, in denen wir grossen und vielleicht
langwierigen Entscheidungskaempfen entgegengehen, bedarf eine Frau mehr
als je des Schutzes und der Gewissheit einer sichern und ruhigen Zukunft.
Sie wissen, Fraeulein Luise, dass ich mein Glueck nur an Ihrer Seite finden
kann, Sie wissen auch, dass Sie in mir eine treue und feste Stuetze fuer
das ganze Leben finden werden, Sie wissen, dass Ihr Vater unsere
Verbindung einst wuenschte, und dass er sie vielleicht jetzt wieder
wuenscht. Erlauben Sie mir in diesem grossen Augenblick die Frage an Sie
zu richten, ob Sie in Erwiderung meiner tiefen und gluehenden Liebe mir
Vertrauen und Freundschaft schenken, mir Ihr Leben anvertrauen wollen."

Luise sah ihn klar und frei an.

"Ich danke Ihnen, Herr Vergier," sagte sie, "dafuer, dass Sie all des
Schmerzlichen, das zwischen uns liegt, bisher niemals erwaehnt haben,--ob
in meinem Herzen Dasjenige jemals wieder erwachen kann, was man die
Liebe nennt," fuhr sie mit traurigem Ton, durch welchen eine gewisse
Bitterkeit hindurchklang, fort, "weiss ich nicht. Freundschaft und
Vertrauen glaube ich Ihnen geben zu koennen, und in dieser Freundschaft
und in diesem Vertrauen antworte ich Ihnen frei und offen. Ja, ich will
Ihren Antrag annehmen und ich will versuchen, Ihrem Leben soviel Freude
und Glueck zu geben, als aus meinem Herzen noch erbluehen kann."

Mit ruhigem, freundlichem Laecheln reichte sie ihm die Hand, welche er,
seine leidenschaftliche Bewegung bemeisternd, ehrerbietig an die Lippen
drueckte.

"Aber," fuhr Luise fort, "Sie muessen mir versprechen, dass ueber diesen
Gegenstand jetzt nicht weiter gesprochen wird. In diesem Augenblick, in
welchem das Vaterland in Gefahr ist, in welchem Frankreich sich zu einem
gewaltigen Kampf ruestet, schickt es sich nicht, an etwas Anderes zu
denken, als an die Zukunft unseres Landes. An dem Tage, an welchem
unsere Heere wieder siegreich in Paris einziehen, will ich Ihnen meine
Hand reichen, an jenem Tage soll unsere Verbindung vor dem Altar den
Segen des Himmels erhalten."

"Das ist brav gesprochen," rief der alte Challier, "gesprochen wie eine
Franzoesin, wie eine Tochter der alten Bragars."

"Und damit bin ich von Herzen einverstanden," rief Herr Vergier, "und
wenn es moeglich ist, werden nun meine Wuensche noch gluehender die Waffen
Frankreichs begleiten, denn der stolze Tag des grossen Nationalsieges
wird zugleich mit der erneuten herrlichen Groesse des Vaterlandes das
Glueck meines Lebens begruenden."

Luise stand langsam auf und trat an ein Pianino, welches zur Seite des
Fensters stand, sie oeffnete dasselbe, setzte sich auf den davorstehenden
Sessel und schlug in einfachen kraeftigen Accorden die ergreifende
Melodie des Chant du depart an, welche so maechtig und gewaltig alle
franzoesischen Herzen erfasst und die Erinnerung an jene von Begeisterung
gluehenden Freiwilligen aufsteigen laesst, die voll Muth und
Todesverachtung nach den Grenzen hinauszogen, um dort Zeugniss abzulegen
fuer die edlen und grossen Gedanken, welche in der Revolution lebten und
welche in dem blutigen Schlamme von Paris untergingen.

Leise bewegte Herr Challier die Lippen, die Melodie begleitend,--Herr
Vergier wandte sich ab und trat an das Fenster, nach dem dunkel
gluehenden Abendhimmel hinausblickend.

"Ich habe gesiegt," fluesterte er vor sich hin,--"moechte nun," fuhr er
fort, indem ein duesterer Grimm in seinen Augen brannte, "die erste
franzoesische Kugel jenen verhassten Feind meines Landes treffen, der fast
das Glueck meines Lebens zerstoert haette."




Zehntes Capitel.


Eine unruhige, lebhaft bewegte Menge wogte in den Strassen von Paris
auf und nieder. Die Boulevards, die Champs Elysees, der Tuileriengarten,
Alles war mit Menschen gefuellt und ueberall sah man laut sprechende und
lebhaft gesticulirende Gruppen.

Die Zeitungen vom Abend vorher hatten die Nachricht verkuendet, dass der
Koenig von Preussen es verweigert habe, den Botschafter Frankreichs zu
empfangen und dass dieses die Wuerde Frankreichs beleidigende Factum durch
eine Depesche von Berlin den europaeischen Hoefen mitgetheilt sei.

Ungeheuer war die Aufregung, welche diese Mittheilung in ganz Paris
hervorgerufen hatte. Diese Aufregung wurde fortwaehrend gesteigert durch
alle die Mittel, ueber welche die Polizei des Kaiserreichs in so reichem
Masse verfuegen konnte. Man sprach nicht mehr von der Candidatur des
Prinzen von Hohenzollern auf den spanischen Thron, eine Sache, die man
niemals so recht eigentlich begriffen und verstanden hatte. Man sprach
nicht mehr von dieser oder jener politischen Frage, man sprach nur noch
von der Beleidigung Frankreichs. Die ganze Entruestung der Bevoelkerung
richtete sich gegen diesen preussischen Minister, den die Erfolge von
Sadowa so weit verblendet hatten, dass er es wagen koenne, Frankreich, das
unbesiegliche Frankreich, die erste Macht Europa's zu beleidigen. Im
Corps legislatif hatten zwar die Tage vorher die Mitglieder der Linken
die Vorlegung der Depesche verlangt, durch welche jene Thatsache von
Preussen den uebrigen Maechten mitgetheilt worden waere und sie hatten den
ausweichenden Antworten der Minister gegenueber die schaerfsten Reden
gegen dieselben gefuehrt.

Alle diese Reden hatten die Pariser nicht gehoert und gelesen, denn man
las zu jener Zeit keine Journale, sie hatten sie auch nicht lesen
wollen, denn wenn die Pariser einmal bis zu einem gewissen Grade der
Erregung gelangt sind, so weisen sie jede Beruhigung zurueck und steigern
in immer wachsendem Masse ihre Gefuehle bis zur hoechsten Siedehitze.

Die Nachricht hatte sich verbreitet, dass der Kaiser von St. Cloud
kommen werde, um in den Tuilerien einen Ministerrath abzuhalten.

Die gluehende Mittagssonne, welche schon so oft die Pariser bis zum
politischen Wahnsinn exaltirt hatte, hielt sie auch diesmal nicht ab, in
dicht gedraengten Massen auf den Champs Elysees, der Place la Concorde
und auf dem Carousselplatz die Ankunft des Kaisers zu erwarten.

Endlich hoerte man vom Arc de Triomphe her laute Hochrufe erschallen und
bald sah man die beiden Piqueurs in den gruen goldenen Livreen, welche
der vierspaennigen Kalesche des Kaisers voranritten an dem Eingang der
Champs Elysees nach dem Place la Concorde zu.

Der Kaiser hatte keine militairische Escorte, er sass in Civil gekleidet,
mit dem General Fave allein im Wagen, der langsam ueber den
Eintrachtsplatz fuhr, der so von Menschen angefuellt war, dass nur mit
Muehe ein Weg fuer die kaiserliche Equipage frei gemacht werden konnte.

Der Kaiser sah wohler und heiterer aus, als man ihn in den letzten Tagen
zu sehen gewohnt gewesen war. Er sass gerade aufgerichtet da, ein
heiteres stolzes Laecheln lag auf seinem Gesicht und mit offenen klaren
Blicken sah er ueber diese Menschenmassen hin, welche ihn mit einem
Enthusiasmus, den er in solchem Masse lange nicht mehr gewohnt war, mit
unausgesetzten Hurrahrufen begruessten.

Napoleon dankte wiederholt mit der Hand winkend und wendete sich
zuweilen mit heiterer Miene zu dem General, um demselben einige Worte zu
sagen.

Als der Wagen dem alten Hotel Talleyrands gegenueber in die Rue Rivoli
bog, stimmte eine dort stehende Gruppe junger Leute, die Huete dem Kaiser
entgegen schwenkend mit lauter Stimme die Marseillaise an.

Napoleon wandte schnell den Kopf nach der Seite hin, woher diese so
lange in Frankreich verpoenten Toene erklangen,--er haette auf alle Gruesse
bisher nur mit freundlichen Handbewegungen gedankt. Jetzt nahm er den
Hut ab und hielt denselben, den Kopf nach jener Gruppe hinneigend, so
lange in der Hand, bis der Wagen sich der Eingangsthuer des innern Hofes
der Tuilerien naeherte.

Ein betaeubender Jubelruf, welcher sich bis auf den Carousselplatz
fortsetzte, dankte dem Kaiser fuer diese dem wieder erwachten
Nationalhymnus dargebrachte Huldigung, und immer heiterer und stolzer
wurde das Gesicht des Kaisers, der nun im schnellen Trabe durch den
innern Hof am grossen Portal des Pavillon de l'Horloge vorfuhr; indem er
sich nur ganz leicht auf den Arm des General Fave stuetzte, stieg er mit
elastischen Schritten die Treppe hinauf und trat in sein Cabinet.

"Sind die Minister hier," fragte er den Huissier, der ihm die Thuer
oeffnete.

"Zu Befehl, Sire."

"Ich lasse Sie bitten sogleich einzutreten." Wenige Augenblicke darauf
traten der Herzog von Gramont, Herr Emil Ollivier und der Marschall Le
Boeuf in das Cabinet des Kaisers.

Trotz seiner vornehmen, ruhigen Sicherheit zeigte der Herzog von Gramont
eine gewisse Praeoccupation, ein wenig unruhig und leicht befangen
blickte er auf den Kaiser, der stolz aufgerichtet, die Hand auf die
Lehne seines Sessels gestuetzt, neben dem runden Tisch in der Mitte des
Cabinets stand und mit freundlichem Kopfneigen die drei Minister
begruesste.

Herr Ollivier befand sich in zitternder, nervoeser Erregung. Sein Gesicht
war bleicher als sonst, seine Lippen zuckten und sein unsicheres Auge
blickte fast fieberhaft brennend unter der schmalen Brille hervor.

Die schwere markige Gestalt des Marschall Le Boeuf stand fest und ruhig
da wie immer, sein martialisches Gesicht mit den etwas starr blickenden
Augen und dem maechtigen Schnurrbart zeigte keinen anderen Ausdruck als
den einer ruhigen, sorglosen Sicherheit.

Auf einen Wink des Kaisers nahmen die drei Herren um den Tisch Platz, an
dessen Mitte Napoleon sich niederliess.

"Die Lage ist ernst, meine Herren," sagte der Kaiser mit fester voll
klingender Stimme und ohne jenen Ausdruck unschluessigen Zoegerns, der
sonst auf seinem Gesicht zu liegen pflegte. "Preussen hat die
Verhandlungen, welche ich in dem versoehnlichsten Sinne begonnen,
abgebrochen, und wir werden demgemaess unsere Entschluesse zu fassen haben.
Sie haben mir mitgetheilt, Herr Herzog, dass der Koenig von Preussen in
beleidigender Weise Benedetti zu empfangen, verweigert habe."

Der Herzog hustete leicht.

"Die Beleidigung, welche Preussen gegen uns begangen, Sire," sagte er,
"liegt nicht so sehr in der Weigerung des Koenigs mit Benedetti ueber
diesen Gegenstand nicht mehr sprechen zu wollen, da er ihm bereits seine
Meinung bestimmt und endgueltig mitgetheilt hatte, als in der Thatsache,
dass die Weigerung von Berlin aus den uebrigen europaeischen Maechten
mitgetheilt wurde."

Ein spruehendes Feuer blitzte in den gross geoeffneten Augen des Kaisers
auf.

"Das hat man gethan?" rief er.

"Ich habe heute morgen von allen Seiten," erwiderte der Herzog von
Gramont, "die Mittheilung darueber durch unsere Vertreter erhalten,
ueberall ist das Factum durch die preussischen Diplomaten mitgetheilt
worden, und hierin, Sire, erblicke ich das letzte Glied in jener Kette
von Nichtachtung, Provokationen und Beleidigungen gegen uns, welche
Preussen seit langer Zeit an einander gefuegt hat. Mein franzoesisches
Gefuehl, Sire, empoert sich, das Mass der Geduld und Langmuth ist voll. War
es schon sachlich, nachdem der Koenig von Preussen die verlangte
Genugthuung und Garantie fuer die Zukunft verweigert, sehr schwer, eine
friedliche Loesung fuer die vorliegende Differenz zu finden, so ist dies
nach meiner Ueberzeugung, welche von meinen Collegen getheilt wird,
nunmehr ganz unmoeglich. Die oeffentliche Meinung ist in einer Weise
aufgeregt, dass wenn nicht die energischste und festeste Antwort auf
diese preussische Beleidigung erfolgt, der ganze Zorn des empoerten
Nationalgefuehls sich gegen die Regierung wenden wird. Nach meiner
Ueberzeugung kann diese Antwort nur eine einzige sein. Der Wuerfel ist
gefallen, Sire! Wir muessen den Krieg erklaeren!"

Der Kaiser blickte auf Ollivier und den Marschall Leboeuf.

Auf ihren Zuegen lag deutlich die Zustimmung zu den Worten des Collegen.

Napoleon erhob das Haupt und sagte ruhig und fest:

"Ihre Ansicht, Herzog, ist die meinige. Ich habe soeben selbst die
maechtige Erregung der Bevoelkerung wahrgenommen, und eine Regierung, die
wie die meinige auf dem Willen des Volkes beruht, muss einer so
gewaltigen und einmuethigen Stroemung des Nationalgefuehls folgen. Ich
konnte in den diplomatischen Fragen der Erhaltung des Friedens
Zugestaendnisse machen, und ich habe dies gethan seit einer Reihe von
Jahren, ich habe die Ansprueche, welche Frankreich machen konnte und
vielleicht noch entschiedener haette machen sollen, um das gestoerte
Gleichgewicht in Europa wieder herzustellen, vertagt, bis dieselben
vielleicht durch guenstige diplomatische Constellationen ohne
kriegerische Conflicte haetten durchgefuehrt werden koennen. Ich habe
Vorschlaege auf Vorschlaege nach Berlin gehen lassen, um durch Erlangung
von Compensationen die Freundschaft mit Preussen zu erhalten und
vielleicht auch zu einer Allianz mit demselben zu kommen. Man hat das
Alles zurueckgewiesen und ich habe geschwiegen,--immer wartend, immer
noch hoffend, endlich doch ein Arrangement zu erreichen. Jetzt aber
handelt es sich nicht mehr um das europaeische Gleichgewicht, es handelt
sich nicht mehr um diese oder jene politischen Arrangements,--Frankreich
ist beleidigt! Die Ehre Frankreichs ist engagirt!--Es giebt fuer mich nur
einen Weg, und diesen Weg bin ich um so fester und um so ruhiger zu
gehen entschlossen, als die hohe nationale Begeisterung mir die
Buergschaft giebt, dass selbst im Falle ungluecklicher Zwischenfaelle das
ganze Volk um so einmuethiger und fester hinter mir stehen wird."

Der Herzog von Gramont athmete auf, seine anfaengliche Befangenheit
schwand bei den Worten des Kaisers, stolze Freude lag auf seinem
Gesicht.

"Ich glaube an den Sieg, Sire," rief Ollivier mit einer gewissen,
ungeduldigen Hast das Wort ergreifend, als der Kaiser schwieg. "Denn wir
sind stark und geruestet nach allen Seiten. Aber sollte auch ein
augenblicklicher Misserfolg uns treffen, so wird dies die nationale
Begeisterung noch mehr und mehr entflammen, und das Kaiserreich wird
sich in diesem heiligen Feuer immer fester und unaufloeslicher mit dem
Blut und Leben der Nation verbinden. Eure Majestaet wissen, wie ich den
Frieden gewuenscht habe, wie die Erhaltung des Friedens meine Bedingung
bei Uebernahme des Portefeuilles war, wenn ich jetzt sage: Der Krieg ist
nothwendig, sofortige Kriegserklaerung ist eine nationale Pflicht fuer
Eure Majestaet, dann werden Sie ueberzeugt sein, dass kaum Jemand in
Frankreich in diesem Augenblick den Frieden wuenschen kann, wenn er nicht
zu gleicher Zeit der Feind Eurer Majestaet und des Kaiserreichs ist, wenn
er nicht wuenscht, dass das Kaiserreich sich von dem nationalen Aufschwung
trennen und damit den ersten Schritt zu seinem Untergang thun soll."

"Herr Thiers wuenscht den Frieden," sagte der Kaiser leicht laechelnd, "er
hat sich im Corps legislatif und auch sonst so oeffentlich als moeglich
dafuer ausgesprochen."

"Die oeffentliche Meinung, Sire," erwiderte Herr Ollivier, "hat ihm
sogleich darauf die Antwort gegeben, man hat vor seinem Hotel sehr
lebhafte Demonstrationen gemacht und ihm zugerufen. "Nieder mit dem
kleinen Preussen!"

"Herr Thiers sollte nicht vergessen," sagte der Kaiser, "dass sein Koenig
Louis Philippe gefallen ist, weil er einen Krieg nicht fuehren wollte,
den das Nationalgefuehl verlangte, und weil er die Demuethigung
Frankreichs weiter trieb, als der franzoesische Stolz es ertragen kann.
Vielleicht moechte Herr Thiers wuenschen dass ich denselben Fehler begehe,
um demselben Schicksal zu verfallen,--sein Wunsch soll nicht erfuellt
werden. Wollen Sie, mein lieber Herzog, mit Herrn Ollivier die
Kriegserklaerung entwerfen? Ich werde morgen wieder hereinkommen, da ich
Sie in dieser viel bewegten Zeit, nicht durch eine Fahrt nach St. Cloud
ihren Geschaeften entziehen darf, um dann im gesammten Ministerrath die
Erklaerung fest zu stellen. Bereiten Sie die Paesse fuer den Baron Werther
vor."

"Der Baron, Sire," erwiderte der Herzog von Gramont, "ist heute bereits
bei mir gewesen, um mir anzuzeigen, dass er sich auf Urlaub begebe. Es
sind," fuhr er fort, "vor seinem Hotel einige unangenehme
Demonstrationen vorgekommen."

"Man soll dort sogleich starke Polizeimacht,--wenn es noethig ist,
Truppen aufstellen," rief der Kaiser, "und den Botschafter gegen jede
feindliche Kundgebung auf das Entschiedenste schuetzen. Die nationale
Entruestung darf die Grenzen der voelkerrechtlichen Pflichten und des
Anstandes, den die civilisirten Nationen unter allen Umstaenden einander
schuldig sind, nicht ueberschreiten. Nun aber, meine Herren," sagte er
dann, "nachdem der entscheidende Entschluss gefasst ist, haben wir nicht
mehr rueckwaerts, sondern vorwaerts zu blicken. Wir muessen uns klar machen,
auf welche Weise wir alle Chancen des Erfolges auf unserer Seite
vereinigen. Wie stehen unsere Beziehungen zu den Maechten? Haben wir
Aussichten auf Allianzen und directe Unterstuetzungen?" fragte er, zum
Herzog von Gramont gewendet,--"unsere ganze Diplomatie muss die hoechste
Anstrengung entwickeln, um der militairischen Action zur Seite zu
stehen."

"Alle Maechte, Sire," erwiderte der Herzog von Gramont, "haben die
Gerechtigkeit unserer Forderung auf Beseitigung der Hohenzollernschen
Candidatur anerkannt, und es liegt in der Natur der Sache, dass
Oesterreich, Schweden und Daenemark schon zu Anfang eine uns freundliche
Neutralitaet beobachten werden. Auch rechne ich auf die Preussen so
aeusserst feindliche Stimmung in Sueddeutschland, so wie auf die
unterwuehlten Zustaende in den annectirten Provinzen."

"Alles das ist gut," sagte der Kaiser mit einer leichten Nueance von
Ungeduld im Ton, "aber wir haben keine bestimmten Thatsachen, keine
bestimmten Erklaerungen."

"Ich kann die vielfachen Versicherungen des Herrn von Beust ueber die
Identitaet der Interessen Frankreichs und Oesterreichs," erwiderte der
Herzog, "nur als die Grundlage der bestimmten Erwartung ansehen, dass
Oesterreich mindestens bei den ersten guenstigen Erfolgen unserer Waffen
activ auf unsere Seite treten werde. Noch gestern habe ich eine Depesche
des Herrn von Beust erhalten, in welcher jene Versicherungen wiederholt
werden und zugleich ausgesprochen ist, dass Oesterreich fuer den Erfolg
unserer Waffen Alles in den Grenzen der Moeglichkeit Liegende thun
werde,--ich habe Eurer Majestaet diese Depeschen sofort zugehen lassen--"

"Ich habe sie gelesen," sagte Napoleon die Achseln zuckend, "die Grenzen
der oesterreichischen Moeglichkeiten sind sehr weit gezogen,--Fuerst
Metternich hat mich beschworen, den Conflict zu vermeiden."

"Sire," erwiderte der Herzog von Gramont, "ich gebe auf die officiellen
Schritte Oesterreichs wenig, sie werden gethan, um nach allen Seiten hin
sich zu decken und die neutrale Haltung constatiren zu koennen. Ich lege
das Hauptgewicht auf meine Kenntnisse der dortigen Verhaeltnisse und auf
den natuerlichen und nothwendigen Wunsch, von dem sowohl der Kaiser als
Herr von Beust beseelt sein muessen, jede Gelegenheit zu benutzen, um die
Niederlage von 1866 wieder gut zu machen."

"Ich rechne nicht auf Oesterreich," sagte der Kaiser, "seit Jahren habe
ich dort nichts gefunden, als ohnmaechtige Wuensche und schwankendes
Zoegern, das sich nach keiner Seite compromittiren moechte. Etwas Anderes
ist es mit den Sympathien, die wir in Deutschland selbst finden koennten.
Baiern und Wuertemberg sind durch Frankreich auf ihre heutige Stellung
erhoben, sie werden sich hoffentlich daran erinnern, und in Baiern hat
ja die ultramontane Partei eifrig in diesem Sinne gearbeitet. Auf die
annectirten Provinzen rechne ich weniger,--hoechstens bei einem Rueckzug
der preussischen Armee koennte uns dort ein Aufstand unterstuetzen."

"Ich muss Eurer Majestaet mittheilen," sagte der Herzog von Gramont, "dass
sich ein Graf Breda auf dem auswaertigen Ministerium gemeldet hat,
welcher Propositionen zu einem Buendniss mit dem Koenig von Hannover zu
machen beauftragt sein will."

"Graf Breda?" fragte der Kaiser, "derselbe, der frueher bei unserer
Gesandtschaft in Stockholm war und dort--"

"Derselbe, Sire," erwiderte der Herzog von Gramont, "er scheint jetzt
im Dienste der Depossedirten seine unterbrochene diplomatische Carriere
fortsetzen zu wollen."

Der Kaiser zuckte die Achseln.

"Was proponirt er," fragte er.

"Ein hannoeversches Corps von zwanzigtausend Mann, wogegen im Fall des
Sieges die frueheren Besitzungen des Welfenhauses zu einem
Niedersaechsischen Koenigreich wieder vereinigt werden sollen."

Napoleon laechelte mitleidig.

"Ein Corps von zwanzigtausend Mann," sagte er,--"nachdem der Koenig seine
Legion, die ihm vielleicht die Moeglichkeit haette geben koennen, in die
Entwickelung der Action einzugreifen, nach allen vier Winden zerstreut
hat. Der arme Koenig," fuhr er fort, "welch ein trauriges Schicksal,--in
welche Haende ist dieser arme Fuerst gefallen,--ich bitte Sie, mein lieber
Herzog, diesen Grafen Breda nicht zu empfangen. Der beste Dienst, den
ich dem ungluecklichen Koenig von Hannover leisten kann, ist der, dass ich
solche Propositionen von Personen, die sich fuer seine Agenten ausgeben,
vollstaendig ignorire. Wollen die Hannoveraner sich zu seinen Gunsten
erheben, so moegen sie es thun, ich kann mich mit dieser Sache nicht
weiter befassen und ohne jeden Nutzen und Beistand den Kampf mit Preussen
nicht auf das Aeusserste verbittern,--uebrigens bin ich ueberzeugt, dass der
arme Koenig von solchen abenteuerlichen Propositionen selbst garnichts
weiss und dass er mir dankbar sein wird, wenn ich dieselben der
Vergessenheit uebergebe.

"Ich habe ein Programm an die deutschen Voelker entworfen," sagte er nach
einer kurzen Pause, "in welchem ich ihnen sage, dass ich nicht die
Grenzen ueberschreite, um Deutschland den Krieg zu erklaeren, dass ich im
Gegentheil Deutschland befreien will von einer uebermaechtigen und
uebermuethigen Gewalt, welche die freie Autonomie und Selbstbestimmung der
deutschen Staemme vernichtet, und dass ich vor allen Dingen keine
Eroberung auf deutschem Boden machen will--"

"Eine solche Proclamation, Sire," fiel Herr Ollivier lebhaft ein, "ist
vortrefflich und wird unendlich dazu beitragen, dass Preussen in
Deutschland selbst jede moralische Unterstuetzung verliert. Wenn ich in
demselben Sinne eine Rede im Corps legislatif hielte--"

"Das franzoesische Nationalgefuehl, Sire," sagte der Marschall Leboeuf,
indem er seinen grossen starken Schnurrbart an beiden Enden heraufdrehte,
"wird einen solchen platonischen Krieg nicht verstehen. Der
oeffentlichen Meinung in Frankreich im Allgemeinen," fuhr er fort, "ist
es sehr gleichgueltig, wie Deutschland sich constituirt, ob es unter
preussischer Suprematie steht oder nicht, wenn nur Frankreich den Rhein
besitzt, so mag dann auf der andern Seite desselben geschehen, was da
will."

Der Kaiser blickte fragend auf den Herzog von Gramont.

"Was der Herr Marschall so eben bemerkt, Sire," sagte dieser, "scheint
mir nicht unbegruendet, auf der andern Seite aber erkenne ich die Wirkung
einer Proclamation, wie Eure Majestaet die Gnade hatten, sie anzudeuten
im hohen Grade an, sowohl in Betreff ihrer Wirkung auf die sueddeutsche
Bevoelkerung, als auch auf die uebrigen europaeischen Cabinette. Denn durch
eine solche Proclamation wuerde der Vorwurf eines Eroberungskrieges von
Frankreich zurueckgewiesen werden. Es kaeme nur darauf an, durch eine
geschickte Fassung der Worte beiden Gesichtspunkten gerecht zu werden,
und die Proclamation so zu redigiren, dass sie sowohl in Frankreich, als
auch in Deutschland eine guenstige Wirkung erzielt."

"Eine solche Redaction wird sich finden lassen," rief Herr Ollivier,
"wenn Eure Majestaet--"

"So ganz platonisch," sagte der Kaiser laechelnd, "wuerde uebrigens der
Krieg nicht sein. Zunaechst wird Jedermann erkennen, dass wenn wir siegen
und wenn dadurch die Constituirung eines politisch und militairisch
geeinigten Deutschlands unter preussischer Fuehrung definitiv verhindert
wird, die Erwerbung von Compensationen auf deutschem oder anderem Gebiet
weit weniger nothwendig wird, als sie es waere, wenn wir uns mit dem
preussischen Deutschland in Guete verstaendigen wollten,--sodann aber wird
wohl Niemand in ganz Europa dem siegreichen Frankreich das Recht
streitig machen wollen, diejenigen Grenzen zurueckzufordern, welche man
ihm im Jahre 1814 zugestand, als es von der europaeischen Coalition
besiegt darniederlag, und Niemand wird in der Wiederherstellung dieser
damals von ganz Europa sanctionirten Grenzen eine Eroberung erblicken
koennen."

Der Geheimsecretair Pietri trat durch den besondern, fuer ihn bestimmten
Eingang in das Cabinet.

"Sire," sagte er, "es sind zwei Depeschen vom auswaertigen Amt so eben
gebracht worden, um dieselben dem Herrn Herzog von Gramont zu
uebergeben--"

"Ich habe die Anweisung hinterlassen, Sire," fiel der Herzog ein, "alle
ankommenden Depeschen sofort hierherzubringen, da sie fuer die von Eurer
Majestaet zu fassenden Entschluesse von Einfluss sein koennten."

Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf und auf seinen Wink reichte Pietri
die beiden Depeschen, welche er in der Hand hielt, dem Herzog von
Gramont, der sie schnell eroeffnete und ihren Inhalt ueberflog.

Er erbleichte und eine unruhige, zornige Erregung trat an die Stelle der
heitern, sorglosen Zuversicht, welche bisher auf seinen Zuegen gelegen
hatte.

"Nun," fragte der Kaiser, forschend in das so schnell veraenderte Gesicht
des Herzogs blickend.

"Sire," sagte der Herzog von Gramont, indem die Depeschen in seinen
Haenden leise zitterten, "eine ebenso unerwartete als unangenehme
Nachricht! Aus Muenchen und Stuttgart wird gemeldet, dass man dort an dem
Buendniss mit Preussen festhaelt, die Armee mobil gemacht und unter den
Befehl des Koenigs von Preussen gestellt hat,--unsere Gesandten sehen
jeden Augenblick der Zustellung ihrer Paesse entgegen."

Ollivier blickte ganz erstaunt und unruhig umher.

Der Marschall Leboeuf strich laechelnd ueber seinen dichten, maechtig
hervorspringenden Kinnbart,--der Kaiser blickte einen Augenblick in
duesterm Schweigen vor sich nieder, dann hob er mit klarem, stolzem Blick
das Haupt wieder empor und sagte.

"So weit wie die Dinge jetzt gekommen sind, darf uns keine
fehlgeschlagene Erwartung erschuettern. Das Schicksal will den
Entscheidungskampf, und wir muessen mit festem und ungebeugtem Muth in
denselben eintreten. Die Geschichte unseres Landes lehrt uns, dass die
eigene Kraft Frankreichs die beste und kraeftigste Buergschaft fuer unseren
Erfolg ist. Wir haben," fuegte er mit erhobener Stimme hinzu, "oefter
durch unsere Siege Bundesgenossen gefunden, als durch unsere
Bundesgenossen Siege erfochten. Der Gegenstand, ueber den wir soeben
sprachen, ist durch diese Mittheilung erledigt," fuhr er fort, indem er
einen vor ihm liegenden, ganz mit seiner kleinen zierlichen Handschrift
beschriebenen Bogen zusammenfaltete. "Da ganz Deutschland es fuer gut
findet, sich unter die Fuehrung und Botmaessigkeit Preussens zu stellen, so
haben wir nicht noethig, uns fuer die Ausnutzung unseres Sieges Schranken
aufzulegen. Die Proclamation, von der wir sprachen, ist ueberfluessig
geworden. Frankreich wird sich die volle Freiheit erhalten, Alles das zu
nehmen und zu behalten, was seine Interessen ihm nothwendig und
wuenschenswerth machen. Finden wir aber keine Alliirte in Deutschland
selbst," sagte er dann, "so muessen wir uns um so mehr Diejenigen zu
sichern suchen, welche ausserhalb Deutschlands durch ihre eigenen
Interessen auf uns angewiesen sind. Daenemark hat seine Neutralitaet
erklaert,--das mag gut sein fuer den Beginn des Krieges; aber ich lege
einen grossen Werth darauf, dass nach den ersten Erfolgen dort eine fuer
uns freundschaftliche Action eintrete, welche preussische Kraefte
absorbirt und uns die Moeglichkeit einer Landung erleichtert. Ich will
den Herzog von Cadorn in ausserordentlicher Mission nach Kopenhagen
schicken, damit er den dortigen Hof veranlasse, bei der ersten sich
darbietenden Gelegenheit, aus seiner Neutralitaet herauszutreten,--ich
hoffe, das wird nicht schwer sein, und das Vorgehen Daenemarks wird
dasjenige Schwedens auf der Stelle nach sich ziehen,--wuerde damit auch
nichts weiter erreicht, als dass Russlands Kraefte nach dem Norden gezogen
und von einer Pression auf Oesterreich abgezogen werden, so wird das
schon von grosser Bedeutung sein. Wollen Sie, mein lieber Herzog die
Instructionen und Creditive fuer Cadorn so schnell als moeglich bereit
stellen lassen."

"Zu Befehl, Sire," sagte der Herzog sich verneigend, "ich bewundre den
Gedanken Eurer Majestaet und die vortreffliche Wahl der Person--"

"Zugleich aber," fuhr der Kaiser fort, "ist es nothwendig, eine
energische, diplomatische Action in Wien eintreten zu lassen, um auch
dort den ersten guenstigen Augenblick zu benutzen und Alles aufzubieten,
einen schnellen Entschluss hervorzurufen. Der Fuerst Latour d'Auvergne muss
sogleich seine Thaetigkeit beginnen, und ich bitte Sie, auch in dieser
Beziehung das Noethige zu veranlassen, mein lieber Herzog. Man muss auf
der Basis derjenigen Unterhandlungen wieder beginnen, welche der General
Tuerr eingeleitet hatte und deren Ziel die im Princip bereits approbirte
Vertragsskizze sein wird, nach welcher gegen Abtretung von Welsch-Tyrol
Italien im Fall einer russischen Intercession sich zur activen
Unterstuetzung Oesterreichs und zum Anmarsch gegen die Sueddeutschen
Grenzen verpflichtet. Herr von Beust hat dem Abschluss dieses Vertrages
einst Schwierigkeiten entgegen gestellt, der erste Erfolg unserer Waffen
muss benutzt werden, um unter dem dadurch hervorgebrachten Eindruck den
unmittelbaren Abschluss jenes Vertrages kategorisch zu fordern."

Der Herzog von Gramont hatte sich mit einem Crayon einige Notizen auf
einem vor ihm liegenden Blatt Papier gemacht und verneigte sich zum
Zeichen seines Einverstaendnisses mit den Anordnungen des Kaisers.

"Nun, mein Herr Marschall," sagte Napoleon, sich zum Kriegsminister
wendend,--"Sie sehen, dass die Vorbereitungen der Diplomatie getroffen
sind, wie steht es mit den Ihrigen?"

"Alles ist bereit, Sire," erwiderte der Marschall Leboeuf mit seiner
starken rauhen Stimme, "es fehlt nicht ein Knopf an der Ausruestung der
Armee, nicht eine Bajonettspitze an ihrer Bewaffnung. Unsere Magazine
sind gefuellt, in Toulon liegen sieben Transportschiffe bereit, um die
Armee von Algier herueberzuschaffen. Alle Vorbereitungen sind getroffen,
um die Truppen von Chalons in sechszehn Stunden an die Grenze zu
bringen. Heute sind zwoelftausend Eisenbahnwagen mit Mehl und Zwieback
nach den Ostgrenzen abgegangen, und in wenigen Tagen wird Eurer Majestaet
Armee bereit sein, in Deutschland einzuruecken."

Der Kaiser nickte bei den Mittheilungen des Marschalls mit dem Kopfe.

"Und der Generalstab," fragte er dann.

"Der Generalstab, Sire, wie Eurer Majestaet Hauptquartier," erwiderte
der Marschall, "fuer welches Sie mich zu Ihrem Major-General zu bestimmen
die Gnade gehabt haben, ist formirt aus den besten Officieren, die ich
habe finden koennen, und in kuerzester Frist werden auch die Generalstaebe
der einzelnen Corps mit tuechtigen Kraeften besetzt sein."

"Und hat man genuegend Karten von Deutschland," fragte der Kaiser, "nicht
nur fuer den Generalstab, sondern auch fuer die uebrigen Officiere?"

"Sire," erwiderte der Marschall, sich martialisch aufrichtend, "jeder
Officier Ihrer Armee hat eine Karte, welche ihm den sichersten und
geradesten Weg nach Berlin zeigen wird, und ich habe die Meinige bei
mir."

Er schlug schallend an seinen Degen, indem er zugleich mit der andern
Hand die Spitzen seines Schnurrbarts emporkraeuselte.

Der Kaiser sah ihn einen Augenblick ganz betroffen an, waehrend Herr
Ollivier sich ebenfalls mit kriegerisch stolzer Miene aufrichtete, und
der Herzog von Gramont noch einige Notizen niederschrieb.

"Die Vortrefflichkeit Ihrer Karten," sagte Napoleon laechelnd, "hat sich
in den verschiedenen Feldzuegen Frankreichs mehrfach bewaehrt, indessen
waere es doch gut, wenn die Officiere daneben auch noch andere Karten
zur Verfuegung haetten und nicht bloss auf die magnetische Anziehungskraft
angewiesen blieben, welche die feindliche Hauptstadt auf die Spitze
ihres Degens ausuebt, ich hoffe dass Sie dafuer Sorge tragen werden," fuegte
er mit festem und bestimmtem Ton hinzu.

Der Marschall verneigte sich, jedoch zeigte seine Miene dabei deutlich,
dass er auf die Huelfsmittel der geographischen Wissenschaft von seinem
soldatischen Gesichtspunkt aus einen nicht eben allzugrossen Werth zu
legen geneigt sei.

"Ich erwarte Sie morgen in St. Cloud, Herr Marschall," fuhr Napoleon
fort, "um mir die Bestimmungen ueber die einzelnen Corps der Armee zur
definitiven Entscheidung vorzulegen,--eine Anweisung darueber habe ich
Ihnen schon zugehen lassen. Und nun bleibt Ihnen noch ueberlassen, mein
lieber Herr Ollivier," fuhr er dann fort, "das grosse Agens aller Kriege
herbeizuschaffen, naemlich das Geld. Wir beduerfen nach den angestellten
Berechnungen einen Credit von dreissig Millionen fuer die Armee und einen
weitern Credit von sechzig Millionen fuer die Marine. Die Vorlage muss so
schnell als moeglich im Corps legislatif gemacht werden."

"Und sie wird mit jubelnder Acclamation aufgenommen werden, Sire," rief
Herr Ollivier, "und wenn Eure Majestaet das Doppelte und Dreifache
fordern wuerden,--in diesem Augenblick wuerde Frankreich Ihnen nichts
verweigern."

"Also, meine Herren," sagte Napoleon aufstehend, "ich erwarte die
Vorlage der Kriegserklaerung, sowie die schnelle und puenktliche
Ausfuehrung aller eben besprochenen Massregeln.

"So treten wir denn nun," fuegte er ernst hinzu, "der grossen Entscheidung
entgegen, welche so lange wie ein schwueles Wetter ueber unsern Haeuptern
geschwebt hat, und es bleibt uns nur noch die Bitte uebrig: Gott schuetze
Frankreich!"

Er sprach diese Worte tief aus der Brust heraus, waehrend er die Augen
wie fragend emporschlug.

"Gott schuetze Frankreich!" wiederholten die drei Minister--

Vom Carousselplatz herauf ertoente in diesem Augenblick die Melodie der
Marseillaise, welche ein vorueberziehendes Musikkorps intonirte, und in
welche die versammelte Menge sogleich laut und kraeftig einfiel.

Der Marschall Leboeuf blickte ganz erstaunt auf, Herr Ollivier hob die
Hand empor und rief mit pathetischem Ton:

"Der Geist Frankreichs, Sire, spricht aus diesen Toenen zu Euer
Majestaet, der Geist der Freiheit und der Civilisation, vor welchem diese
preussischen Armeen schnell werden zersprengt werden."

Der Kaiser lauschte einen Augenblick schweigend den immer maechtiger
anschwellenden Klaengen.

"Moechten sie," sprach er leise, "die Daemonen der Revolution hinausfuehren
auf die Schlachtfelder des nationalen Ruhms, damit ihre gewaltige Kraft
sich zu immer festerer Erstarkung des Kaiserthums entwickele."

Er schwieg noch einige Augenblicke--sein brennender Blick schien den
Schleier der Zukunft durchdringen zu wollen.

Dann sprach er mit liebenswuerdiger Artigkeit.

"Nun, meine Herren Minister, schicke ich Sie fort--Jeder von uns muss an
seine Arbeit, und die naechste Zeit wird uns deren viele bringen."

Er reichte den Herren die Hand.

Dieselben verliessen ernst und schweigend das Cabinet.

Unmittelbar darauf meldete der Kammerdiener Herrn Rouher, den frueheren
Staatsminister und gegenwaertigen Senatspraesidenten.

Auf den zustimmenden Wink Napoleons trat dieser langjaehrige Leiter der
kaiserlichen Regierung langsam und in fast feierlicher Haltung ein.

Der Kaiser ging ihm heiter laechelnd entgegen und reichte ihm die Hand,
welche Herr Rouher ehrerbietig ergriff und einen Augenblick in der
Seinen hielt, waehrend er mit einem traurigen Ausdruck den Kaiser ansah.

"Nun, mein lieber Rouher," sagte Napoleon, "wir stehen an der grossen
Entscheidung, und ich hoffe, dass es nunmehr gelingen wird, die Kroenung
des Gebaeudes zu vollenden, dessen Grundmauern Sie mit so viel Eifer und
Beharrlichkeit aufgefuehrt haben."

Das volle Gesicht des Herrn Rouher mit dem feinen beredten Munde und den
klaren, scharf blickenden Augen zeigte eine Bewegung, welche diesem
scharf berechnenden Meister der Dialektik und der parlamentarischen
Debatte sonst nicht eigentuemlich war.

"Sire," sagte er, "Eure Majestaet wissen, mit welcher Muehe ich Jahre lang
daran gearbeitet habe, die Kroenung des kaiserlichen Gebaeudes auf andere
Weise und ohne eine kriegerische Catastrophe abzuschliessen. Eure
Majestaet haben die Fuehrung Ihrer Regierung andern Haenden anzuvertrauen
fuer gut befunden, und mir bleibt nur zu hoffen uebrig, dass der Erfolg den
Erwartungen Eurer Majestaet und den heissen Wuenschen entsprechen moege,
welche ich fuer denselben im Herzen trage."

Der Kaiser blickte seinen langjaehrigen Rathgeber einen Augenblick
nachdenklich an.

"Sie sind nicht einverstanden, mein lieber Rouher," sagte er dann mit
einer gewissen unsichern Befangenheit in der Stimme, "mit dem Gange der
Ereignisse und doch muessen Sie zugeben, dass es jetzt unmoeglich ist, die
Dinge auf einen andern Weg zu lenken."

"Majestaet," erwiderte Herr Rouher, "ich wuerde niemals das Verfahren
desjenigen billigen koennen, der durch sichere und ruhige Unternehmungen
ein grosses Vermoegen zu gruenden und zu erhalten im Stande ist und der,
statt diese Unternehmungen mit Consequenz zu verfolgen, sich auf ein
Hazardspiel einlaesst, das ihn in einem Augenblick zum Millionair
machen,--aber verzeihen Eure Majestaet--auch den Verlust vieler
erworbenen Gueter herbei fuehren kann. Ebenso--"

"Ebenso," fiel der Kaiser ein, "finden Sie, dass der Krieg in der Politik
ein Hazardspiel sei, das man nicht unternehmen muesse und das vieles
bereits Erreichte in Frage stellen koenne. Aber mein Gott," fuhr er
lebhafter fort, "wenn die ganze Nation den Krieg will,--ich bin der
Erwaehlte der Nation,--ich muss dem Nationalwillen mehr Rechnung tragen,
als irgend ein andrer Regent, Sie muessen zugeben, dass ganz Frankreich
zum Kriege draengt, dass Ollivier, dieser Mann des Friedens, und die ganze
hinter ihm stehende liberale Partei von der Notwendigkeit des Krieges
durchdrungen sind und denselben mit Enthusiasmus aufnehmen."

Herr Rouher schuettelte langsam den Kopf.

"Ollivier, Sire," sagte er dann achselzuckend, "wird Alles wollen, was
ihm Gelegenheit giebt, eine jener pathetischen Reden zu halten, in denen
er sich so sehr gefaellt. Wenn Ollivier Eurer Majestaet uebrigens," fuhr er
fort, "von der liberalen Partei spricht, welche hinter ihm steht, so
moechte ich mir eine abweichende Ansicht auszusprechen erlauben--hinter
Ollivier steht Niemand. Eure Majestaet haben mit ihm nicht seine frueheren
Gesinnungsgenossen gewonnen, Eure Majestaet haben ihn isolirt und nur
einen einzelnen Mann auf Ihre Seite gebracht. Den Werth dieses Gewinns,"
sagte er mit einem leisen Anklang von Ironie, "wird die Zukunft zeigen.
Eure Majestaet haben ferner," sprach er dann weiter, "von der
oeffentlichen Meinung Frankreichs gesprochen, welche den Krieg verlangt,
Eure Majestaet haben Recht, die oeffentliche Meinung verlangt den Krieg.
Aber hat man sie denn nicht dahin gebracht, ihn zu verlangen?--und
dann, Sire, die oeffentliche Meinung ist ein wunderbares Ding. Sollte
dieser Krieg, was Gott verhueten wolle, ungluecklich fuer Frankreich
ausfallen, so wird jeder Einzelne aus dieser Menge, deren zusammen
toenender Ruf jetzt die oeffentliche Meinung bildet, seine Urheberschaft
an dem Krieg verleugnen, auf Eure Majestaet und Ihre Regierung allein
wird man die Schuld desselben werfen."

"Aber halten Sie es denn fuer moeglich," fragte der Kaiser, "jetzt noch
den Krieg zu vermeiden?"

"Nein, Majestaet," erwiderte Herr Rouher, "jetzt nicht mehr. Vor wenigen
Tagen vielleicht waere das noch moeglich gewesen. Man konnte die
Zuruecknahme der Hohenzollernschen Candidatur als einen grossen Triumph
der franzoesischen Intercession darstellen, und wenn dies von allen
Organen der Regierung und der ihr zu Gebote stehenden Presse geschehen
waere, so wuerde ganz Frankreich in diesem Augenblick ebenso befriedigt
sein und ebenso stolz auf das wieder hergestellte Prestige des
Kaiserreichs blicken, als es nun nach der Entscheidung durch die Waffen
ruft. Wenn diese unglueckliche Frage der Garantie fuer die Zukunft, welche
ja doch practisch kaum eine Bedeutung gehabt haette, nicht gestellt waere,
wenn man der Kammer und der ganzen franzoesischen Nation die
Zurueckweisung einer fernern Discussion von Seiten des Koenigs von Preussen
nicht als eine Beleidigung des Vertreters Frankreichs dargestellt haette,
dann, Sire, waere es noch moeglich gewesen, dieses gefahrvolle Spiel mit
den eisernen Wuerfeln des Krieges zu vermeiden--jetzt, Sire, ist es nicht
mehr moeglich! Unter den Umstaenden, welche jetzt geschaffen sind, koennen
wir nur noch von Gott und unserm Muthe den Triumph des franzoesischen
Degens erwarten. Und meine Aufgabe wird es sein, Sire, mit allen
Mitteln, die mir zu Gebote stehen, durch den Einfluss der Koerperschaft,
an deren Spitze Eure Majestaet mich gestellt haben, ganz Frankreich mit
dem Muthe und der Begeisterung zu erfuellen, deren wir in dieser
Katastrophe beduerfen. Ich bitte Eure Majestaet um die Erlaubniss, morgen
mit einer Deputation des Senats vor Ihnen erscheinen zu duerfen, um die
Gefuehle auszusprechen, welche in diesem Augenblick ganz Frankreich
beseelen muessen. Ich bitte Gott, dass die Befuerchtungen, welche ich nicht
ganz unterdruecken kann, welche ich aber in die verborgensten Tiefen
meines Herzens zu verschliessen fuer heilige Pflicht halte, niemals
Wirklichkeiten werden moegen."

Der Kaiser hatte ernst und sinnend den im Ton tiefer Ueberzeugung
gesprochenen Worten des Herrn Rouher zugehoert. Mit einer Bewegung voll
herzlicher Freundlichkeit reichte er ihm die Hand und sprach.

"Der Wuerfel rollt, so bleibt nichts anderes uebrig, als muthig zu
erwarten, auf welche Seite er fallen wird. Das Unglueck nicht zu
fuerchten, ist das beste Mittel, uns das Glueck dienstbar zu machen."

Herr Rouher verneigte sich schweigend und ging hinaus.

Napoleon blickte ihm lange sinnend nach.

"Vielleicht hat er Recht," sagte er, traeumerisch vor sich
hinblickend, "vielleicht haette ich versuchen sollen, das Verhaengniss
aufzuhalten,--nun," sagte er tiefaufathmend, "vielleicht findet sich
dazu noch der guenstige Augenblick, vielleicht ist diese kalte
Zurueckweisung aller meiner Anerbietungen nur hervorgegangen aus der
Voraussetzung, dass ich den letzten und entscheidenden Schritt zu thun
nicht wagen wuerde. Wenn meine Armee schlagfertig an den Grenzen steht,
wenn man sieht, dass ich zum vollen Ernst entschlossen bin, dann wird
sich vielleicht noch einmal der Augenblick finden, um auf die Frage der
Compensationen zurueckzukommen, und ich werde dann in der guenstigen Lage
sein, dass nicht ich es bin, der Vorschlaege macht und Antraege stellt."

Er ging noch einige Augenblicke schweigend und tief nachdenkend auf und
nieder; dann klingelte er und befahl seinen Wagen, um nach St. Cloud
zurueckzufahren.

Langsam fuhr er aus dem Hof der Tuilerien heraus und ueber den Place la
Concorde nach den Champs Elysees hin. Ueberall wogten dichte
Menschenmassen, und bis nach dem Bois de Boulogne hin wurde der Kaiser
mit enthusiastischen Hochrufen begruesst.

"Nieder mit Preussen!" rief man ihm aus allen Gruppen entgegen.

"Nach Berlin!"

Am Arc de Triomphe begegnete der Kaiser einem Bataillon der Voltigeurs
der Garde, welches von einer Felduebung zurueckkehrte und bestimmt war, in
den naechsten Tagen nach Metz abzugehen.

Der Kaiser fuhr langsam im Schritt an den Soldaten vorbei, welche bei
seinem Anblick ihre Kaeppis auf die Spitze der Bajonette steckten und
laut sangen:

  "Ca ira, ca ira, ca ira--Bismarc a la lanterne,
   Ca ira, ca ira, ca ira--Bismarc on le pendra."

Napoleon legte laechelnd die Hand an den Hut und lange noch klang seinem
Wagen diese alte Melodie aus der Schreckenszeit der Revolution nach,
welche der Soldatenwitz mit diesem neuen Text versehen hatte.

Der Arc de Triomphe glaenzte im Licht der Abendsonne, ruhig blickte das
steinerne Antlitz des grossen Kaisers von dem stolzen Bau herab.

Die jubelnde Menge begleitete die Soldaten, in ihren Gesang einfallend,
waehrend der Kaiser in den frischen, zierlich gepflegten Park einfuhr, in
welchem die elegante Welt von Paris ihre Abendpromenade machte, und ueber
welchem am Horizont die gewaltigen Umrisse des Mont Valerien
emporragten.

Alles war Freude, Jubel und stolze Siegeszuversicht, und kein Auge
durchdrang den Schleier der Zukunft, hinter welchem unmittelbar das
furchtbare Bild sich erhob, das die siegreichen deutschen Truppen
zeigte, wie sie in geschlossenen Reihen durch diesen Triumphbogen des
franzoesischen Ruhmes einzogen, waehrend aus den Tiefen von Paris jene
finstern Maechte heraufstiegen, um die Denkmaeler der Jahrhunderte in
Schutt und Asche zu verwandeln.

       *       *       *       *       *

Um dieselbe Zeit, waehrend ganz Paris in jubelnder Aufregung sich befand,
waren in einem bescheidenen Restaurant der Passage Jeouffroi die
Officiere der frueheren hannoeverschen Legion versammelt.

Sie sassen finster um den Tisch, auf welchem der Kellner mit der grossen
weissen Schuerze soeben ihr Diner zu serviren begann. Auf allen diesen
jugendlichen kraeftigen Gesichtern war keine Spur von der Heiterkeit
ihres Alters zu entdecken, und Sorge und Kummer blickten aus Aller
Augen.

Der Lieutenant von Tschirschnitz strich den vollen blonden Schnurrbart
zur Seite und sprach, finster die Zaehne zusammenbeissend, indem er sich
zu dem neben ihm sitzenden Kriegscommissair Ebers, dem einzigen aelteren
Manne von der Gesellschaft wandte.

"Wie lange kann unsere Kasse noch reichen?"

"Vierzehn Tage vielleicht," erwiderte der Commissair Ebers
achselzuckend, "wenn wir uns auf das Aeusserste einschraenken, und wenn wir
alle unsere nothwendigsten Kleidungsstuecke verkaufen, so koennen wir
vielleicht noch weitere vierzehn Tage gewinnen, dann aber ist es
jedenfalls aus."

"Wer uns das gesagt haette," rief der Lieutenant Goetz von Ohlenhusen,
indem er einen tiefen Zug aus einem vor ihm stehenden Seidel Dreherschen
Bieres that, "als wir von Hannover auszogen und Alles im Stich liessen,
um uns dem Dienst des Koenigs zu erhalten--"

"Der haette uns jedenfalls einen grossen Dienst geleistet," sagte Herr von
Tschirschnitz, "ich haette jetzt meine Kompagnie in Sachsen, eine
ehrenvolle Stellung und eine schoene Carriere vor mir, waehrend wir uns
jetzt hier in einer Lage befinden, die in Wahrheit geeignet ist, selbst
unserem bisher unzerstoerbaren Humor den Todesstoss zu geben. Hier im
fremden Lande ohne Mittel, ohne Stuetze, ohne Anhalt--in Deutschland als
Hochverraether verurtheilt!--Wir werden bald in der Lage sein, dass kein
Fuss breit Erde, kein Athemzug Luft mehr in dieser Welt fuer uns uebrig
ist."

"Was bleibt uns uebrig," sagte Herr von Goetz finster, "als uns irgendwo
anwerben zu lassen. Man denkt ja daran, eine Fremdenlegion zu bilden."

"Ein Glueck fuer uns waere es gewesen, wenn uns bei Langensalza eine Kugel
getroffen haette," rief der Lieutenant von Dinklage, indem er ein grosses
Glas Rothwein herunterstuerzte und das leere Glas dann heftig auf den
Tisch stiess, "dann waeren wir doch in Ehren aus der Welt gekommen, in
welcher wir doch keinen Raum mehr fuer ein anstaendiges Leben finden."

Durch die Reihen der hier zahlreich versammelten Gaeste trat schnell der
Major von Duering an den Tisch der Offiziere heran. Ihm folgte der
Regierungsrath Meding im Reiseanzug.

Die Offiziere erhoben sich.

"Mein Gott, Sie hier," rief Herr von Tschirschnitz, indem er dem
Regierungsrath Meding die Hand reichte, "was fuehrt Sie aus der Schweiz
hierher? Will der Koenig uns rufen? Will er irgend etwas unternehmen--in
diesem Augenblick?"

"Nein, meine Herren," sagte der Regierungsrath, indem er die uebrigen
Offiziere herzlich begruesste und mit Herrn von Duering an deren Tisch
Platz nahm. "Ich komme nicht vom Koenige, ich habe keine Verbindung mit
Hietzing und erfahre nur zufaellig und auf Umwegen, was dort vorgeht. Ich
bin nur hergekommen, weil unser Schicksal uns so lange Zeit mit einander
verbunden hat, und weil ich dringend wuenschte, in diesem Augenblick der
schwersten Krisis, die die Welt seit lange erlebt hat, als Ihr alter
Freund und Ihr Genosse der Verbannung, Sie zu warnen und Sie auf das
dringendste zu bitten, sich um Gottes Willen in keine gefaehrlichen und
bedenklichen Unternehmungen einzulassen und allen Lockungen und
Anforderungen zu widerstehen, sie moegen kommen, woher sie wollen."

"Wir haben eben darueber gesprochen, was aus uns werden soll," erwiderte
Herr von Tschirschnitz, "unsere Bezuege von Hietzing sind uns, wie Sie
wissen, seit lange entzogen. Wir haben Alle unsere Baarschaft
zusammengeschossen und damit diese Zeit her unter den aeusserten
Einschraenkungen gelebt--der Augenblick ist sehr nahe, in welchem wir
saemmtlich nichts mehr besitzen werden--"

"und in welchem uns nichts mehr uebrig bleiben wird," rief Herr von Goetz,
"als uns, wenn es sein muss, als gemeine Soldaten anwerben zu lassen."

"Um Gottes Willen, meine Herren," rief der Regierungsrath
Meding,--"bedenken Sie, was Sie thun. Bedenken Sie, dass es sich in
diesem Augenblick nicht um eine erneute Aufnahme des Kampfes von 1866
handelt. Bedenken Sie, dass in diesem Krieg das ganze Deutschland vereint
gegen Frankreich steht. Bedenken Sie, dass jeder Deutsche, der in diesem
Augenblick in irgend einer Weise auf der Seite der Feinde unseres
gesammten Vaterlandes stuende, ewiger Schande verfallen muesste; dass die
Verachtung der Franzosen selbst ihn treffen wuerde, und dass selbst im
Falle eines franzoesischen Sieges die deutsche Erde niemals wieder Raum
fuer ihn haben wuerde. Deshalb bin ich hierher gekommen, um Sie auf das
dringendste vor allen uebereilten und verzweiflungsvollen Entschluessen zu
warnen. Ich bitte und beschwoere Sie, verlassen Sie Frankreich, gehen Sie
nach der Schweiz und warten Sie dort die Ereignisse ab. Ich habe gehoert,
dass hier durch den Grafen Breda Versuche gemacht werden, die Truemmer
der auseinander gesprengten Legion wieder zu vereinigen."

Herr von Tschirschnitz lachte laut und hoehnisch auf.

"Dieser Graf Breda," rief er, "ist ein Franzose, ein Agent des
dunkelsten Ultramontanismus--dass er sich als Vertreter des Koenigs von
Hannover gerirt und eine hannoeversche Legion formiren will, das ist
allerdings die Krone von allem, was bis jetzt geschehen."

"Aber," fiel Herr von Duering ein, indem er sich zu dem Regierungsrath
Meding wendete, "Sie kennen unsere Lage und ich kann Ihnen nur
wiederholen, was ich Ihnen schon sagte, als ich Sie vom Bahnhof
hierherbrachte, was bleibt uns denn anders uebrig, als uns irgendwo auf
die moeglichst anstaendige Weise todtschiessen zu lassen. Wir haben keine
andere Rettung aus unserer Lage."

Der Regierungsrath Meding blickte sinnend vor sich nieder.

"Jedes Schicksal ist besser," sagte er, "als in den Reihen der Feinde
des vereinigten Deutschlands zu fallen, und noch ist ja nicht jede
Moeglichkeit der Rettung ausgeschlossen. Lassen Sie mich handeln. Ich
kann Ihnen nichts versprechen--aber es giebt vielleicht noch einen Weg,
der Sie alle mit Ehren vom Rande des Abgrundes zurueckfuehrt und Ihnen
eine freundliche Zukunft oeffnen kann--lassen Sie mich meinen Weg gehen,
ich habe ein Gefuehl, das mir sagt, er werde zum guten Ende fuehren.
Versprechen Sie mir nur das Eine, dass Sie sich in keine Unternehmungen
gegen Deutschland hineinziehen lassen, und dass Sie auch in der
verzweiflungsvollsten Lage des Augenblicks nicht den Muth verlieren--den
Sie sich ja so lange erhalten haben--versprechen Sie mir das, meine
Herren, und wenn es sein kann, verlassen Sie Frankreich so schnell als
moeglich und geben Sie mir Nachricht, wo Sie zu finden sind--ich hoffe,
dass Sie von mir hoeren sollen. Ich muss Sie wieder verlassen," fuhr er
fort, "ich muss noch mit dem naechsten Zug wieder abreisen. Ich bin nur
gekommen, um Ihnen zu sagen, was ich Ihnen gesagt habe und bitte Sie
nochmals um Ihr Versprechen, nichts gegen Deutschland zu unternehmen."

Er reichte Herrn von Tschirschnitz die Hand.

Dieser schlug kraeftig ein und sagte mit bewegter Stimme:

"Ich verspreche es, moege kommen, was da wolle."

Die uebrigen Herren wiederholten die Worte.

"Und ich, meine Herren," rief der Regierungsrath Meding, "verspreche
Ihnen, dass ich nicht ruhen und rasten will, bis es mir gelungen ist,
einen Weg der Rettung zu finden. Leben Sie wohl, und so Gott will, auf
baldiges Wiedersehen."

Er wandte sich tief ergriffen ab, verliess mit Herrn von Duering das Local
und stieg mit demselben an der Ecke der Passage in einen dort bereit
stehenden Fiaker, in welchem sich bereits sein Diener mit dem kleinen
Reisegepaeck befand.

Sie kamen auf dem Ostbahnhof eine Viertelstunde vor Abgang nach Basel
an. Ernst und schmerzlich bewegt, ging der Regierungsrath Meding mit dem
Major von Duering in der grossen Vorhalle auf und nieder, von welchem man
den grossen Platz vor dem Bahnhof und die weite Reihe der neuen
Boulevards ueberblickte, welche bereits im Schein der Gaslaternen
schimmerten und auf denen sich eine zahlreiche jubelnde und laermende
Menschenmenge hin und her bewegte.

"Der Anblick dieses Paris," sagte der Regierungsrath Meding, "in seinem
trunkenen Rausch ist mir tief schmerzlich. Ich liebe Frankreich, und
diese Stadt Paris ist mir fast zu einer lieben Heimath geworden. Und ich
sehe eine furchtbare Zeit ueber dies Land und diese schoene Stadt mit
ihrem wunderbar reichen Leben heraufziehen, eine Zeit, welche alle diese
Jubelklaenge, die da jetzt zu uns heruebertoenen, in Jammer und Wehklage
verwandeln wird."

"Sie glauben an die Niederlage Frankreich," fragte Herr von Duering, "an
eine so schwere Niederlage?"

"Ich bin von derselben ueberzeugt," erwiderte der Regierungsrath. "Ich
bin gestern von Basel herauf bis hierher durch die nach der Grenze hin
sich bewegenden Truppen gefahren, aber was ich gesehen habe, laesst mich
nur das Traurigste fuer Frankreich erwarten. Ueberall habe ich Truppen der
verschiedensten Waffen ohne Officiere, Cavallerie ohne Pferde, Geschuetze
auf den Eisenbahnwagen ohne Bespannung gesehen. Alle diese Leute waren
im Zustande der unnatuerlichen Aufregung, die meisten berauscht, und wenn
ich sie fragte, wohin sie gingen, zu welchem Corps sie gehoerten, so
konnten sie mir keine genuegende Antwort geben, die Meisten antworteten
mit dem fanatisch stereotypen Ruf "nach Berlin". Mit solchen Truppen
schlaegt man die preussische Armee nicht und der Elan, von dem man so viel
spricht, wird wie ein voruebergehender Rausch schnell vor der ruhigen und
sichern Taktik der deutschen Heeresleitung verfliegen. Glauben Sie mir,"
fuhr er fort, indem er noch einmal wehmuethig ueber die glaenzenden Reihen
der Boulevards hinblickte, "Frankreich wird einen furchtbaren Schlag zu
erleiden haben, und das Kaiserreich mit allem seinem Glanz wird
vielleicht unter diesem Schlage zusammenbrechen--ich habe hier lange
die Elemente beobachtet, welche in der Tiefe der Gesellschaft sich
organisirt haben und sie werden nicht zoegern, heraufzusteigen, um von
unten her das Gebaeude zu zersprengen, wenn dessen Zinnen unter den
Schlaegen der deutschen Waffen fallen werden."

Das Signal zur Abfahrt des Zuges ertoente.

"Noch einmal, lieber Duering," sagte der Regierungsrath Meding, indem er
sich am Eingang des Wartezimmers von dem Major verabschiedete, "halten
Sie den Muth unserer Freunde aufrecht und sorgen Sie dafuer, dass auf
unsere, so lange mit Ehren vertheidigte Sache kein Flecken falle."

Mit Thraenen in den Augen trennten sich die beiden mehrjaehrigen Genossen
der Verbannung. Der Regierungsrath Meding stieg in das Coupe und fuhr
unter dem gellenden Pfeifen der Locomotive in die Nacht hinaus, waehrend
der Major von Duering ernst und traurig ueber die hellen Boulevards hin zu
seinen Kameraden zurueckkehrte, um in den Herzen dieser tapfern und
treuen Diener einer untergegangenen Sache, welche Heimath und Vaterland,
Vergangenheit und Zukunft verloren hatten, die letzten Funken der
Hoffnung und des Muthes wieder anzufachen.




Elftes Capitel.


Die Verlobung der Tochter des Commerzienrath Cohnheim mit dem jungen
Baron von Rantow war wenige Tage nach der Erledigung der zwischen ihm
und dem Lieutenant von Buechenfeld entstandenen Differenz proclamirt
worden.

Der Commerzienrath hatte es sich nicht nehmen lassen, bei dieser
Gelegenheit ein grosses Fest zu veranstalten, bei welchem die zahlreichen
Bekannten des Barons zu seiner und seiner Gemahlin hoechsten Befriedigung
eine Menge hoch aristokratischer Namen und Erscheinungen in seine Salons
fuehrten.

Der kleine Commerzienrath schwamm in Entzuecken. Noch behaglicher als
sonst eilte er hin und her, indem er in gelegentlichen Gespraechen seinem
alten Freunde aus der Finanzwelt auf alle diese Elemente der ersten
Gesellschaft aufmerksam machte, die sich jetzt bei ihm vereinigten.

Die Commerzienraethin war noch steifer, noch wuerdevoller, noch
unnahbarer als sonst, und Fraeulein Anna ueberstrahlte Alle durch ihre
Schoenheit und die ausgesuchte Eleganz ihrer Toilette. Aber jener
Ausdruck kindlich freier Heiterkeit, welcher frueher in ihren Augen
gelegen hatte, war verschwunden. Kalt und stolz wie eine Koenigin blickte
sie umher, mit ruhig und sicher gewaehlten Worten beantwortete sie die
Gluckwuensche, welche man an sie richtete, und wenn sie laechelte, so
schien es fast, als ob hoehnischer Spott mehr Antheil an ihrem Laecheln
habe, als die glueckliche Freude der Braut.

Der junge Herr von Rantow war dann taeglich im Hause des Commerzienraths
erschienen, hatte fuer seine Braut alle Hoeflichkeit und Aufmerksamkeit,
welche dieselbe irgend erwarten konnte und welche sie ebenso hoeflich und
freundlich entgegennahm. Doch war keine innere Annaeherung zwischen den
beiden jungen Leuten eingetreten. Herr von Rantow blieb mit vollkommenem
Takt in einer gewissen Zurueckhaltung und Fraeulein Anna war ihm dafuer von
Herzen dankbar und nahm mit um so groesserer Aufmerksamkeit alle aeusseren
Ruecksichten, welche ihr Verhaeltniss erforderte, entgegen; so dass die
Commerzienraethin aeusserst befriedigt war und ihrer Tochter haeufig
anerkennende Worte ueber ihr Verhalten sagte, das so vollkommen dem
Brautstand zwischen vornehmen und distinguirten Personen entsprach.

Herr von Rantow hatte sein Staatsexamen ueberstanden, und die Hochzeit
war fuer den September festgesetzt, bis zu welcher Zeit der fuer die
Aufnahme des jungen Paares bestimmte Fluegel des Schlosses auf dem
Rantow'schen Familiensitz hergestellt sein sollte, zu dessen
Ausschmueckung der Commerzienrath nicht muede wurde, von ueberall her das
Schoenste und Kostbarste an Mobilien und Stoffen kommen zu lassen.

Da brach mitten in diese Vorbereitungen die grosse Catastrophe herein,
welche ganz Europa bewegte. Und wie diese Catastrophe die Fuersten und
Diplomaten aus ihren Villeggiaturen und Badekuren aufschreckte und in
den furchtbaren Ernst des Lebens zuruecktrieb, so unterbrach sie auch die
Vorbereitungen zu der Verbindung des Barons von Rantow mit Fraeulein Anna
Cohnheim.

Sorgenvoll ging der Commerzienrath einher. Es war nicht nur der Aufschub
des von ihm so sehnlichst gewuenschten Familienereignisses, welcher ihn
bewegte und bekuemmerte--der ploetzlich hereinbrechende Krieg griff auch
zerstoerend in alle seine finanziellen Operationen ein. Die
Unternehmungen, welche er mit dem Baron verabredet hatte, mussten
natuerlich vorlaeufig bis zur Wiederkehr ruhiger Verhaeltnisse aufgeschoben
werden.

Der junge Baron von Rantow war zur Zeit seines Eintritts in das
militairpflichtige Alter wegen der Anlage zu einem Brustleiden, die ohne
unmittelbar gefaehrlich zu werden, ihm grosse koerperliche Anstrengungen
unmoeglich machte, fuer dienstunfaehig erklaert. Von dieser Seite haette
daher der Verbindung der beiden jungen Leute nichts entgegen gestanden.
Indess Fraeulein Anna erklaerte mit grosser Bestimmtheit, dass sie vor dem
Ende des Krieges, welcher das ganze Vaterland in so grosse Gefahr stuerzte
und so viel Trauer in zahlreiche Familien bringen muesste, an die Hochzeit
nicht denken wolle.

So war denn die Hochzeit wieder in unbestimmte Fernen hinausgeschoben.

Am Vormittage des verhaengnissvollen einunddreissigsten Juli, an welchem
der Koenig Berlin verlassen sollte, um zur Armee sich zu begeben, befand
sich die Commerzienraethin Cohnheim bei dem Baron von Rantow und seiner
Gemahlin.

Die Koenigin Augusta hatte wenige Tage zuvor einen Aufruf an alle Frauen
des Vaterlandes erlassen, um Huelfsmittel fuer die Verpflegung der
Verwundeten an den Rhein zu senden. Und die Commerzienraethin hatte mit
Eifer diese Gelegenheit ergriffen, um sich der Baronin von Rantow
anzuschliessen bei der Bildung eines kleinen Damenvereins zur Erfuellung
dieser patriotischen Aufgabe.

Sie war mit ihrer Tochter gekommen, um das Naehere ueber die Organisation
der Thaetigkeit dieses Vereins zu verabreden, und Frau von Rantow hatte
mit einer gewissen, kalten Zurueckhaltung den sehr betraechtlichen Beitrag
in Empfang genommen, welchen die Commerzienraethin fuer die Zwecke des
Vereins ihr ueberreichte.

Die beiden Damen sprachen eifrig ueber die zweckmaessigste Herstellung von
Charpie und Verbandzeug, waehrend der Baron sich mit Fraeulein Anna
unterhielt, fuer welche er eine besonders sympathische Zuneigung gefasst
hatte, und welcher er stets mit um so groesserer Herzlichkeit begegnete,
je weniger es ihm moeglich war sich dem Commerzienrath und seiner
Gemahlin, deren ganzes Wesen von seinen Lebensanschauungen so tief
verschieden war, zu naehern.

"Wir sind gluecklicher," sagte er, "als so viele andere Familien, deren
Soehne zu den Gefahren des Krieges hinausziehen muessen, und doch macht es
mich fast traurig, dass in einem Augenblick, wo die ganze Jugend des
Landes unter den Fahnen des Koenigs ins Feld zieht, der Name der Rantows
in den Reihen der Armee nicht vertreten ist. Das Gefuehl des Vaters und
des Patrioten streiten in mir mit einander, und oft moechte ich fast
wuenschen, dass auch mein Sohn berufen waere zu dem grossen nationalen
Kampf."

"Es bleibt ja auch hier noch genug zu thun," erwiderte Fraeulein Anna in
einem ziemlich kalten und gleichgueltigen Ton. "Der Staat braucht ja auch
waehrend des Krieges Beamte, vielleicht waere es gut, wenn Ihr Sohn
wenigstens bis zur Beendigung des Krieges seine Carriere wieder
aufnehmen wuerde. Fuer uns Frauen," fuhr sie lebhafter fort, "bildet ja
die Zeit ein reiches Feld der Thaetigkeit, und ich fuehle den lebhaftesten
Wunsch, hinauszugehen, um als Pflegerin der Kranken in dieser grossen
Zeit meine Pflicht zu erfuellen."

"Sie, mein Kind," rief der Baron erstaunt, "Sie, gewoehnt an alle
Bequemlichkeiten des Lebens, fast ein wenig verwoehnt, Sie wollten sich
einer so muehevollen angreifenden Thaetigkeit widmen, welche Ihre zarten
Kraefte vielleicht bald aufreiben moechte."

"Meine zarten Kraefte?"--sagte Fraeulein Anna, die Achseln zuckend, "und
waeren sie es,--der feste Wille und die Begeisterung fuer eine grosse Sache
sind im Stande, auch die schwaechste Kraft stark zu machen. Und wofuer
koennte ein Frauenherz sich hoeher begeistern, als dafuer, die Leiden
Derjenigen zu erleichtern, welche heldenmuethig ihr Blut und Leben zum
Schutz des Vaterlandes, zu unserm Schutz dahin geben. Glauben Sie mir,
Herr Baron, ich wuerde nicht ermatten in einem so hohen und heiligen
Beruf. Und wenn der Krieg fortschreitet," fuhr sie ernst mit dem
Ausdruck eines festen Entschlusses fort, "wenn die Lazarethe sich fuellen
werden und das Beduerfniss nach weiblicher Pflege immer groesser und groesser
werden wird, dann werde ich doch noch die Erlaubniss meiner Eltern
erhalten, dem Zuge meines Gefuehls zu folgen, und ich bin ueberzeugt, dass
viele Frauen denken und handeln werden, wie ich."

Der junge Herr von Rantow trat ein. Er war ernster als sonst, der
gleichgueltige, oberflaechliche Ausdruck, welcher gewoehnlich auf seinem
Gesicht lag, war verschwunden. Eine gewisse stolze Befriedigung blickte
aus seinen Augen.

"Ich habe einen Entschluss gefasst," sagte er, nachdem er die Damen
begruesst hatte, "einen Entschluss, den meine theure Anna gewiss billigen
wird und mit dem auch Du, mein Vater, zufrieden sein wirst."

Fragend blickte Fraeulein Cohnheim auf ihren Verlobten.

"Ich habe," fuhr dieser fort, "mich zur Aufnahme in den Johanniterorden
gemeldet. Du wuenschtest das frueher, mein Vater, um mir eine ehrenvolle
Decoration zu verschaffen, in dieser Zeit gewinnt das Zeichen des
Johanniterordens, zu welchem meine Geburt mich berechtigte, eine hoehere
und ernstere Bedeutung. Ich habe so eben die Mittheilung erhalten, dass
meine Bewerbung angenommen werden wird und habe zugleich die Bitte
gestellt, wenn eine Annahme erfolgen sollte, mich einer der Deputationen
beizuordnen, welche die Armee zur Leitung der Krankenpflege begleiten
werden. So werde auch ich im Stande sein, das Meinige in dem Kampf zu
thun und die Pflicht zu erfuellen, welche mein Name mir auflegt und zu
welcher mein Gefuehl mich treibt."

Der Baron neigte zustimmend den Kopf.

Fraeulein Anna erhob sich schnell und reichte ihrem Verlobten die Hand,
indem aus ihrem Blick ein warmes Gefuehl leuchtete, wie sie es bisher
noch nie dem jungen Manne gegenueber gezeigt hatte.

"Ich danke Ihnen von Herzen fuer diesen Entschluss," sagte sie mit
herzlichem Ton, "und da Sie ihn gefasst haben, darf ich Ihnen sagen, dass
mich der Gedanke betruebt hat, Sie in dieser Zeit hier zurueckbleiben zu
sehen--Sie werden das nicht missverstehen," fuegte sie hinzu, "meine
treuesten und aufrichtigen Wuensche werden Sie begleiten."

Herr von Rantow kuesste die Hand seiner Braut, seine Mutter blickte
liebevoll zu ihm hinueber, und die Commerzienraethin richtete sich hoch
auf, indem sie mit feierlicher Stimme sagte:

"Das ist ein sehr edler Entschluss, ganz meines vortrefflichen
Schwiegersohns wuerdig."

Der Diener trat ein, meldete den Oberstlieutenant und den Lieutenant von
Buechenfeld.

Schnell erhob sich der Baron, um den Herren entgegen zu gehen.

Die Commerzienraethin warf einen scharfen und strengen Blick auf ihre
Tochter.

Fraeulein Anna zuckte zusammen und machte eine Bewegung, als wolle sie
das Zimmer verlassen, dann aber fasste sie sich, tief erbleichend stuetzte
sie die Hand auf die Lehne eines neben ihr stehenden Sessels. Kalte und
stolze Entschlossenheit lag auf ihrem Gesicht.

Der Oberstlieutenant und sein Sohn traten ein. Der alte Herr trug
Uniform, sein Gesicht strahlte vor freudiger Aufregung. Der Lieutenant
folgte ihm ernst und still, als er Fraeulein Anna und den jungen Herrn
von Rantow erblickte, flog eine dunkle Roethe ueber sein Gesicht. Dann
naeherte er sich Frau von Rantow, begruesste dieselbe ehrerbietig und
verneigte sich mit kalter Hoeflichkeit gegen die Uebrigen.

Die Commerzienraethin sass gerade und steif da und erwiderte den Gruss der
eintretenden Herren mit einer kaum bemerkbaren Neigung des Kopfes.

"Ich bringe Ihnen noch einmal meinen Sohn, gnaedige Frau," sagte der
Oberstlieutenant, "er muss noch heute zu seinem Regiment abgehen, um in
die beste Kriegsschule hinauszuziehen,--draussen im Felde, wo man in
einem Monat mehr lernt, als in Jahren hinter den Buechern. Er wollte in
der Eile gar keine Besuche machen, aber hier von den alten Freunden
seines Vaters muss er sich doch verschieden, bevor er auszieht, um sich
den Feldmarschallstab zu erkaempfen," fuegte er laechelnd hinzu. "Er hat es
gluecklich getroffen, mir wurde es in meiner Jugend nicht so gut, ich
habe mich waehrend meiner besten Jahre durch den ewigen Garnisonsdienst
hindurch schleppen muessen, in welchem Koerper und Geist muede werden."

"Unsere herzlichsten Wuensche werden Sie begleiten," sagte Frau von
Rantow zu dem jungen Officier. "Aber Sie, lieber Buechenfeld," fuhr sie
laechelnd fort, "tragen ja auch wieder Uniform, Sie wollen doch nicht
etwa auch mit hinausziehen--"

"Wollte Gott, ich koennte es," sagte der Oberstlieutenant traurig, "doch
mein Podagra sorgt schon dafuer, dass ich hier bleiben muss. Aber," fuhr
er, sich militairisch aufrichtend, fort, "ich habe mich um ein
Etappencommando beworben und es erhalten und so habe ich doch wenigstens
das Herzeleid nicht, dass ich in dieser Zeit unthaetig im Civilrock
einhergehen muss. Ich kann wenigstens die alte Uniform tragen und dem
Koenige dienen, so gut es mir noch moeglich ist."

Der Oberstlieutenant und sein Sohn blieben etwa eine Viertelstunde lang,
waehrend welcher die Unterhaltung fast ausschliesslich von dem alten Herrn
und dem Baron gefuehrt wurde.

Der Oberstlieutenant war in sprudelnd heiterer Laune, im Herzen des
alten Soldaten fand der Gedanke an die Gefahren, denen sein Sohn
entgegen ging, keinen Platz, fuer ihn war der Krieg der Beruf des
Officiers, er dachte nur an die Hoffnung auf Ruhm und Ehre, welche
dieser Krieg in sich schloss und fuehlte sich neu geboren in dem Gedanken,
dass auch er in dieser grossen Zeit noch einmal in der Lage sei, Dienst zu
thun und den Rock des Koenigs zu tragen.

"Wir muessen aufbrechen," sagte er endlich, "ich weiss noch nicht, wo
meine Bestimmung sein wird und erwarte dieselbe stuendlich,--mein Sohn
hat nur noch kurze Zeit bis zu seiner Abreise."

Er kuesste mit ritterlicher, etwas altmodischer Galanterie der Frau von
Rantow die Hand und drueckte lange und herzlich die Rechte des Barons.

Der Lieutenant, welcher waehrend der ganzen Zeit ernst und stumm mit
niedergeschlagenem Blick da gesessen hatte, erhob sich, in rascher
Bewegung trat der junge Herr von Rantow auf ihn zu.

"Lebe wohl, Buechenfeld," sprach er,--"in einer Zeit, wie die jetzige,
muss jeder vergangene Groll vergessen werden. Gott schuetze Dich! Ich
werde mit den Johannitern der Armee folgen und sollte Dir ein Unglueck
begegnen, so hoffe ich, dass ein guetiges Schicksal mich zu Dir fuehren
wird, um Dir beizustehen."

Der Lieutenant hatte bei den Worten des Barons eine unwillkuerliche
Bewegung gemacht, als wolle er von demselben zuruecktreten. Abermals
faerbte sich sein Gesicht mit dunklem Roth, er schlug die Augen auf und
richtete seine Blicke an dem Baron vorbei, mit bitterem, feindlichem
Ausdruck auf Fraeulein Anna.

Das junge Maedchen sah ihn mit grossen Augen an. Aus diesen Augen
strahlte es wunderbar und eigenthuemlich zu ihm hin, es lag darin wie
eine Bitte, wie eine Frage, ihre Lippen oeffneten sich, als wolle sie
sprechen, aber nur ein leiser Hauch drang aus denselben hervor und wie
unwillkuerlich streckte sie zitternd die Hand nach ihm aus.

Ein tiefer Athemzug hob die Brust des Lieutenants, sein kalter, harter
Blick wurde weicher und weicher. Kraeftig drueckte er die Hand des Herrn
von Rantow und sagte mit fast erstickter Stimme:

"Vergessen und vergeben!"

Dann trat er rasch, wie einem uebermaechtigen Zuge folgend, zu Fraeulein
Anna hin, deren Hand noch immer leicht erhoben, sich gegen ihn
ausstreckte und deren Augen mit immer tieferer Innigkeit auf ihm ruhten.
Er ergriff die Hand des jungen Maedchens, drueckte seine Lippen auf
dieselbe und fast unhoerbar, nur ihr verstaendlich, hauchten seine Lippen
nochmal die Worte:

"Vergessen und vergeben!"

Dann wandte er sich schnell um und mit kurzer rascher Verbeugung eilte
er seinem Vater nach, welcher, von dem Baron geleitet, bereits das
Zimmer verlassen hatte, waehrend Fraeulein Anna, die Haende faltend, auf
einen Stuhl niedersank und ihm mit einem tiefen, schmerzlichen Seufzer
nachsah.

       *       *       *       *       *

Koenig Wilhelm stand an seinem Schreibtisch neben dem Fenster seines
Arbeitszimmers. Der Koenig trug den Militairueberrock und blickte mit
tiefem Ernst auf den Ministerpraesidenten Grafen Bismarck, welcher in der
Uniform des Magdeburgischen Cuerassierregiments No. 7 vor Seiner Majestaet
stand und die letzten noch vor der Abreise zu erledigenden
Vortragssachen beendet hatte.

"So ist denn," sagte der Koenig, "Alles vorbereitet, was menschliche
Berechnung vermag, um nach allen Seiten hin in ungehemmter Spannung
unsere Kraefte entfalten zu koennen,--unser Haus ist bestellt, die Armee
ist in ordnungsmaessiger Bewegung und es ist nun an unserem Alliirten da
oben, mit uns hinauszuziehen in den Kampf, an dem wir wahrlich
unschuldig sind und uns den Sieg zu verleihen, wie er ihn uns schon
einmal gab gegen den Uebermuth desselben Feindes."

"Und dieser Sieg wird nicht fehlen, Majestaet," rief Graf Bismarck, indem
seine linke Hand sich fest um den Griff seines Pallaschs spannte,--"er
wird schneller und entscheidender kommen, als die Welt ihn erwartet und
er wird Alles, was sich im deutschen Nationalleben in diesen Jahren
vorbereitet hat, zu herrlicher Erfuellung bringen. Meine Zuversicht steht
fest--in diesem Kampfe wird Deutschlands glaenzende Zukunft entschieden
werden!"

Auch ueber das Gesicht des Koenigs zog der lichte Schimmer freudiger
Siegeszuversicht,--aber er sprach sie nicht aus und nachdem er einige
Augenblicke schweigend vor sich niedergeblickt hatte, wendete er sich zu
seinem Schreibtisch und ergriff einen dort liegenden Bogen Papier.

"Wir haben Alles geordnet," sagte er, die wenigen Zeilen ueberlesend,
welche dieser Bogen enthielt,--"wir haben die diplomatischen Faeden
gezogen,--um unsere wohlwollenden Freunde" fuhr er mit eigenthuemlichem
Laecheln fort, "in ihrer neutralen Haltung zu befestigen,--wir haben fuer
die Regierung waehrend meiner Abwesenheit gesorgt. Unsere Pflichten
liegen jetzt draussen bei der Armee,--ich habe jetzt nur noch ein
Beduerfniss meines Herzens zu erfuellen, das ist ein letztes Wort des
Abschieds an mein Volk zu richten,--wenn mich auch die Hoffnung erfuellt,
dass wir mit Gott den Sieg erringen werden, so gehen wir doch einer
schweren Zeit entgegen, und Niemand vermag zu berechnen, wie bald ich
wieder nach der Heimath werde zurueckkehren koennen. Auch kann," sprach er
mit tiefem Ernst, "eine feindliche Kugel da draussen mein Leben enden. In
diesem Augenblick fuehle ich mehr wie je den innerlich tiefen
Zusammenhang, ich moechte sagen, die Blutsverwandtschaft, welche mich,
wie alle Koenige meines Hauses mit dem preussischen Volk verbindet, und
ich moechte all den Meinen ein so recht herzliches Abschiedswort sagen
und ihnen auch eine Gabe des Abschieds geben, die beste Gabe, welche mir
zu geben mein koenigliches Recht vergoennt,--ich moechte in dem Augenblick,
in welchem ich hinausziehe zu schwerem Entscheidungskampf, hinter mir
den Frieden zuruecklassen,--den Frieden und die Versoehnung!"

Erwartungsvoll blickte Graf Bismarck mit seinen hellen, klaren Augen den
Koenig an, welcher wie zoegernd, als suche er die Worte fuer seine
Gedanken, sagte:

"Die letzten Jahre haben viel Verwirrung in Deutschland hervorgerufen,
manches an sich edle Gefuehl hat viele meiner Unterthanen, namentlich
meiner neuen Unterthanen auf Irrwege gefuehrt und mit der nothwendigen
Strenge der Gesetze in Conflict gebracht--jetzt, wo ganz Deutschland
einmuethig in den Kampf hinauszieht, moechte ich dazu beitragen, jenen
Verwirrungen Loesung zu bringen im edelsten und besten Sinne, jetzt, wo
ich Gott um Beistand anrufe in dem mir aufgedrungenen Krieg, moechte ich
auch die herrliche Lehre des Christenthums befolgen,--die Lehre der
Vergebung und nach den Worten handeln. Richtet nicht, auf dass Ihr nicht
gerichtet werdet.--Der letzte Abschiedsgruss an mein Volk soll deshalb
zugleich eine Amnestie enthalten fuer alle politischen Verbrechen und
Vergehen. Liebe und Versoehnung soll die Vergangenheit abschliessen, damit
wir freien und leichten Herzens der Zukunft entgegengehen koennen."

Er hob den Bogen Papier empor und las langsam, mit tief bewegter Stimme:

"An mein Volk! Indem ich heute zur Armee gehe, um mit ihr fuer
Deutschlands Ehre und fuer Erhaltung ihrer hoechsten Gueter zu kaempfen,
will ich im Hinblick auf die einmuethige Erhebung meines Volkes eine
Amnestie fuer politische Verbrechen und Vergehen ertheilen."

"Ich habe das Staatsministerium beauftragt, mir einen Erlass in diesem
Sinne zu unterbreiten.

"Mein Volk weiss mit mir, dass Friedensbruch und Feindschaft wahrhaftig
nicht auf unserer Seite waren.

"Aber herausgefordert, sind wir entschlossen, gleich unsern Vaetern und
in fester Zuversicht auf Gott, den Kampf zu bestehen zur Errettung des
Vaterlandes."

Er hielt inne und blickte wie fragend auf den Ministerpraesidenten,
dessen Zuege in maechtiger Ruehrung zuckten.

"Majestaet," sagte er, auf die stumme Frage des Koenigs antwortend, "an
diesem Erlass darf kein Titelchen geaendert werden. Es ist das
koeniglichste Wort, das ein christlicher Fuerst zu seinen Unterthanen
sprechen kann, einfach und gross, wie die Zeit. Und dies koenigliche Wort
wird einen maechtigen Wiederhall finden in allen Herzen."

Der Koenig neigte den Kopf, wandte sich dann zu seinem Schreibtisch,
ergriff eine Feder und setzte mit kraeftigen Zuegen seinen Namen unter das
Papier, das er dem Ministerpraesidenten reichte.

"Sorgen Sie fuer die Veroeffentlichung und fuer die schleunige Vorlegung
des Amnestieerlasses. Nun sind die Geschaefte hier beendet," sprach er
mit tiefem Athemzug, "ich habe fuer die Meinigen das Werk des Friedens
und der Liebe gethan. Jetzt soll die Spitze unseres Schwertes sich gegen
die Feinde richten."

"Noch moechte ich," sagte der Ministerpraesident, "eine Bitte an Eure
Majestaet richten, eine Bitte, deren Erfuellung ein schoener Nachklang zu
dem grossen Wort ist, das Eure Majestaet soeben gesprochen. Eure Majestaet
wissen," fuhr er fort, als der Koenig ihn fragend ansah, "dass wir von der
frueher so weit verbreiteten Agitation in Hannover nichts mehr zu
befuerchten haben, die frueheren Fuehrer derselben sind vom Koenige Georg
getrennt und entschlossen, in diesem Nationalkampf nichts gegen
Deutschland zu thun. Einzelne Personen in Hannover, welche vielleicht zu
gefaehrlichen Unternehmungen irre geleitet werden koennten, sind in
Sicherheit gebracht, um sie vor sich selbst zu schuetzen, und um sie
durch eine kurze Haft der Moeglichkeit zu entziehen, Dinge zu
unternehmen, fuer welche sie in der gegenwaertigen Zeit mit der ganzen
Schwere des Gesetzes gestraft werden muessten."

"Ich weiss, ich weiss," sagte der Koenig--"auch der Verdacht gegen den
Grafen Wedell hat sich nicht betaetigt?--"

"Nein, Majestaet," sagte der Ministerpraesident, "Graf Wedell steht mit
der Agitation in keiner Verbindung mehr, und es freut mich das um so
mehr, da seine ganze Familie ohnehin durch die Ereignisse schwer
getroffen ist--doch," fuhr er dann fort, "wovon ich Eurer Majestaet
sprechen wollte, das ist das Schicksal aller hannoeverschen Officiere,
welche mit der Emigration nach Frankreich gegangen waren und dort die
sogenannte Welfenlegion commandirten."

"Nun?" fragte der Koenig.

"Diese Officiere, Majestaet," sprach Graf Bismarck weiter, "befinden
sich, wie ich hoere, in einer verzweiflungsvollen Lage. Sie waren in
Deutschland geaechtet,--das ist durch Eurer Majestaet grossmuethige Amnestie
beseitigt--aber sie sind ohne Subsistenzmittel, sie sind sogar der
franzoesischen Regierung verdaechtigt, und ihre Lage ist derartig, dass
nach den Aeusserungen Einzelner, die mir mitgetheilt sind--ihnen nichts
uebrig bliebe, als sich irgendwo mit Anstand todtschiessen zu lassen."

"Die armen, jungen Leute," sagte der Koenig--"sie haben sich schwer
vergangen, aber es sind doch brave junge Maenner und ihre Handlungsweise
ist doch nur hervorgegangen aus einem irre gefuehrten, aber innerlich
edlen und richtigen Gefuehl der Anhaenglichkeit an ihren fruehern
Herrn--was kann ich fuer sie thun?" fragte er mit weicher, milder Stimme.

"Majestaet," sagte Graf Bismarck, "politisch liegt kein Grund vor, ihnen
zu Huelfe zu kommen, sie koennen nicht gefaehrlich werden, und wenn sie
wirklich, durch die Noth gedraengt, sich zu irgend einer strafbaren
Handlung hinreissen liessen, so wuerde dadurch in den Augen von ganz
Deutschland die welfische Agitation und alle etwa fuer dieselbe noch
begehende Sympathie vollkommen und fuer immer vernichtet werden. Aber ich
glaube nicht, Majestaet," fuhr er im waermeren Ton fort, "dass jenen armen
jungen Leuten gegenueber politische Betrachtungen in diesem Augenblick
massgebend sein koennen. Jene Ungluecklichen sind von aller Welt verlassen,
sie sind die Opfer ihrer irregeleiteten, aber doch immerhin edlen Treue
geworden, und ich moechte Eure Majestaet bitten, ihnen zu helfen und ihnen
eine Grundlage fuer ein neues Leben zu gewaehren."

"Mit Freuden," rief Koenig Wilhelm lebhaft, "schlagen Sie mir vor, was
ich thun soll."

"Majestaet," erwiderte Bismarck, "es befinden sich unter diesen
Emigranten fruehere Offiziere verschiedener Grade, darnach aber zwischen
ihnen einen Unterschied zu machen, ist nicht moeglich,--der Koenig Georg
hat im Exil noch Ernennungen vorgenommen, die doch nicht in Betracht
gezogen werden koennen. Ich wuerde daher Eurer Majestaet unterthaenigst
vorschlagen, sie Alle gleich zu behandeln und Jedem von ihnen eine
lebenslaengliche Pension von zwoelfhundert Thalern zu geben, damit haben
sie eine Basis fuer ihre Existenz und einen Ersatz fuer ihre zerbrochene
Carriere."

"Genehmigt," rief der Koenig, "genehmigt, mein lieber Graf, es thut mir
unendlich wohl, diesen armen jungen Leuten helfen zu koennen, und ich
danke Ihnen, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht und mir Gelegenheit
gegeben, noch vor meiner Abreise dies gute Werk zu thun."

Und leise die Lippen bewegend, fluesterte er vor sich hin:

"Thut wohl denen, die Euch verfolgen."----

"Es muesste dann," sagte Graf Bismarck, "eine Garantie von ihnen gegeben
werden, dass sie nicht etwa abermals missleitet werden--"

"Sie sollen ihr Ehrenwort geben, nichts gegen mich zu unternehmen, das
genuegt," sagte der Koenig, "sie haben die Gesetze verletzt, aber ihre
Ehre trifft kein Vorwurf und ihrem Ehrenwort will ich glauben."

"Eure Majestaet haben durch diesen Entschluss," sagte Graf Bismarck,
"einer Anzahl junger und hoffnungsvoller Herzen Leben und Zukunft wieder
gegeben, und auch das wird zum Segen unserer Waffen werden. So ist denn
auch diese letzte schmerzliche Dissonanz des Jahres 1866 im schoenen und
wohlthuenden Accord geendet und nun, Majestaet,--

Vorwaerts mit Gott fuer Koenig und Vaterland."

"Auf Wiedersehen am Bahnhof, mein lieber Graf," sagte der Koenig, "wir
werden hier wohl lange nicht wieder zusammen arbeiten--"

"Dann aber, Majestaet," rief Graf Bismarck mit leuchtendem Blick, "wird
der preussische Adler seinen hoechsten Siegesflug vollendet haben, und
eine neue, strahlende Krone wird ueber seinem Haupte glaenzen."

Er ergriff seinen Stahlhelm, der neben ihm auf einem Stuhl lag, richtete
sich hoch empor und verliess mit militairischem Gruss das Cabinet.

Der Koenig trat an's Fenster und richtete den sinnenden Blick auf das
Standbild Friedrich des Grossen. Er bewegte leise die Lippen, ohne dass
hoerbare Worte aus denselben hervordrangen.

War es ein Gebet, das er sprach,--oder verkehrten seine Gedanken mit dem
Geiste seines grossen Ahnherrn, der zuerst das alte Brandenburg in
Wahrheit zu einer Grossmacht Preussens erhoben, der der Koenigskrone
Friedrich I. das schneidige siegreiche Schwert hinzugefuegt hatte und der
wieder seinen Nachkommen die hohe Aufgabe hinterlassen hatte, durch
preussischen Geist und preussische Kraft einst das zerbroeckelte
Deutschland zu einiger Macht und Herrlichkeit wieder aufzurichten?

Die auf dem Platz vor dem koeniglichen Palais versammelte Menge erhob
beim Anblick des Koenigs die Huete und laute Rufe gruessten den Monarchen.

Der Koenig dankte freundlich mit dem Kopfe nickend. Ein Ausdruck
heiterer, ruhiger Zuversicht erschien auf seinem Gesicht. Langsam wandte
er sich ab, um zur Koenigin zu gehen und mit seiner Gemahlin das letzte
Diner vor seiner Abreise zur Armee einzunehmen.

       *       *       *       *       *

Es war halb sechs Uhr Abends. Dicht gedraengt standen die Menschenmassen
die Linden entlang, vom Thiergarten her bis zum Anhalter Bahnhof. Die
sonst so lauten und unruhigen Berliner hatten diesmal ihre gewoehnliche
Natur verleugnet, und eine fast lautlose Stille herrschte auf den dicht
belebten Strassen.

Da kam vom koeniglichen Palais her ein einfacher zweispaenniger Wagen mit
offenem Verdeck dahergefahren. Der Koenig, im Ueberrock und Helm, fuhr,
von seiner Gemahlin begleitet, nach dem Bahnhof und blickte zum letzten
Mal ernst und gedankenvoll auf diese Strasse seiner Residenz hin, welche
bereits so viele Herrscher seines Hauses gesehen hatte in den Tagen des
Gluecks und des Ungluecks, in den Tagen des Leidens und der Demuethigung,
wie in den stolzen Triumphzuegen nach gewaltigen Siegen--immer aber in
gegenseitiger Liebe und Treue innig vereint mit ihrem Volk, welches das
Unglueck mit ihnen getragen und opferfreudig sein Blut vergossen hatte
zur Erringung der Triumphe und Siege.

Kein lauter Ruf ertoente, still und schweigend entbloessten sich alle
Haeupter und durch diese schweigenden, feierlichen Gruesse hin fuhr der
koenigliche Wagen hinaus, waehrend der Koenig freundlich ernst mit der Hand
winkte und die Koenigin, von Bewegung ueberwaeltigt, ihr Taschentuch vor
die Augen drueckte.

Im Wartesaal des Bahnhofes erwarteten den Koenig der
Generalfeldzeugmeister Prinz Carl und der jugendliche Erbgrossherzog von
Mecklenburg-Schwerin, die Prinzen Alexander und Georg, der Admiral Prinz
Adalbert, der Herzog Wilhelm von Mecklenburg mit der Grossherzogin
Alexandrine von Mecklenburg-Schwerin, der Prinzessin Karl und der jungen
Herzogin Alexandrine. Daneben sah man alle in Berlin noch anwesenden
Generale, die Minister, den Geheimrath Abeken, den Legationsrath von
Kendell und neben den koeniglichen Prinzen den Grafen Bismarck, die
Generale von Roon und von Moltke und den alten Feldmarschall Wrangel;
die Angehoerigen der Herren, welche den Koenig begleiten sollten, waren
mit anwesend. Neben dem Grafen Bismarck standen seine Gemahlin und seine
Tochter, in letzter wehmuethiger Unterhaltung mit dem Scheidenden. Neben
dem General von Roon, in seiner ernsten strengen Haltung, sah man seinen
Sohn, der Adjutantendienste bei ihm that--auch viele Damen der uebrigen
Minister und der Hofchargen waren anwesend.

Auch diese ganze Gesellschaft war ernst und still, wie ueber der
Bevoelkerung von Berlin, so lag auch ueber diesen hoechsten Spitzen des
preussischen Staats der tiefe Ernst des Augenblicks.

Der koenigliche Wagen fuhr an die Rampe, der Koenig stieg aus und reichte
dann der Koenigin die Hand, ihr ebenfalls aus dem Wagen zu helfen. Dann
blickte er hin ueber den mit Menschen dicht besetzten Platz und erhob zum
letzten Gruss die Hand.

Jetzt zum ersten Mal wurde das ernste, feierliche Schweigen gebrochen,
wie ein einziger Ruf, weithin brausend in gewaltigen Klaengen die Luft
erschuetternd, erhob sich ein dreimal wiederholtes Hurrah. Es war als ob
wie aus einem Munde, vom gleichen Pulsschlag bewegt, das Volk den
scheidenden Koenig begruesste.

Dann trat abermals tiefe Stille ein.

Der Koenig winkte noch einmal mit der Hand, gab der Koenigin den Arm und
wandte sich nach dem Wartesaal hin. Da fiel sein Auge auf einen jungen
Officier mit blassem Gesicht, welcher in einem kleinen Rollwagen auf die
Rampe gefahren war und mit leuchtenden Blicken den koeniglichen
Kriegsherrn ansah, waehrend er die in unwillkuerlicher Bewegung erhobenen
Haende gegen ihn ausstreckte.

Der Koenig blieb einen Augenblick stehen, dann schritt er rasch auf den
jungen Mann zu und reichte ihm die Hand, dieser aber fasste sie mit
seinen beiden Haenden und fuehrte sie an die Lippen, indem Thraenen aus
seinen Augen stuerzten. Dann fasste er sich, richtete sich in seinem Wagen
empor und sprach im Ton dienstlicher Meldung:

"Lieutenant von Sierrakowsky, Majestaet--"

"Ich weiss, ich weiss," sagte der Koenig freundlich, durch einen Wink die
Meldung unterbrechend, "ich vergesse die Tapfern nicht, die fuer mich und
das Vaterland geblutet haben--Gott hat Ihnen nicht vergoennt, auch in
diesem Kampf mit mir hinaus zu ziehen--aber troesten Sie sich, Sie haben
dem Vaterland Ihre Schuld reichlich bezahlt und Beispiele, wie das Ihre,
werden neue Helden schaffen."

"Gott segne Eure Majestaet!" sagte der junge Officier, mit erstickter
Stimme; "Gott segne unsere preussischen Fahnen!"

Der Koenig drueckte dem armen Invaliden noch einmal herzlich die Hand und
trat dann in den Wartesaal. Nur wenige Worte sprach er mit den dort
Versammelten. Alle Damen reichten ihm Blumenstraeusse entgegen.

"Ich kann sie nicht alle mitnehmen," sagte der Koenig freundlich
laechelnd, indem er einen schoenen Strauss aus den Haenden der Graefin
Itzenplitz entgegennahm. "Diese Blumen sollen mir eine Erinnerung an Sie
Alle und an Ihre guten Wuensche sein."

Kein Auge blieb trocken, Alle draengten dem scheidenden Koenig nach, der
an der Thuer des Wartesaals die Koenigin umarmte und dann mit den Herren
des Gefolges schnell in das Coupe stieg.

Dahin brauste der Zug nach dem Westen, nach dem Schauplatz des noch von
den dunklen Wolken der Zukunft verhuellten Krieges.




Zwoelftes Capitel.


Der junge Cappei hatte in einem fast bewusstlosen Zustand stumpfer
Resignation die ersten Tage nach seiner Verhaftung in dem Amtsgefaengniss
zu Bodenfeld zugebracht. Vergebens strengte er sich an, um die Faeden des
Netzes zu entdecken, das ihn so geheimnissvoll und unerklaerlich umsponnen
hatte. Seine Gedanken verwirrten sich, das fortwaehrende Schweigen seiner
Geliebten, dieser so ploetzliche und unerwartet gegen ihn erhobene
Vorwurf staatsgefaehrlicher Verbindungen, das Alles vermochte er in
keinen klaren Zusammenhang zu bringen, und nur wenn er auf den Verdacht
zurueckkam, welchen die Handschrift des ihm vorgelegten Schreibens in ihm
erweckte, so erfasste ihn ein heftiger Paroxismus des Zornes und der
Verzweiflung.

Oft war er nahe daran nach Mitteln zu suchen, seinem so ploetzlich von
der Hoehe der gluecklichsten Hoffnungen in die Tiefe eines vernichtenden
Schmerzes herabgestuerzten Leben ein gewaltsames Ende zu machen, und nur
die von frueher Jugend in ihm gepflegte glaeubige Froemmigkeit gab ihm die
Kraft, diese traurige Existenz zu ertragen und liess ihn die Hoffnung
nicht verlieren, dass die Vorsehung Wege finden wuerde, das Dunkel zu
erhellen, welches ihn umgab und seine Unschuld dem wider ihn erhobenen
Verdacht gegenueber an das Licht zu bringen.

In dieser qualvollen Ungewissheit, allein mit seinen in demselben Kreise
sich stets bewegenden Gedanken brachte er drei furchtbare Tage zu, ohne
das Geringste von der Aussenwelt zu hoeren oder zu sehen, als ein kleines
Stueck des Himmels, das ueber eine hohe Mauer durch das vergitterte
Fenster seines Gefaengnisses hereinsah.

Dann wurde er zum ersten Verhoer vorgefuehrt. Ein Untersuchungsrichter aus
der naechsten Stadt war in Bodenfeld erschienen, um in Gegenwart des
Amtmanns die Vernehmung des jungen Menschen vorzunehmen.

Cappei antwortete auf alle an ihn gestellten Fragen im vollen Bewusstsein
seiner Schuldlosigkeit, und der guenstige Eindruck, den seine klaren und
bestimmten Angaben, die sich in keinem Punkt widersprachen, auf den
Richter und den Amtsverwalter machten, war unverkennbar.

Schon begann die Hoffnung in ihm aufzuleben, dass das Alles sich als ein
Missverstaendniss herausstellen werde, da legte der Untersuchungsrichter
ihm aus den beim Amte gefuehrten Acten eine Reihe von Briefen vor mit der
Frage, ob er die Handschrift kenne, und ob diese an ihn adressirten
Briefe unter ihren scheinbar unverfaenglichen Worten einen andern Sinn
verbaergen.

Der Richter sprach dabei zugleich nochmal die Ermahnung aus, durch ein
offenes Gestaendniss eine mildere Beurtheilung seiner Handlungen zu
ermoeglichen, zu denen eine irre geleitete Anhaenglichkeit an die fruehere
Regierung seines Landes ihn bestimmt haben moechte.

Der junge Cappei trat ruhig und unbefangen an den Tisch heran, um die
ihm vorgelegten Papiere naeher zu betrachten und vielleicht durch
dieselben einen Anhalt zur Aufklaerung des Missverstaendnisses zu gewinnen.

Kaum hatte er indess einen Blick auf die Briefe geworfen, als eine
schnelle fliegende Roethe auf seinem Gesicht erschien. Seine kraeftige
Gestalt zitterte und bebte, und wie zusammenbrechend stuetzte er sich mit
beiden Haenden auf den Tisch, waehrend seine gross geoeffneten Augen mit dem
starren Ausdruck des Schreckens und des Entsetzens auf den Papieren
hafteten.

Er erkannte Luisens Handschrift, und als er sich so weit gesammelt
hatte, um die im ersten Augenblick vor seinen Augen hin und her
schwirrenden Buchstaben festhalten zu koennen, las er, in fliegender Hast
die Blaetter umwendend, immer dringendere, immer sehnsuchtsvollere Bitten
um Nachricht, Besorgnisse, dass er krank sein moege, und voll Schmerz und
Verzweiflung sah er zwischen den Zeilen dieses Briefes das Bild seiner
Geliebten erscheinen, welche in gleicher Ungewissheit und Bangigkeit wie
er, gewartet und immer wieder gewartet und vergebens um Antwort und
Nachricht gefleht hatte.

Ein daemonischer Einfluss hatte hier die Hand im Spiele gehabt, ein wohl
durchdachter Plan voll Hinterlist und Bosheit hatte sich zwischen diese
beiden liebenden Herzen gestellt, um nicht nur ihre aeussere Verbindung zu
unterbrechen, sondern sie auch mit Misstrauen gegen einander zu erfuellen
und ihre Liebe zu zerstoeren.

Als er die Briefe saemmtlich durchflogen hatte, wurde ihm Alles
klar;--wie er schon beim ersten Verhoer geglaubt hatte in dem ihm damals
vorgelegten an ihn gerichteten compromittirenden Brief die Hand des
Herrn Vergier zu erkennen, so wurde ihm jetzt vollkommen deutlich, dass
dieser und kein anderer der Urheber dieses Werkes finsterer Heimtuecke
sei. Und eine wilde, wuethende Verzweiflung, ein brennender Durst nach
Rache bemaechtigte sich seines ganzen Wesens.

Schweigend starrte er fortwaehrend auf die vor ihm liegenden Briefe, als
sei ploetzlich ein drohendes Gespenst vor ihm aufgestiegen, dessen kalte
Hand sich todtbringend nach seinem Herzen ausstreckte.

Betroffen blickte ihn der Untersuchungsrichter an. Der ganze bisherige
Verlauf des Verhoers hatte einen guenstigen Eindruck fuer den jungen Mann
in ihm hervorgebracht, dessen ploetzliche, so sichtbar tiefe Bestuerzung
jedoch schien jenen Eindruck wieder zu verwischen.

"Kennen Sie diese Briefe?" fragte er mit strengem Ton.

Der junge Cappei fuhr bei dieser Frage, die ihn aus seiner Betaeubung
aufschreckte, empor und erwiderte, indem seine Stimme vor maechtiger
innerer Erregung zitterte:

"Ja, ich kenne sie, sie sind an mich gerichtet,--es sind Briefe meiner
Braut, sie haben mir die Augen geoeffnet ueber den ganzen heillosen Plan,
welchen eifersuechtiger Hass gesponnen, um uns von einander zu reissen.
Diese Briefe haben keinen verborgenen Sinn, sie bedeuten nur das, was
mit klaren Worten in ihnen geschrieben steht. Oh, mein Gott," rief er,
den brennenden Blick aufwaerts richtend, "wie ist es moeglich, dass so viel
Schlechtigkeit auf Erden wohnen kann."

"Sie behaupten also," fuhr der Untersuchungsrichter fort, "dass dies
wirklich Briefe eines jungen Maedchens sind, und dass dieselben keine
Bedeutung haben?--Ich muss Ihnen sagen," fuegte er hinzu, "dass Ihre so
heftige und sichtbare Bestuerzung beim Anblick dieser Papiere nicht zu
Ihren Gunsten spricht, um so weniger als unmittelbar nach Ihrer Ankunft
ein Schreiben an Sie hierher gekommen ist, in welchem Ihnen die
muendliche Verabredung in's Gedaechtniss zurueckgerufen wird, die
Nachrichten, welche man von Ihnen erwartet und die Fragen, welche man an
Sie stellen wuerde, in die Form von einfachen Liebesbriefen zu kleiden."

"Welch ein Abgrund,--welch ein Abgrund," rief der junge Cappei
verzweiflungsvoll. "Und kann ich jenen Brief sehen?" fragte er dann.

Der Untersuchungsrichter nahm ein Papier und legte es ihm vor.

"Ja, ja," rief Cappei heftig auffahrend, "es ist dieselbe Handschrift.
Es ist die Handschrift jenes Elenden, der mich um mein Glueck betruegen
will, der es gewagt hat, mich in Frankreich als preussischen Spion zu
verdaechtigen, und der nun durch seine teuflischen Kuenste mich hier als
Verschwoerer verfolgen laesst. Ich schwoere Ihnen, meine Herren, das Alles
ist schaendlicher Betrug, ich bin das Opfer der Hinterlist eines
Todfeindes, der mich verderben will. Ich bitte Sie um Gottes Willen,
lassen Sie mich einmal hier in Ihrer Gegenwart einen Brief an meine
Braut schreiben. Sie werden die Antwort sehen, Sie werden sehen, dass
nichts Geheimnissvolles, nichts Verfaengliches dahinter steckt--"

"Die Antwort wuerde vielleicht ebenso unverfaenglich sein, als diese
Briefe es saemmtlich zu sein scheinen," sagte der Untersuchungsrichter
den Kopf schuettelnd. "Ich will zu Ihrem Besten hoffen, junger Mann, dass
Ihre Angaben die Wahrheit seien, indessen kann ich Ihnen nicht
verbergen, dass das Alles sehr unwahrscheinlich scheint,--ich will fuer
heute das Verhoer schliessen, um Ihnen Zeit zu lassen, wenn Sie etwas
auszusagen haben, durch ein umfassendes und aufrichtiges Gestaendniss Ihre
Lage zu erleichtern."

"Darf ich nicht," fragte der junge Mann im Ton dringendster Bitte, "darf
ich nicht zwei Worte nur an meine Braut schreiben?"

"Es wuerde zu nichts fuehren," sagte der Untersuchungsrichter, "denn eine
gleichgueltige Antwort wuerde noch nichts zu Ihren Gunsten beweisen,--wenn
diese Briefe wirklich nur der Deckmantel einer geheimen Correspondenz
sind, so wuerde ohne den Schluessel derselben, ohne Kenntniss der
chemischen Mittel," fuhr er fort, den Blick scharf auf den jungen Mann
richtend, "durch welche etwa andere geheime Schriftzeichen auf dem
Papier sichtbar werden, noch immer keine Klarheit in die Sache kommen.
Ich wuensche nochmals," sprach er dann, "dass Ihre Schuldlosigkeit an den
Tag kommen moege, denn ich habe hier ueber Sie und Ihre Familie nur Gutes
gehoert. Wenn Sie jetzt unter dem auf Ihren Schultern ruhenden Verdacht
bleiben muessen, so trifft die Schuld zunaechst davon Diejenigen, welche
nicht aufhoeren durch fortwaehrende Agitationen das Land zu beunruhigen,
und welche uns dadurch zwingen, mit den schaerfsten Mitteln den
verborgenen Faeden nachzuspueren, durch die jene Agitation geleitet
wird."

In dumpfem Schweigen liess sich der junge Mann nach seiner Gefaengnisszelle
zurueckfuehren. Es war eine Art von Ermattung ueber ihn gekommen, der
vernichtende Erfolg, welchen die vor seinen Augen jetzt klar liegende,
gegen ihn gespielte Intrigue gehabt, beraubte ihn fast des Glaubens an
die ewige Gerechtigkeit, und in stumpfer Resignation brachte er die dem
Verhoer folgenden Tage zu, ohne sich von seinem Lager zu erheben, nur die
nothwendigsten Nahrungsmittel zu sich nehmend. Im Schmerz um sein
zerstoertes Liebesglueck, um alle seine gebrochenen Lebenshoffnungen,
versank er in eine Art von dumpfer Lethargie, aus welcher nur die
brennende Sehnsucht emporflammte, sich an demjenigen zu raechen, dessen
Hand aus feiger Verborgenheit heraus ihn so toedtlich getroffen hatte.

       *       *       *       *       *

Kaum hatte er die Tage gezaehlt, welche in diesem Zustande an ihm
voruebergegangen waren, seine ewig auf ein und denselben Punkt
gerichteten Gedanken erfuellten sein Gehirn und sein Blut mit Fieber,
seine Kraefte begannen sich zu erschoepfen,--zuweilen dachte er fast mit
Wonne daran, dass eine toedliche Krankheit ihn ergreifen und seinen Leiden
ein Ende machen koennte. Dann wieder versuchte er mit aller
Willenskraft, sich aufrecht zu erhalten, um das Ziel seines Lebens, die
Rache, nicht zu verlieren.

Da trat eines Morgens der Amtsdiener in sein Zimmer und forderte ihn
auf, ihn zum Amtsverwalter zu begleiten.

Cappei sprang auf, ein leiser Hoffnungsschimmer erfuellte ihn, vielleicht
war es doch moeglich, dass man von seiner Unschuld sich ueberzeugt,
jedenfalls konnte ihm ein neues Verhoer Gelegenheit geben, die gegen ihn
erhobenen Anklagen zu entkraeften, und muehsam zwang er sich, seinen
schwankenden Schritten Festigkeit zu geben, als er dem Diener in das
Bureauzimmer folgte.

Der Amtmann blickte erschrocken auf den jungen Mann, welcher sich in
kurzer Zeit in entsetzlicher Weise veraendert hatte.

Seine Augen blickten hohl und truebe, seine Wangen waren eingefallen,
sein Mund zuckte fast convulsivisch, sein Haar hing wirr und ungeordnet
ueber die Stirn herab, kaum konnte er sich aufrecht halten und
unwillkuerlich griff seine Hand nach der Lehne des Sessels.

"Setzen Sie sich," sagte der Amtmann freundlich. "Sie sind angegriffen.
Ich hoffe, Ihnen Ihre Kraft und Ihren Muth wiedergeben zu koennen, denn
ich habe Ihnen eine gute Nachricht zu geben."

Wie erstaunt blickte Cappei auf den Beamten. Die Leiden, welche er
ausgehalten, hatten ihn fast unfaehig gemacht, das Gefuehl der Hoffnung zu
empfinden.

"Der Krieg mit Frankreich ist ausgebrochen," sagte der Beamte ernst, "in
wenigen Tagen wird das ganze deutsche Volk in Waffen den frevelhaften
Uebermuth seiner Erbfeinde zurueckweisen. Beim Beginn dieses grossen
nationalen Kampfes hat Seine Majestaet der Koenig eine allgemeine Amnestie
fuer politische Vergehen erlassen, welche vor der Kriegserklaerung gegen
Frankreich begangen sind. Auch Sie fallen unter diese Amnestie, die
Untersuchung gegen Sie ist daher beendet. Sie sind frei."

Cappei sprang auf. Seine Muskeln spannten sich, seine Gestalt richtete
sich kraeftig und elastisch empor und mit leuchtenden Blicken rief er:

"Frei! Frei! Oh! mein Gott, vergieb mir, dass ich an Deiner Gerechtigkeit
gezweifelt habe. Es war ja unmoeglich, dass das Werk finsterer Bosheit
triumphiren konnte. Ich darf also zu meiner Mutter zurueckkehren, ich
darf--"

"Sie sind frei und ausser aller Verfolgung," sagte der Beamte, "aber Sie
stehen in der allgemeinen Landwehrpflicht, hier ist eine
Einberufungsordre fuer Sie, welche Ihnen befiehlt, sich sogleich in
Hannover zu stellen, um dem Regiment, fuer welches Sie bestimmt sind,
zugetheilt zu werden. Sind Sie bereit," fuhr er mit einem forschenden
Blick auf den jungen Mann fort, "diese Pflicht zu erfuellen?"

"Bereit?" rief Cappei, indem ein Blitz aus seinen Augen zuckte, "bereit?
Oh, Herr Amtmann," fuhr er fort, den Arm erhebend, "geben Sie mir eine
Waffe in die Hand, um hinaus zu ziehen in den Kampf gegen jenes Land,
dessen Erde den Elenden traegt, der mich verderben wollte, und der das
Glueck und die Hoffnung meines Lebens zerstoert hat--er wird auch dort
nicht muessig gewesen sein," fuegte er mit bitterm Lachen hinzu, "und
nachdem er meiner Luise den Glauben an mich geraubt hat, wird er ihrem
leidenden Herzen sich als troestender Freund genaehert haben--aber die
raechende Gerechtigkeit wird mich fuehren, dass ich auf den Wegen dieses
Krieges ihm begegne, um ihn zu vernichten und, wenn es Gott will,
vielleicht noch seine Plaene zu durchkreuzen."

"Sie sind also bereit, sich sofort Ihrer Ordre gemaess zu stellen und den
Fahneneid zu leisten, den man natuerlich nochmals von Ihnen verlangen
wird, da Sie frueher dem Koenige von Hannover geschworen haben."

"Ich bin bereit," sagte Cappei.

"Sie duerfen nicht vergessen," fuhr der Beamte ernst fort, "dass wenn Sie
den Versuch machen sollten, Ihre Freiheit zu benutzen, um sich Ihrer
Landwehrpflicht zu entziehen, Sie damit das Verbrechen der Desertion
begehen wuerden, welches im gegenwaertigen Kriegszustande unfehlbar die
Todesstrafe nach sich zieht."

"Seien Sie unbesorgt, Herr Amtmann," rief Cappei, "ich werde mich
puenktlich stellen, und ich wuensche nur, dass mein Regiment das erste sei,
welches die franzoesischen Grenzen ueberschreitet. Darf ich vorher meine
Mutter und meinen Oheim besuchen?" fragte er dann.

"Sie sind vollkommen frei zu thun, was Sie wollen," sagte der Beamte,
"vorausgesetzt, dass Sie sich puenktlich zur rechten Zeit zur Einstellung
melden. Leben Sie wohl. Ich freue mich, dass Ihre Angelegenheit dies Ende
genommen hat, und ich wuensche, dass Sie gesund und wohl behalten aus dem
Kriege zurueckkehren moegen."

Er neigte freundlich den Kopf.

Cappei gruesste in militairischer Haltung und verliess kraeftigen und festen
Schrittes das Zimmer.

Gross war die Freude bei seinem Erscheinen in dem Hause seines Oheims,
wo seit seiner Verhaftung tiefe Trauer und Bekuemmerniss geherrscht hatte.

Gross aber auch war der Schmerz der alten Frau, als sie vernahm, dass sie
ihren Sohn nur wiedersehen sollte, um ihn sogleich wieder zu verlieren
und ihn hinausziehen zu sehen in die Todesgefahr eines furchtbaren
Krieges.

Ernst und feierlich sassen die drei Menschen bei dem letzten Wahl
zusammen, welches nach alter Bauernsitte reichlich fuer den Scheidenden
aufgetragen wurde, und welches fast Keiner von ihnen beruehrte.

Mit thraenenden Augen blickte die alte Frau auf den Sohn, der ihr so
schnell wieder entrissen werden sollte, nachdem Verbannung und
Gefangenschaft ihn getroffen, um noch groesseren Gefahren
entgegenzugehen--finster sass der alte Niemeyer da.

Er sah zwar lieber den jungen Menschen mit der Waffe in der Hand nach
Frankreich hinausziehen, als dass dieser sich eine Heimath gesucht haette
in dem Lande, das er den alten Traditionen nach, doch immer als den
Feind Deutschlands ansah, aber die drohende Todesgefahr des Sohnes
seiner Schwester, den er wie sein Kind liebte, bewegte ihn tief.

Doch endlich troestete ihn das glaubensstarke Vertrauen auf die Alles
zum Besten kehrende Vorsehung, dies Vertrauen, das in all' den alten
markigen Niedersachsen so fest und unerschuetterlich lebt und auch in den
schwersten Pruefungen ihren Muth aufrecht erhaelt.

"Gott erhalte Dich, mein Junge," sagte er einfach, indem er kraeftig die
Hand des Scheidenden schuettelte und obwohl seine Stimme leicht zitterte,
so klang doch die ruhig vertrauensvolle Ergebung in den goettlichen
Willen in diesen Worten wieder.

Die Mutter hatte den Raenzel ihres Sohnes mit Brod, kaltem Fleisch und
Branntwein gefuellt, der Oheim fuegte eine mit harten Thalern
wohlgespickte Boerse hinzu und dann beugte sich der junge Mann tief vor
der alten Frau nieder.

"Segne mich, meine Mutter," sagte er leise.

Die Alte legte ihre zitternden Haende auf das Haupt des Sohnes und
bewegte ihre Lippen, ohne dass laute Worte aus denselben hervordrangen,
aber die Thraenen, welche voll und heiss in diesem letzten Augenblick des
Scheidens aus ihren Augen stroemten, fielen ueber das Haar des jungen
Mannes herab. Er fuehlte, wie diese Tropfen seine Stirne benetzten, und
heilige Ruehrung durchzitterte sein Herz,--er empfand all' den reichen
Segen, all' die heissen Gebete, all' die frommen Wuensche, welche die
Abschiedsthraene aus dem Mutterauge in sich schliesst.

Dann wandte er sich rasch ab und schritt fest und kraeftig ueber den Hof
hinaus, vom Thor her sich noch einmal umblickend nach dem alten
niedersaechsischen Glauben, der an einen letzten Rueckblick auf das
heimathliche Haus eine frohe und glueckliche Heimkehr knuepft.

Bald hatte er die naechste Eisenbahnstation erreicht, wo schon eine
Anzahl anderer Einberufener wartete, und nach wenig Augenblicken fuehrte
ihn der dahinrollende Zug fort, einer dunklen Zukunft voll Kampf und
Gefahr entgegen, waehrend in seinem Herzen alle anderen Gefuehle
zuruecktraten vor der gluehenden Sehnsucht, Rache zu nehmen fuer die
Frevelthat an seiner Liebe.




Dreizehntes Capitel.


Ein buntes und laermendes Treiben herrschte in den Strassen und der
Umgebung von Metz. Die Waelle der alten Festungsstadt waren von den
weissen Zelten des Lagers der franzoesischen Armee umgeben und Truppen
aller Waffengattungen durchzogen die Strassen der Stadt und des Lagers.

Man sah die riesigen Cuerassiere ernst und ruhig einherschreiten,--man
sah die bunten afrikanischen Truppen,--die leichtfuessigen Voltigeurs und
Jaeger und all' dies Leben war von froehlicher Heiterkeit und
Siegeszuversicht getragen,--die Truppen im Lager sangen, tranken und
spielten, Polichinelbuden waren vorhanden und Alles erwartete mit
Ungeduld den Aufbruch gegen den Feind, ueberzeugt, dass es nur eines
Vorstosses dieser beruehmten franzoesischen Armee beduerfe, um siegreich und
unueberwindlich bis zum Herzen Deutschlands vorzudringen.

Der Kaiser war seit einigen Tagen von St. Cloud angekommen und hatte
mit dem kaiserlichen Prinzen in der Praefectur Wohnung genommen. Vor dem
Praefecturgebaeude schilderten die Cavallerie-Doppelposten, und die
glaenzende Generalitaet mit ihrem Gefolge, die Adjutanten und
Ordonnanzofficiere des Kaisers, welcher den ganzen Pomp seines
militairischen Hofes entfaltete, gingen aus und ein.

Inmitten all' dieses Laerms und all' dieses Glanzes sass der Kaiser in der
Generalscampagneuniform truebe und niederschlagen in seinem Zimmer,
dessen Fenster durch dichte Vorhaenge beschattet waren, um die heissen
Strahlen der Sonne abzuhalten und der Imperator, welcher hier in der
Mitte seiner siegesgewissen Truppen sich befand, blickte finster mit
einem gramvollen, resignirten Ausdruck vor sich nieder.

Er hielt einige Depeschen in der Hand, welche er eben durchlesen hatte,
und die Nachrichten, welche dieselben brachten, schienen nicht
erfreulicher Natur zu sein, denn mit einem unwillkuerlichen Griff hatten
die Haende des Kaisers das Papier zerknittert.

"Welch ein entsetzlicher Zustand in dieser Armee," sagte er, "welch ein
Chaos unter dieser glaenzenden Aussenseite--oh, warum habe ich nicht
vorher das Alles klar gesehen, was sich jetzt so furchtbar und
unerbittlich vor meinem Blick oeffnet,--jetzt wo keine Umkehr, kein
Einhalt des Verhaengnisses mehr moeglich ist. Ich habe eine Verstaendigung
im letzten Augenblick noch gehofft, ich habe irgend ein Entgegenkommen
von Berlin aus erwartet, um noch an der Spitze der gegenueberstehenden
Armeen das drohende Unheil beschwoeren zu koennen und die Concessionen zu
erreichen, nach denen ich so lange gestrebt. Alles ist vergebens, man
ist dort entschlossen, das Aeusserste zu wagen. Diese Veroeffentlichung des
Benedettischen Vertragsentwurfs, diese Depesche des Grafen Bismarck an
die Maechte, das Alles beweist mir, dass alle Bruecken abgebrochen sind,
und dass das furchtbare Verhaengniss des Krieges seinen Weg gehen muss. Und
welche Hoffnungen bleiben mir," sprach er mit dumpfer Stimme, "mir, der
ich schon vor dem Beginn des Kampfes ein zerbrochenes Schwert in der
Hand halte."

Er starrte im finstern Schweigen vor sich hin.

Die dienstthuende Ordonnanz trat ein und meldete den Prinzen Napoleon,
welcher unmittelbar der Meldung folgend, in das Zimmer trat. Der Prinz
trug die Uniform eines Divisionsgenerals und in dieser militairischen
Tenue trat seine Aehnlichkeit mit dem grossen Kaiser noch mehr als sonst
hervor, wenn dieselbe auch immerhin jetzt noch einen gewissen Anflug
von Carricatur hatte durch die weit staerkere Corpulenz des Prinzen,
durch seine unruhige Haltung und durch die nervoesen zuckenden Bewegungen
seines Gesichts. Die Augen des Prinzen flammten, eine dunkle Zornesroethe
bedeckte seine Stirn, mit hastigen Schritten trat er bis dicht vor den
Kaiser hin und die dunklen Augen gross auf seinen wie gebrochen da
sitzenden Vetter richtend, rief er, hastig die Worte hervorstossend:

"Weisst Du, mein Vetter, in welchem Zustande die Armee ist?"

Der Kaiser senkte schweigend das Haupt auf die Brust.

"Ich habe," fuhr der Prinz fort, "schon als ich von den Haiden Norwegens
nach Paris zurueckkehrte, um die erste Entwickelung dieses unseligen
Krieges mit anzusehen, Dir gesagt, was ich ueber dieses Abenteuer
denke--das gefaehrlichste und verhaengnissvollste, welches Du seit Deiner
Regierung unternommen,--was ich jetzt aber hier taeglich, stuendlich sehe
und erfahre, das uebersteigt die Grenzen alles dessen, was ich mir als
moeglich gedacht habe. Ich sehe einen ungeordneten Haufen Soldaten ohne
Organisation, ohne Fuehrung, ohne gesicherte Verpflegung, und wenn jeder
dieser Soldaten fuer sich den alten Paladinen Karl's des Grossen an
Tapferkeit gleichkaeme, so ist es unmoeglich, dass sie etwas ausrichten
koennen gegen die Tactik und die Ordnung des preussischen Generalstabes.
Wahrlich, mein Vetter, der Marschall Leboeuf muss ein Interesse haben,
Dich und uns Alle zu verderben. Selbst die gewaltigste menschliche
Dummheit kann ein Verfahren, wie das Seinige, nicht erklaeren."

Der Kaiser schwieg noch immer.

"Was denkst Du zu thun? Kannst Du noch Frieden machen?"

"Der Frieden jetzt," sagte der Kaiser, "kaeme der Streichung des
franzoesischen Namens aus der Reihe der Grossmaechte, kaeme der Abdankung
unserer Dynastie gleich," fuegte er mit leiser, tonloser Stimme hinzu.

"Was aber denkst Du zu thun," rief der Prinz, "willst Du Dich, willst Du
uns Alle zu den Todten werfen lassen? Willst Du Dich nicht entschliessen,
an Rigault de Genouilly den Befehl einer unmittelbaren Expedition in der
Ostsee zu uebergeben. Ich bitte Dich, uebertrage mir das Commando der
Landungstruppen, wir werden dort die Gegner zwingen, zahlreiche
Streitkraefte hinzusenden, um wenigstens uns hier vor einem
ueberwaeltigenden Angriff zu schuetzen."

"Ich darf Russland nicht verletzen," sagte der Kaiser, wie zoegernd,
"auch England hat sich sehr entschieden gegen eine Bedrohung des
preussischen Handels ausgesprochen--"

"Willst Du nach Russland fragen," rief der Prinz, zornig mit dem Fuss auf
den Boden stossend, "nach England, in dem Augenblick, wo es sich um die
Ehre, um die Existenz Frankreichs handelt und um die Existenz unseres
Hauses?"

"Der Marschall Leboeuf," meldete die dienstthuende Ordonnanz.

"Dein boeser Genius," sagte Prinz Napoleon und wandte sich zum Fenster
hin, ohne den Gruss des eintretenden Marschalls zu erwidern, welcher mit
ruhig heiterer Miene in das Zimmer trat und mit seiner vollen, langsamen
Stimme sagte:

"Die Regimenter, welche Eure Majestaet heute zu mustern befahl, stehen an
dem Eingang der Strasse nach Thionville bereit, wenn Eure Majestaet die
Gnade haben wollen, hinauszureiten."

"Der Kaiser sollte lieber die Commandos, die Arsenale und die
Feldzugsplaene besichtigen, als diese armen ungluecklichen Truppen, die
verlorenen Schlachtopfer einer entsetzlichen Vernachlaessigung, in
Augenschein zu nehmen," rief der Prinz Napoleon, sich schnell umwendend.

Der Marschall Leboeuf richtete sich hoch auf und blickte mit seinen
grossen, etwas vorstehenden Augen den Prinzen starr an.

"Das Alles ist von mir geordnet," sprach er, "und der Kriegsplan
sichert, wie ich glaube, so gut als das moeglich ist, den Erfolg."

"Der Kriegsplan," rief der Prinz, "das nennen Sie einen Kriegsplan, Herr
Marschall, einen Plan, der darin besteht, auf dieser ganzen weiten Linie
von Strassburg bis Thionville die Armeecorps wie einen Zoll-Cordon
auszustreuen, so dass sie sich weder einzeln behaupten, noch gegenseitig
unterstuetzen koennen. Der Vorstoss der preussischen Armee wird das Alles
aufrollen und zerbroeckeln, ehe man ueberhaupt noch zum Nachdenken
gekommen ist, und all' die Tapferkeit dieser braven Soldaten wird
vergebens sein. Wenn der Krieg," fuhr er immer heftiger fort, "in dem
Gehirn einzelner Menschen seit Monaten beschlossen war, wenn er seit
vierzehn Tagen erklaert ist, so verstehe ich nicht, dass waehrend die
deutsche Armee in erdrueckenden Massen auf uns losrueckt, man da nicht ein
einziges Corps mit dem Noethigen versehen, vollstaendig hat hinstellen
koennen."

Bevor der Marschall antworten konnte, erhob sich der Kaiser, faltete die
zerknitterten Depeschen in seiner Hand auseinander, richte sie dem
Marschall und sprach mit kaltem, strengem Ton:

"Ich bitte Sie, Herr Marschall, diese Depeschen zu lesen, welche ich so
eben aus Paris erhalten habe."

Der Marschall nahm die Depeschen eine nach der andern und las:

"General Ducrot an das Kriegsministerium in Paris.

Morgen werden wir kaum fuenfzig Mann haben, um den Platz Neu-Breisach zu
halten und Mortier, Schlettstadt, Lichtenberg sind in gleicher Weise
entbloesst. Die Preussen sind Herren aller Defileen des Schwarzwaldes."

"Lesen Sie weiter," sprach der Kaiser, waehrend der Prinz Napoleon die
Haende zusammenschlug.

Der Marschall Leboeuf las:

"Der General-Commandant des vierten Corps an das Kriegs-Ministerium in
Paris.

Das vierte Corps hat weder Cantinen, Ambulancen noch
Ausruestungsgegenstaende. Alles ist vollstaendig entbloesst."

"Weiter," sprach der Kaiser kalt und kurz.

Der Marschall las die folgende Depesche:

"Der Intendant des sechsten Corps an das Kriegs-Ministerium in Paris.

Ich erhalte von dem Chef der Rheinarmee das Verlangen nach vierhundert
tausend Rationen Zwieback. Ich habe nicht eine einzige Ration."

"Immer weiter," sagte der Kaiser.

Der Marschall fuhr fort, die naechste Depesche ergreifend.

"Marschall Canrobert an das Kriegs-Ministerium in Paris.

Ich habe weder Kochtoepfe, noch Naepfe, die Kranken sind von Allem
entbloesst. Wir haben weder Betten, noch Hemden, noch Schuhe."

"Endlich die letzte," sagte der Kaiser, indem er dem Marschall eine
Depesche reichte, die er noch zurueckbehalten hatte.

Marschall Leboeuf las immer in demselben ruhigen, gleichmaessigen Ton:

"General Michel an das Kriegs-Ministerium in Paris.

Angekommen zu Belfort, meine Brigade nicht gefunden, Divisionsgeneral
nicht gefunden. Was soll ich machen? Ich weiss nicht, wo meine Regimenter
sind."

Mit einem Satz sprang der Prinz zu dem Kaiser heran.

"Dieser General," rief er, "welcher im Angesicht des Feindes seine
Armee sucht, das ist das Schlusswort aller dieser Laecherlichkeit, einer
Laecherlichkeit, welche aber zugleich die furchtbarste Tragoedie in sich
schliesst, da sie der Untergang Frankreichs und des Kaiserreichs sein
wird. Ich will hier nichts mehr sehen und hoeren, ich verlasse die Stadt
und beziehe mein Zelt im Lager; wenn ich laenger in diesem Hauptquartier
bleibe, so wird der Wahnsinn mein Gehirn erfassen."

Und ohne ein Wort zu sagen, stuermte er hinaus.

"Sire," sagte der Marschall Leboeuf im ruhigen Tone, "solche kleine
Unordnungen kommen jedesmal vor, wenn eine grosse Armee sich
zusammenzieht. In wenigen Tagen wird sich das Alles von selbst ordnen."

"Ich glaube nicht, Herr Marschall," sagte der Kaiser kalt, "dass aehnliche
Unordnungen auf der Seite unserer Feinde vorkommen, und ich wuensche, dass
dieselben in der That in wenigen Tagen geordnet sein moegen. Sie werden
Ihre ganze Thaetigkeit und Energie entwickeln, damit das geschehe,--denn,
Herr Marschall, die Verantwortung fuer die Folgen solcher Unordnungen
wird eine grosse und schwere sein und in voller Wucht auf Ihrem Haupte
lasten. Jetzt will ich hinaus, um die Truppen zu sehen."

Und mit einer stolzen Neigung des Hauptes, welche andeutete, dass er kein
Wort weiter zu hoeren wuensche, wandte er sich von dem ganz erstaunt
dastehenden Marschall ab. Indem er sich der Thuer naeherte, oeffnete sich
dieselbe schnell und mit Freude strahlendem Gesicht trat der kaiserliche
Prinz in seiner kleinen, zierlichen Lieutenantsuniform herein.

Er hielt einen Brief in der Hand, kuesste schnell seines Vaters Hand und
rief mit froehlichem Tone:

"Ein Brief von Mama, den man mir so eben gebracht. Alles ist wohl und
voll Siegeshoffnungen in Paris. Die kleine Malakoff hat zwei Stueck
vierblaettrigen Klee gefunden, welche Mama mir sendet und welche mir
Glueck bringen werden. Ich werde die Blaetter in ein Medaillon fassen
lassen und stets bei mir tragen."

Er zog den Brief der Kaiserin aus der Enveloppe und hielt die beiden
vierblaettrigen Kleeblaetter ganz stolz dem Kaiser entgegen.

Napoleon antwortete nicht. Mit einem wunderbaren Ausdruck aus Liebe und
schmerzlicher Wehmuth gemischt, sah er einige Augenblicke seinen Sohn
an, dann beugte er sich zu demselben nieder, drueckte seine Lippen auf
die reine Stirn und sagte:

"Ich will zu den Truppen hinausreiten, Du sollst mich begleiten."

Der Prinz steckte die Enveloppe mit den Kleeblaettern, ganz ueberrascht,
dass sein Vater dieselben so wenig beachtete, in seine Uniform und ging
mit dem Kaiser hinaus.

Der Marschall Leboeuf folgte ihnen. Man stieg zu Pferde.

An der Spitze seines glaenzenden Generalstabes ritt der Kaiser hinaus
durch die belebten Strassen der Stadt nach dem Felde.

Auf der Strasse von Thionville, wo zwei Brigaden der Garde aufgestellt
waren, begruessten diese praechtigen Elitetruppen in ihrer musterhaften
Haltung den Kaiser mit jubelnden Hochrufen, in welche die in dichten
Massen umherstehenden einzelnen Soldaten laut und begeistert mit
einstimmten. Aber das Gesicht Napoleons erhellte sich nicht beim Anblick
dieser herrlichen Regimenter. Schweigend ritt er die Front ab,
schweigend liess er die Truppen an sich vorbei defiliren und immer
schweigend wandte er nach kurzem Gruss, den Hut erhebend, sein Pferd, um
nach der Stadt zurueckzureiten.

Noch einmal brauste das vive l'empereur donnernd durch das Lager hin,
die Strahlen der Sonne funkelten auf allen diesen Waffenspitzen, auf
allen diesen Gold schimmernden Uniformen des Generalstabes, an dessen
Spitze der Kaiser gebeugt auf seinem Pferde sitzend, im langsamen
Schritt nach der Stadt zurueckritt, waehrend der kaiserliche Prinz
ungeduldig sein Pferd zuegelte, um an der Seite seines Vaters zu bleiben.

Ueberall gruessten erneute Hochrufe und die Klaenge der Musikkorps, welche
partant pour la Syrie und die Marseillaise spielten.

Der Kaiser schien von Allem dem nichts zu hoeren und zu sehen.
Ausdruckslos starrten seine Augen in's Leere und leise die Lippen
bewegend, sprach er:

  "Ave, Caesar, morituri te salutant!"




Ende des dritten Bandes.






End of the Project Gutenberg EBook of Der Todesgruss der Legionen, Dritter
Band, by Johann Ferdinand Martin Oskar Meding, AKA Gregor Samarow

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER TODESGRUss DER LEGIONEN, ***

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works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
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